Seit dem Beginn der Liberalisierung im Jahre 1991 hat sich Indien zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften entwickelt. Neben den Chancen, die sich ausländischen Unternehmungen in dem Land mit über 1,2 Mrd. Einwohnern bieten, gibt es jedoch auch Vorbehalte gegen ein Engagement. Zu diesen zählen das große Ausmaß der Korruption, die weitverbreitete Kinderarbeit und die extremen Einkommensunterschiede. Darüber hinaus führt die hohe Regulierungsdichte und die ausufernde Bürokratie dazu, dass Unternehmungen in Indien nicht nur effiziente Geschäftsmodelle entwickeln müssen, sondern auch mit sozialen, ethischen und ökologischen Herausforderungen und Anliegen konfrontiert sind.

Das Ziel des Public Affairs Management ist es, die Beziehungen zu den sozio-politischen Interessengruppen zu gestalten, potenzielle, latente und manifeste Konflikte mit diesen effizient zu handhaben sowie Wettbewerbsvorteile, die sich durch die Berücksichtigung oder Beeinflussung sozio-politischer Anliegen eröffnen, möglichst weitgehend auszuschöpfen (vgl. Holtbrügge und Welge 2010, S. 444). Dessen Ausgangspunkt bildet die Analyse der für eine Unternehmung relevanten Interessengruppen bzw. Stakeholder sowie der von diesen vertretenen Anliegen. Auf der Grundlage dieser Stakeholder-Analyse erfolgt dann der zielgerichtete Einsatz von Gestaltungsinstrumenten des Public Affairs Management. Hierzu zählen vor allem das Lobbying, der Umgang mit Korruption, Verhaltensgrundsätze, Sponsoring und Rechtsmittel.

8.1 Wichtige sozio-politische Stakeholder

Indien ist eine pluralistische Gesellschaft, bei der zahlreiche Akteure in den politischen Willensbildungsprozess eingebunden sind. Es gibt ein stark ausdifferenziertes Spektrum von demokratischen Institutionen, unabhängige Medien und zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen. Im Vergleich zu China sind ausländische Unternehmungen in Indien deshalb mit einer deutlich größeren Zahl sozio-politischer Interessengruppen konfrontiert (vgl. Holtbrügge und Berg 2005).

8.1.1 Indische Regierung

Die wichtigste sozio-ökonomische Interessengruppe ist die indische Regierung. Deren Einstellung gegenüber ausländischen Unternehmungen hat seit der Unabhängigkeit unterschiedliche Phasen durchlaufen (vgl. Kumar und Sethi 2005, S. 118). Zunächst waren nur wenige ausländische Unternehmungen in Indien vertreten, da es keinen politischen Konsens über deren Tätigkeit gab. Dies änderte sich durch die Devisenkrise im Jahr 1956, die zu einer positiven Haltung gegenüber ausländischen Investitionen führte. In der Folge stieg der Anteil der von ausländischen Investoren kontrollierten Unternehmungen von etwa 10 auf 20 % an. Diese Phase wurde 1973 durch den Foreign Exchange Regulation Act beendet, der die maximale Beteiligungshöhe auf 40 % festlegte. Daraufhin verließen viele ausländische Unternehmungen wie Coca-Cola und IBM den indischen Markt. Die Beschränkungen wurden erst im Zuge der Liberalisierung in den 1990er Jahren schrittweise wieder aufgehoben.

Trotz der Liberalisierung der Wirtschaft übt die indische Regierung weitreichenden Einfluss auf viele ökonomische Aktivitäten aus. Dies gilt sowohl für Genehmigungsverfahren als auch für die operative Tätigkeit ausländischer Unternehmungen. Die größte Bedeutung haben die folgenden Institutionen:

  • Die Reserve Bank of India (RBI) wacht als Zentralbank über die Geldmarktpolitik des Landes. Sie genehmigt Devisentransaktionen und ist zugleich Aufsichtsbehörde für ausländische Direktinvestitionen im Rahmen der automatic approval route. Die Genehmigungen zur Eröffnung eines Repräsentanzbüros (liaison office) und zur Gründung einer Niederlassung (branch office) werden ebenfalls durch die RBI erteilt.

  • Das Secretariat for Industrial Assistance (SIA) ist die oberste Behörde der indischen Regierung zur Steuerung von Direktinvestitionen. Neben ihrer Koordinationsfunktion bei der Förderung von Investitionen ist das SIA für die direkt durch die Regierung zu genehmigenden Industrielizenzen zuständig. Die entsprechenden Anträge werden nach Einreichung beim SIA von fachspezifischen Gremien geprüft. Unter anderem bestehen Ausschüsse für Technologieabkommen, exportorientierte Unternehmungen (Export Oriented Units, EOU), Industrielizenzen sowie für das interministerielle Komitee für Projekte in Electronic Hardware and Technology Parks (EHTP) und Software Technology Parks (STP).

  • Die Foreign Investment Implementation Authority (FIIA) hat die Aufgabe, die schnelle Abwicklung von genehmigten ausländischen Direktinvestitionen zu ermöglichen. Die zentrale Servicestelle unterstützt ausländische Unternehmungen bei der Einholung notwendiger Genehmigungen, der Klärung praktischer Fragen und der Kontaktaufnahme mit Regierungsstellen zur Lösung von Problemen. Die FIIA wird vom Secretary des Department of Industrial Policy and Promotion geleitet und vom SIA betrieben.

  • Das Foreign Investment Promotion Board (FIPB) ist dem Finanzministerium zugeordnet. Es prüft alle Anträge ausländischer Investoren, die der special approval route unterliegen. Daneben ist es Aufgabe des FIPB, den Zufluss ausländischer Direktinvestitionen zu fördern und das Genehmigungsverfahren transparent zu gestalten.

  • Das Securities and Exchange Board of India (SEBI ) ist die zur Regulierung des indischen Wertpapiermarkts zuständige Börsenaufsichtsbehörde. Neben der Kontrolle des Wertpapiermarktes ist sie für die Umsetzung der Substantial Acquisition of Shares and Takeover Regulations zuständig, die für größere Käufe von Anleihen börsennotierter Unternehmungen relevant sind.

  • Der Registrar of Companies (ROC) überwacht die Führung des Gesellschaftsregisters (Companies Register) und die Einhaltung der Bestimmungen des indischen Gesellschaftsrechts. Er ist mit dem Handelsregister in Deutschland vergleichbar. Jeder Bundesstaat bzw. jedes Unionsterritorium besitzt mindestens einen eigenen ROC. Von Bedeutung ist der ROC vor allem bei der

    • Bearbeitung und Eintragung der Gesellschaftsgründung,

    • Anmeldung und Änderung der Geschäftsführung und Gesellschafterstruktur,

    • Anmeldung und Änderung des Unternehmungsnamens,

    • Registrierung des Jahresabschlusses der Unternehmung und

    • Umwandlung der Gesellschaftsform.

Von ausländischen Unternehmungen wird die Tätigkeit dieser Behörden überwiegend als bürokratisch beurteilt (vgl. Berg und Holtbrügge 2001). Als Folge des von der ehemaligen britischen Kolonialmacht aufgebauten Verwaltungssystems besteht deren Ziel nicht vornehmlich in der Schaffung effizienter Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Aktivitäten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips, sondern in der umfassenden staatlichen Kontrolle. So nimmt Indien etwa im Ease of Doing Business-Index der World Bank (2010) den 134. Rang ein, wobei beträchtliche Unterschiede zwischen den Bundesstaaten herrschen (vgl. Kap. 5.1). Nach einer Studie von Ferrari und Dhingra (2008) wenden indische Manager rund 15 % ihrer Arbeitszeit für die Beziehungen zu Behörden auf.

„Mit einer Behörde ist es nie getan. Zuständigkeiten überlappen sich systematisch, und es ist schwer, jemanden ausfindig zu machen, der die letzte Verantwortung trägt. ‚Das administrative Gewirr mit seinen vielen Stellen ohne klare Funktionsabgrenzung schafft unüberwindbare Hürden und Verzögerungen für alle, die mit irgendeiner Behörde zu kämpfen haben, egal, bei welchem Anliegen‘, befindet der ehemalige Zentralbankchef Bimal Jalan . Ihm zufolge sind für jeden Unterbereich der Wirtschaft mindestens sechs verschiedene Behörden zuständig“ (Müller 2006b, S. 173).

8.1.2 Regionale und lokale Administration

Neben der Zentralregierung kommt auch der regionalen und lokalen Administration eine große Bedeutung für die Tätigkeit ausländischer Unternehmungen zu. Indien ist in 28 Bundesstaaten und sieben Unionsterritorien gegliedert, die sich in insgesamt 603 Distrikte unterteilen (vgl. Kap. 2.2). Die Bundesstaaten verfügen über ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung (vgl. Abb. 8.1). Diesen steht der Chief Minister vor, der allerdings formal einem vom indischen Präsidenten ernannten Gouverneur mit weitgehend repräsentativen Aufgaben untergeordnet ist. Die Zuständigkeiten der Kommunalverwaltungen sind je nach Bundesstaat unterschiedlich geregelt.

Abb. 8.1
figure 1

Mitarbeiterin in der Regierungsverwaltung des Bundesstaats Bihar. (Foto: Jan Banning)

Aufgrund dieses föderalen Staatsaufbaus besitzen die Bundesstaaten eine große Autonomie und einen diskretionären Entscheidungsspielraum bei der Umsetzung von Gesetzen und Verordnungen. Dieser Spielraum wird von den Bundesstaaten unterschiedlich ausgefüllt. So zeichnen sich etwa die Regierungen in Gujarat und Maharashtra durch wirtschaftsliberale Positionen aus, während in Uttar Pradesh und Westbengalen den Anliegen unterprivilegierter Kasten und Bevölkerungsschichten eine große Bedeutung eingeräumt wird. Entsprechend hoch ist dort die Regulierungsdichte.

Eine Kennzahl für den Einfluss der Administration auf unternehmungspolitische Entscheidungen ist der Economic Freedom Index (EFI) . Danach weisen Assam , Bihar und Uttaranchal eine hohe Regulierungsdichte auf, während die Handlungsfreiheit von Unternehmungen in Gujarat , Andhra Pradesh und Kerala weitaus größer ist (vgl. Abb. 8.2). Gujarat hat etwa das Prinzip des Single Window Clearance eingeführt, durch das ausländische Unternehmungen nur eine einzige Anlaufstelle haben, mit der sie in allen Fragen der Unternehmungsführung zusammenarbeiten (vgl. Kap. 3.5). Dadurch konnte der Bundesstaat einen sehr großen Anteil ausländischer Direktinvestitionen anziehen (vgl. Holtbrügge und Friedmann 2011b).

Abb. 8.2
figure 2

Economic Freedom Index in ausgewählten Bundesstaaten im Jahr 2005. (Quelle: Debroy und Bhandari 2005, S. 17)

Der Einfluss auf die Aktivitäten ausländischer Unternehmungen hängt nicht zwangsläufig mit den in dem jeweiligen Bundesstaat regierenden Parteien zusammen. Während das kommunistisch regierte Kerala einen sehr hohen EFI aufweist, gehört Westbengalen , in dem ebenfalls die kommunistische CPI-M die Regierung stellt, zu den Bundesstaaten mit dem niedrigsten EFI. Auch der Zusammenhang zur Höhe ausländischer Direktinvestitionen ist nicht eindeutig. Zwar zählen mit Gujarat, Andhra Pradesh, Tamil Nadu und Maharashtra vier Bundesstaaten mit einem relativ hohen EFI auch zu den Staaten mit einem hohen Zufluss von Auslandsinvestitionen. Dies gilt jedoch auch für Karnataka und Punjab, die einen geringen EFI aufweisen.

8.1.3 Gewerkschaften

Der große Einfluss der Gewerkschaften auf die Tätigkeit ausländischer Unternehmungen ist auf die immer noch spürbare sozialistische Tradition des Landes zurückzuführen und durch deren Nähe zu den großen politischen Parteien begründet (vgl. Badigannavar 2006, S. 201). Rund 69 % aller registrierten Mitglieder sind in Gewerkschaften aktiv, die eine eindeutige Parteizuordnung haben (vgl. Tab. 8.1).

Tab. 8.1 Die fünf größten Gewerkschaften der Central Trade Union Organisations im Jahre 2002. (Quelle: http://www.labourfile.org/superAdmin/Document/113/table%201.pdf)

Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad weist große regionale und sektorale Unterschiede auf (vgl. Datt 2008). Während etwa in den kommunistisch regierten Bundesstaaten Westbengalen und Kerala fast 100 % der Arbeitnehmer im produzierenden Gewerbe gewerkschaftlich organisiert sind, sind es in anderen Bundesstaaten weniger als die Hälfte. Im produzierenden Gewerbe besitzen die Gewerkschaften häufig einen großen Einfluss auf die Unternehmungsführung, während im Dienstleistungssektor und insbesondere in der IT-Branche nur sehr wenige Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind.

Für ausländische Unternehmungen sind neben den stark politisch orientierten und landesweit agierenden Gewerkschaften vielfach Betriebs - oder Konzerngewerkschaften relevant (vgl. Kumar 1995; Das 2008). So sind etwa die Mitarbeiter von Bosch in der Mico Bosch Labour Union organisiert, die ihre Forderungen gegenüber der Unternehmung auch mit Hilfe von Streiks durchzusetzen versucht (vgl. Kap. 9.1.6). Für die Bildung einer Gewerkschaft sind nach dem Trade Unions Act sieben Arbeitnehmer erforderlich. Darüber hinaus müssen 10 % der Belegschaft oder 100 Arbeitnehmer Mitglieder der Gewerkschaft sein, die den Antrag auf Registrierung stellt (vgl. Koepff 2005, S. 122).

Da die meisten Gewerkschaften in Indien eine ausgeprägte ideologische Ausrichtung haben, ist die Zahl der Streiks im internationalen Vergleich sehr hoch, im Zuge des hohen Wirtschaftswachstums jedoch stark rückläufig. Zwischen 2000 und 2008 ging die Zahl der Streiks von 771 auf 423 zurück. Davon entfallen 250 auf produzierende Unternehmungen. Die Zahl der durch Streiks ausgefallenen Arbeitstage sank von 28,7 auf 16,7 Mio., das sind etwa 127 Mal so viele Tage wie in Deutschland (vgl. International Labour Organisation 2010). Deutlich abgenommen hat insbesondere die Zahl der bundhs oder hartals, d. h. der regionalen, häufig politisch motivierten und illegalen Generalstreiks, die das öffentliche Leben weitgehend lahmlegen. Dennoch können Streiks für ausländische Unternehmungen eine große Herausforderung darstellen, da deren Bedingungen und Ablauf weniger stark geregelt sind als etwa in Deutschland (vgl. Koepff 2005, S. 134).

Weltweites Aufsehen erregte der Streik der Arbeitnehmer von Honda Motorcycles and Scooter India (HMSI) in Gurgaon im Juli 2005. Nach einem Monat der Aussperrung kam es zu einem Zusammenstoß zwischen Polizei und Arbeitnehmern . Polizisten, die den Streik überwachten, riefen dazu auf, den Streik zu beenden. Daraufhin griffen die Streikenden die Polizei an und setzten Polizeiautos in Brand. Die Polizisten setzten sich mit Schlagstöcken und Massenverhaftungen zur Wehr. Insgesamt wurden mehr als 300 Mitarbeiter von HMSI in Polizeigewahrsam genommen. Vereinzelt wurde in den indischen Medien auch von Toten berichtet (vgl. www.indianexpress.com/oldStory/75128).

8.1.4 Verbände

Der wichtigste Industrieverband ist die Confederation of Indian Industry (CII) . Die CII vertritt die Interessen von mehr als 3.800 Unternehmungen des privaten und öffentlichen Sektors und arbeitet eng mit Ministerien und Komitees auf staatlicher und bundesstaatlicher Ebene zusammen. Im Rahmen dieser Lobbyarbeit setzt sich die CII in vielfältiger Weise für den Schutz einheimischer Unternehmungen vor ausländischen Konkurrenten ein. Daneben gibt es zahlreiche Branchenverbände wie die Indian Drug Manufacturers’ Association (IDMA), die National Association of Software and Services Companies (NASSCOM) und die Society of Indian Automobile Manufacturers (SIAM), die die Interessen des jeweiligen Industriezweigs vertreten (vgl. Anhang).

Die wichtigste Interessenvertretung deutscher Unternehmungen in Indien ist die Indo-German Chamber of Commerce (IGCC). Mit rund 6.700 deutschen und indischen Mitgliedern ist die IGCC die größte bi-nationale Außenhandelskammer und die größte Handelskammer in Indien. Neben der Zentrale in Mumbai und dem Liaison Office in Düsseldorf hat die IGCC Repräsentanzen in Bengaluru , Chennai, Kolkata , New Delhi und Pune . Darüber hinaus verfügt die IGCC über ein Lobbybüro in Brüssel. Das Leistungsspektrum umfasst u. a. Marktforschung, Rechtsberatung, die Suche nach Geschäftspartnern und Mitarbeitern sowie die Organisation von Geschäfts- und Delegationsreisen. Der Geschäftsführer der IGCC Bernhard Steinrücke ist bereits seit vielen Jahren in Indien tätig und verfügt über sehr gute Kontakte zu vielen indischen Behörden, Organisationen und Unternehmungen.

8.1.5 NGOs

In Indien existieren mehrere Tausend Bürgerinitiativen , die in erster Linie sozialpolitische Anliegen vertreten (vgl. Kilby 2010). Vor allem in ländlichen Regionen wird staatlichen Institutionen oft die Fähigkeit abgesprochen, wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur , Armutsbekämpfung und Gesundheitsversorgung zu treffen. Vielfach werden diese Aktivitäten deshalb von lokalen NGOs ausgeübt. Insbesondere für Unternehmungen, die sich an einkommensschwache Konsumenten wenden, sind diese deshalb wichtige Kooperationspartner, die den Zugang zu relevanten Marktinformationen erleichtern. Zudem werden diese vielfach als Vertriebspartner genutzt (vgl. Holtbrügge und Schuster 2011).

Seit der Chemiekatastrophe in Bhopal im Dezember 1984 versuchen auch viele Umweltschutzorganisationen , öffentliches Interesse für ökologische Probleme zu wecken, Einfluss auf das Konsumentenverhalten zu nehmen sowie unmittelbar Anforderungen an das umweltbezogene Verhalten Multinationaler Unternehmungen zu stellen (vgl. Berg und Holtbrügge 2001). Ein Beispiel dafür ist die Tierschutzorganisation PETA, die etwa gegen die Verwendung von Kuhleder in Luxusautos von Daimler protestiert hat (vgl. Kap. 9.3.4).

Ein Beispiel für den Einfluss von NGOs ist die erfolgreiche Intervention gegen das Vorhaben der französischen Regierung, den Flugzeugträger Clemenceau in Alang (Gujarat ) verschrotten zu lassen. Nach massiven Protesten von Greenpeace und der Indian Platform on Shipbreaking entschied der Supreme Court im Februar 2006, dem Schiff die Einreise in indische Hoheitsgewässer zu verweigern. Das Gericht folgte damit der Argumentation der NGOs, dass die Clemenceau bis zu 1.000 t Asbest beinhalte und deshalb als gefährlicher Abfall zu behandeln sei. Nach der Basler Konvention ist dessen Export verboten. In der Urteilsbegründung argumentierten die Richter, dass es nicht einsichtig sei, warum indische Arbeiter Tätigkeiten übernehmen sollen, die für europäische Arbeiter zu gefährlich seien. Der französische Staatsrat schloss sich dieser Auffassung an und entschied, das Schiff nach Frankreich zurückzubringen.

Während die Entscheidung von Greenpeace und anderen NGOs sehr begrüßt wurde, reagierten die Arbeiter der Giri Subedar Ship Breaking Yard in Alang enttäuscht. Die hindu-nationalistische Shiv Sena argumentierte, dass das Ausbleiben der Clemenceau mehr als 10.000 Arbeitsplätze kosten könnte, und rief zu massiven Protesten auf. „Es ist unfair“, so deren Vertreter Kishore Bhatt, „uns nicht das tun zu lassen, was wir gut können“ (vgl. Heflik 2006; o. V. 2006).

Auch die Bedeutung der Anti-Globalisierungs-Bewegung nimmt zu (vgl. Klas 2006). Zwar profitiert das Land insgesamt in einem hohen Maße von der außenwirtschaftlichen Öffnung , dies gilt jedoch nicht für alle Bevölkerungsschichten. Vor allem international nicht konkurrenzfähige Klein- und Mittelbetriebe sowie viele Beschäftigte in der Landwirtschaft empfinden die Globalisierung als Bedrohung. Die Zahl der Selbstmorde unter Kleinbauern nahm deshalb in den letzten Jahren stark zu. Besonders vehement setzen sich radikale Maoisten und Naxaliten für die arme Landbevölkerung ein. Da eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit diesen Gruppen kaum möglich ist, haben sich in den letzten Jahren nur wenige ausländische Unternehmungen in den östlichen und nordöstlichen Bundesstaaten angesiedelt, in denen diese den größten Einfluss haben. Auch Tata Motors hat im Jahr 2008 das Werk für die Produktion des Nano nach Gujarat verlegt, nachdem der ursprünglich geplante Standort in Westbengalen nach massiven Protesten von Bauern , Gewerkschaften und Naxaliten aufgegeben wurde (vgl. Chacko et al. 2010, S. 76 f.).

8.1.6 Medien

Indien verfügt über eine große Zahl von Zeitungen und Zeitschriften sowie Fernseh- und Radiosendern, die ein breites ideologisches Spektrum abdecken. Aufgrund der sozialistischen Tradition des Landes nehmen viele Medien eine kritische Distanz gegenüber der Wirtschaft ein. Insbesondere die Tätigkeit ausländischer Unternehmungen wird aufmerksam verfolgt.

Der Einfluss der Medien basiert insbesondere auf ihrem sehr großen Verbreitungsgrad. Mehr als 110 Mio. Menschen im urbanen und 112 Mio. im ländlichen Indien lesen regelmäßig Zeitungen und Zeitschriften. Die auflagenstärksten Zeitungen sind die in Hindi veröffentlichten Dainik Jagran und Dainik Bhaskar, die jeweils von mehr als 20 Mio. Indern gelesen werden. An elfter Stelle folgt die wichtigste englischsprachige Zeitung Times of India mit 7,4 Mio. Lesern (vgl. Schneider 2007).

Im Unterschied zu China sind die Medien in Indien von der Regierung unabhängig. Im Jahr 1995 entschied der Supreme Court, die Rundfunksender der Kontrolle des Ministeriums für Information und Rundfunk zu entziehen und mit der Prasar Bharati Broadcasting Corporation of India eine autonome Körperschaft des öffentlichen Rundfunk s zu gründen. Seit 2006 können sich Bildungsträger und NGOs um Lizenzen für das Community Radio Broadcasting bewerben, das vor allem im ländlichen Indien eine große Bedeutung besitzt.

8.2 Gestaltungsinstrumente des Public Affairs Management

8.2.1 Lobbying

Das wichtigste Gestaltungsinstrument des Public Affairs Management, das ausländische Unternehmungen im Rahmen ihrer Beziehungen zu sozio-politischen Interessengruppen einsetzen, ist das Lobbying. Viele Unternehmungen haben dazu eigene Lobbybüros in der Hauptstadt New Delhi eingerichtet oder führen dies in Form informeller persönlicher Kontakte zu wichtigen politischen Entscheidungsträgern in Regierung, Parlament und Behörden durch.

Das vorrangige Ziel des Lobbying besteht darin, unternehmungspolitisch relevante Informationen möglichst frühzeitig zu erhalten. Häufig finden zudem Höflichkeitsbesuche in der Verwaltung und bei Politikern statt, um deren goodwill zu erhöhen und z. B. Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Die Möglichkeit, durch Lobbying den politischen Willensbildungsprozess zu eigenen Gunsten zu beeinflussen und auf die Verabschiedung von Gesetzen, Verordnungen oder Ausschreibungen einzuwirken, ist dagegen gering. Im Unterschied zu Deutschland findet Lobbying in Indien überwiegend ad-hoc und ex-post statt (vgl. Berg und Holbrügge 2001).

Die besondere Problematik des Lobbying resultiert daraus, dass die Grenzen zu Manipulation und Bestechung vielfach fließend sind. Nicht selten sehen sich ausländische Unternehmungen, die ein ausgeprägtes Lobbying betreiben, deshalb dem Vorwurf ausgesetzt, ihren Einfluss zu missbrauchen und den Interessen anderer gesellschaftlicher Gruppen des Gastlands zu schaden.

Ein Beispiel für die Grenzen und Risiken des Lobbying sind die Bemühungen von Metro , die Bedingungen für den Markteintritt ausländischer Handelsunternehmungen in Indien zu verbessern und die Gründung 100 %iger Tochtergesellschaften im Einzelhandel zu ermöglichen. Dazu versucht die Unternehmung, durch Lobbyisten in New Delhi und Brüssel Einfluss auf die indische Investitionsgesetzgebung zu nehmen. Zudem wurden mehrere PR-Agenturen beauftragt, das Image der Unternehmung in der indischen Öffentlichkeit zu verbessern. Diese reagierte jedoch eher ablehnend auf die Aktivitäten von Metro. So gab es im Jahr 2008 mehrere Protestaktionen in Mumbai und Kolkata , bei denen Metro ein neo-koloniales Verhalten und die Missachtung der indischen Gesetzgebung vorgeworfen wurde (vgl. Wiggerthale 2009).

8.2.2 Umgang mit Korruption

Die ausufernde Korruption wird von ausländischen Unternehmungen neben der Bürokratie vielfach als das größte Hindernisse für eine erfolgreiche Tätigkeit in Indien genannt (vgl. World Economic Forum 2009, S. 188). Indien nimmt im Corruption Perceptions Index von Transparency International den 84. Rang unter 180 Staaten ein (vgl. Abb. 8.3). Trotz des demokratischen Systems, freier Presse und unabhängiger Gerichte liegt das Land damit noch fünf Ränge hinter China , wo staatliche Macht keiner Kontrolle unterliegt.

Abb. 8.3
figure 3

Corruption Perceptions Index in Indien im Vergleich zu ausgewählten Ländern im Jahr 2009. (Quelle: Transparency International 2010)

Da der Staat häufig als wichtiger Nachfrager auftritt und das Einkommensniveau im öffentlichen Dienst sehr niedrig ist, gehört die Zahlung von Schmiergeldern an Politiker, Beamte oder Mitarbeiter staatlicher Unternehmungen zu den verbreiteten Geschäftspraktiken. „Wer eine Behörde besucht, dem dienen am Eingang so genannte ‚Fixer‘ ihre Dienste an. Diese Mittelsmänner verteilen Geld an die nötigen Stellen und ‚ölen‘ damit den Prozess. Die ‚Wertschöpfungskette‘ der Korruption fängt bei dem Sachbearbeiter an, der Dokumenten mit seinem Eingangsstempel eine offizielle Existenz verleiht. Sie endet im Normalfall bei einem Minister“ (Müller 2006b, S. 173).

Korruption ist in Indien nicht nur ein ökonomisches Phänomen, sondern auch ein Ausdruck von Macht . „In einer Gesellschaft wie unserer, wo der moralische Wert eines Individuums selten hervorgehoben wird, ist die Ausübung diskretionärer Macht über andere eine Möglichkeit, sich seines eigenen Werts zu versichern. Korruption hat genauso viel mit der Faszination der Macht zu tun wie mit dem Reiz des Geldes, und die Intensität des Strebens nach Macht hat in dieser Gesellschaft vor allem damit zu tun, dass der moralische Wert ohne Macht bedeutungslos ist. Korruption ist eine Form, um diese Macht auszuüben“ (Varma 2004, S. 22).

Nach einer Studie von Transparency International (2009) geben 9 % der indischen Haushalte an, Bestechungsgelder zu zahlen. Am korruptesten werden politische Parteien mit einem Wert von 58 % empfunden, gefolgt von Beamten mit 13 %. „At almost every point where citizens are governed, at every transaction where they are noted, registered, taxed, stamped, licensed, authorised or assessed, the impression of being open for negotiation is given“ (Mehta 2003, S. 115). „Vor allem Ausländer unterschätzen das Ausmaß der Korruption in Indien“, so der frühere Staatsminister T.S.R. Subramaniam (zit. nach Luce 2006, S. 79). „Sie glauben, sie ist eine Nuance des Systems. Sie verstehen nicht, dass die Korruption in vielen Bereichen und in vielen Teilen Indiens das System ist.“

Einer der größten Korruptionsskandale seit der Unabhängigkeit des Landes ereignete sich bei der Vergabe der Mobilfunk lizenzen des 2G-Standards im Jahr 2008. Anstatt ein international übliches Auktionsverfahren durchzuführen, wurden diese vom Ministry of Communication and Information Technology nach dem first-come-first-served-Prinzip vergeben. Nach einem im November 2010 veröffentlichten Bericht des Comptroller and Auditor General geschah dies in einer „arbiträren, unfairen und ungerechten Weise“, wobei sowohl die Empfehlungen von Ministerpräsident Manmohan Singh als auch der Ministerien für Finanzen und Justiz ignoriert wurden. Der Verlust für den Staat wird auf bis zu 1.760 Mrd. INR beziffert. Gegen den inzwischen zurückgetretenen Minister Andimuthu Raja wurde Anklage vor dem Supreme Court erhoben (vgl. o. V. 2010c).

Besonders stark sind Menschen von Korruption betroffen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Nach Schätzungen von Transparency International (2009) wenden diese jährlich 9 Mrd. INR auf, um in den Genuss staatlicher Dienstleistungen wie medizinische Versorgung oder Schulbildung zu gelangen. Kaum ein Arzt behandelt und kaum ein Schuldirektor nimmt ein Kind auf, ohne dafür eine Sonderzahlung zu erhalten (vgl. Müller 2006b, S. 229; Bissel 2009, S. 125). Lkw-Fahrer zahlen jährlich durchschnittlich rund 80.000 INR Bestechungsgelder an den Grenzen zwischen den Bundesstaaten und Mautstationen, um schneller abgefertigt zu werden (vgl. Transparency International India 2010). Auch die Verkehrs- und Kriminalpolizei wird einer Studie von Transparency International India (2005, S. 11) zufolge als sehr korrupt bezeichnet.

„Es sollte in meiner Schule eine kostenlose Schulspeisung geben – ein Regierungsprogramm versprach jedem Jungen zum Mittag drei Rotis, Daal aus gelben Linsen und eingelegtes Gemüse. Aber wir bekamen weder das Brot noch die Linsen oder das Gemüse jemals zu Gesicht, und alle wussten, wieso: Der Lehrer hatte unser Kostgeld gestohlen.

Er hatte dafür einen legitimen Grund: Er sagte, man habe ihm seit sechs Monaten kein Gehalt gezahlt. Er wollte nach Art von Mahatma Gandhi gegen das Ausbleiben der Bezahlung protestieren: Er wollte im Klassenzimmer keinen Finger mehr rühren, solange er keinen Brief mit einem Gehaltsscheck erhielt. Dennoch fürchtete er sehr, seine Anstellung zu verlieren, denn obwohl jeder staatliche Posten in Indien schlecht bezahlt ist, bringt er doch zahlreiche Vorteile mit sich. Einmal kam ein Lastwagen mit Schuluniformen ins Dorf, die von der Regierung geschickt worden waren; wir kriegten sie nie zu sehen, aber eine Woche später standen sie im Nachbardorf zum Verkauf.

Niemand machte dem Lehrer deswegen Vorwürfe. Man kann vom Mann auf dem Misthaufen nicht erwarten, dass er gut riecht. Alle Dorfbewohner wussten, sie würden an seiner Stelle genauso handeln. Manche waren sogar stolz auf ihn, weil er so reibungslos damit durchkam“ (Adiga 2008, S. 38 f.).

Wie in vielen anderen Bereichen gibt es auch beim Ausmaß der Korruption große Unterschiede zwischen den Bundesstaaten. Besonders ausgeprägt ist die Korruption in Bihar, Jammu & Kashmir und Madhya Pradesh, während in Kerala, Himachal Pradesh und Gujarat ein deutlich niedriges Korruptionsniveau vorherrscht (vgl. Abb. 8.4). Das Korruptionsniveau hat einen signifikanten Einfluss auf den Zustrom ausländischer Direktinvestitionen, d. h. Bundesstaaten mit einer weniger stark ausgeprägten Korruption ziehen mehr Auslandsinvestitionen an als Bundesstaaten, in denen diese überproportional hoch ist (vgl. Holtbrügge und Friedmann 2011b).

Abb. 8.4
figure 4

Corruption Perceptions Index in ausgewählten Bundesstaaten im Jahr 2005. (Quelle: Transparency International India 2005)

In den größten Korruptionsfall einer deutschen Unternehmung in Indien war Volkswagen verwickelt . VW hatte im Jahre 2004 zunächst einen Vertrag zum Bau eines Werks in Visakhapatnam (Andhra Pradesh ) abgeschlossen. Als Gegenleistung soll die Regierung des Bundesstaats 2 Mio. € an die durch den ehemaligen Škoda -Personalchef Helmuth Schuster kontrollierte Tarnfirma Vashishta Wahan (abgekürzt: VW) gezahlt haben. Nach fünfjährigen Ermittlungen und der Vernehmung von fast 60 Zeugen hat die indische Staatsanwaltschaft im Oktober 2010 einen Auslieferungsantrag an die deutschen Behörden gestellt. Im Falle einer Verurteilung drohen Schuster in Indien bis zu sieben Jahre Haft (vgl. o. V. 2010b).

Im Unterschied zu China , wo die Regierung mit großer Härte gegen korrupte Politiker vorgeht und in vielen Fällen sogar Todesstrafen verhängt hat (vgl. Holtbrügge und Puck 2008, S. 226 f.), ist die indische Regierung bei der Bekämpfung der Korruption wenig erfolgreich. 45 % der von Transparency International (2009) Befragten sind der Auffassung, dass die von dieser getroffenen Maßnahmen ineffektiv sind. „Die institutionellen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Korruption leiden unter mangelnder Koordination, Kompetenzüberschneidungen und widersprüchlichen Regeln einer Vielzahl von Behörden“, so Anupama Jha , Executive Director von Transparency International India (2009). „Den zuständigen Institutionen fehlen die Mitarbeiter und Ressourcen, um ihrer Aufgabe adäquat nachkommen zu können und sich gegen politische Einflussnahme zu wehren.“

Vielfach machen es sich deshalb NGO s zur Aufgabe, gegen Korruption vorzugehen. Dazu gehört neben Transparency International India etwa 5th Pillar, die seit 2007 mehr als 1 Mio. Null-Rupien Scheine in Umlauf gebracht hat (vgl. Abb. 8.5). Dadurch soll auf Korruption aufmerksam gemacht und es Indern ermöglicht werden, Bestechungszahlungen durch die Verwendung des Scheins zu umgehen. Der Schein, der einer 50-Rupien-Banknote ähnelt, erweist sich vielfach als hilfreich. So soll ein indischer Beamter in Tamil Nadu alle Bestechungsgelder zurückgegeben haben, die er dafür bekommen hatte, Dörfer mit Elektrizität zu versorgen (vgl. von Hardenberg 2010; http://india.5thpillar.org).

Abb. 8.5
figure 5

Null-Rupien Scheine der Organisation 5th Pillar in Hindi. (Quelle: http://india.5thpillar.org/ZRN)

Neben NGOs sind auch viele indische Unternehmungen bestrebt, Korruption zu bekämpfen (vgl. Agarwal 2008). Dies gilt vor allem für international tätige Unternehmungen, die sich etwa an internationalen Ausschreibungen beteiligen. Infosys erwartet von seinen Mitarbeitern sogar im Privatbereich vorbildliches Verhalten. So sind diese etwa bei Verkehrsverstößen gehalten, Strafzettel zu zahlen und eine Quittung zu verlangen, anstatt der Verkehrspolizei – wie sonst üblich – einen Schein zuzustecken (vgl. Müller 2006b, S. 76).

Im Zuge der Aufarbeitung des weltweiten Bestechungsskandals hat Si e mens auch in Indien zahlreiche Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption getroffen. Das Regional Compliance Office (RCO) hat insbesondere die Aufgabe, Vertrauen bei Geschäftspartnern und der Öffentlichkeit zu gewinnen. Im Rahmen eines collective action plans wurden verbindliche Regeln für alle Mitarbeiter, Zulieferer und Abnehmer formuliert. Dies geschah in einer Kooperation mit NGO s, Transparency International India und Regierungsinstitutionen. Im Oktober 2008 wurden zudem in den drei Sektoren Industrie, Energie und Healthcare Sector Compliance Teams eingerichtet. Diese dienen dazu, die Effektivität der Kontrollen in dem jeweiligen Geschäftsumfeld sicher zu stellen. Zudem soll dadurch die Reaktionszeit bei möglichen Verstößen verkürzt werden (vgl. Siemens 2009, S. 28).

8.2.3 Verhaltensgrundsätze

Ein unter ausländischen Unternehmungen in Indien weit verbreitetes Instrument, durch das die adäquate Berücksichtigung sozio-politischer Anliegen sichergestellt werden soll, sind Verhalte n sgrundsätze bzw. Ethik-Kodizes . Diese dienen dazu, verbindliche Leitlinien für die Entscheidungen und das Verhalten der Mitarbeiter vorzugeben. Als internalisierte Normen haben diese zudem das Ziel, die Entscheidungen dezentraler Einheiten zu koordinieren und eine einheitliche Grundauffassung hinsichtlich des Umgangs mit den relevanten sozio-politischen Interessengruppen sicherzustellen (vgl. Holtbrügge und Berg 2004, S. 184 f.).

In Multinationalen Unternehmungen ergibt sich bei Implementierung weltweiter Standards häufig das Problem, dass sich viele der in der Muttergesellschaft entwickelten Grundsätze in Indien nur schwer durchsetzen lassen oder mit den dort vorherrschenden Wertvorstellungen nicht vereinbar sind. So belegen etwa Chakraborty (1995) und Das (2010), dass sich die hinduistischen Vorstellungen ethischen Verhaltens deutlich von denjenigen des Westens unterscheiden.

Besonders strikte Verhaltensgrundsätze verfolgt die Tata -Gruppe. Im Laufe der Unternehmungsgeschichte hat Tata viele Maßnahmen wie die den Acht-Stunden-Tag, Unfallversicherungen oder Betriebsrenten eingeführt, die später in die indische Gesetzgebung übernommen wurden. Tata Motors und Tata Steel haben sich als zwei von sieben indischen Unternehmungen auf die Prinzipien der Global Reporting Initiative verpflichtet und publizieren in ihren Geschäftsberichten nicht nur Informationen über finanzielle Belange, sondern auch über die gesellschaftlichen und ökologischen Aspekte ihrer Aktivitäten. Tata verpflichtet alle seine Zulieferer zur Einhaltung der SA 8000-Standards über sozial faire Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutz . Diese sehen etwa das Verbot von Kinder - und Zwangsarbeit und von Rassen-, Geschlechts- und Religionsdiskriminierung sowie das Recht auf Vereinigungsfreiheit, Organisation in Gewerkschaften und kollektive Lohnverhandlungen vor. Alle Gesellschaften der Tata-Gruppe sind Mitglieder des Global Compact der UNO (vgl. Mitra 2007, S. 36 ff.).

Ein Beispiel für die Schwierigkeit, westliche ethische Maßstäbe auf Indien zu übertragen, ist der Umgang mit dem Problem Kind e rarbeit . Der Factories Act von 1948 verbietet die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren in der Industrie. Darüber hinaus legt der Child Labour (Prohibition & Regulation) Act von 1986 Mindeststandards für die Zahl der Arbeitsstunden, Nachtarbeit und gesundheitsgefährdende Tätigkeiten fest. Trotz dieser gesetzlichen Regeln ist Kinderarbeit in Indien weit verbreitet. Dies gilt etwa für die Textil-, Bekleidungs- und Sportartikelindustrie, die Landwirtschaft, die Herstellung von Streichhölzern, die Politur von Edelsteinen und Metallen oder die Hilfe in Haushalten, Restaurants und Hotels. Besonders hoch ist der Anteil der Kinderarbeit im informellen Sektor, wo diese nur sehr geringe Löhne erhalten und es kaum Kontrollen gibt.

Ein Beispiel für das ambivalente Verhältnis zur Kinderarbeit ist der schwedische Streichholzhersteller Wimco . Dieser beschuldigte in den 1990er Jahren einen lokalen Konkurrenten in Sivakasi (Tamil Nadu ), eine große Zahl von Kindern in seinen Fabriken zu beschäftigen. Wimco betrieb zu dieser Zeit eine stark automatisierte Produktion und klagte gegen die aus Sicht der Unternehmung unfairen Geschäftspraktiken des indischen Wettbewerbers. Anstatt diese zu unterbinden, wurden jedoch Zölle für den Import von Maschinen erhöht, die Wimco in Indien einsetzte. „Als es zum Konflikt kam, verurteilten Menschen des gesamten politischen Spektrums eher ausländisches Kapital als Kinderarbeit“, so Weiner (1990, S. 27).

Nach der letzten Volkszählung von 1991 wird die Zahl der Kinderarbeiter auf 11,28 Mio. beziffert (vgl. Srivastava 2006, S. 5). Rechnet man die Kinder dazu, die im Geschäft ihrer Eltern aushelfen oder Wasser in oft weit entfernten Brunnen holen, steigt diese auf 40 Mio. Zu einer ähnlichen Schätzung kommt man, wenn man die Zahl der Kinder betrachtet, die nicht regelmäßig zur Schule gehen. „Welche Berechnung man auch zugrundelegt“, so Luce (2006, S. 328), „es ist eine erschreckende Zahl junger Leben.“

In Indien tätige Unternehmungen sind deshalb zumeist bestrebt, Kinderarbeit sowohl in ihren eigenen Fabriken als auch bei Zulieferer n zu verhindern und auf die Einhaltung der allgemeinen Menschen - und Arbeiterrechte zu drängen. Viele arme und kinderreiche Familien können jedoch ihr Überleben ohne das durch ihre Kinder erwirtschaftete zusätzliche Einkommen nicht sichern. Die Vermeidung von Kinderarbeit im eigenen Einflussbereich trägt deshalb alleine nicht dazu bei, das dahinter stehende grundsätzliche Problem zu lösen. Viele Unternehmungen engagieren sich deshalb – oft in Zusammenarbeit mit lokalen NGO s – in weitergehenden Hilfsprogrammen, die etwa die Schul- und Berufsausbildung von Kindern und deren Eltern umfassen (vgl. Weiner et al. 2007).

„Raju, der wie ein Zehnjähriger aussieht, hockt in einem stinkenden Kellerloch in Neu-Delhi. Er stickt und stickt und stickt – 14 Stunden am Tag verziert er Blusen mit Pailletten. Genauso wie die anderen Kinder, die hier zwischen Stapeln mit halb fertigen Textilien schuften. Ein Junge, Anil, sagt, er sei zwölf. An der Rückseite seiner Beine hat er frische Wunden (…). ‚Ich will hier arbeiten‘, sagt er. ‚Da weiß ich, wo ich schlafen kann (…). Es ist meine Aufgabe zu arbeiten (…). Meine Eltern brauchten das Geld für andere Familienmitglieder und haben mich verkauft‘.

Keines dieser Kinder wird je von der Otto -Gruppe in Hamburg gehört haben und erst recht nicht von der Otto-Tochter Heine , deren Label hinten in die Blusen auf ihren Stickrahmen eingenäht ist. ‚Ein schlimmer Einzelfall‘, sagt Johannes Merck, der in der Otto-Gruppe einen Direktionsbereich leitet, der sich um die soziale Verantwortung des Unternehmens kümmert. ‚Schockierend‘ findet den Vorgang auch Michael Arretz, der Chef einer Otto-Tochter, die Unternehmen bei der Durchsetzung von Sozialstandards in der Dritten Welt berät. Im Auftrag des Mutterkonzerns ist er dem Fall in Indien nachgegangen (…) und ließ (…) die meisten Beschäftigten aus der Kellerwerkstatt von einem Zahnarzt untersuchen, der sich genau ansah, wie weit welcher Backenzahn entwickelt ist. Das Ergebnis: alle anscheinend mindestens 15 Jahre alt. Nach den Gesprächen in Neu-Delhi hat das Unternehmen trotzdem bei sechs Kindern Zweifel und gesteht ein: Sie könnten unter 14 sein – zum Teil deutlich.

Das ist die bitterste Erkenntnis: Textilien, bei uns billig angeboten, werden ganz legal von Teenagern hergestellt, die in Kinderkörpern stecken und doch erfahrene Werktätige sind. Von jungen Menschen, für die eine stinkende Decke und ein Dach über dem Kopf oft schon eine dramatische Verbesserung ihrer Lebensbedingungen bedeuten. Bleibt dennoch die Frage: Dürfen westliche Unternehmen daraus Profit schlagen?

Otto will sich nun um die Kinder kümmern, ihnen eine Ausbildung ermöglichen. Die Verträge mit dem Lieferanten, der den Subunternehmer beschäftigt hat, werden gekündigt. Der Subunternehmer selbst darf nicht mehr für Otto arbeiten“ (McDougall und Schmitz 2007).

8.2.4 Sponsoring und Philanthropie

In Indien wird die große Bedeutung von Sponsoring und Philanthropie vor allem auf die hohe gesellschaftliche Verantwortung zurückgeführt, die deutsche Unternehmungen gegenüber diesem Land empfinden. Neben altruistischen Motiven soll dieses vielfach auch dazu beitragen, das Unternehmungsimage bei den lokalen und überregionalen Behörden zu verbessern. Weitere Ziele sind die Motivation der Mitarbeiter, die Werbung für die Unternehmung sowie die Förderung der deutschen Kultur in Indien. Beispiele dafür sind die Unterstützung von Sportveranstaltungen, Ausstellungen, Konzerten oder Theatervorstellungen sowie von überwiegend in ländlichen Gebieten durchgeführten gesundheits-, bildungs- oder umweltpolitischen Projekten.

Im Unterschied zu Ländern wie USA , Frankreich oder Deutschland , wo mit Sponsoring oft die Erwartung verbunden ist, von dem Geförderten eine Gegenleistung zu erhalten, die z. B. in der Namensnennung des Sponsors bei öffentlichen Veranstaltungen besteht, wird damit in Indien häufig keine große Öffentlichkeitswirkung angestrebt. Dadurch soll der Eindruck vermieden werden, dass einem wirtschaftlich unterentwickelten Land Almosen gegeben werden. Berg und Holtbrügge (2001) weisen zudem darauf hin, wie wichtig es ist, durch Sponsoring nicht den Stolz der Geförderten zu verletzen. „Auch wenn Sponsoring-Aktivitäten nicht groß herausgestellt werden“, so ein von diesen befragter deutscher Manager, „werden diese Aktivitäten von den entscheidenden Stellen wahrgenommen und entsprechend gewürdigt.“ Im Unterschied zu einer im Westen gebräuchlichen Redewendung könnte man daher in Indien sagen: ‚Tue Gutes und schweige darüber‘.

Ein Beispiel für ein umfangreiches Sozialsponsoring ist der Automobilzulieferer Freudenberg . Nach dem Tsunami im Jahr 2004 errichtete die Unternehmung in Nagapattinam (Tamil Nadu ) ein rund 1 Mio. € teures Schulungszentrum, in dem rund 130 junge Inder zu Schweißern, Installateuren, Motormechanikern und Maschinenschlossern ausgebildet werden. Dadurch soll diesen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Berufschancen zu verbessern. Zudem soll ein Beitrag zur Entwicklung der Infrastruktur in einer durch den Tsunami besonders stark betroffenen Region geleistet werden. Getragen wird das Schulungszentrum von dem deutschen Verein Freudenberg Help India e. V. sowie der indischen Treuhandgesellschaft Freudenberg Tsunami Victims Rehabilitation Foundation (vgl. Freudenberg 2009).

8.2.5 Rechtsmittel

Indien besitzt eine unabhängige Justiz. Die Gerichte sind jedoch chronisch überlastet, und die Ausstattung mit Personal sowie Informations- und Kommunikationstechnologien ist häufig unzureichend. Die Folge hiervon sind häufig sehr lange Verfahren. So kann eine Entscheidung in erster Instanz bis zu zehn Jahre dauern. „People in India are simply disgusted with this state of affairs and are fast losing faith in the judiciary because of the inordinate delay in disposal of cases“, so der Kommentar von zwei Richtern zu einem von ihnen behandelten Grundstücksstreit, der sich bereits über mehr als 50 Jahre hinzieht (zit. nach Venkatesan 2007).

Der Gerichtsaufbau ist dreistufig. Das oberste Gericht ist der Supreme Court. Die hier gefällten Entscheidungen sind Präzedenzfälle und binden die diesem untergeordneten Gerichte. Die High Courts sind auf der Ebene der Bundesstaaten angesiedelt (vgl. Abb. 8.6). Ihre Urteile binden die unteren Gerichte im jeweiligen Staat und gelten in den anderen Bundesstaaten als Interpretationshilfen. Die Untergerichte setzen sich aus City Civil Courts, District Courts und Small Claims Courts sowie Spezialgerichten zusammen. Hierzu zählen etwa Familiengerichte, Finanzgerichte und Konkursgerichte.

Abb. 8.6
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High Court of Karnataka in Bengaluru

Die Zuständigkeit der Gerichte hängt vom Streitwert der Klage ab. Für Zivilrechtsstreitigkeiten ist der District Court grundsätzlich das Gericht der ersten Instanz. Der Gerichtsort richtet sich nach dem Wohnsitz des Beklagten bzw. dem Verwaltungssitz der beklagten Gesellschaft, wenn von den Parteien keine andere Vereinbarung getroffen wurde. In Indien besteht grundsätzlich Anwaltszwang. Die Höhe des Honorars richtet sich nach Pauschal- bzw. Stundensatzvereinbarungen.

Die Rechtssprache ist Englisch . Auch Verträge zwischen indischen Parteien werden grundsätzlich in Englisch verfasst. Lediglich in kleineren Städten und im Bereich des Grundstücksrechts werden Verträge in der Lokalsprache aufgesetzt und Gerichtsprozesse in dieser Sprache geführt. Die Durchdringung des Rechtssystems mit der englischen Sprache erleichtert die Sicherung und Durchsetzung der eigenen Interessen – im Vergleich etwa zu China – deutlich.

In Indien sind Gerichtsprozesse sehr formalistisch und aufwändig. Außergerichtliche Einigungen unter Einschaltung anwaltlicher Berater haben deshalb einen hohen Stellenwert. Eine andere Möglichkeit ist die Vereinbarung eines Schiedsverfahrens . Indien ist Mitglied des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen. Durch den Arbitration and Conciliation Act von 1996 wurden zudem Schiedsverfahren in Indien stark beschleunigt. Dabei kann entweder nationales Recht, die Schiedsgerichtsordnung der United Nations Commission on International Trade Law oder die Ordnung einer anderen internationalen Organisation wie der International Chamber of Commerce (ICC) in Paris vereinbart werden. Das Urteil des Schiedsrichters wird durch den Schiedsgerichtshof bestätigt und ist danach endgültig und sofort vollstreckbar.

Am 2. und 3. Dezember 1984 ereignete sich in der indischen Tochtergesellschaft der amerikanischen Chemieunternehmung Union Carbide in Bhopal ein Unfall, durch den nach offiziellen Angaben 2.800 Menschen unmittelbar starben, 15.000 Menschen an den Folgen starben und 200.000 Menschen verletzt wurden. Da das Haftungskapital der Union Carbide (India) Ltd. sehr gering war, wandten sich die Opfer dieser Chemiekatastrophe mit ihrer Schadensersatzklage nicht gegen die indische Tochtergesellschaft, sondern gegen die amerikanische Muttergesellschaft von Union Carbide. Begründet wurde dies damit, dass die indische Tochtergesellschaft unterkapitalisiert sei und keine eigenständigen Entscheidungen bspw. zur Verbesserung der Sicherheit hätte treffen können. In Anlehnung an die horizontale Durchgriffshaftung aus dem Bereich der Produkthaftpflicht wurde damit der Rückgriff auf das weitaus größere Haftungskapital der Muttergesellschaft gefordert, die nach der Argumentation der indischen Kläger die eigentliche Verursacherin der Katastrophe gewesen sei.

Seitdem haben die Opfer der Katastrophe immer wieder versucht, Union Carbide und Dow Chemicals , die 1999 die Unternehmung akquiriert hat, in den USA auf Schadenersatz zu verklagen. Da sich die Schadensersatzansprüche der Geschädigten vor amerikanischen Gerichten Anfang 1985 auf rund 100 Mrd. US-$ beliefen, hätte eine Eröffnung des Verfahrens vor amerikanischen Gerichten und eine Verurteilung von Union Carbide unweigerlich zum Konkurs der Unternehmung geführt.

Das mit der Klage befasste amerikanische Gericht lehnte es jedoch ab, ein Verfahren gegen die Muttergesellschaft zu eröffnen. Begründet wurde dies mit Praktikabilitätsgründen wie Sprachproblemen, hohen Reisekosten für die Kläger sowie unzumutbaren Kosten für die amerikanischen Steuerzahler. Die grundsätzliche Möglichkeit der Haftung der amerikanischen Muttergesellschaft für die indische Tochtergesellschaft wurde dagegen nicht abgelehnt.

Seit 1984 sind insgesamt 140 Zivilklagen für Entschädigungszahlungen zugunsten von Opfern und Überlebenden eingegangen, die in ihrer Mehrheit noch nicht abgeschlossen sind. Am 15. November 1999 haben sieben Einzelpersonen, darunter drei Überlebende des Unglücks, und fünf Organisationen beim Bundesdistriktgericht in New York eine Sammelklage gegen Union Carbide und deren ehemaligen Vorstandsvorsitzenden, Warren Anderson, eingereicht. Der Unternehmung und den verantwortlichen Angestellten wurden schwerwiegende Verletzungen des internationalen Rechts und der Menschenrechte vorgeworfen. Am 28. August 2000 wies der zuständige Richter die Klage gegen Anderson mit der Begründung ab, dass es aufgrund des 1985 verabschiedeten Bhopal Act allein der indischen Regierung zustehe, rechtliche Schritte gegen Union Carbide und deren Vertreter einzuleiten. 2010 verurteilte ein Gericht in Bhopal sieben Verantwortliche von Union Carbide India wegen fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe von 100.000 INR (vgl. Chouhan et al. 1994; Lapierre und Moro 2004; D’Silva 2006; Biswas 2010).