Zusammenfassung
Die Konsolidierung der Staatsfinanzen nach der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise wird eines der zentralen wirtschaftspolitischen Themen der nächsten Jahre sein: Die Regelungen zur „Schuldenbremse“ sehen für den Bundeshaushalt bis 2016 einen annähernd ausgeglichenen Haushalt vor, und auch die Länderhaushalte sollen bis 2020 weitgehend konsolidiert werden. Dadurch ergibt sich ein erheblicher Konsolidierungsbedarf der öffentlichen Haushalte, der sich bei realistischen Annahmen über das strukturelle Defizit im Ausgangsjahr 2010 und die zu erwartende langfristige gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate bis 2016 auf knapp 80 Mrd. € summiert. Bei einem Ausgleich der kalten Progression durch eine Tarifanpassung bei der Einkommensteuer, wie in der Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien vorgesehen, würde der Konsolidierungsbedarf bis 2016 auf deutlich über 100 Mrd. € steigen. Damit wäre ein erheblicher Anstieg der Staatsverschuldung auf deutlich über 80 % des BIP verbunden. Aber auch bei einer erfolgreichen Konsolidierung würde die Staatsverschuldung 2016 noch ca. 75 % des BIP betragen. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, die längerfristig mit einem erheblichen Anstieg der Staatsausgaben verbunden sein wird, erscheint die Konsolidierung der Staatsfinanzen geboten. Der Konsolidierungsbedarf sollte nach der Krise vor allem über die Ausgabenseite realisiert werden. Wahrscheinlich werden aber die politisch realisierbaren Ausgabenkürzungen alleine nicht ausreichen, Steuer- und Abgabenerhöhungen werden ergänzend erforderlich sein. Erhöhungen der indirekten und vermögensbezogenen Steuern sind ökonomisch weniger schädlich als die der direkten Steuern und der Sozialabgaben. Die Spielräume für Steuerentlastungen sind gering; der Ausgleich der kalten Progression bei der Einkommensteuer ist wünschenswert, müsste aber gegenfinanziert werden.
Teile dieses Beitrags basieren auf einer Aktualisierung von Bach und Steiner (2009). Ich bedanke mich bei Juliane Zenker für die Unterstützung bei der Aktualisierung der Daten und der Erstellung der Grafiken.
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Notes
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2009 beliefen sich allein die Zinsausgaben des Bundes auf 40,17 Mrd. €, was 14,2 % der gesamten Ausgaben (Zins-Ausgaben-Quote) auf Bundesebene ausmachte. Im Vergleich betrugen die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft, Forschung, und kulturelle Angelegenheiten des Bundes zusammen nur 15 Mrd. €, das entspricht 5,1 % der gesamten Bundesausgaben (vgl. Bundesministerium der Finanzen 2010c, S. 68, 76 und Gemeinschaftsdiagnose-Projektgruppe 2009, S. 57).
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Durch das Konjunkturpaket II wird bis 2010 der Grundfreibetrag um 340 € und die Tarifgrenzen um 730 € angehoben, ferner wird der Eingangsteuersatz von 15 auf 14 % gesenkt. Das bedeutet Steuerentlastungen von etwa 6 Mrd. € im Jahr. Die volle Berücksichtigung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge als Sonderausgaben, die entsprechend einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ab 2010 umgesetzt wird, führt zu Steuerausfällen von ca. 10 Mrd. € im Jahr.
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Die OECD gibt in ihrem Economic Outlook Nr. 85 von 2009 die Möglichkeit einer dauerhaften Minderung des Produktionspotenzials einer Volkswirtschaft durch Finanzkrisen an. Die Minderung kann je nach Schwere der Krise zwischen 1,5 und 4 % liegen. Obwohl die Evidenz hinsichtlich der daraus folgenden Auswirkung auf die langfristige Wachstumsrate des BIP nicht eindeutig ist, kann dennoch ein zusätzlicher Druck auf die öffentlichen Finanzen entstehen.
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Vgl. Grundgesetz, (2009) Art. 109 und 115, in der Fassung vom 1.8.2009. Und zu den Übergangsregelungen: Grundgesetz, Art. 143d.
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Im Zuge der Berechnungen vom Januar 2010 zum Konsolidierungsbedarf hinsichtlich der Einhaltung der Schuldenbremse legt die Bundesregierung auf Bundesebene einen Wert des strukturellen Defizits von 2,8 % des BIP für 2010 zugrunde. Im Februar wurde die Prognose für das gesamtstaatliche strukturelle Defizit mit 4,5 % angegeben (vgl. Bundesministerium der Finanzen 2010a, b, S. 42).
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Es soll an dieser Stelle nur der aus der neuen Schuldenregel resultierende Konsolidierungsbedarf für die Bundesebene betrachtet werden. Da auf Länderebene im Gegensatz zum Bund darauf verzichtet wurde, per Gesetz einen konkreten Defizitabbaupfad vorzugeben, kann kein zwingender Konsolidierungsbedarf quantifiziert werden.
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In Ländern mit erfolgreicher Konsolidierung in der Vergangenheit führte häufig unter anderem eine eher vorsichtige Einschätzung der Wirtschaftsentwicklung zum Ziel. So konnten negativen Konjunkturentwicklungen frühzeitig begegnet und positivere Entwicklungen zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden. In Deutschland wurde das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren kontinuierlich zu hoch prognostiziert. Von 1992 bis 2005 wurde die Wachstumsrate des BIP vom Sachverständigenrat in allen Jahren bis auf 1994, 1999 und 2000 überschätzt (vgl. Wagschal und Wenzelburger 2008, S. 203 ff.).
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Darüber hinaus besteht auch bei den Länderhaushalten aufgrund der steigenden Pensionslasten und – für die Ostländer – wegen des Auslaufens der Ostförderung erheblicher fiskalischer Konsolidierungsbedarf.
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Für eine aktuelle Diskussion möglicher Handlungsoptionen mit einer etwas anderen Schwerpunktsetzung, insbesondere auch bezüglich mittelfristiger Einsparpotenziale durch Effizienzsteigerungen im öffentlichen Sektor, vgl. Fuest und Thöne (2009).
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Die Bundesregierung geht von einem Anstieg des Bundeszuschusses zur GKV von knapp 4 Mrd. im Jahr 2008 auf über 15 Mrd. € 2012 aus. Vgl. Bundesministerium Für Arbeit und Soziales, Sozialbericht (2009), Tab. 14, Bonn 2009.
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Steiner, V. (2011). D. Konsolidierung der Staatsfinanzen. In: Welfens, P. (eds) Zukunftsfähige Wirtschaftspolitik für Deutschland und Europa. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-17607-4_4
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