1 Infektiöse und parasitäre Erkrankungen

Autor

Gastroenterologie: B. Lembcke

1.1 Bakterielle Infektionen

1.1.1 Definition

  • Bakterielle Infektionen des Dünn- und Dickdarms

  • Häufige Erkrankungen; von besonderer klinischer Bedeutung:

    • Übertragung durch Lebensmittel/Wasser

    • verschiedene Formen der Reisediarrhö

    • Salmonellen, Campylobacter spp., die Yersiniose, Shigellen, EHEC und die Clostridium difficile-Enterokolitis

  • Spezielle Entitäten: M. Whipple und Darmtuberkulose

1.1.2 Salmonellen-Enteritis

  • Infektion: 5-F-Regel (food, flies, fingers, faeces, fomites), über Geflügel, Wasser

  • Häufigkeit: abnehmend, 18.800 gemeldete Fälle 2013

  • Pathogenität: invasiv (Vi-Antigen+) ohne Epithelläsion. Große Variabilität

  • Inkubation: Stunden bis 10 Tage

  • Klinik: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerz, Fieber. Diarrhö (wässrig, seltener blutig);

    Bakteriämie 10 %. Typhöses Bild 8 %. Risikogruppen: Pädiatrie, Geriatrie, schwere Atherosklerose, HIV, Endoprothesen, hämolytische Anämie (RES-Blockade)

  • Verlauf: meistens selbstlimitierend. Dauerausscheider extrem selten. Antibiose protrahiert eher den Verlauf

  • Komplikationen: Bakteriämie, Organabszesse (Leber, Gehirn); Osteomyelitis, Spondylitis, infizierte atheromatöse Plaques (Aortenaneurysma), Endokarditis

  • Nachkrankheiten: reaktive Arthritis, Reiter-Syndrom

  • Symptomatische Therapie:

    • Keine Antibiotika bei einfacher Salmonellen-Gastroenteritis

    • Bei Risikopatienten oder kompliziertem Verlauf: Gyrasehemmer, Azithromycin

    • Cholezystektomie zur Sanierung von Dauerausscheidern aufgrund wirksamer Antibiotika obsolet

Die Infektion mit Salmonella typhi/S. paratyphi (fieberhaft-typhöses Bild, Roseolen, „erbsbreiartige Stühle“) bedarf immer der antibiotischen Therapie (zusammen 146 Fälle in 2013).

1.1.3 Campylobacter spp.

  • Häufigster Vertreter: C. jejuni

  • Infektion: durch Fleisch (Geflügel), Eier, Milch(produkte)

  • Häufigkeit: inzwischen häufigster bakterieller Erreger akuter Diarrhö in Deutschland (63.200 gemeldete Fälle 2013)

  • Pathogenität: invasiv, cytotoxisch, Enterotoxin-Bildung (hitzelabil)

  • Inkubation: 1–7 Tage

  • Klinik: Abgeschlagenheit, Kopfschmerz, kurzfristig hohes Fieber (39–40 °C), kolikartige Bauchschmerzen, Durchfälle (initial explosionsartig und großvolumig), später Dyschezie mit Schleim- und Blutbeimengungen

  • Verlauf: meistens kurze (< 1 Woche) Krankheitsdauer; chronisch-rezidivierend

  • Komplikationen: sehr selten toxisches Colon, Meningitis, andere Organmanifestationen

  • Nachkrankheiten: Guillain-Barré-Syndrom, reaktive Arthritis, Reiter-Syndrom

  • Therapie: symptomatisch. Antibiotika (Ciprofloxazin, Erythromycin, Clarithomycin) früh bei schwerem Verlauf

1.1.4 Enteropathogene E. coli

  • Inzwischen klinisch sehr wichtig für akute Diarrhöen (Tab. 21.1)

    Tab. 21.1 Enteropathogene E. coli
    • als Erreger der Reisediarrhö (ETEC, EAEC)

    • als Verotoxin-Bildner (EHEC; 1609 Fälle in 2013) mit blutiger Diarrhö

  • Nachkrankheiten

    • Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS, 76 Fälle 2013: renovaskuläre hämolytische Anämie, Fragmentocyten, LDH+; Haptoglobin -; Thrombopenie, akutes Nierenversagen)

    • Moschkovicz-Syndrom (zusätzlich: zerebrale Symptome)

  • Antibiotika wirksam, im Allgemeinen aber nicht erforderlich

    • Keine Verhinderung eines HUS/Moschkovicz-Syndroms als Komplikation der EHEC-Infektion; Carbamapeneme möglich

1.1.5 Shigellen

  • Shigelleninfektionen (Shigellenruhr)

  • Häufigkeit: Sehr selten (ca. 600 gemeldete Fälle/Jahr)

  • Pathogenität: Verotoxin (Shiga-Toxin)

  • Diagnostik: Nachweis des Toxins oder Kultur

  • Komplikationen: Blutige Diarrhö, Tenesmen. HUS

  • Therapie: Ciprofloxacin, Azithromycin

  • Meldepflicht

1.1.6 Yersiniose

  • Yersinien (Y. enterocolitica/Y. pseudotuberculosis) ubiquitär verbreitet

  • Häufigkeit:

    • In Nordeuropa 2–4 % der positiven Stuhlkulturen bei akuter Diarrhö

    • In Deutschland 2013 2563 dem RKI gemeldete Fälle. Erkrankungen vorwiegend in der kalten Jahreszeit

  • Infektion: fäkal-oral (Wirt: Schweine, Vögel, Mensch), infizierte Lebensmittel, Wasser

  • Pathogenität: enteroinvasiv, bevorzugt im term. Ileum (DD CED, Appendizitis)

  • Diagnostik:

    • oft endoskopisch (Crohn-ähnliches Bild mit Aphten und Ulzerationen im term. Ileum/Zökum)

    • sonographisch („burgzinnenartige“ Mukosaverdickungen ileozökal, ausgeprägte IC-/mesenteriale Lymphadenopathie). Kultur (Stuhl, Biopsat)

    • Titeranstieg

  • Inkubation: 1–7 Tage

  • Klinik: Durchfall, Bauchschmerz (DD Appendizitis). Allgemeinsymptome (Kopfschmerz, Erbrechen, Fieber, Pharyngitis)

  • Komplikationen: Organkomplikationen (Abszesse in Leber/Milz/zerebral; Arthritis und Pleuritis) selten

  • Nachkrankheiten: Begleitend und nach der Infektion: Erythema nodosum; reaktive Arthritis, Reiter-Syndrom

  • Therapie:

    • Bei leichtem Verlauf symptomatisch

    • Bei septischem Verlauf, Organkomplikationen oder gefährdeten Patienten: Ciprofloxacin, Doxycyclin

1.1.7 Clostridium-difficile-Enterocolitis

1.1.7.1 Definition
  • Dominierender Erreger der pseudomembranösen Colitis (PMC ) und nosokomialen Diarrhö

  • Gram-positive, streng anaerobe Erreger (Isolierung bereits 1938)

  • PMC als schwerwiegende Komplikation der Antibiotikatherapie vorzugsweise bei alten und bereits schwerkranken Patienten, überwiegend Frauen

  • Verursachung einer PMC grundsätzlich durch alle Antibiotika möglich (außer Vancomycin) durch Selektionierung von C. difficile

  • Seit 2003 zunehmend hochvirulente Stämme (Ribotyp 027, Ribotyp 078) mit erhöhter Letalität

  • Ausbrüche schwer kontrollierbar

  • Ursache: häufiger Einsatz von Fluorochinolonen und Cephalosporinen (2./3. Generation)

1.1.7.2 Epidemiologie und Pathogenese
  • Prävalenz:

    • 0,5–0,7 % der hospitalisierten Patienten

    • Durchfälle bei 15 % der Patienten mit Antibiotikatherapie

    • Diarrhö > 2 Tage bei 9 %

    • Nachweis von C.-difficile-Toxin bei 2,4 %

  • Pathogenität :

    • Bildung zweier biologisch interaktiver Toxine (A, B), die die spezifische Darmentzündung hervorrufen und unterhalten

    • Die hochvirulenten Stämme haben die Toxigene tcdA, tcdB, ein binäres CDT und eine Mutation im Regulatorgen tcdC mit entsprechend 16- bis 23-fach höherer Cytotoxizität in vitro

    • Enterocytäre Bindung und Internalisierung von Toxin A rezeptorvermittelt

    • Depolymerisierung des filamentären Aktins, „tight junction“-Schädigung und Zellabrundung. Leukozyten-Chemotaxis und Zytokinfreisetzung (Toxin A und B)

    • Folgen

      1. a.

        Zunahme der mukosalen Permeabilität

      2. b.

        Makrophagen- und Mastzellaktivierung

      3. c.

        neutrophile Infiltration der L. propria (Hüttenkäse-artiges Bild (Abb. 21.1)

        Abb. 21.1
        figure 1

        Hüttenkäseartiges Bild der pseudomembranösen Colitis mit unterschiedlicher Ausprägung

    • 99,8 % der Patienten mit PMC mit positivem Nachweis von C. difficile

    • Aber: Entwicklung einer endoskopisch identifizierbaren pseudomembranösen Colitis nur bei einer Minderzahl aller C.-difficile-positiven Patienten

Ursache unterschiedlicher Toxizität ist der Regulator der Toxin-Expression (txaR), der für die Toxin (A)-Bindung verantwortlich ist: ohne Adhäsion keine Enterotoxizität. 25 % der C.-difficile-Stämme sind untoxisch, dies ist mit unterschiedlichen txaR-Varianten korreliert.

1.1.7.3 Klinik
  • Primär

    • Wässrige (später schleimige, selten auch blutige) Diarrhö mit 3–10 Entleerungen/d

    • Meist 4–10 Tage nach Beginn der antibiotischen Therapie

    • Mäßiggradige Leukozytose mit Linksverschiebung, CRP-Erhöhung

    • Abdominelle Distension und Druckempfindlichkeit/Bauchkrämpfe

    • Gelegentlich zuvor Stuhlverhalt in Verbindung mit abdominellen Beschwerden

  • Auftreten der PMC 4–6 Wochen nach Gabe von Antibiotika beobachtet

  • Fortgeschrittener Verlauf

    • Schleim- und Blutbeimengungen im Stuhl (primär eher selten)

    • Subfebrile Temperaturen

  • Mittlere Krankheitsdauer ca. 10–12 Tage

  • Indikatoren für eine Probleminfektion (Meldepflicht): schwere klinische Verläufe mit Tod, Colektomie oder Reinfektionen; Kultur zur Ribotyp-Bestimmung erforderlich (s. u.)

1.1.7.4 Diagnostik und Differenzialdiagnose
  • Mikrobiologie

    • Standards sind EIAs für Toxin A bzw. A und B sowie Latexagglutinationstests (Schnelltest; basierend auf der Identifikation nichttoxischer Proteine bzw. der Glutamatdehydrogenase)

    • ELISA: bis 33 % falsch-negative Befunde, u. a. durch starke Verdünnung bei voluminöser Diarrhö

    • Empfohlenes Procedere: Kombination eines hochsensitiven Suchtests (GDH im Stuhl; erfasst auch nichttoxigene Clostridien) mit einem hochspezifischen Test (PCR oder ELISA auf Toxin B)

    • Kultur als Referenz des C.-difficile-Nachweises

      • Latenz > 3 Tage

      • daher für primäre Diagnostik ungeeignet

      • große Bedeutung für die Identifikation neuer virulenter Stämme bei kompliziertem Verlauf (Zweitprobe für Kultur, weitere Toxin- und Ribotyp-Bestimmung sowie molekulargenetische Differenzierung)

  • Endoskopie

    • Endoskopischer Nachweis der PMC

      • prominente, gelblich-weißliche Membranen bzw. leukozytäre Infiltrate unterschiedlicher Größe

      • meistens Linksseitenbefall mit Beteiligung des Rektosigmoids

    • Diagnosestellung daher i. d. R. rekto-/sigmoidoskopisch (Abb. 21.1)

    • Histologisch: granulozytäre Infiltrate der Lamina propria, submuköses Ödem, Gefäßdilatationen; Pseudomembranen aus Fibrin, Mucin, abgeschilferten Epithelzellen und Granulozyten; Bild des „eruptiven Vulkans“

  • Sonographie

    • Bei mehrtägigem entzündlichem Verlauf zirkuläre echoarme Wandverdickung des linksseitigen Kolons mit welliger Verdickung vorwiegend der T. mucosa

    • Abhängig vom Grad der Entzündung gering akzentuierte Mukosa bis hin zu pseudotumorösen Mukosa- und Darmwandverdickungen (Abb. 21.2).

      Abb. 21.2
      figure 2

      Undulierende, echoarm verbreiterte Mukosa (a) und massivst transmural entzündliche Wandverdickung (b) bei schwerer PMC im Ultraschallbild

1.1.7.5 Epidemiologische und prognostische Shift von C. difficile
  • Bedeutsamer nosokomialer Keim

  • Übertragung von Patient zu Patient sowie Umgebungskontamination (langlebige Sporen) durch breiten ambulanten Einsatz von Antibiotika

  • Zunehmend Infektionen auch über Tierzucht und Tiermedizin (Haustiere)

  • Community-acquired infection in den USA und England bereits > 1/3 der Infektionen

  • Risikofaktoren:

    • Alter > 65 Jahre, weibliches Geschlecht

    • Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren (PPI), intestinale Ernährungssonden

    • Dialyse (unklar, ob medizinische oder Hygieneproblematik)

    • GI-Operationen, CED

    • Immunsuppression, Diabetes, Intensivstationsaufenthalt

    • Enger Kontakt zu Kleinkindern < 2 Jahre (asymptomatische Keimträger infolge Unreife des Toxinrezeptors)

  • Verdopplung der C.-difficile-Infektionen bei M. Crohn von 1998–2004, Verdreifachung bei C. ulcerosa

  • 4,7-fach erhöhte Letalität bei CED durch C. difficile

  • Aggressiver neuer Genotyp (Ribotyp 027)

  • Anstieg von Häufigkeit und Letalität (13–22 % vs. 4,7 % 1991) sowie Morbidität der Erkrankung (ausgehend von Kanada und den USA in 2003/2004)

Ausbrüche schwerer kontrollierbar. Korrelation zum Einsatz von Fluorochinolonen und Cephalosporinen.

1.1.7.6 Therapie
  • Nach Möglichkeit Absetzen des verantwortlichen Antibiotikums

  • Flüssigkeits- und Elektrolytersatz

  • Motilitätshemmer vermeiden!

  • Medikamentöse Therapie

    • Erstlinientherapie

      • Metronidazol 3-mal 500 mg/d für 10–14 Tage oder

      • Vancomycin (4-mal 125–250 mg/d oral für 10–14 Tage)

    • Zusätzliche Gabe von Saccharomyces boulardii (2-mal 500 mg/d für 4 Wochen)

      • Symptomatische Wirkung (u. a. Toxin- und Toxin-Rezeptor-Degradation)

      • Risikoreduktion eines symptomatischen Rezidivs (die Reinfektion wird nicht beeinflusst)

    • Reserveantibiotika

      • Fidaxomycin 2-mal 200 mg/d oral für 10 Tage

      • Nitazoxamid 2-mal 500 mg/d oral für 10 Tage (in Deutschland nicht zugelassen)

    • Bindung der Toxine durch Colestyramin

Auf keinen Fall sollte Colestyramin mit Vancomycin gegeben werden, da auch das Antibiotikum gebunden (und inaktiviert) wird.

  • Rezidivtherapie

    • Leichtes, erstes Rezidiv: erneuter Einsatz des zuvor erfolgreichen Regimes

    • Sonst: Vancomycin 4-mal 250 mg/d oral für 10–14 Tage

    • Primär komplementär (Metronidazol statt Vancomycin und vice versa)

    • Schweres oder zweites Rezidiv: Vancomycin in höherer Dosis, längerer Therapiedauer oder pulsatil

  • Hygienemaßnahmen

    • Prävention durch streng indizierten Antibiotika-Einsatz

    • In medizinischen Einrichtungen

      • Konsequente Handhygiene, Schutzkittel, Handschuhe

      • Adäquate Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen

      • Überlegte (und möglichst seltene) Transporte

    • Dekontamination sporenbildender Clostridien insbesondere durch Waschen der Hände mit fließendem Wasser

    • Soweit möglich Isolierung aller Patienten mit C.-difficile-bedingten Durchfällen (vorgeschrieben für Ribotyp 027)

1.1.7.7 Nicht zu vergessen …
  • 75–80 % der Antibiotika-assoziierten Diarrhöen sind nicht durch C. difficile bedingt

    • (Sehr häufig) osmotische Diarrhö

    • Sekretorische Diarrhö durch Mangel an kurzkettigen Fettsäuren (unter parenteraler Ernährung)

    • Penicillin-induzierte segmentär-hämorrhagische Colitis (nur nach Penicillin[en]), meistens Klebsiella-oxytoca-Infektion

    • C.-perfringens- oder C.-spiroforme-Toxine u. a. (evtl. auch deren Iota-Toxine)

    • Andere mikrobiologische Ursachen im Einzelfall

1.1.8 M. Whipple

1.1.8.1 Definition
  • 1907 durch George Whipple als „intestinale Lipodystrophie“ beschrieben

  • Charakteristika

    • Malabsorption mit Durchfall, Steatorrhö

    • Gewichtsverlust, Fieber

    • Mesenteriale und mediastinale Lymphadenopathie

    • Arthralgien bei Polyarthitis

    • Anämie

    • Verstärkte Hautpigmentierung

    • Endokarditis/Perikarditis, Aortenklappenvitien

    • Polyserositis

    • Neurologische Erscheinungen: kognitive Störungen, Persönlichkeitsveränderungen, okulofaciale Dysrhythmien, Myoklonien, Nystagmus oder Insomnie

  • Ähnlich der Tuberkulose systemische bakterielle Infektion mit langen Latenzen und gestörter kutaner Immunreaktion

  • Enteropathische Arthritiden in Assoziation zum HLA-B 27-Status durch Immunkomplexe (seronegativ)

  • Gelenkerscheinungen oft um Jahre bis Jahrzehnte vor der intestinalen Symptomatik (und der Diagnose)

Ein Patient, der vor Jahren eine „rheumatische Arthritis“ hatte, dann eine „Sarkoidose“, dann eine Aortenklappenendokarditis und jetzt Durchfälle aufweist, hat einen M. Whipple.

1.1.8.2 Epidemiologie und Pathogenese
  • Seltene Erkrankung

  • Vorwiegend Männer (4 : 1) mittleren Lebensalters betroffen

  • Infektion mit Tropheryma whipplei (gram-positiver Erreger)

  • Identifikation des Keims 1992 (30 Jahre nach dem mikroskopischen Nachweis)

  • Genomsequenzierung 2003

  • Gehäufter Keimnachweis in Kläranlagen

1.1.8.3 Klinik
  • Intestinale Symptomatik: Gewichtsverlust, Durchfall (auch nachts) und Fettstühle

  • Path. Lymphknoten

  • Asthenisches Gesamterscheinungsbild mit dementieller Entwicklung und myofacialen Dysrhythmien

  • Wertvolle Hinweise

    • Vorbefunde einer „Sarkoidose“

    • Seronegative „jahrelang bekannte“ Spondylarthritis

    • Vorausgegangener Aortenklappenersatz

  • Labor (wegweisend):

    • Anämie (mit konsekutivem Eisenmangel und entsprechender Thrombozytose)

    • Verminderte Triglyzeride

    • Oft Leukopenie

    • Hypalbuminämie

    • Hypokalziämie

  • Funktionsdiagnostik: Steatorrhö (Fettstuhl) in 93 % der Fälle; auch Verminderung der Resorptionskapazität insgesamt (D-Xylose-Test) in ¾ der Fälle

  • Sonographie: echoreiche mesenteriale LK-Vergrößerung; Malassimilationszeichen, Ödem der Darmwand

1.1.8.4 Diagnostik und Differenzialdiagnose
1.1.8.4.1 Endoskopie mit Biopsie
  • Endoskopisch (ÖGD, Enteroskopie) imponieren

    • Entzündliche Rötung im Dünndarm mit Ödemneigung mit weiß-gelblichen kalkspritzerartigen Flecken (Mettwurstbild) aufgrund sekundärer intestinaler Lymphangiektasie (Obliteration der (sub)mukosalen Lymphbahnen durch PAS-positiver Makrophagen)

    • Teils diffuse fokale Blutungen

    • Mitbeteiligung des term. Ileums (nicht regelhaft)

  • Histologie

    • Nachweis PAS-positiver Makrophagen-Inklusionen (SPC-Zellen) in der Dünndarmbiopsie

    • Diagnostisch, sofern keine intestinale Tbc-, MAI- oder Histoplasmose-Infektion besteht

    • Persistieren der PAS-positiven Makrophagen in der Mukosa auch nach suffizienter Therapie über Jahre, d. h. die Histologie ist kein Beleg einer erfolgreichen Antibiotikatherapie

1.1.8.4.2 Mikrobiologie
  • Spezifischer Erregernachweis mittels PCR gegen eine bakterielle 16S(-23S)-ribosomale RNA-Sequenz (u. a. Liquor; Gelenkpunktat)

  • Konsiliarlaboratorium: Institut für Mikrobiologie und Hygiene (Ansprechpartner: Frau PD Dr. A. Moter), Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Hindenburgdamm 30, 12203 Berlin (E-Mail: annette.moter@charite.de; konsiliarlabor.whipple@dhzb.de)

  • Anstreben einer Lumbalpunktion (PCR, SPC-Zellen) auch bei Patienten mit nachgewiesener Whipple-Histologie des Dünndarms vor und nach Therapie
- Selten: Vorkommen zerebraler Formen auch ohne intestinale (duodenale) Beteiligung

1.1.8.5 Therapie
  • Erstlinientherapie: initial Ceftriaxon, 2–4 g/d, 2 Wochen i. v., gefolgt von Cotrimoxazol 2-mal 960 mg/d für 12 Monate (wichtig: Folsäure-Supplementation); bei Cotrim-Unverträglichkeit: Penicillin V 2 Mio. E für 1 Jahr

  • Alternativ zu Ceftriaxon: initial Meropenem 3-mal 1 g/d über 2 Wochen i. v., anschließend Cotrim (s. o.)

  • Bei ausgeprägter Steatorrhö und Gewichtsverlust mittelkettige Triglyzeride als Neutralfettersatz bis zur funktionellen Restitution, supplementär fettlösliche Vitamine

  • Cave

    • Kein Erreichen des ZNS durch die früher empfohlene Therapie mit Tetracyklinen

    • Keine Gewährleistung einer zuverlässigen zerebralen Erregerelimination durch Cotrimoxazol forte (≥ 1 Jahr)

1.1.9 Tuberkulose und MAI (Mycobacterium avium intrazellulare)

1.1.9.1 Definition
  • Abdominelle Manifestationen der Tbc

    • Tbc des Darmes

    • Peritonealtuberkulose, urogenitale Tbc

  • Häufigere Diagnose vor Einführung wirksamer antiretroviraler Therapie bei

    • fortgeschrittener HIV-Infektion (Immunsuppression)

    • atypischen Mykobakteriosen (MAI ; Mycobacterium avium intrazellulare ) des Darmes

1.1.9.2 Epidemiologie und Pathogenese
  • Tbc weltweit sehr häufig (fast 9 Mio. Neuerkrankungen/Jahr; 1/3 der Weltbevölkerung betroffen)

  • Häufigste letale bakterielle Infektionskrankheit (2 Mio. Todesfälle/Jahr)

  • 2013 in Deutschland 4250 dem RKI gemeldete Fälle

  • Darmtuberkulose hierbei sehr selten

  • In Ländern mit fehlender Kontrolle der Rindertuberkulose (überwiegend in Asien) durch Infektionen mit M. bovis dagegen ~ 8–10 % der extrapulmonalen Tbc-Infektionen

  • Risikogruppen

    • Rückkehrer/Einwanderer aus Risikoländern

    • Immuninkompetente Patienten (HIV, Immunsuppression) aufgrund früher systemischer Ausbreitung (T-Zell-Defekt)

  • Entstehung hämatogen oder durch verschlucktes Sputum oder primär durch Ingestion infizierter Nahrung (M. bovis: Milch/Kinder)

  • Prädilektionsort (80–90 %) Ileozökalregion (Infektion des GALT)

  • Häufige Beteiligung der mesenterialen Lymphknoten (Abb. 21.3)

    Abb. 21.3
    figure 3

    Ileozökaltuberkulose bei einem afghanischen Kind im Ultraschall (Querschnitt im Zökum und ileozökaler Längsschnitt)

1.1.9.3 Klinik
  • Beschwerden im rechten Unterbauch, Durchfälle, Leistungsknick, Gewichtsverlust, subfebrile Temperaturen und chronische/akute gastrointestinale Blutung (ähnlich dem Bild eines ileozökalen M. Crohn)

  • Passagestörung durch Entzündung/Striktur/Konglomeratbildung; lokale Perforation führt zum Bild des akuten Abdomens

  • Leitsymptome der tuberkulösen Peritonitis

    • Aszites in Verbindung mit Malaise

    • Subfebrile Temperaturen

    • Unklares Fieber

1.1.9.4 Diagnostik und Differenzialdiagnose
  • Wichtigster Grundsatz: daran denken (frühere pulmonale Infektion, Exposition in Endemiegebiet, erkrankte Angehörige)!

  • Röntgen Thorax in 2 Ebenen und HIV-Test obligat

  • Bei pulmonaler Beteiligung: Bronchoskopie

  • Tuberkulin-Hautreaktion: positiv auch bei BCG-Impfung, ~ 10 % falsch-negative Resultate

  • Interferon-γ-release-Assays: weisen Infektion (nicht Aktivität) nach; BCG-Impfung stört nicht

  • Aszitespunktion: Glukosekonzentration < Serum-Glukose

  • Mikroskopie (Ziehl-Neelsen-Färbung) aufgrund geringer Keimdichte besser aus dem Sediment nach Zentrifugation

  • PCR (Speziallabor), mikrobielle Anzüchtung und Resistenzbestimmung

  • Provoziertes Sputum (3-mal) oder Magensaft nüchtern mit Mikroskopie und Kultur

  • Kulturelle Anzüchtung für die Resistenzbestimmung von großer Bedeutung!

  • Sonographie (Abb. 21.3) im klinischen Kontext oft wegweisend (Damwandveränderungen, Lymphknotenbeteiligung, Aszites). Weitere Abklärung endoskopisch (Histologie) oder – bei Aszites – explorativ laparoskopisch (peritoneale Tbc, unklares Fieber)

  • Wichtigste Differenzialdiagnosen

    • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen

    • Intestinales Lymphom

    • Yersiniose

    • Entzündliche und tumoröse Erkrankungen der Adnexe (Endometriose, Ovarialkarzinom)

1.1.9.5 Therapie
  • Medikamentöse Erstlinientherapie analog zur pulmonalen Tbc über 6 Monate

    • Rifampicin und Isoniazid (beide bakterizid) über 6 Monate

    • Ergänzt durch Pyrazinamid und Ethambutol in den beiden ersten Monaten

  • Bei Immuninkompetenz/Problemsituationen: 12 Monate Therapiedauer

  • Resistenztestung a priori aufgrund zunehmender Resistenzen (MDR-TB/XDR-TB) weltweit zwingend erforderlich

M. bovis ist gegenüber Pyrazinamid resistent.

  • Operative Therapie in Notfallsituationen/bei Komplikationen (z. B. Fisteln, Blutung, Konglomeratbildung, Adhäsions-Ileus) in Kombination mit der medikamentösen Therapie

  • Prognose der Erkrankung ist gut bei

    • früher Diagnose

    • angemessenen sozialen Rahmenbedingungen

    • konsequenter Therapie

    • fehlender Resistenz

1.2 Virale Infektionen

1.2.1 Definition

  • Enteropathogene Viren

    • Noro-, Rota-, Astro-, Adeno(40/41)- und Corona-Viren u. a. m. (z. B. Ebola)

  • Klinisch bedeutsam: Noro- und Rotavirus-Infektion

Über den Intestinaltrakt übertragbare Hepatitis-A- und -E- sowie Polio-Viren zählen nicht zu den enteropathogenen Viren.

1.2.2 Noro-Virus-Gastroenteritis

1.2.2.1 Epidemiologie
  • Caliciviren

  • Auslöser einer akuten Gastroenteritis, meist in den Wintermonaten

  • Epidemie an einer Schule in Norwalk (Ohio) wurde 1968 zum vorläufigen Namensgeber (Norwalk-Virus)

  • Weitere Norwalk-artige-Erreger (small round structured viruses, SRSVs) ebenfalls Auslöser von Gastroenteritiden

  • Allgemeine Publizität durch

    • rasante Zunahme der (gemeldeten) Norovirus-Infektionen (~ 212.000 an das RKI gemeldete Erkrankungen im Jahr 2008; zum Vergleich: 48.000 Fälle im Jahr 2004; 8500 Fälle 2001; in den USA 2004 geschätzt ~ 23 Mio. Bürger erkrankt); 2013 dem RKI gemeldete Fälle: 88.700

    • tiefgreifende Maßnahmen wie temporäre Stations- oder Krankenhausschließungen bei nosokomialer Verbreitung

  • Meldepflicht des Erregernachweises

  • Keine kausale Therapie, keine wirksame Impfung oder anhaltende natürliche Immunität

  • 5 Noro-Genotypen [GI–GV]; ähnlich der Virusgrippe beträchtliche Variationen in den einzelnen beobachteten Stämmen

1.2.2.2 Übertragung und Pathogenese
  • Indirekt über Wasser/Nahrungsmittel

  • Direkt von Mensch zu Mensch (Aerosolwolke bei Erbrechen)

  • Dominierender Übertragungsweg nosokomialer Infektion: Handkontakt über kontaminierte Flächen

  • Ausbruchssituationen: Genuss von Tiefkühlhimbeeren, Austern aus dem Etang de Thau, Besuch von Gemeinschaftsverpflegungen in Heimen, Betriebskantinen, auf Kreuzfahrtschiffen, ein zeitgleicher oder nachfolgender Aufenthalt bei Infektionsfällen im Krankenhaus, in Badezimmern auf Kreuzfahrtschiffen, auf Pilgerfahrt, in der Oper oder „Sprühkontakt“ zwischen den infizierten Profis eines Football-Teams und der gegnerischen Angriffsformation

  • Viruskonzentration 1011/g Erbrochenem, Aerosol oder Stuhl

  • Hochkontagiös (< 100 Viren ausreichend)

  • Stabil gegen Frost/Einfrieren, Hitze bis 60 °C und übliche Chlorierungsintensität von Wasser

  • Inkubationszeit: 18–48 h (im Mittel 36 h)

  • Blutgruppe 0 erhöht Risiko für Ansteckung mit GI-1-Subtyp, Blutgruppe A für GII-3- und GII-4-Subtyp

1.2.2.3 Klinik
  • Weltweit Manifestation als „Magen-Darm-Grippe“ bzw. „winter vomiting disease“

  • Akutes Auftreten von Erbrechen, wässrigem Durchfall. Allgemeines grippeartiges Krankheitsgefühl mit Kreislaufschwäche, Gelenk-/Kopfschmerz, Exsikkose und Elektrolytentgleisung, krampfartige Bauchschmerzen, Distension durch flüssigkeitsgefüllte Darmschlingen, seltener Fieber

1.2.2.4 Diagnostik und Differenzialdiagnose
  • Virusnachweis durch ELISA oder PCR in Erbrochenem oder Stuhl

  • Bei > 5 klinisch analogen Krankheitsfällen oder in einer Epidemie ist spezifische Diagnostik entbehrlich

  • PCR-positive Stuhlproben können 14 Tage persistieren, virulente Infektiosität ist aber im Allgemeinen 72 h nach Ende der Krankheitserscheinungen nicht mehr gegeben

  • Differenzialdiagnose: Rota- und Astroviren (vorwiegend bei Kindern); Nahrungsmittel-Intoxikationen durch präformierte Toxine, gelegentlich DD Bridenileus

1.2.2.5 Therapie und Prävention
  • Symptomatische Therapie (Flüssigkeits-/Elektrolytausgleich, häusliche bzw. Bettruhe)

  • Bei Erbrechen ggf. parenterale Ernährung; enterale Ernährung nach Verträglichkeit

  • Selbstlimitierender Verlauf

  • Motilitätshemmer vermeiden; Racecadotril (Tiorfan®) und Probiotika möglich, aber selten erforderlich

  • Metoclopramid bei Übelkeit/Erbrechen

  • Eindämmen einer Infektionskette oft schwierig/unmöglich (Kinder, demente Patienten)

  • Strikte Einhaltung von Regeln der Isolierung (räumliche Trennung, Desinfektionsmaterial, Einwegartikel) sowie Händehygiene (geeignete viruzide Lösungen [z. B. Sterilium-Virugard®]), Einmalhandschuhe, Desinfektionsreinigung, engmaschige Wischdesinfektion kontaminierter Flächen/Gegenstände sowie patientenbezogener Gebrauch von Pflegeutensilien und geeignete (> 60 °C) Waschverfahren für Bettwäsche/Patientenwäsche hierfür erforderlich

  • Wichtige Logistik-Prinzipien im Umgang mit der Noro-Infektion:

    • Minimierung von Patientenbewegungen, Vermeidung von Verlegungen (z. B. in Pflegeeinrichtungen) vor Abklingen der Infektion

    • Wiedereröffnung gesperrter Stationen erst 72 h nach dem letzten Krankheitsfall (nach Schlussdesinfektion)

1.2.3 Rota-Virus-Gastroenteritis

1.2.3.1 Epidemiologie
  • Weltweit der häufigste Erreger einer akuten Gastroenteritis bei Kindern < 2 Jahre

  • Häufigste nosokomiale Durchfallursache bei Neugeborenen und Kleinkindern

  • Meldepflicht

  • 7 Rota-Serotypen [A–G]

  • Dem RKI gemeldete Infektionen: 2008 ~ 77.000; 2009 ~ 62.000; 2012 ~ 48.000

  • Entgegen landläufiger Vorstellung auch Erwachsene in substanziellem Umfang betroffen

Etwa 12 % der Infektionen bei Personen > 60 Jahre!

1.2.3.2 Übertragung und Pathogenese
  • Infektion fäkal-oral, über Wasser und Lebensmittel, evtl. auch aerogen

  • Hochkontagiös (10 Viruspartikel ausreichend)

  • Sehr hohe Ausscheidung bei akut Infizierten (109–1011 Viren/g Stuhl), Dauer 8–20 Tage, bei Abwehrschwäche auch länger

  • Infektion der Enterozyten durch das Rotavirus, dadurch Desquamation und temporär abgeflachte Schleimhaut mit (bei Kindern bedeutsam) Verlust digestiver Enzyme (speziell der Laktaseaktivität)

  • Inkubationszeit: 1–3 Tage

1.2.3.3 Klinik
  • Wässriger Durchfall, Erbrechen (Dauer 2–6 Tage), Bauchschmerz, Fieber (50 %); 50 % unspezifische respiratorische Symptome

  • Problem: Dehydratation

  • Milde/subklinische Verläufe

  • Krankheitsdauer ~ 8 Tage (nach eigenen Erfahrungen u. a. bei Patienten mit präexistenten intestinalen Erkrankungen [z. B. Colitis, Chemotherapie] deutlich länger)

1.2.3.4 Diagnostik und Differenzialdiagnose
  • Virusnachweis durch EIA oder PCR in Erbrochenem oder Stuhl

  • Differenzialdiagnose: Noro- und Astroviren, Toroviren (vorwiegend bei Kindern); Nahrungsmittelintoxikationen durch präformierte Toxine

1.2.3.5 Therapie und Prävention
  • Symptomatische Therapie (Flüssigkeits-/Elektrolytausgleich, häusliche bzw. Bettruhe)

  • Bei Erbrechen ggf. parenterale Ernährung; enterale Ernährung nach Verträglichkeit

  • Selbstlimitierender Verlauf

  • Keine Motilitätshemmer

  • Metoclopramid bei Übelkeit/Erbrechen

  • Eindämmen einer Infektionskette s. ▶ Noro-Infektion

  • Seit 2006 wirksame orale Impfung mit 2–3 Dosen 6.–26. Woche; geringe Rate UAWs; Wirksamkeit 96–98 %, Wirkdauer 2–3 Jahre

1.3 Dünn- und Dickdarminfektionen durch Protozoen/Parasiten

1.3.1 Lambliasis

  • Weltweit vorkommende Infektion mit Giardia lamblia (Flagellat)

  • Zystenträger möglicherweise asymptomatisch, trotzdem als Infektionsquelle infrage kommend

  • Übertragung über Trinkwasser und kontaminierte Nahrung

  • Direkte Übertragung (Endoskopiepersonal!) möglich

  • Inkubationszeit von > 1–2–3 Wochen

  • Klinische Auswirkung der Adhärenz der Lambilen auf der Bürstensaummembran der Enterozyten

    • Unterschiedlich ausgeprägte globale Malabsorptionssyndrome mit chronischer Diarrhö

    • Steatorrhö

    • Laktasemangel

    • Gewichtsverlust

    • Abortive (unspezifische Bauchbeschwerden) und asymptomatische Verlaufsformen häufig

  • Diagnose heute vorwiegend durch den immunologischen Antigennachweis im Stuhl (Zysten- und Trophozoitenantigene) und duodenale Biopsie (ÖGD)

    • Durch den Pathologen Nachweis von Trophozoiten in der duodenalen Biopsie (oft im Zusammenhang mit einer partiellen Zottenatrophie)

    • Nachweis von Trophozoiten im (warm untersuchten) Duodenalsaft heute weitgehend verlassen

  • Differenzialdiagnostisch

    • Andere Malassimilationssyndrome (z. B. Zöliakie/Sprue)

    • Infektiöse Darmerkrankungen

    • CED

    • Primäre Laktosemalabsorption

    • Reizdarmsyndrom

  • Symptomatische Patienten: medikamentöse Therapie mit Metronidazol (oder Tinidazol), auch bei kurzzeitiger Anwendung hocheffektiv

1.3.2 Amöbiasis

  • Amöbenruhr

    • Schwere invasive Erkrankung durch Entamoeba histolytica

  • Abzugrenzen:

    • Apathogene Amoeben (Entamoeba coli, nana, dispar u. a.)

    • Blastocystis hominis (in Deutschland wohl keine wesentliche Rolle als Pathogen anzunehmen)

Britische Pädiater betrachten demgegenüber Blastocystis hominis als eine Ursache unspezifischer Bauchschmerzen beim Kind.

  • Amoebencolitis vorwiegend in Asien (Indien), aber auch Afrika und Südamerika

  • Infektion fäkal-oral durch kontaminierte Nahrungsmittel und Wasser; selten Kontaktinfektion

  • Inzidenz bei Tropenrückkehrern: 0,5 % manifeste Erkrankung; 5,3 % Amoeben im Stuhl

  • Pathogenetische Faktoren: Adhäsion (Lektin), Zytolyse (mikrofilamentäre Funktion, Phospholipase A), Zelltod (Amöbapore [porenformendes Peptid]), Invasion (proteolytische/hydrolytische Enzyme), Penetration (Phagocytose abgetöteter Zellen), Sekretion (Enterotoxin, neurohumoral [Serotonin])

  • Klinik: Leitsymptom Dysenterie (blutig-entzündlich-schleimiger Stuhl) mit Tenesmen/Bauchschmerz

  • Diagnostik:

    • Mikroskopischer Erregernachweis im Stuhl (bewegliche Formen: körperwarm, sofort in 0,9 % NaCl; Magnaformen nach Fixation nicht nachweisbar); Zysten nach Anreicherung (NIF-C); Sensitivität einer Stuhlprobe gering (30–50 %), daher 3 Stühle / 3 Tage

    • Stuhl-Antigentest auf E. histolytica (ELISA; Sensitivität 87–94 %, Spezifität 94 %) oder PCR

  • Differenzialdiagnosen: bakterielle „Ruhr-“ bzw. Dysenterieursachen, d. h. Shigellen, EIEC, EHEC, C. jejuni und Salmonellen, ferner CED, ischämische Colitiden, NSAR-Colitis

  • Endoskopie

    • Amoebencolitis: kleine flache Ulzerationen mit gelblich-eitrigem Exprimat und gelegentlich unterminierten Rändern (Erregernachweis) in leicht blutender, granulomatöser Schleimhaut

    • Selten: Amoebom (tumorähnliche ringförmige Masse [Stenose, Invagination, Blutung], bevorzugt im Zökum und Rektosigmoid)

  • Seltene Komplikationen in unseren Breiten:

    • Perforation mit Peritonitis

    • Toxisches Megacolon

  • Bedeutsamere Komplikation: Amoebenabszess der Leber

    • Kolliquationsnekrose mit Ausbreitungs-/Perforationstendenz

    • Auftreten wenige Tage, oft aber erst 5–6 Monate, mitunter Jahre nach der Darminfektion

Nur < 1/3 der Amöbenleberabszess-Patienten weisen eine intestinale Amoebiasis auf.

  • Diagnostisch wegweisend

    • Expositionsanamnese

    • Klinik: Fieber, Druck bzw. Schmerzen im rechten Oberbauch, Hepatomegalie

    • Serologie (ELISA, IFT, IHA) in Kombination mehrerer Verfahren spezifisch und sensitiv; aber nach durchgemachter Infektion noch lange positiv

    • Leukozytose, auffällige BSG, Erhöhung von CRP, AP und γ-GT

    • Blutkultur: hilfreich zur DD pyogener Abszess

  • Abdominelle Sonographie

    • Echoarme Abszessformation ohne Kapsel

    • Einzeln > multipel

    • Exakte Abgrenzung zu pyogenen Leberabszessen allein durch die Bildgebung nicht möglich

    • Methode der Wahl für engmaschige Untersuchungen (Wachstum, Komplikationen [Ruptur], therapeutisches Ansprechen) und interventionelle Punktion

  • Indikationen zur US-gesteuerten Punktion

    • Große, kapseldehnende Abszesse im linken Leberlappen

    • Drohende Ruptur und fehlendes Ansprechen auf die medikamentöse Therapie nach 72 h

    • Therapeutisch entleerende Punktion (keine Drainage!) fördert charakteristischerweise „sterilen Eiter“ mit „Anchovispasten-Aspekt“

    • Nachweis von Entamoeba histolytica allenfalls (50 %) im terminalen Aspirat

  • Kaum Resistenzen und hohe Erfolgsrate bei der medikamentösen Therapie

  • Erstlinientherapie zur Behandlung des Leberabszesses:

    • Metronidazol 30 mg/kg/d verteilt auf 3 Einzelgaben über 10 Tage oder Tinidazol in gleicher Dosierung (5 Tage; in Deutschland keine Zulassung); maximal 3-mal 800 mg i. v.

    • In jedem Fall anschließende Therapie mit Diloxanidfuroat 20 mg/kg/d verteilt auf 3 Einzelgaben über 10 Tage oder Paromomycin (Humatin®) 3-mal 500 mg/d oral über 8–10 Tage zur Eradikation (etwaiger) intestinaler Amoebenzysten

1.3.3 Echinokokkose

  • Echinococcus granulosus resp. E. multilocularis

  • Lange nach oraler Infektion und Permeation der Darmwand (Onkosphären)

    • Auf hämatogenem Weg

    • Zystische Raumforderungen der Leber, seltener der Milz

    • Pulmonal-alveolärer Befall

    • ZNS-Befall

  • Verbreitung

    • E. granulosus im Mittelmeerraum, Südamerika, mittleren Osten, Osteuropa, Afrika und China anzutreffen; Übertragung durch Hundekot

    • E. multilocularis v. a. auf der nördlichen Halbkugel, Reservoir in Europa: Süddeutschland, Österreich, die Schweiz und Teile Frankreichs; Übertragung durch Füchse; Risiko durch den Konsum von Waldbeeren u. Ä.

  • Klinik:

    • Druck, Verdrängung; Gallenwegskompression

    • Gefährlich, aber selten: Zystenruptur mit anaphylaktischem Schock (E. g.)

    • Cholostase/Ikterus, Bauchschmerz, Hepatomegalie, Gewichtsabnahme (E. m.)

  • Diagnose:

    • Charakteristisches Ultraschall- bzw. CT-Bild der Leber (uni- oder multizystische Zyste mit kräftiger Wand und Septierungen; E. granulosus) bzw. solide/infiltrative Raumforderung (E. multilocularis)

    • Bestätigung durch Antikörpernachweis

Zystenpunktion kann zur peritonealen Aussaat und anaphylaktischem Schock führen.

  • Therapie

    • Bei E. granulosus

      • Abwägung mit abwartender Haltung („watch and wait“)

      • Indikation zur Albendazol-Therapie

      • Invasivere Strategien

      • PAIR (puncture aspiration, injection, reaspiration)-Therapie

      • Resektion

      • PAIR und Operation nur unter Albendazol-Medikation!

      • Maßnahmen zur Anaphylaxie-Behandlung in Reichweite

    • Bei E. multilocularis

      • Operative Behandlung resektabler Läsionen

      • Medikamentöse Therapie mit Albendazol präoperativ und mehrere Jahre postoperativ

      • Bei nichtoperablem Situs lebenslange Albendazol-Medikation indiziert (Kontrolle UAWs)

1.3.4 Andere Parasitosen

  • Bezüglich weiterer Protozoeninfektionen (u. a. Helminthosen, Fascioliasis, Chinesischer Leberegel, Schistosomiasis, Krypto-/Mikrosporidien) Verweis auf spezielle Literatur

1.4 Leitlinien

Eine S2k-Leitlinie „Infektiöse Gastroenteritis“ ist unter der AWMF-Registrierung 021-024 angemeldet und für 2015 angekündigt (DGVS-Homepage, AWMF).

2 Morbus Crohn

Autoren

Gastroenterologie: H. Schulze, A. Dignaß

Viszeralchirurgie: H. Scheuerlein, U. Settmacher

2.1 Einleitung und Definitionen

  • Der Morbus Crohn ist eine chronische, entzündliche Erkrankung, die den gesamten Gastrointestinaltrakt vom Mund bis zum Anus betreffen kann.

  • Der Verlauf ist häufig schubförmig, sodass sich Phasen der entzündlichen Aktivität und Remissionsphasen abwechseln.

  • Am häufigsten sind das Ileum und das Kolon betroffen, allerdings ist ein Befall von Mundhöhle bis zum Darmausgang möglich, der in der Regel diskontinuierlich ist.

  • Die exakte Ursache der Erkrankung ist unbekannt. Bekannt ist, dass verschiedene Umweltfaktoren, eine fehlregulierte Entzündungsreaktion, die Darmflora und eine genetische Suszeptibilität bei der Entstehung der Erkrankung eine wichtige Rolle spielen.

  • Eine definitive Heilung ist mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln nicht möglich.

  • Die Behandlung ist in der Regel konservativ und erfolgt durch einen Internisten/Gastroenterologen.

  • Da in bestimmten Fällen ein chirurgisches Vorgehen notwendig ist, muss der behandelnde Arzt die chirurgischen Therapieprinzipien und -möglichkeiten kennen, um frühzeitig und in enger Zusammenarbeit mit Gastroenterologen und Viszeralchirurgen die optimale Therapieentscheidung ohne zeitlichen Verzug planen zu können.

2.2 Epidemiologie

  • Inzidenz und Prävalenz der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen haben in den westlichen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen, wobei in den letzten Jahren relativ stabile Zahlen für die Krankheitshäufigkeit beim Morbus Crohn in Deutschland festzustellen sind (zwischen 90 und 220 Fällen pro 100.000 Einwohner).

  • Beide Geschlechter sind gleichermaßen betroffen.

  • Verschiedene genetische Veränderungen (Mutationen/Varianten) sind mit einer erhöhten Erkrankungswahrscheinlichkeit assoziiert. Entsprechend ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei Verwandten von Patienten, insbesondere ersten Grades, erhöht.

  • Da die Erkrankung häufig im Alter zwischen 15 und 35 Jahren manifest wird und dann in der Regel einen chronischen Verlauf nimmt, ergeben sich erhebliche Konsequenzen für die Schulbildung, die Berufsausbildung, die Familienplanung und den gesamten weiteren Lebensweg der Patienten. In diesem Kontext ist Auswahl und Zeitpunkt der geeigneten medikamentösen und chirurgischen Therapien besonders wichtig.

  • Die Notwendigkeit, dass innerhalb der ersten 5 Jahre eine Operation notwendig ist, ist in den letzten Jahren, wahrscheinlich auch durch die Nutzung neuerer Medikamente (u. a. Immunsuppressiva und Anti-TNFα-Antikörper) signifikant gesunken. Sie beträgt allerdings nach wie vor ca. 25 %.

  • Ca. 90 % der Patienten müssen mindestens einmal im Leben operiert werden.

  • Bei isolierter Ileitis/isoliertem Befall der Ileozökalregion beträgt die Operationsrate ca. 55 % innerhalb von 10 Jahren und bis zu 88 % innerhalb von 20 Jahren.

  • Jeweils etwa 33 % der Operationsindikationen entfallen auf obstruktive Komplikationen (Stenose, Ileus, Subileus) bzw. Perforationen (Abszess, enterokutane Fistel, freie Perforation).

  • Das Risiko eines operationspflichtigen Rezidivs wird abhängig von der anatomischen Region in der Literatur zwischen 17 und 50 % angegeben und ist im Ileozökalbereich am höchsten.

2.3 Pathogenese

2.3.1 Genetische Prädisposition

  • Es wurde eine Reihe von Veränderungen bestimmter Gene beschrieben, die zu einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, an Morbus Crohn zu erkranken, führen. Die am besten untersuchten Veränderungen betreffen das Gen CARD15/NOD2, zu den weiteren gehören u. a. OCTN1/2, DLG5 und ATG16L1.

  • Es besteht ein komplexer polygenetischer Erbgang, ein einfacher, Mendelscher Erbgang liegt nicht vor.

  • Mehr als 70 gesicherte Suszeptibilitätsloci konnten bisher identifiziert werden.

  • Die positive Familienanamnese stellt einen herausragenden, unabhängigen Risikofaktor dar. Wichtig ist hierbei, dass insbesondere der Ausbreitungstyp der Erkrankung eine starke genetische Determinierung hat.

2.3.2 Umweltfaktoren

  • Geographische Faktoren (Umwelt, Ernährung) manifestieren sich in einem Nord-Süd-Gefälle der Inzidenzen (Norden höher, Süden niedriger).

  • Daneben besteht ein Inzidenzunterschied zwischen urbanen (höher) und ländlichen Räumen (niedriger).

  • Insgesamt scheint der „moderne, westliche“ Lebensstil mit einer erhöhten Erkrankungswahrscheinlichkeit assoziiert. Es wird vermutet, dass insbesondere bessere Hygienestandards Ursache dieser Entwicklung sind.

Tabakrauch: wichtigster vermeidbarer Umweltfaktor, hat nachgewiesenermaßen einen negativen Effekt auf den Krankheitsverlauf, alle Patienten sollten zur Aufgabe des Rauchens angehalten und hierbei entsprechend unterstützt werden.

  • Infektiöse Genese: Mitbeteiligung von verschiedenen Viren (z. B. Masern, Mumps) oder Bakterien (z. B. atypische Mykobakterien) konnte bis jetzt nicht nachgewiesen werden.

  • Veränderung der intestinalen Flora (kommensale/pathogene Keime, quantitativ und qualitativ, Dislokation) wird in direkten Zusammenhang mit der Entwicklung der Erkrankung gebracht und kann sowohl Ursache als auch Folge der krankhaften Veränderungen sein.

2.3.3 Störung der Immunantwort

  • Störung der Immunantwort auf die intestinale Flora (Barrierefunktionsstörung). Die Physiologie der Immunregulation in der intestinalen Mukosa ist den Aufgaben und der Größe der Darmoberfläche entsprechend ausgesprochen komplex.

  • Neben einer unspezifischen, angeborenen („innaten“) Immunantwort (Leukozyten, Makrophagen, NK-Zellen, Defensine, Toll-like-Rezeptoren, Komplementsystem etc.) existiert ein adaptives, spezifisches („humorales“) Immunsystem (antigenpräsentierende Zellen, Lymphozyten, Antikörper). Störungen beider Teilsysteme werden mit der Pathogenese des Morbus Crohn in Verbindung gebracht.

  • Störungen der Funktion von Paneth-Zellen, T-Zellen, Makrophagen und dendritischen Zellen, intestinalen Epithelzellen und anderer immunregulatorischer Zellen wurden als (Mit-)Ursache des Morbus Cohn beschrieben.

  • Die Fortschritte in der Erforschung der Pathogenese des Morbus Crohn haben in jüngster Zeit zu einer Zusammenführung der unterschiedlichen Krankheitskonzepte geführt: Wahrscheinlich führen die der genetischen Prädisposition zugrundeliegenden Veränderungen unter dem Einfluss verschiedener Umweltfaktoren zu einer Störung der mukosalen Immunregulation (z. B. durch Defekte der angeborenen Immunabwehr mit der Folge einer eingeschränkten Defensinproduktion und einer Störung der Abtötungsmechanismen intrazellulärer Pathogene). Diese Defekte verändern wiederum den Umgang des Immunsystems mit der intestinalen Flora, während gleichzeitig Veränderungen der Zusammensetzung und der Lokalisation (Lumen, Mucus, Epithel, intramukosal) der intestinalen Flora Auswirkungen auf die Immunregulation innerhalb der Mukosa haben (Barrierefunktion).

2.4 Klinik

  • Das klinische Bild des Morbus Crohn ist ausgesprochen facettenreich. Es handelt sich in der Regel um eine schubförmig verlaufende Erkrankung: Remissionsphasen ohne relevante entzündliche Krankheitsaktivität wechseln sich mit Phasen hoher entzündlicher Krankheitsaktivität ab, wobei die Dauer der Krankheitsphasen und der Remissionsphasen extrem unterschiedlich sein kann (wenige Wochen bis Jahre). Bei einzelnen Patienten gelingt es nicht, eine Remission zu induzieren, sodass ein chronisch aktiver Krankheitsverlauf eintritt. Kann innerhalb des ersten Jahres nach Diagnosestellung eine Mukosaheilung erreicht werden, so ist die Resektionsrate deutlich geringer (Abb. 21.4).

    Abb. 21.4
    figure 4

    Die Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffs ist bei Patienten, bei denen es gelingt, innerhalb des ersten Jahres nach Diagnosestellung eine Mukosaheilung zu erreichen (a), deutlich geringer als in der Gruppe, bei denen dies nicht gelingt (b). (Aus Frøslie et al. 2007)

Die subjektiv empfundene Schwere der Erkrankung kann in erheblichem Maß von nicht objektivierbaren Größen abhängen, wie der unterschiedlich ausgeprägten Schmerzschwelle, der Selbstwahrnehmung, der Leidensfähigkeit etc. Eine direkte Korrelation der Schwere der Symptome mit den objektiven Untersuchungsbefunden besteht gelegentlich nicht.

  • Am häufigsten manifestiert sich die Erkrankung durch Bauchschmerzen. Diese projizieren sich bei Befall des terminalen Ileums regelmäßig auf den rechten Unterbauch. Führt die Entzündung des Darms zu einer Stenosesymptomatik, ist das Beschwerdebild häufig abhängig von der Nahrungsaufnahme. Hinzu kommen Stuhlgangsveränderungen im Sinne einer Konsistenzverminderung, gelegentlich mit der Beimengung von Schleim, Pus oder Blut. Auch die Fistelbildung ist in manchen Fällen diagnoseweisend, insbesondere bei perianalem Befall. Gedeihstörungen, Mangelsymptome und Gewichtsverlust gehören ebenfalls zu den Leitsymptomen des Morbus Crohn.

  • Als extraintestinale Manifestationen (Tab. 21.2) treten am häufigsten Arthropathien auf. Die periphere Arthropathie befällt bevorzugt wenige große Gelenke (Knie, Sprunggelenke), verläuft akut und ist in der Regel selbstlimitierend. Selten kommt auch ein Befall kleinerer Gelenke, insbesondere der Handgelenke, im Sinne einer Polyarthritis vor. Die zweite Manifestationsform ist, im Gegensatz zur ersten, nicht von der entzündlichen Darmaktivität der Erkrankung abhängig. Weitere Manifestationsformen sind die Sakroiliitis und die Spondylitis.

    Tab. 21.2 Extraintestinale Manifestationen . (Nach Greenstein 1976)
  • Hautmanifestationen wie das Erythema nodosum, das in der Regel tibial auftritt und durch rötliche, stark schmerzhafte, etwas erhabene Hauteffloreszenzen gekennzeichnet ist, und das Pyoderma gangraenosum mit sterilen Pusteln, Abszessen und Ulzerationen werden regelmäßig beobachtet.

  • Die Uveitis, Iridozyklitis und Episkleritis sind die häufigsten okulären Beteiligungsformen. Da die Uveitis mit Steroiden behandelt werden muss, ist im Zweifelsfalle eine augenärztliche Vorstellung notwendig.

  • Bei den aufgeführten extraintestinalen Manifestationen steht die Behandlung der Grunderkrankung in der Regel im Vordergrund. Gelegentlich werden spezifische Therapien notwendig.

  • Die primär sklerosierende Cholangitis (PSC) ist ebenfalls mit dem Morbus Crohn assoziiert. Beim Verdacht auf das Vorliegen einer PSC, der sich häufig aus Veränderungen der Leberwerte oder klinisch manifesten Cholestasezeichen ergibt, sollte eine entsprechende diagnostische Abklärung erfolgen (Magnetresonanzcholangiopankreatikographie, endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie).

  • Die PSC erhöht das Risiko, an einem cholangiozellulären oder an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken.

Regelmäßig leiden Morbus-Crohn-Patienten an einer Anämie (Eisenmangelanämie, Anämie chronisch entzündlicher Erkrankungen, Kombination beider Anämietypen, makrozytäre Anämie bei Vitamin B12-/Folsäuremangel). Die frühzeitige Diagnose und Behandlung der Anämie kann zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität der Patienten führen.

2.4.1 Befallsmuster

  • Befall des Ösophagus < 1 %

  • Duodenaler Befall < 3 %

  • Perianale Fisteln 10–20 %

  • Interenterische Fisteln bis 33 % (v. a. ileosigmoidale Fisteln)

  • Rektum in 75 % nicht befallen (im Gegensatz dazu bei Colitis-ulcerosa-Befall in 100 % der Fälle)

  • Terminales Ileum in der Mehrzahl befallen (im Gegensatz dazu bei Colitis ulcerosa nur selten als „Backwash-Ileitis“)

2.5 Apparative Diagnostik

2.5.1 Endoskopische Verfahren

Den größten Stellenwert in der apparativen Diagnostik des Morbus Crohn hat die Ileokoloskopie mit Biopsieentnahme aus dem terminalen Ileum und Stufenbiopsien aus dem Kolon zur mikroskopischen Untersuchung.

  • Eine Ösophagogastroduodenoskopie gehört zwingend zur Diagnostik bei Erstdiagnose, um einen Befall des oberen Gastrointestinaltraktes zu sichern oder auszuschließen.

  • Bei perianalem Befall kommen Proktoskopie, Rektoskopie und rektale Endosonographie zum Einsatz.

  • Mit der rektalen und oralen Doppelballonendoskopie kann auch der Dünndarm untersucht und bioptiert werden.

  • Sollten die endoskopischen, die schnittbildgebenden und die sonographischen Untersuchungen keine diagnostische Klärung bringen, kann, bei entsprechendem klinischem Verdacht und nach Ausschluss von relevanten Stenosen und Strikturen, die Kapselendoskopie des Dünndarms zur Diagnosefindung beitragen.

2.5.2 Pathologie/Histologie

  • Für die histologische Diagnosesicherung ist wichtig, dass Biopsien aus allen Kolonabschnitten sowie dem terminalen Ileum gewonnen werden.

  • Diskontinuierliche chronische Entzündung der Mukosa mit Lymphozyten- und Plasmazellinfiltraten, eine fokale Störung der Kryptenarchitektur, des Aufbaus der Villi intestinales im terminalen Ileum und Epitheloidzellgranulome (Monozyten/Makrophagen) kennzeichnen das typische mikroskopische Bild. Generell gilt, dass sich die entzündlichen Veränderungen nicht auf eine Darmwandschicht beschränken. Die häufig zur endgültigen Diagnosesicherung verlangten Epitheloidzellgranulome werden in weniger als 30 % der Fälle nachgewiesen und sind für eine Diagnosesicherung nicht zwingend nötig.

2.5.3 Sonographische Untersuchungsverfahren

  • Die Abdomen- und Darmsonographie hat, soweit ein pathologischer Befund erhoben werden kann, einen hohen Stellenwert, da weiterführende Untersuchungen dann häufig unterbleiben können. Insbesondere Veränderungen der Darmwanddicke und deren Durchblutungsmuster lassen auf einen Befall rückschließen. In geübter Hand kann die kontrastmittelverstärkte Ultraschalluntersuchung zusätzlich hilfreich sein.

  • Einen hohen Stellenwert hat die Sonographie bei der Diagnose von Komplikationen (Fisteln, Abszesse, Stenosen).

  • Die rektale Endosonographie ist bei der Darstellung von perirektalen Fisteln und Abszessen hilfreich.

  • Die Qualität der Ultraschalluntersuchungen ist in erheblichem Maße vom Untersucher und dem zur Verfügung stehenden Ultraschallgerät abhängig.

2.5.4 Laboruntersuchungen

  • Spezifische Laboruntersuchungen existieren nicht. Zur Beurteilung der Entzündungsaktivität werden in erster Linie die Leukozytenzahl, der CRP-Wert und die Thrombozytenzahl herangezogen, wobei zur Interpretation die oft gleichzeitig bestehende immunsuppressive medikamentöse Therapie zu berücksichtigen ist.

  • Je nach Entzündungsausmaß, Vorhandensein von interenterischen Fisteln und Malabsorptionssyndromen sind eine Reihe weiterer Laborwerte zu beachten (u. a. Hb-Wert, Vitamin B12, Folsäure, Vitamin D, Eisen, Ferritin, Transferrin, Gerinnungsparameter, Gesamteiweiß und Albumin).

  • Eine Erhöhung der cholestaseanzeigenden Parameter (alkalische Phosphatase, γ-Glutamyltransferase, Bilirubin) kann Hinweis auf eine begleitende PSC sein.

  • Stuhlkulturen: Differenzialdiagnostisch ist immer auch eine infektiöse Enteritis in Erwägung zu ziehen, Stuhlkulturen sollten abhängig vom wahrscheinlichen Erregerspektrum (Reiseanamnese beachten) und vom klinischen Bild u. a. den Nachweis von Salmonellen, Shigellen, Yersinien, Campylobacter, pathogenen E. coli, Clostridium difficile (inkl. Toxine) umfassen.

  • Gegebenenfalls ist auch eine virologische Untersuchung indiziert (Zytomegalievirus, Norovirus, Rotavirus, Adenoviren, Astroviren).

  • Im Rahmen einer Immunsuppression können serologische Erregernachweise falsch-negativ ausfallen, der Direktnachweis (z. B. PCR) bzw. der immunhistochemische Nachweis in Biopsiematerial ist dann empfehlenswert.

  • Lactoferrin/Calprotectin: Die aus neutrophilen Granulozyten stammenden Proteine Calprotectin und Lactoferrin können, im Stuhl nachgewiesen, bei der Unterscheidung zwischen entzündlichen (z. B. Morbus Crohn) und nichtentzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt werden. In der Therapie des Morbus Crohn können sie als Verlaufsparameter bzw. als Surrogatmarker für eine Verringerung der entzündlichen Aktivität in der Darmmukosa unter Therapie dienen.

2.5.5 Radiologische Untersuchungsverfahren

  • CT und MRT (ggf. als Enteroklysmen oder Enterographie) sind zuverlässige Untersuchungsmethoden, um eine Dünndarmbeteiligung oder Komplikationen durch Konglomerate oder intraabdominelle Fisteln darzustellen.

  • Die konventionelle Dünndarmdarstellung nach Sellink, der Kolon-Kontrasteinlauf und die Magen-Darm-Passage kommen in Sondersituationen zum Einsatz.

  • Bei der Indikationsstellung zum CT dürfen beim M.-Crohn-Patienten mit im Lauf des Lebens häufig notwendigen Untersuchungen auch Aspekte des Strahlenschutzes nicht vernachlässigt werden.

  • Bei perianalen Fisteln ist zur weiteren morphologischen Fistelabklärung häufig ein Becken-MRT hilfreich. Bei der Fistelabklärung ist die Einteilung entsprechend der Parks-Klassifikation (supra-, trans-, extra- oder intersphinktär) und der Ausschluss perianaler oder -rektaler Abszesse entscheidend (Einteilung entsprechend der Lokalisation in subkutane, submuköse, pelvirektale, ischiorektale und periproktitische Abszesse).

2.6 Differenzialdiagnose

  • Differenzialdiagnostisch sind die in Tab. 21.3 aufgeführten Erkrankungen zu berücksichtigen.

    Tab. 21.3 Differenzialdiagnosen bei M. Crohn
  • Die Diagnose ergibt sich aus dem klinischen, endoskopischen und röntgenologischen Befund. Besonderes Gewicht hat hierbei die histologische Untersuchung der in der Regel endoskopisch gewonnenen Biopsien.

  • Nicht selten bleibt auch anhand des histologischen Befundes eine diagnostische Restunsicherheit, sodass für die klinische Abgrenzung insbesondere zur Colitis ulcerosa eine Reihe von Faktoren bedacht werden müssen (Tab. 21.4).

    Tab. 21.4 Differenzialdiagnostischer Vergleich Colitis ulcerosa – Morbus Crohn

2.7 Stadieneinteilung

  • Montreal-Klassifikation (Tab. 21.5)

    Tab. 21.5 Montreal-Klassifikation des Morbus Crohn
  • Crohn’s Disease Activity Index nach Best: Index basierend auf objektiven und subjektiven Parametern mit entsprechenden Limitationen. Der Index kommt insbesondere im Rahmen von Studien zum Einsatz. Da die Berechnung relativ aufwendig ist, kommt er in der täglichen Praxis nicht routinemäßig zur Anwendung.

  • Je nach primärem Versagen einer Steroidtherapie oder Wiederaufflammen der entzündlichen Aktivität bei Reduktion der Steroiddosis unterscheidet man einen steroidabhängigen von einem steroidrefraktären Krankheitsverlauf.

2.8 Prognosefaktoren

2.8.1 Prognosefaktoren für den Erkrankungsverlauf

  • Die Kenntnis von Prognosefaktoren ist bei der Behandlung von Patienten mit Morbus Crohn von besonderer Bedeutung. Besteht ein hohes Risiko eines schweren Verlaufs, so ist die Schwelle zum Einsatz therapeutischer Maßnahmen mit höheren Risiken und Nebenwirkungsraten niedriger als bei Patienten mit einer guten Prognose. Dies betrifft vor allem den Einsatz von Immunmodulatoren und Biologika sowie die chirurgischen Interventionen.

  • Rauchen hat einen negativen Einfluss auf den Krankheitsverlauf. Dies gilt insbesondere für den postoperativen Verlauf. Alle Patienten sollten auf diesen Zusammenhang hingewiesen werden und Unterstützung bei der Aufgabe des Rauchens erhalten.

  • Ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs haben Patienten, die bei Diagnosestellung jünger als 40 Jahre alt sind, die unmittelbar nach Diagnose eine Therapie mit Kortikosteroiden brauchen, Patienten mit einer perianalen Erkrankung und Patienten mit ausgedehntem Befall (Dünndarmbefall).

  • Ein Krankheitsbild mit der Ausbildung von intestinalen Strikturen und ein signifikanter Gewichtsverlust vor Diagnosestellung sind ebenfalls mit einem schwereren Krankheitsverlauf assoziiert.

Günstige Prognosefaktoren, bezogen auf Strikturoplastik (nach Gaetini et al. 1989)

  • Guter Ernährungszustand

  • Remissionsphase/kein Hinweis auf intraabdominelle Entzündung

  • Keine interenterische oder enterokutane Fistel

  • Keine extraintestinalen Symptome

  • Stenoselänge ≤ 10 cm

Risikofaktoren für die operative Therapie (S3-Leitlinie)

  • Mehr als 6 Wochen > 20 mg Prednisolon

  • Gewichtsverlust > 10–15 % innerhalb der letzten 6 Monate

  • BMI < 18,5 kg/m2

  • Serumalbumin < 30 g/l

  • Subjective Global Assessment Grad C

  • Rezidivierender M. Crohn

2.9 Therapieindikationen

2.9.1 Prinzipien der medikamentösen Therapie

  • Die Entscheidung zum Beginn einer Therapie sollte mehrere Aspekte berücksichtigen. Neben dem Ausmaß der entzündlichen Aktivität sind Befallsmuster und Verlauf der Erkrankung (strikturierend/stenosierend/penetrierend, steroidabhängig und steroidrefraktär) für die Auswahl der geeigneten Therapie wegweisend. Ebenfalls zu berücksichtigen sind immer auch das Alter der Patienten und spezielle Lebenssituationen (Familienplanung, Ausbildung etc.)

  • Die unterschiedlichen Therapieoptionen müssen mit ihrem spezifischen Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum ausführlich mit dem Patienten besprochen werden.

  • Vor Beginn einer Therapie sind angemessene diagnostische Schritte zu unternehmen, um anderweitige Ursachen einer Gesundheitsbeeinträchtigung auszuschließen (Infektionen, Abszesse, funktionelle Beschwerden etc.).

  • Die Therapie darf sich nicht nur auf die spezifische Therapie der entzündlichen Krankheitsaktivität beschränken, sondern muss Mangelzustände (Eisen, Vitamine, Spurenelemente etc.) und andere Ernährungsprobleme (Gewichtsverlust, Meteorismus, Laktose- und andere Nahrungsmittelunverträglichkeiten etc.), Therapienebenwirkungen (Infektionsrisiko, Steroidnebenwirkungen etc.), Thromboseneigung, extraintestinale Manifestationen, infektiöse Komplikationen, psychische und soziale Probleme sowie das Umfeld der Patienten berücksichtigen.

  • Allgemeine Probleme schwerer Erkrankungen wie Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes, Immobilisation und Schmerzzustände müssen erkannt und behandelt werden.

2.9.2 Befall der Ileozökalregion, leichte entzündliche Aktivität

  • Bei Befall der Ileozökalregion und leichter entzündlicher Aktivität ist die orale Therapie mit Budenosid (9 mg tgl.) wirksam und in der Regel gut verträglich.

  • Retardiert freigesetztes Mesalazin ist eine weitere Option, muss allerdings in ausreichend hoher Dosierung verabreicht werden (> 3,0 g/d):

2.9.3 Befall der Ileozökalregion, mäßige entzündliche Aktivität

  • Bei stärkerer entzündlicher Aktivität kommt, wenn eine Therapie mit Budenosid nicht ausreicht, als nächste Therapieoption die systemische Steroidgabe in Frage.

  • In Abhängigkeit vom zurückliegenden Krankheitsverlauf kann die zusätzliche Gabe von Immunmodulatoren (Azathioprin/6-Mercaptopurin) erwogen werden.

  • Die Gabe von Anti-TNFα-Antikörpern kommt vorrangig bei Patienten mit steroidrefraktärem oder -abhängigem Krankheitsverlauf infrage bzw. wenn prognostisch ungünstige Faktoren (s. o.) oder Kontraindikationen für die aufgeführten Optionen bestehen.

2.9.4 Befall der Ileozökalregion, schwere entzündliche Aktivität

  • Bei schwerem Befall der Ileozökalregion kommt die systemische Applikation von Steroiden zum Einsatz.

  • Bei therapierefraktärem Verlauf Anti-TNFα-Antikörper oder Immunsuppressiva alleine oder in Kombination.

  • Die chirurgische Resektion eines befallenen Darmabschnitts bei begrenztem Befall ist gerade hier eine zu erwägenden Therapiealternative.

2.9.5 Kolonbeteiligung

  • Für den Kolonbefall sind bei mäßiger entzündlicher Aktivität Sulfasalazin und Mesalazin in ausreichend hoher Dosierung und in adäquater galenischer Formulierung indiziert.

  • Bei höherer Krankeitsaktivität kommen systemisch wirksame Steroide zum Einsatz.

  • Sollten die Erkrankungsschübe häufiger auftreten, sollte eine Therapie mit einem Immunmodulator erwogen werden.

  • Sind die Schübe schwer und/oder die Remissionszeiten kurz, kann die Gabe von Anti-TNFα-Antikörpern mit oder ohne Immunmodulatoren notwendig sein.

  • Grundsätzlich sollten vor Therapieeskalation chirurgische Therapieoptionen diskutiert werden.

2.9.6 Ausgedehnte Dünndarmbeteiligung

  • Besteht eine ausgedehnte Dünndarmbeteiligung, kommen systemisch wirksame Steroide mit Azathioprin/6-Mercaptopurin oder Methotrexat zum Einsatz.

  • Sollte hiermit keine ausreichende Erkrankungskontrolle erreicht werden, sind Anti-TNFα-Antikörper, ggf. in Kombination mit Azathioprin/6-Mercaptopurin, eine nächste Option.

  • Sollte durch den ausgedehnten Dünndarmbefall die Resorptionsfähigkeit des Darms eingeschränkt sein, so ist auf eine entsprechende Substitution zu achten.

2.9.7 Beteiligung des oberen Gastrointestinaltraktes

  • Bei Befall des oberen Gastrointestinaltraktes sollten Protonenpumpeninhibitoren gegeben werden.

  • In Abhängigkeit vom Ausmaß des Befalls und der Länge der Remissionsintervalle kommen sonst systemische Steroide, Immunmodulatoren, Methotrexat und, bei schwerem oder therapierefraktärem Befall, Biologika zur Anwendung.

  • Strikturen und Stenosen können endoskopisch und chirurgisch angegangen werden.

2.9.8 Fistelbildung

  • Wesentlich für die Wahl der geeigneten Therapie sind die Lokalisation der Fisteln, Organbeteiligung sowie die zugrunde liegende Krankheitsaktivität.

  • Zur Ermittlung der Krankheitsaktivität ist in der Regel die endoskopische Untersuchung des betroffenen Darmabschnittes notwendig.

  • Häufig ist eine interdisziplinäre Therapie der Fisteln unumgänglich.

2.9.8.1 Perianale/anovaginale Fisteln
  • Es werden nur symptomatische perianale Fisteln therapiert.

  • Vor einer medikamentösen Therapie muss eine Abszessbildung ausgeschlossen werden. Zur medikamentösen Therapie kommen zunächst Antibiotika (Ciprofloxazin und Metronidazol) infrage.

  • Fadeneinlage und Fistulotomie stellen eine Therapiealternative oder ggf. eine Therapieergänzung dar.

  • Bei nicht ausreichendem Ansprechen auf die medikamentöse Therapie kommen Thiopurine und Anti-TNFα-Antikörper zur Anwendung.

  • Kann auch durch diese Maßnahmen keine Verbesserung erreicht werden, kann eine Diversionsenterostomie eine Therapiealternative darstellen.

2.9.8.2 (Inter-)Enterische Fisteln
  • Besteht bei enterischen Fisteln ein funktionelles Kurzdarmsyndrom, so ist stets die Indikation zur chirurgischen Intervention gegeben.

  • Im Übrigen müssen nur symptomatische enterische Fisteln therapeutisch angegangen werden. Die Wahl der Therapie hängt dann von der Lokalisation der Fisteln ab. Es können sowohl medikamentöse (siehe perianale Fisteln) als auch chirurgische Therapieansätze erwogen werden.

2.9.8.3 Enterovesikale Fisteln
  • Enterovesikale Fisteln stellen eine Indikation für die operative Therapie dar.

2.9.8.4 Enterokutane Fisteln
  • In Abhängigkeit vom Verlauf der Fisteln und der resultierenden Symptomatik kommen sowohl medikamentöse (siehe perianale Fisteln) als auch chirurgische Therapieoptionen zur Anwendung.

2.10 Allgemeines zur medikamentösen Therapie

  • Bei einem erheblichen Anteil der Patienten führt die Therapie mit systemisch wirksamen Steroiden trotz adäquater Dosierung nicht zu einer ausreichenden Reduktion der Krankheitsaktivität.

  • In diesen steroidrefraktären Fällen kann, nach Ausschluss der Kontraindikationen, eine Therapie mit Immunmodulatoren oder Anti-TNFα-Antikörpern eingeleitet werden. Liegt eine mäßige steroidrefraktäre Aktivität vor, sollte Azathioprin erwogen werden, bei schwerem Verlauf Anti-TNFα-Antikörper. Bei anderen Patienten führt die notwendige Reduktion der Steroiddosis kurzfristig zu einem Wiederaufflammen der Erkrankung. Auch bei diesen steroidabhängigen Patienten muss die Therapie entsprechend eskaliert werden.

  • Im Einzelfall sollte vor Einleitung einer Therapie mit Anti-TNFα-Antikörpern oder Immunmodulatoren überprüft werden, ob eine chirurgische Therapiealternative besteht.

Vor jeder immunsuppressiven Therapie muss ein Ausschluss von Kontraindikationen erfolgen (insbesondere Infektionserkrankungen, neoplastische Erkrankungen).

  • Zu den Kontraindikationen einer Therapie mit Antikörpern gegen TNFα gehören Infektionserkrankungen (hier ist u. a. die latente oder aktive Tuberkulose unbedingt auszuschließen), Lymphome, Abszesse, schwere Herzinsuffizienz, demyelinisierende Erkrankungen, Optikusneuritis.

  • Auf die Erhöhung der Komplikationsrate der immunsuppressiven Therapie bei der Kombination der unterschiedlichen Wirkstoffgruppen sei hier ausdrücklich hingewiesen.

  • Ist eine Kombinationstherapie notwendig, so sollte diese unter engmaschiger Kontrolle durch erfahrene Ärzte erfolgen. Erfahrung beim Erkennen möglicher opportunistischer Infektionen und die Kenntnis der notwendigen Therapien ist hier Voraussetzung.

  • Inwieweit die Therapie mit Anti-TNFα-Antikörpern zu einer Erhöhung perioperativer Komplikationen führt, ist weiterhin unklar. Gegebenenfalls muss die lange Halbwertszeit der entsprechenden Präparate berücksichtigt werden.

  • Die Therapie mit Immunmodulatoren kann, auch wenn operative Eingriffe notwendig werden, in der Regel unverändert weitergeführt werden.

  • Sicher ist, dass hohe Steroiddosen (> 20 mg Prednisolonäquivalent täglich) zu einer signifikanten Risikoerhöhung bei operativen Eingriffen führen. Wenn möglich sollte also vor operativer Intervention ein Ausschleichen bzw. eine Reduktion der Steroidmedikation auf die niedrigste wirksame Dosis stattfinden.

2.11 Prinzipien der chirurgischen Therapie

  • Nicht nur aus diagnostischer, sondern auch aus chirurgischer Sicht ist der M. Crohn oft gewissermaßen ein „Chamäleon“. Das Symptom- und Komplikationsspektrum ist außerordentlich variabel. Dies betrifft sowohl die Lokalisation als auch die Ausprägung. Unbezweifelt ist, dass – aus chirurgischer Perspektive – die Kunst in der richtigen, und das bedeutet beim M. Crohn v. a. rechtzeitigen Indikationsstellung besteht.

  • Entscheidend für die chirurgische Therapie ist daher, drohende Komplikationen frühzeitig zu erkennen und durch die rechtzeitige Operation zu vermeiden. Das erfordert einerseits Erfahrung, andererseits ein optimal eingespieltes interdisziplinäres Team. Aus chirurgischer Sicht ist dazu kritisch anzumerken, dass Patienten nicht selten erst spät überwiesen werden – häufig zu spät, um eine komplikationsarme und einzeitige chirurgische Sanierung zu ermöglichen. Interessant ist, dass diese Perspektive auch aus Patientensicht bestätigt wird: In einer Umfrage an 80 Patienten hätten sich drei Viertel ihre Operation 7–18 Monate früher gewünscht.

Das Optimum und oberstes Ziel für eine hohe Behandlungsqualität beim Crohn-Patienten ist ein harmonierendes und diskussionsbereites interdisziplinäres Team.

  • Nach populationsbasierten Untersuchungen müssen 50–80 % der Pat. mit einem isolierten ileozökalen Befall innerhalb von 10 Jahren operiert werden.

  • Nach Ileozökalresektion besteht eine Chance von 50 %, dass der Patient längerfristig in Remission bleibt.

Bei der schwierigen Frage nach dem optimalen Zeitpunkt der chirurgischen Intervention steht die Lebensqualität ganz im Vordergrund. Beim isolierten Ileozökalbefall bessert sie sich nach chirurgischer Therapie meist schlagartig.

  • Bei der medikamentösen Therapie werden die Symptome mitunter nicht vollständig beseitigt und das Beschwerdebild langsamer gebessert.

  • Die medikamentöse Therapie steht dennoch ganz im Vordergrund.

  • Chirurgische und medikamentöse Therapie wurden traditionell als komplementäre Konzepte aufgefasst.

  • Aufgrund der raschen Präparateentwicklung lässt sich mit modernen medikamentösen Sekundär- und Tertiärtherapien häufig Symptomfreiheit erzielen.

  • Die grundsätzlich möglichen medikamentösen Erfolge sollten nicht dazu verleiten, die Chirurgie als Ultima Ratio zu sehen.

  • Es muss vermieden werden, dass der Patient zu spät zur Operation kommt (höhere Morbidität und Mortalität).

2.12 Therapieprinzipien und -strategie

  • Fisteln häufig Erstmanifestation, aber auch Indikator der aktiven Grunderkrankung (→ hoher Stellenwert der optimierten/eskalierten medikamentösen Therapie).

  • So lange wie möglich konservativ.

  • Chirurgische Therapie nur bei therapierefraktärer (medikamentös/Endoskopie) und symptomatischer Läsion.

  • Grundsätzlich: im OP-Bericht genaue Charakteristik des Befalls, genaue Beschreibung der resezierten Länge und Länge des Restdarms.

  • Bei erforderlicher Resektion: sparsam, so viel wie nötig – so wenig wie möglich.

  • Minimaler Resektionsabstand (Größenordnung 2 cm) ausreichend, histologischer Befall des Resektionsrands prognostisch irrelevant.

  • Kleinstmögliche Traumatisierung, darmwandnahe Skelettierung.

  • End-zu-End-Anastomosen gelten als vorteilhafter, da Blindsackbildung im Gegensatz zur End-zu-Seit-Anastomose vermieden wird.

  • Einreihige/allschichtige, extramuköse, am ehesten fortlaufende Naht mit monofilem, resorbierbarem Nahtmaterial; manche Autoren favorisieren die Gambee-Naht.

Das technisch wichtigste Kriterium ist eine weite Anastomose. Obwohl in zahlreichen Publikationen bestimmte Faktoren (Klammernahtgeräte, Drainagen, Einzelknopfnaht) dogmatisch abgelehnt werden, besteht dafür kein hoher Evidenzgrad. Eine Reihe von Autoren sieht Klammernaht/Handnaht, Einzelknopfnaht/fortlaufende Naht, End-zu-End-/End-zu-Seit-/Seit-zu-Seit-Anastomose und Drainage ja/nein zumindest als gleichwertig an.

  • Strikturoplastik, bevorzugt in der Technik nach Heinecke-Mikulicz (kurzstreckige Stenosen bis zu einer Größenordnung von 5 cm).

  • Bei längerstreckigen Strikturen (> 5–10 cm): Technik nach Finney oder Michelassi möglich, aber schlechtere Ergebnisse.

  • Differenzialtherapeutisch bei langstreckiger Stenose eher sparsame Resektion erwägen.

  • Indikatorische Überlegungen zur Strikturoplastik (Tab. 21.6).

    Tab. 21.6 Indikatorische Überlegungen zur Strikturoplastik. (Nach Tjandra und Fazio 1992)
  • Laparoskopische Verfahren: aufgrund der (nicht-onkologischen) befund- und segmentorientierten und damit häufig „kleinen“ Resektion besteht prinzipiell eine gute Eignung für die minimal-invasive Technik.

  • Ein wesentlicher Vorteil der MIC besteht in geringeren Verwachsungen bei im Verlauf erneut erforderlichen Operationen.

  • Weitere Vorteile der MIC: postoperativer Ileus und Krankenhausaufenthalt kürzer.

  • Als (relative) Kontraindikationen für MIC gelten ein fixierter Konglomerattumor, ein stark verplumptes und verkürztes Mesenterium, multiple Fisteln, wiederholte Voroperationen/Verwachsungen und Malignitätsverdacht.

  • Die Kontraindikationen sind nicht klar definiert und hängen von der Erfahrung ab.

  • Stomaanlage:

    • Hauptindikation mit annähernd 66 % der Fälle: fistulierende perianale und genitale Erkrankung.

    • Das kumulative Risiko für ein vorübergehendes bzw. permanentes Stoma beträgt 41 % bzw. 14 % über einen 20-Jahreszeitraum.

2.13 Wichtige klinische Situationen mit chirurgischer Therapieoption

  • Ileozökaler Befall

    • Bei isoliertem symptomatischem Ileozökalbefall: Abwägung der Operation als Alternative zur konservativen Therapie

  • Stenose im Duodenum

    • Gastrojejuno- oder Duodenojejunostomie, bei geeigneter Lokalisation ggf. alleinige Strikturoplastik

  • Stenose im Ileum, Jejunum und Kolon

    • Kurzstreckige, endoskopisch erreichbare Stenose: Dilatationsversuch

    • Ansonsten falls möglich Strikturoplastik

    • Bei längerstreckiger Stenose sparsame Resektion

    • Nach Studienlage Rezidivgefahr bei Kolonresektion mit Anastomosenanlage höher, aber (im gegebenen Fall) durch Vermeidung eines Stomas gerechtfertigt

    • Im Fall eines ausgedehnten Kolonbefalls oder Rezidivs im Kolon muss die (sub-)totale Kolektomie erwogen werden

  • Isolierter Rektumbefall

    • Ggf. Diskontinuitätsresektion

  • Intraabdomineller (Begleit-)Abszess

    • Zunächst (möglichst interventionelle) Abszessdrainage

    • Antibiotikatherapie

    • Häufig spätere Resektion erforderlich, die aber nach Beherrschung der septischen Situation dann (früh-)elektiv geplant werden kann

    • Bei komplexen und/oder multiplen Abszessen chirurgische Intervention

  • Fisteln

    • Enterokutane Fisteln

      • Bei enterokutanen Fisteln je nach Symptomatik und Sekretionsmenge auch abwartende Haltung möglich

Unkomplizierte enterokutane Fisteln stellen keine zwingende Operationsindikation dar. Sie bergen aber ein hohes Risikopotenzial für weitere Fistelungen und Abszesse. Anhand der klinischen Präsentation und des Verlaufs und nach ergänzender Diagnostik muss interdisziplinär das sinnvollste Vorgehen mit falls nötig optimalem Operationstiming bestimmt werden.

  • Bei hoher Sekretionsmenge oder lokalen Versorgungsproblemen häufig primäre Operation erforderlich

  • Lokalisation häufig vor oder in einer Stenose

  • Resektion des erkrankten Darmabschnitts inkl. Fistelursprung

  • Bei retroperitonealer, enterovesikaler und enterovaginaler Fistel: Omentumplastik erwägen

  • Bei entero-vaginaler Fistel: ggf. Martius-Plastik, Grazilis-Plastik

  • Komplexe, schlecht heilende rekto-vaginale Fistel oder Rezidiv: Loop-Ileostoma, im Intervall Fistelexzision, Mukosalappendeckung im Rektum, Levatorenplastik und Naht der Vaginalhaut, nach Ausheilung Rückverlagerung des Ileostomas

  • Vom Zökum ausgehende Fisteln nach Appendektomie haben ein hohes Spontanheilungspotenzial, da in aller Regel die nachgeschaltete Stenose fehlt

  • Interenterische Fistel

  • Therapie nur bei Symptomatik

  • Auf Malabsorptions-/Maldigestionssyndrome achten

  • Absolute OP-Indikation bei funktionellem Kurzdarmsyndrom

  • Einfache perianale Fistel

  • Gute Abheilungstendenz spontan oder nach „Minimaleingriff“, aber hohe Rezidivgefahr

  • Gute OP-Indikation

  • Komplexe perianale Fistel

  • Vor geplanter konservativer Therapie: Ausschluss oder Drainage eines perianalen Abszesses

  • Unter Antibiotikatherapie nicht sistierende Sekretion: Fadendrainage

  • Abhängig vom klinischen Verlauf interdisziplinäre Abstimmung (differenzierte medikamentöse Therapie unter Einsatz von Immunmodulatoren/Anti-TNFα-Antikörpern, ggf. Deviationsstoma)

  • Proktektomie nur als Ultima Ratio

  • Plastischer Verschluss/Verschiebelappenplastik bei Rektumfistel möglich (vorher Ausschluss eines simultanen sonstigen Befalls)

  • Präoperativ sorgfältige Diagnostik erforderlich

Klinische Klassifikation der perianalen Erkrankung

  • Die wichtigsten Scores zur Beurteilung der perianalen Crohn-Aktivität sind die UFS (Ulceration, Fistel/Abszess, Striktur)-Klassifikation, die APD (Associated Anal Conditions, Proximal Intestinal Disease, Disease Activity in Anal Lesions)-Klassifikation und der Perianal Crohn’s Disease Activity Index.

  • Die Vorteile dieser Scores liegen im Versuch, den Befund zu objektivieren und die Behandlungsergebnisse vergleichbarer zu machen, allerdings spielen die Scores (wie auch der CDAI) in der klinischen Routinepraxis keine Rolle.

  • Ihre Bedeutung liegt damit vorwiegend in der wissenschaftlichen Analyse.

  • Sie ermöglichen allerdings als Scoring-System eine vereinfachte und standardisierte Befundbeschreibung statt einer subjektiv gefärbten, langen und u. U. verwirrenden Beschreibung.

  • Anastomosenrezidiv

    • Anastomosenrezidive drohen in bis zu einem Drittel der Fälle innerhalb eines 10-Jahreszeitraums nach Erstoperation.

    • Anastomosenrezidive werden medikamentös und durch Anastomosennachresektion behandelt (im Ausnahmefall Strikturoplastik).

    • Eine medikamentöse Rezidivprophylaxe mit Mesalazin oder Immunmodulatoren sollte bei erhöhtem Rezidivrisiko (s. o.) oder verkürztem Darm erwogen werden.

  • Perforation

    • Bis zu 3 % der Patienten präsentieren sich mit einer freien Perforation mit akutem Abdomen und freier Luft.

    • Notfall-Laparotomie, abhängig vom Peritonitisausmaß großzügige Indikationsstellung zur Diskontinuitätsresektion.

    • Patienten mit Perforation weisen eine Tendenz zu erneuter Präsentation mit Perforation und eine höhere Rezidivrate auf (Simillis 2008).

  • Toxisches Megakolon, fulminante Kolitis

    • Bei fehlender Besserung unter maximaler Intensivtherapie frühzeitige Operation (innerhalb 72-h-Grenze, da anschließend deutlich höhere Letalität)

  • Blutung

    • Potenziell lebensbedrohliche Blutungen treten bei bis zu 13 % der Crohn-Patienten auf.

    • Junge Männer sind häufiger betroffen.

    • Zielgerichtete Resektion nach vorheriger Mesenterikographie anstreben.

    • Diffuse Kolonblutung: (sub-)totale Kolektomie (unter Berücksichtigung eines potenziellen Wiederanschlusses) erwägen.

    • Bei angiographisch nicht zu sichernder Blutungslokalisation: intraoperative Endoskopie/Enteroskopie.

  • Bestätigte High-grade intraepitheliale Neoplasie (IEN), Karzinomverdacht, Karzinom

    • Onkologie-gerechte Resektion

2.14 Leitlinien

S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen „Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn“

Leitlinie der European Crohn’s and Colitis Organisation „The second European evidence-based Consensus on the diagnosis and management of Crohn’s disease“

Leitlinie der European Crohn’s and Colitis Organisation „European evidence-based Consensus on the prevention, diagnosis and management of opportunistic infections in inflammatory bowel disease”

Konsensusreport der European Crohn’s and Colitis Organisation „European evidenced-based consensus on reproduction in inflammatory bowel disease“

3 Colitis ulcerosa

Autoren

Gastroenterologie: A. Sturm

Viszeralchirurgie: A. Gharbi, U. Settmacher

3.1 Definition und Manifestation

  • Chronische Entzündung der Kolonmukosa, die fast immer im Rektum beginnt (> 95 %) und sich kontinuierlich nach kranial ausbreitet und das gesamte Kolon befallen kann.

  • In 50–70 % der Fälle bleibt die Erkrankung auf das Rektum und Sigma beschränkt, linksseitige Kolitiden machen ca. 10–20 % der Fälle aus, in ca. 25 % findet sich eine Pankolitis ulcerosa.

  • Im Rahmen einer Pankolitis kann auch das terminale Ileum im Sinne einer „back-wash Ileitis“ befallen sein, andere Darmabschnitte sind jedoch nie betroffen.

  • Nach 5 Jahren muss in 20 %, nach 10 Jahren in 54 % der Fälle mit einem Fortschreiten der Erkrankung gerechnet werden.

3.2 Epidemiologie

  • Die Prävalenz für die CU liegt in Deutschland bei ca. 0,5 %, die Inzidenz bei etwa 10,4 auf 100.000 Einwohner. Diese Zahlen variieren jedoch sehr und sind von dem Ort, der Kohortengröße und dem Erhebungsjahr der Untersuchung abhängig.

  • Die höchste altersspezifische Inzidenz der CU liegt bei 25- bis 34-Jährigen, die Altersverteilung jenseits des 35. Lebensjahres ist verhältnismäßig ausgeglichen.

  • Die Prävalenz von Juden in Amerika und Europa ist 3-fach höher als die der nichtjüdischen Bevölkerung und ebenso die der Juden in Israel, während die arabische Bevölkerung in Israel nur sehr selten an einer CED erkrankt. In den USA haben Afroamerikaner und die weiße Bevölkerung eine vergleichbare Häufigkeit, während CED bei der schwarzen Bevölkerung in Südafrika im Vergleich zu Asiaten und Weißen wesentlich seltener ist. Unterschiede nach Migration der Bevölkerung sind in der zweiten Generation häufig nicht mehr nachweisbar, welches darauf hinweist, dass der sozioökonomische Status und Umweltfaktoren wichtiger als die ethnische Zugehörigkeit sind.

3.3 Pathogenese

  • Die Ätiologie der CU ist noch ungeklärt. Fest steht jedoch, dass es bei einem genetisch prädisponierten Wirt durch eine Reihe von Umweltfaktoren zur Krankheitsmanifestation kommt. Hierbei unterscheiden sich die bislang identifizierten pathophysiologischen Faktoren zwischen dem MC und der CU erheblich.

  • Bei 10 % der Patienten mit CED findet sich eine positive Familienanamnese. Während beim MC die Konkordanz in monozygoten Zwillingen 70 % beträgt, liegt sie bei der CU nur bei 20 %. Die Konkordanz bei dizygoten Zwillingen liegt bei 4 %. Das relative Risiko von Geschwisterkindern von Indexpatienten, an einer CED zu erkranken, liegt bei dem 10- bis 50-fachen des Hintergrundrisikos.

  • Bei der CU kommt es zu einer Antikörperbildung als Zeichen einer Aktivierung des humoralen Immunsystems. Die Mukosa ist bei CU-Patienten durch eine Infiltration mit neutrophilen Granulozten gekennzeichnet. Die mukosalen T-Lymphozyten bei der CU sind hypoproliferativ, haben eine gesteigerte Apoptoserate und produzieren vermehrt IL-4 und IL-5 (TH2-ähnliches Profil). Perinukleäre antineutrophile zytoplasmatische Antikörper (p-ANCA) lassen sich bei bis zu 60 % der Patienten mit CU nachweisen.

3.4 Klinik

  • Die CU ist eine Erkrankung der Kolonmukosa. Die durch die Zerstörung der Schleimhaut bedingten blutig-schleimig-eitrigen Diarrhöen sind daher das Leitsymptom der Erkrankung.

  • In 25 % der Fälle manifestieren sich CED ohne begleitende Diarrhöen.

  • Weitere klinische Symptome der CU bei Erstmanifestation sind Bauchschmerzen (40–80 %), Gewichtsverlust (20–40 %), Fieber (10–20 %), Anämie (20–50 %), Arthralgien (10–30 %), Augenbeteiligung (5–15 %), Hautbeteiligungen (10–15 %). Das Auftreten von Analfisteln ist sehr selten, muss nicht mit der CU kausal im Zusammenhang stehen und deutet nicht notwendigerweise auf einen M. Crohn hin.

  • Bei der körperlichen Untersuchung zeigt sich häufig eine druckschmerzhafte Walze im linken Unterbauch. Bei einem schweren Schub ist das Abdomen häufig druckschmerzhaft, gebläht, die Patienten sind häufig anämisch, exsikkiert und tachykard. Es muss auch auf extraintestinale Manifestationen geachtet werden.

3.5 Apparative Diagnostik

3.5.1 Labor

  • Laborchemische Verfahren dienen der Feststellung der entzündlichen Aktivität und Komplikationen der Erkrankung, krankheitsspezifische Parameter fehlen.

  • Der Schweregrad der Entzündung korreliert nicht immer mit einer Erhöhung des CRP, einer Leuko- oder Thrombozytose.

  • Eine begleitende Anämie wird durch die Bestimmung des Hämoglobins und des Eisenstoffwechsels erfasst.

  • Erhöhte Cholestaseparameter (alkalische Phosphatase und γGT) weisen auf eine primär sklerosiende Cholangitis hin.

  • p-ANCA finden sich bei 50–75 % der Patienten, aufgrund ihrer niedrigen Sensitivität hat ihre Bestimmung aber keinen Stellenwert in der Routinediagnostik.

  • Differenzialdiagnostisch sollte bei einem akuten Schub eine bakterielle oder virale Superinfektion, insbesondere mit Clostridium difficile oder Zytomegalievirus, ausgeschlossen werden.

3.5.2 Endoskopie

  • Initialdiagnostik: komplette Ileokoloskopie mit Stufenbiopsien aus dem terminalen Ileum und jedem Kolonsegment, unabhängig vom Befallsmuster. Bei der akuten schweren CU kann eine Sigmoidoskopie zunächst ausreichend sein.

  • Endoskopisch zeigt sich bei einer leichten Entzündungsreaktion eine Rötung und ödematöse Schwellung der Schleimhaut.

  • Mit zunehmender Entzündungsaktivität verschwindet die Gefäßzeichnung, die Schleimhaut wird granuliert und es kommt zu Kontaktblutungen nach Berührung durch das Endoskop. Bei schwerer Entzündung sieht man Fibrinbeläge und flache, konfluierende Ulzerationen. Bei einer länger bestehenden Entzündung finden sich auch Pseudopolypen.

  • Die Ausbreitung beginnt immer im Rektum und breitet sich diffus kontinuierlich oralwärts aus. Im chronischen Stadium erkennt man einen Verlust der Haustrierung („Fahrradschlauchphänomen“) und Pseudopolypen. Bei vorbehandelten Patienten, insbesondere bei Lokaltherapie, kann das Rektum entzündungsfrei sein.

  • Histomorphologisch charakteristisch für die CU sind Störung der Kryptenarchitektur, Kryptenatrophie, Plasmozytose im basalen Schleimhautstroma, kontinuierliche und diffuse (= transmukosale) Infiltration der Mukosa durch Lymphozyten und Plasmazellen; kontinuierliche Verteilung der Kryptenatrophie oder Störung der Kryptenarchitektur.

  • Bei der fulminanten Verlaufsform finden sich ausgedehnte Ulzerationen mit Gefäßwandnekrosen.

  • Die histologischen Veränderungen sind nicht pathognomonisch, besonders in der Initialphase der Erkrankung kann die Abgrenzung zur infektiösen Kolitis schwer sein, da es bei CED erst im weiteren Verlauf der Erkrankung zu Architekturstörungen der Darmmukosa kommt.

3.5.3 Bildgebende Verfahren

  • Die Darmsonographie spielt bei der Diagnosestellung, v. a. aber in der nichtinvasiven Ausbreitungsdiagnostik und Verlaufsbeurteilung sowie der Differenzierung zwischen narbigen und entzündlichen Veränderungen in der Hand des erfahrenen Untersuchers eine wichtige Rolle.

  • CT und MRT können keine endoluminalen Strukturen beurteilen und werden nur bei Abszess- oder Karzinomverdacht oder zur Abgrenzung eines M. Crohn eingesetzt.

3.6 Differenzialdiagnosen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen

  • M. Crohn

  • Infektiöse Kolitis (Campylobacter jejuni, Tbc, Amöben, Clostridien, Yersinien, Histoplasmose, CMV)

  • Medikamente (NSAR, Chemotherapeutika)

  • Mikroskopische Kolitis

  • Ischämische Kolitis

  • Radiogene Kolitis

  • Divertikulitis

  • Malignome

3.7 Komplikationen

  • Massive peranale Blutung.

  • Toxisches Megakolon (Erweiterung des Rektosigmoids oder Colon descendens auf 5,5 cm, Colon ascendens auf 8 cm, Zökum auf 12 cm in der Abdomenleeraufnahme). Das toxische Megakolon kann diffus und segmental auftreten und das klinische Erscheinungsbild durch Analgetika maskiert werden.

  • Kolonperforation oder -striktur.

  • Entwicklung eines kolorektalen Karzinoms: Das Risiko steigt ca. 7–10 Jahre nach Diagnosestellung und die kumulative Inzidenz nimmt ab dem 5.–10. Krankheitsjahr jährlich um ca. 1 % zu. Das kumulative Krebsrisiko beträgt 7,2 % nach 20 und 16,5 % nach 30 Krankheitsjahren. Risikofaktoren zur Entwicklung eines kolorektalen Karzinoms sind: Erkrankungsdauer, Erkrankungsalter < 18 Jahre bei der Diagnosestellung, das Vorliegen einer Pankolitis oder primär sklerosierenden Cholangitis. Eine isolierte Proktitis ist nicht mit einem erhöhten Krebsrisiko assoziiert.

  • Epitheldysplasien („intraepitheliale Neoplasien“) werden als präkanzeröse Läsionen betrachtet und ihr Nachweis in makroskopisch auffälliger Schleimhaut („Dysplasie-associated lesion or mass“, DALM) ist in 43 % bereits mit dem Vorliegen maligner Veränderungen assoziiert. Da akut entzündliche Veränderungen eine histologische Beurteilung erschweren und häufiger mit Dsyplasien assoziiert sind, die in der post-entzündlichen Phase regredient sind, sollten Vorsorgeuntersuchungen außerhalb akuter Schübe durchgeführt werden. Bei eindeutiger, durch einen Referenzpathologen bestätigter hochgradiger intraepithelialer Neoplasie ist dem Patienten als Standardoperation die Proktokolektomie zu empfehlen. Beim Nachweis einer niedriggradigen intraepithelialen Neoplasie und deren Bestätigung durch einen Referenzpathologen scheint eine Proktokolektomie nicht zwingend erforderlich zu sein (relative Operationsindikation), es sollte dann eine engmaschige Nachkontrolle in 3–6 Monaten erfolgen. Bei Patienten mit (sub-)totaler Colitis ulcerosa, die mehr als 8 Jahre besteht, oder linksseitiger Kolitis, die mehr als 15 Jahre besteht, soll eine komplette Koloskopie mit Stufenbiopsien im jährlichen Abstand erfolgen. Nach subtotaler Kolektomie mit verbliebenem Rektumstumpf sollte analog eine jährliche Rektoskopie erfolgen, nach Pouchanlage eine Pouchoskopie.

3.8 Aktivitätsindices

  • Haben außerhalb klinischer Studien eine untergeordnete Bedeutung, die bedeutendsten sind der Truelove-Index (Stuhlfrequenz, Blut im Stuhl, Fieber, Tachykardie, Anämie, BSG) und der Rachmilewitz-Index, der neben dem klinischen Teil auch endoskopische Veränderungen berücksichtigt (Tab. 21.7). Endoskopische Aktivitätsindices werden vorrangig in klinischen Studien eingesetzt, helfen aber in der Verlaufsbeurteilung (oder bei Untersucherwechsel) das Ausmaß der Entzündungsaktivität zu quantifizieren.

    Tab. 21.7 Rachmilewitz-Index

3.9 Besondere Aspekte und extraintestinale Manifestationen

3.9.1 Gelenkmanifestation

  • 30 % der CED-Patienten klagen über eine entzündliche Beteiligung von Achsenskelett, peripheren Gelenken oder Sehnen. Die Gelenkmanifestation stellt somit die häufigste extraintestinale Manifestation einer CED dar.

  • Bei der Typ-I-Arthropathie (pauciartikulär) kommt es zu weniger als 5 Wochen anhaltenden schmerzhaften Schwellungen von weniger als 5 Gelenken (meist ist mindestens ein großes Gelenk betroffen). Dieser Typ ist häufig mit weiteren extraintestinalen Manifestationen und meist mit einer entzündlichen Aktivität der CED assoziiert. Die Behandlung besteht in der Therapie des akuten Schubes und schließt Mesalazin, Steroide und Immunsuppressiva ein.

  • Beim Typ II (polyartikulär) sind meist mehr als 5 Gelenke über Monate bis Jahre entzündlich verändert. Die Gelenkschmerzen sind unabhängig von der aktuellen intestinalen Entzündungsreaktion und sind, außer mit einer Uveitis, nicht mit anderen extraintestinalen Manifestationen verbunden. Die Behandlung besteht in der Umstellung von Mesalazin auf Sulfasalazin und der Gabe weiterer Immunsuppressiva wie z. B. Methotrexat, Infliximab oder Etanercept, Letzteres wirkt jedoch nicht auf die entzündliche Aktivität des Darms. Nichtsteroidale Antirheumatika können einen akuten Schub auslösen und sollten daher möglichst nicht eingenommen werden. Ein gegenüber unselektiven COX-Inhibitoren vorteilhafter Effekt von COX-2-Inhibitoren konnte bislang nicht gezeigt werden. Krankengymnastik, Bewegungstherapie, physikalische Therapie sollten individuell eingesetzt werden.

3.9.2 Gallenwege und Leber

  • Eine primär sklerosierende Cholangitis (PSC) tritt bei 7 % der Patienten auf. Die Diagnosestellung erfolgt mithilfe einer MRCP oder ERCP, in 60–80 % der Fälle sind die p-ANCA positiv. Neben der Behandlung mit Ursodeoxycholsäure (10–15 mg/kg KG) werden die intrahepatischen Gallenwege bei dominanten Stenosen der größeren Gallenwege regelmäßig bougiert, ein Progress der Erkrankung kann jedoch dadurch nicht verhindert werden. Bei nicht ausreichendem Ansprechen auf 10–15 mg/kg KG Ursodeoxycholsäure kann die Dosis bis auf 25–30 mg/kg KG gesteigert und mit einer immunsuppressiven Therapie (Budenosid, systemische Steroide, Azathioprin) ergänzt werden. Eine regelmäßige Entnahme einer Gallenwegszytologie sollte zur Früherkennung eines cholangiozellulären Karzinoms durchgeführt werden. Im fortgeschrittenen Stadium kann eine Lebertransplantation notwendig sein.

  • Eine Autoimmunhepatitis stellt eine sehr seltene Begleiterkrankung dar. Sie tritt in < 10 % der Fälle von PSC als ein Overlap-Syndrom auf. Ihre Behandlung besteht in der Kombination von Ursodeoxycholsäure und Immunsuppression.

3.9.3 Haut

  • Typische Hautmanifestationen der CED sind das Erythema nodosum bei 2–15 % und das Pyoderma gangraenosum bei 1–2 % der Patienten. Neben der Lokalbehandlung mit Okklussionsverbänden werden die Patienten immunsuppressiv mit Steroiden, Azathioprin oder ggf. Tacrolimus behandelt.

3.9.4 Augen

  • Eine anteriore Uveitis oder Episkleritis kann als ophthalmologische Manifestation auftreten.

3.9.5 Schwangerschaft

  • Die Fertilität bei Patientinnen mit CU ist verglichen zur Normalbevölkerung nicht verändert, nach Proktokolektomie mit ileoanaler Pouchanlage jedoch vermindert. Missbildungen sind bei CE-Patientinnen in der Regel nicht erhöht. Eine erhöhte Fehlbildungsrate ist aber zu beobachten, wenn der Konzeptionszeitpunkt im akuten Schub und nicht in Remission liegt. Das größte Risiko für einen ungünstigen Schwangerschaftsverlauf ist ein akuter Schub bei Beginn der Schwangerschaft.

  • Es sollte stets eine sorgfältige, individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung bezüglich Vor- und Nachteilen einer medikamentösen remissionserhaltenden Therapie erfolgen. Dabei muss die Teratogenität von Medikamenten berücksichtigt werden. So sind Methotrexat als eindeutig teratogen, Azathioprin/6-Mercaptopurin als möglicherweise teratogen und Aminosalizylate und Steroide als nicht teratogen einzustufen. Eine immunsuppressive Therapie mit Azathioprin muss daher bei medizinischer Indikation nicht grundsätzlich abgesetzt werden, da eine erhöhte entzündliche Aktivität den Verlauf einer Schwangerschaft komplizieren kann.

  • Bei Männern kann die Fertilität auch infolge einer Sulfasalazin-bedingten, reversiblen Störung der Spermiogenese vermindert sein.

3.10 Verlaufsformen und Prognose

  • Bei der CU können rezidivierende (50–80 % der Erkrankten), chronisch-aktive (15–30 %) und fulminante (5 %) Verlaufsformen auftreten.

  • Die kumulative Kolektomie-Wahrscheinlichkeit liegt bei einer Pankolitis in einzelnen Kollektiven nach 5 Jahren bei etwa 40 % und nach 20 Jahren bei ca. 60 %.

  • Wenn ein Erkrankungsschub medikamentös erfolgreich behandelt wurde, tritt ohne weitere Prophylaxe innerhalb von 2 Jahren bei 50 % der Patienten ein Rezidiv auf. Bei schweren Schüben liegt die Mortalität bei < 2 %, die Gesamtlebenserwartung daher bei der CU gegenüber der Gesamtbevölkerung leicht eingeschränkt.

3.11 Konservative Therapie

  • Zur konservativen Therapie der Colitis ulcerosa siehe Tab. 21.8.

    Tab. 21.8 Therapie der Colitis ulcerosa

3.12 Prinzipien der chirurgischen Therapie

  • Man unterscheidet 1-, 2- oder 3-zeitige Verfahren:

    • 1-zeitig: Koloproktektomie + ileo-pouch-anale Anastomose (IPAA) ohne protektives Loop-Ileostoma

    • 2-zeitig: Koloproktektomie + IPAA + protektives Loop-Ileostoma, Ileostomarückverlegung in 6–12 Wochen

    • 3-zeitig: subtotale Kolektomie + Ileostoma + Sigmaschleimfistel bzw. Rektumblindverschluss, 6–8 Wochen später Restkoloproktektomie mit IPAA und protektivem Loop-Ileostoma, Ileostomarückverlegung in 6–12 Wochen

3.12.1 Standardeingriff: offene restaurative Proktokolektomie, Mukosektomie, ileo-pouch-anale Anastomose (IPAA) mit protektivem Loop-Ileostoma (2-zeitiges Vorgehen)

  • Lagerung: Steinschnitt

  • Zugang: Medianlaparotomie

  • OP-Schritte:

    • Abdominaler Part:

      • Exploration (Leber: primär sklerosierende Cholangitis [PSC], ggf. Biopsie)

      • Mobilisierung des Kolonrahmens von den retroperitonealen Verwachsungen bis oberes Rektum

      • Absetzen des Ileums unmittelbar an der Bauhischen Klappe (nicht wie bei der Hemikolektomie rechts, Mitnahme der letzten 10 cm des terminalen Ileums)

      • Kolonnahe Mesodurchtrennung und Erhalt der vaskulären Randarkade des Colon ascendens bzw. Erhaltung der A. ileocolica. Das linke Hemikolon wird darmnah tubulär herauspräpariert.

      • Darmnahes Auslösen des Rektums bis auf den Beckenboden

      • Rektumabsetzung auf Levatorebene mittels Klammergerät

Die CU ist eine benigne Erkrankung des jungen Erwachsenen. Bei der Operation müssen Läsionen des Plexus hypogastricus vermieden werden, deshalb immer wenn möglich organnahe Präparation.

Um eine gute Pouchdurchblutung zu gewährleisten, müssen das terminale Ileum und seine Gefäßversorgung komplett erhalten bleiben.

  • Pouchbildung: Länge 15–18 cm, mit Linearcutter oder Handnaht (monofil, resorbierbar, Stärke 4/0), Pouchvolumen ca. 150 ml.

Bei Bildung des Pouches mit einem Linearcutter muss die Klammernaht antimesenterial liegen, um die Pouchdurchblutung nicht zu beeinträchtigen.

  • Längentest der Pouchspitze, um eine spannungslose anale Anastomose zu ermöglichen (Abb. 21.5).

    Abb. 21.5
    figure 5

    „Smith procedure“

Wenn die Pouchspitze 6 cm über die Symphyse reicht („Smith procedure“), ist in 100 % der Fälle eine anale Handanastomose möglich. Wenn sie bis zur Symphyse reicht, ist eine Anastomose in 60 % der Fälle möglich (in der Regel ist eine Pouchspitze, die 2–3 cm über die Symphyse reicht, ausreichend).

Wenn das Mesenterium keine spannungslose Anastomose ermöglicht, muss zur Längengewinnung vor Anastomosierung das spannende Gefäß im Mesenterium nach Abklemmversuchen durchtrennt werden, dieses Vorgehen ist eine Mesenterikoplastik (Abb. 21.6).

Abb. 21.6
figure 6

Mesenterikoplastik

  • Perinealer Part:

    • Mukosektomie: Aufspannen des Analkanals mittels Ulrich- bzw. Lonestar-Sperrer. Unterspritzen der Mukosa mit einer 10 ml Kochsalz-Adrenalin-Lösung (hämostatische Wirkung). Die Mukosektomie beginnt auf der Linea dentata und reicht kranial bis zur Klammernaht des abgesetzten Rektums, welche mit entfernt wird. Die Muscularis-Manschette soll für eine bessere Kontinenzfunktion erhalten bleiben.

Die Mukosektomie hat aufgrund eines Sphinkterüberdehnungstraumas und der Mitnahme der analen Transitionalzone (wichtig zur Stuhldiskriminierung) ein schlechteres funktionelles Ergebnis als die Stapleranastomose. Deshalb nur bei hochgradigen intraepithelialen Neoplasien (IEN) oder maligner Entartung eine Mukosektomie durchführen.

  • IPAA: Nach einer Mukosektomie wird eine Handanastomose angelegt (Empfehlung: Nahtmaterial resorbierbar, monofil, Stärke 4/0 in Einzelknopfnahttechnik). Wenn keine Mukosektomie erfolgt ist, wird eine Stapleranastomose angelegt (Staplerdurchmesser nicht < 28 mm). 2 Silikondrainagen ins kleine Becken. Zur Pouchentlastung sollte eine transanale Drainage für 3–4 Tage belassen werden.

Bei einer Stapleranastomose verbleibt immer eine Schleimhaut-Manschette (Cuff) bestehend aus der Transitionalzone und etwas Rektumschleimhaut (der Cuff sollte nicht länger als 2 cm sein). Dieser Bereich stellt theoretisch ein malignes Entartungsrisiko dar und sollte deshalb endoskopisch und bioptisch überwacht werde. Bei Patienten ohne hochgradige IEN, ohne Karzinom im Resektat, ist das Entartungsrisiko im verbliebenen Schleimhaut-Cuff nach 10 Jahren als < 1 % einzustufen. Zu einer symptomatischen und therapiebedürftigen Entzündung im Schleimhaut-Cuff („Cuffitis“) kommt es bei 10 % der Patienten.

  • Anlage eines protektiven Loop-Ileostomas: Bei der Anlage darf die Ileumrandarkade nicht verletzt werden, da es sonst zu einer Pouchischämie kommen kann.

Bei geringer Steroiddosis (< 20 mg Prednisolon), vollständig spannungsfreier Anastomose mit sehr guter Durchblutung und ohne größere Komorbidität kann im Einzelfall auf das protektive Stoma im Rahmen des Primäreingriffes verzichtet werden (1-zeitiges Vorgehen). Eine Anastomosen- bzw. Pouchinsuffizienz geht jedoch ohne vorgeschaltetes Ileostoma mit einer deutlich höheren Morbidität einher. Deshalb bei pelvinen septischen Komplikationen (pouch related septic complications, PRSC) ohne Stoma immer Stoma anlegen.

  • Die Ileostomarückverlegung erfolgt nach 6–12 Wochen nach KM-Pouchdarstellung/-spiegelung zum Ausschluss einer Fistel/Stenose und einer Analmanometrie (die Sphinkterfunktion kann durch Beckenbodentraining bzw. Biofeedback vor der Rückverlegung verbessert werden).

3.12.2 Stellenwert der Kolektomie mit ileorektaler Anastomose (IRA)

  • IRA: Standardeingriff bei CU vor Einführung der IPAA

  • Seit Verbreitung der IPAA Ende der 1970er-Jahre nur in Ausnahmefällen indiziert:

    • Hohes Alter, geringe Lebenserwartung (auf Dauer kein Entartungsrisiko)

    • Geringer Befall des Rektums (noch vorhandene Reservoirfunktion, kein sklerotisches „Mikrorektum“), keine Dysplasien

    • Gute Kontinenz

    • Schwierige anatomische Verhältnisse bei sehr adipösen Patienten mit engem Becken und dickem Meso

    • Gute Patienten-Compliance, da regelmäßige endoskopische Überwachung des Rektums notwendig

    • Nach Kolektomie wegen akuter Erstmanifestation einer CED ohne sicheren CU-Nachweis in der endgültigen Histologie (DD: M. Crohn)

  • Keine Indikation bei jungen Patienten (da hohe Lebenserwartung und Entartungsrisiko), Ausnahme bei Frauen mit Kinderwunsch (nach offener IPAA sinkt die Fertilität bei Frauen um bis zu 50 %). Alternativ kann man eine laparoskopische IPAA durchführen, da signifikant weniger Adhäsionen zustande kommen und es zu einer Verbesserung der postoperativen Fertilität kommt.

  • Es besteht immer die Möglichkeit sekundär eine Rektum- bzw. Rektosigmoidresektion mit IPAA durchzuführen.

3.12.3 Nicht restaurative Eingriffe: Proktokolektomie mit Ileostoma

  • Bei schlechter Kontinenz, tiefen exstirpationsbedürftigen oder lokal fortgeschrittenen (cT4) Rektumkarzinomen oder auf Patientenwunsch wird auf die IPAA verzichtet und ein Ileostoma angelegt.

    • Endständiges Ileostoma (Brooke-Ileostoma), ermöglicht keine Stuhlkontrolle.

    • Kock-Pouch (Abb. 21.7): Ileum-Pouch mit einem durch Ventilbildung kontinenten Ileostoma. Entleerung erfolgt 3- bis 4-mal/d durch Irrigation. Aus Sicht des Patientenkomforts bessere Alternative zum endständigen Ileostoma. Die Beutelversorgung entfällt. Seit Einführung der IPAA selten primär indiziert, aber eine gute Alternative nach Pouchverlust.

      Abb. 21.7
      figure 7

      Kontinente Ileostomie nach Kock

    • Die Konversion eines fehlgeschlagen ileo-analen Pouches in einen Kock-Pouch ist möglich.

3.12.4 Laparoskopisch assistierte Proktokolektomie mit IPAA

  • Lagerung: Steinschnitt, Arme angelagert, Schulterstützen beidseits

  • 5-Trokare, ein Bergungsschnitt (re/li UB bzw. Pfannenstiel)

  • OP-Schritte: sind dem offenen Verfahren ähnlich. Nach Absetzen des Rektums wird das Präparat über den Bergeschnitt exkorporiert. Ileumabsetzung klappennah und Poucherstellung erfolgen offen. Ggf. Mesenterikoplastik. Stapler- oder Hand-Anastomose ist möglich. Protektives Loop-Ileostoma.

Auf korrekte Orientierung des Mesenteriums (keine Torsion!) und des Dünndarmpakets (links der AMS-Achse!) vor Anastomosierung ist zu achten, da die Orientierung laparoskopisch meist schwieriger ist als bei offenem Vorgehen.

  • Fazit zur laparoskopisch assistierten IPAA:

    • Machbar

    • Lange OP-Zeiten

    • Lernkurve

    • Intraoperativ hoher Kostenaufwand (viele Einwegmaterialien), aber kürzere Liegedauer

    • Kosmetische Vorteile bezüglich der Narben sind belegt

    • Weniger postoperative Adhäsionen und bei Frauen eine verbesserte Fertilität im Vergleich zur offenen IPAA

3.13 Operative Therapieindikationen

3.13.1 Notfallindikationen (Kolonperforation/vitalbedrohliche Blutung)

  • Die massive Blutung mit Kreislaufinstabilität und Katecholaminbedarf sowie die freie oder gedeckte Perforation gelten als Indikationen für eine Notfall-OP.

  • Ziel der OP ist es, die akute Komplikation zu beheben, das postoperative Komplikationsrisiko so gering wie möglich zu halten.

  • Operation: 3-zeitiges Verfahren mit subtotaler Kolektomie und Sigmaschleimfistel (somit verbleibt intraperitoneal keine Darmnaht). Nach Besserung des AZ und Ausschleichen der medikamentösen Therapie Restproktokolektomie, IPAA mit protektivem Loop-Ileostoma.

Es muss präoperativ sichergestellt werden, dass die Blutungsquelle nicht im Sigma/-Rektumbereich liegt (präoperative bzw. intraoperative Endoskopie), andernfalls müssen Sigma/bzw. Rektum mit reseziert werden und ein Blindverschluss erfolgen.

Dieser Eingriff sollte auch bei vordergründig rektosigmoidalem CU-Befall in dieser Art erfolgen. Über das angelegte Sigmoideostoma kann früh mit topischen steroidhaltigen Klysmen/Rektalschaum eine lokale Therapie ohne systemische Nebenwirkungen erfolgen. Eine primäre Proktokolektomie mit endständigem Ileostoma und kurzem Rektumstumpf sollte in der Akutsituation vermieden werden, da intraabdominell ein entzündeter Rektumblindstumpf mit einem hohen Insuffizienzrisiko belassen wird und der Zweiteingriff (IPAA) in einem voroperierten kleinen Becken deutlich erschwert ist

Bei einer akuten Erstmanifestation einer noch nicht klassifizierten CED (DD: Morbus Crohn) sollten ebenfalls das Sigma/Rektum erhalten werden. Erst der endgültige histopathologische Befund verschafft Klarheit, woraufhin das weitere Vorgehen festgelegt wird (Ileosigmoideo-/rektostomie bei M. Crohn vs. Restkoloproktektomie bei Bestätigung der Colitis ulcerosa).

3.13.2 Dringliche Operationen (therapierefraktäre Blutung, toxisches Megakolon, therapierefraktäre toxische fulminante Kolitis)

  • Transfusionsbedarf > 4 Erythrozytenkonzentrate / 24 h.

  • Kolondurchmesser im Transversumbereich > 6 cm in der Abdomenübersicht.

  • Die toxische fulminante Kolitis ist ein akuter schwerer Schub mit systemischer Beteiligung, der lebensbedrohlich sein kann (Aktivitätsindex).

    • Die Therapie der toxischen und fulminanten Kolitis nach Ausschluss einer Perforation oder eines septischen Organversagens ist multimodal und interdisziplinär (medikamentös und operativ):

      • Prognostische Einstufung sowohl klinisch-laborchemisch (Aktivitätsindex nach Truelove-Witts, Tab. 21.9; Colitis Activity Index nach Rachmilewitz, Tab. 21.10) als auch endoskopisch (Ausmaß des Kolonbefalls/Pankolitis, Vorhandensein tiefer Schleimhautulzerationen mit/ohne Freilegung der Muscularis).

        Tab. 21.9 Truelove-Witts-Index
        Tab. 21.10 Colitis Activity-Index für Colitis ulcerosa nach Rachmilewitz (CAI)
      • Schubtherapie auf der Intensivstation: Nahrungskarenz, totale parenterale Ernährung, hochdosierte Steroidtherapie mit 1–1,5 mg Prednisolonäquivalent/kg/d, bei Kontraindikationen kann primär Cyclosporin A 2–4 mg/kg/d für 72 h verabreicht werden, dann Reevaluierung.

    • Wenn sowohl klinisch als auch endoskopisch nach 72 h keine Besserung eintritt, wird die OP-Indikation gestellt: hier 3-zeitiges Verfahren indiziert.

Die Anti-TNF-Antikörper-Therapie mit Infliximab kann zwar bei steroidrefraktärem fulminantem Schub die Notfallkolektomierate senken, reduziert aber nicht die Langzeitkolektomierate.

3.13.3 Elektive Indikationen

  • Absolute Indikationen:

    • Therapierefraktäre/-abhängige CU:

      • Als therapierefraktär einzustufen ist eine CU, bei der unter hochdosierter Langzeitsteroidtherapie bzw. immunsuppressiver Therapie sowohl klinisch als auch endoskopisch keine langfristig andauernde Remission erreicht wird.

      • Als therapieabhängig gilt eine CU, bei der sich die Erkrankung zwar unter einer Hochdosis-Steroidtherapie bzw. immunsuppressiver Therapie bessert, aber bei jeder Dosisreduzierung wieder aufflammt und der Patient auf Langzeit mit den Nebenwirkungen der systemischen Therapien belastet wird.

      • Operation: Bei laufender Hochdosis-Steroidtherapie sollte 3-zeitig mit Sigmaschleimfistel vorgegangen werden. Bei manchen Patienten, bei denen die Steroidtherapie bereits ausgeschlichen ist (selten der Fall), kann auch 2-zeitig vorgegangen werden. Die Mukosektomie ist hier nicht systematisch durchzuführen.

Das 2-zeitige Vorgehen sollte nicht unter einer Steroiddosis von > 20 mg/d erfolgen, da ansonsten das postoperative Komplikationsrisiko signifikant höher ist. Ein Eingriff unter Immunsuppressiva (z. B. Azathioprin) hingegen erhöht die Komplikationsrate nicht.

  • Hochgradige intraepitheliale Neoplasien (IEN), gesichertes Karzinom:

    • Falls sich im Rahmen einer Verlaufsendoskopie bei den systematischen Stufenbiopsien eine durch einen unabhängigen externen Pathologen festgestellte hochgradige IEN oder ein Karzinom vorliegt, muss ebenfalls die OP-Indikation gestellt werden. Bei diesen Indikationen ist immer eine Mukosektomie zu empfehlen, da das Entartungsrisiko im verbleibenden Schleimhaut-Cuff hoch ist. Eine Besonderheit stellen die polypoiden Dysplasien bei der CU dar (Dysplasien in erhabener Schleimhaut). Sie werden klassischerweise in DALM („dysplasia associated lesion or mass“) und ALM („adenoma-like mass“) unterteilt. DALMs entstehen auf dem Boden der chronischen Entzündung, haben ein hohes Karzinomrisiko und stellen eine Indikation zur Kolektomie dar. Sporadische Adenome entstehen im Rahmen der bekannten Adenom-Karzinom-Sequenz und sind mittels einer endoskopischen Abtragung ausreichend therapiert. In letzter Zeit wurden „adenoma-like DALMs“ abgegrenzt, die trotz Entstehung auf dem Boden einer CU eine überlappende Morphologie zu den sporadischen Adenomen zeigen. Adenomähnliche DALMs scheinen ein deutlich geringeres Entartungsrisiko als klassische DALMs zu haben und können deswegen ähnlich den sporadischen Adenomen durch eine endoskopische Abtragung und Überwachung adäquat therapiert werden. Vorausgesetzt, es liegen keine Dysplasien im Restkolon vor und die endoskopische Resektion erfolgte im Gesunden.

    • Bei einem Karzinomnachweis muss je nach Tumorlokalisation onkologisch reseziert werden, dies birgt wenig Probleme bei einem linksseitigen Karzinom, jedoch bei einer rechtsseitigen Lokalisation kann es aufgrund der Lymphadenektomie im AMS-Stromgebiet (Opferung der ileocolischen Gefäße) dazu führen, dass das Herablassen des Pouches zur analen Anastomose wegen mangelnder Mesolänge problematisch werden kann. In diesen Fällen kann man gezwungen sein, ein endständiges Ileostoma anzulegen.

    • Bei einer rektalen Entartung muss bei einem endosonographischem Stadium > uT2uN0 neoadjuvant vorbehandelt werden. Je nach Lokalisation zum Schließmuskel ist dann eine TME mit/ohne Sphinktererhalt indiziert. Auch nach tiefer anteriorer Rektumresektion kann eine IPAA angelegt werden.

    • Ein cT4-Rektumkarzinom oder eine präoperative Inkontinenz gelten als Kontraindikation einer IPAA.

    • Daten über eine IPAA nach intersphinkterer Rektumresektion liegen nicht vor. Vermutlich sind aber schlechtere funktionelle Ergebnisse zu erwarten.

Bei einem Karzinomnachweis muss ohne Rücksichtnahme auf die Möglichkeit einer IPAA onkologisch reseziert werden.

  • Relative Indikationen:

    • Niedriggradige IEN: Bei Nachweis einer niedriggradigen IEN in flacher Mukosa durch einen externen Referenzpathologen ist sowohl die Proktokolektomie als auch die endoskopische Kontrolle mit Biopsie in 3 Monaten vertretbar. Falls zum Biopsiezeitpunkt keine Entzündungsfreiheit vorlag, sollte eine antiinflammatorische Therapie vor der Re-Biopsie erfolgen.

    • Risikofaktoren für ein CU-assoziiertes Karzinom: vorhandene PSC, langer Krankheitsverlauf (> 10 Jahre) mit steigendem Entartungsrisiko (unabhängig von etwaigen Dysplasien).

    • Chronischer Verlauf mit häufigen Krankenhausaufenthalten, langen krankheitsbedingten Berufsausfällen und eingeschränkter Lebensqualität (geht meist mit der Therapieresistenz bzw. -abhängigkeit einher).

3.14 Postoperative pouchspezifische Komplikationen und funktionelle Ergebnisse

  • Morbidität nach IPAA: 40 %

  • Mortalität nach IPAA < 1 %

  • Frühkomplikationen:

    • Pouchnekrose (< 1 %): in den ersten Tagen. Therapie: Pouchresektion, endständiges Ileostoma

    • Pelvine septische Komplikationen (pouch related septic complications, PRSC): Hierzu zählen Nahtinsuffizienzen des Pouches und Anastomoseninsuffizienzen der IPAA. Bei vorgeschaltetem Stoma, meistens konservativ therapierbar, ggf. Abszessentlastung.

  • Spätkomplikationen:

    • Chronische vom Pouch bzw. von der Anastomose ausgehende Fisteln (5–10 %); DD: M. Crohn!

    • Anastomosenstenose (10–20 %) (Anastomosendurchmesse < 10 mm): Man unterscheidet zwischen einem kurzstreckigen engen Schleimhautring, der durch 1–2 Bougierungen behoben werden kann, und der langstreckigen Striktur durch Vernarbung des perianastomotischen Weichteilgewebes (Restbefund nach PRSC), die deutlich schwieriger zu therapieren ist. Jede Stenose muss vor der Rückverlegung behoben werden.

    • Pouchitis: Hauptkomplikation nach IPAA (Risiko, in den ersten 2 Jahren nach IPAA eine Pouchitis zu entwickeln, liegt bei 30 %)

      • Definition: Entzündung der Mukosa im Bereich des Ileumpouches

      • Klinik: Erhöhte Stuhlfrequenz, UB- und Defäkationsschmerz, peranale Blut- und Schleimabgänge, Fieber, Leukozytose

      • Endoskopie: Pouchschleimhaut breitflächig ödematös, gerötet, ulzeriert, vulnerabel mit Kontaktblutungen. Gesunde Schleimhautabschnitte kommen auch vor.

      • Histologie: im Akutstadium entzündliche granulozytäre Infiltrate mit Kryptenabszessen, Erosionen und Ulzerationen bis zur Zottenatrophie bei chronischem Verlauf

      • Therapie der akuten Pouchitis: Antibiotika (Metronidazol oder Ciprofloxacin) für 1–2 Wochen

      • Die Therapie der chronischen (> 3 Monate) oder rezidivierenden Pouchitis ist komplexer: Therapiespektrum von Steroidtherapie bzw. Immusuppression mit oder ohne temporäres Ileostoma bis Pouchresektion als Ultima Ratio. Orale Gabe von VSL#3 (Probiotika) als Remissionserhalt möglich

    • Ileumpouchkarzinom: selten, Inzidenz nach Stapler-Anastomose nicht höher als nach Mukosektomie

    • Cuffitis: Entzündung in verbliebener Schleimhaut-Manschette nach Stapler-Anastomose

  • Langzeitergebnisse:

    • In den ersten 2 Jahren nach Stomarückverlegung bessern sich die funktionellen Ergebnisse. Danach gibt es keine wesentlichen Veränderungen mehr:

      • Stuhlfrequenz: als gutes Ergebnis gilt eine Stuhlfrequenz von 4- bis 5-mal tagsüber/1- bis 2-mal nachts. Eine Rolle spielt hier u. a. mit der Zeit die Vergrößerung des Pouchvolumens von 150 auf 300–350 ml, aber auch die Pouch-Compliance (Elastizität). Eine medikamentöse Reduzierung der Stuhlfrequenz kann durch Verabreichung von Loperamid (bis 16 mg/d) erreicht werden.

      • Kontinenz: 73 % der Patienten komplett kontinent, 90 % der Patienten tagsüber kontinent, 25 % nachts Stuhlschmieren (eine rezidivierende Pouchitis verschlechtert das funktionelle Ergebnis).

3.15 Leitlinien

Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS): www.leitlinien.net

European Crohn and Colitis Organisation (ECCO) (www.ecoo-ibd.org)

American Gastroenterology Association (AFGA) (www.gastro.org)

Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH): keine Leitlinie

S3-Leitlinien: Aktualisierte Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa 2011

4 Seltene, nicht erregerbedingte entzündliche Darmerkrankungen: ischämische Kolitis, radiogene Kolitis, lymphozytäre Kolitis, kollagene Kolitis, Diversionskolitis

Autor

Gastroenterologie: A. Tromm

4.1 Hinweise aus der Anamnese

  • Vorangegangene Darmoperation mit Ausschaltung eines Darmabschnittes: Diversionskolitis

  • Vorangegangene Radiatio: radiogene Kolitis

  • Multifokaler Gefäßbefall (z. B. koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusserkrankung): ischämische Kolitis

4.2 Ischämische Kolitis

4.2.1 Ätiopathogenese

  • Multifokale Gefäßerkrankung

  • Bei jüngeren Patienten Einfluss vasokonstruktiver Substanzen (Kokain, amphetamin- und ergotaminhaltige Medikamente)

4.2.2 Klinik und Diagnostik

  • Leitsymptome: abdominelle Schmerzen, Durchfälle und Blutungen

  • Endoskopie: segmentale Entzündung mit makroskopisch sichtbaren Ulzera

  • Histologie: zur Sicherung der Diagnose

  • Angiographie: nur im Einzelfall zur Abgrenzung eines akuten Gefäßverschlusses bei Mesenterialinfarkt

  • Differenzialdiagnose: chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa), NSAR-bedingte Kolitis (American Gastroenterological Association 2000, Brandt und Boley 2000)

4.2.3 Therapie und Prognose

  • Meist Spontanheilung

  • Operative Therapie bei begleitender Peritonitis oder endoskopisch nicht stillbarer Blutung

4.3 Radiogene Kolitis

4.3.1 Akute Auswirkungen der Strahlentherapie

  • Tag 1 bis Tag 90 nach Beginn der Strahlentherapie

  • Ätiopathogenese: Strahlenempfindlichkeit des Epithels aufgrund des hohen Turnovers der Zellen

  • Klinik: Enteritis mit Diarrhöen, Übelkeit, Brechreiz

  • Die akuten Nebenwirkungen der Strahlentherapie sind klinisch führend

  • Therapie: Loperamid, Tinctura opii

4.3.2 Chronische Strahlenfolgen

  • Später als Tag 90 nach Beginn der Strahlentherapie

  • Ätiopathogenese: Fibrosierung des Gewebes mit Beeinträchtigung der Gefäße

  • Folgeschäden:

    • Obstruktion

    • Schleimhautschäden mit Ulzera und Blutung

    • transmurale Veränderungen und Fistelbildung

  • Diagnostik:

    • Endoskopie

    • Biopsien

    • Computertomographie und Kernspintomographie

  • Therapie: oft schwierig (Kountouras und Zavos 2008)

    • Oft Präparate zur Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (Mesalazin, Steroide) (Qadeer und Vargo 2008)

4.4 Mikroskopische Kolitis

4.4.1 Definition und Symptomatik

  • Oberbegriff für kollagene Kolitis und lymphozytäre Kolitis

  • Gemeinsames klinisches Leitsymptom ist die chronisch-wässrige Diarrhö

  • Gewichtsabnahme bei einem relevanten Teil der Patienten (verändertes Essverhalten mit dem Ziel, die Stuhlfrequenz zu verringern)

4.4.2 Epidemiologie und Ätiopathogenese

  • Häufigkeit beider Erkrankungen zusammen etwa wie diejenige der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen

  • Epidemiologische Untersuchungen der MAYO-Klinik belegen eine Zunahme der Erkrankungshäufigkeit in den vergangenen 10 Jahren

  • Assoziation zum weiblichen Geschlecht

  • Ätiologie unklar; mögliche Faktoren sind:

    • vermehrter Gebrauch von nichtsteroidalen Antirheumatika

    • darmpathogene Keime (Yersinien) mit erhöhter Permeabilität der Darmschleimhaut (Antikörpernachweis!)

    • Rauchen

4.4.3 Diagnostik

  • Zuordnung durch histopathologische Merkmale

  • Kollagene Kolitis: Nachweis des charakteristischen Kollagenbandes in der subepithelialen Stromazone, lymphozytäres Infiltrat

  • Lymphozytäre Kolitis: kein Kollagenband, Vermehrung der intraepithelialen Lymphozyten

4.4.4 Therapie und Prognose der kollagenen Kolitis

  • Akuttherapie: Mittel der Wahl ist Budenosid (Chande et al. 2009), number needed to treat: 2

  • Empfohlene Tagesdosis: 9 mg

  • Hohe Rückfallrate nach 6–8 Wochen

  • Therapie nach Rückfall: zwei multizentrische, placebokontrollierte Langzeitstudien (Bonderup et al. 2009; Miehlke et al. 2009) belegen die Effektivität von 6 mg Budenosid gegen Placebo über 6 Monate

4.4.5 Therapie der lymphozytären Kolitis

  • Akuttherapie: bei der Gabe von 9 mg Budenosid wurde eine Ansprechrate von 86 % erzielt (Miehlke et al. 2008).

  • Andere Therapieversuche umfassen die symptomatische Gabe von Colestyramin und Loperamid, ferner wurden Salicylate und systemische Steroide eingesetzt.

4.5 Diversionskolitis

  • Ursache ist die bakterielle Überwucherung ausgeschalteter Darmabschnitte.

  • Diagnostik: anamnestische Hinweise auf durchgeführte Operation und ausgeschaltetes Darmsegment.

  • Therapie:

    • Gabe von Antibiotika und kurzkettigen Fettsäuren (Kiely et al. 2001)

    • Meist operative Umwandlung mit Wiederherstellung der Passage

5 Divertikelkrankheit des Dickdarms: Divertikulose, Divertikulitis

Autoren

Gastroenterologie: J. F. Erckenbrecht

Viszeralchirurgie: S. Jonas

5.1 Definitionen

  • Divertikulose : Hernierungen der Dickdarmschleimhaut nach außen durch Lücken in der Muskelschicht des Darms, bei der Mehrzahl der betroffenen Personen asymptomatisch

  • Divertikelkrankheit : mit Symptomen (meist linksseitiger Unterbauchschmerz) einhergehende Divertikulose

  • Divertikulitis : Divertikelkrankheit und zusätzlich Nachweis einer peridivertikulitischen Entzündung

5.2 Epidemiologie

  • Die Prävalenz der Divertikulose, der Divertikelkrankheit und der Divertikulitis des Dickdarms nimmt seit Jahren zu (Beispiel: Anzahl der Krankenhausbehandlungen wegen Divertikulitis 2000–2005: + 50 %). Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen.

  • Inzidenz der Divertikulitis: etwa 100 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr.

  • Die meisten Patienten mit Divertikulose-assoziierten Erkrankungen können ambulant behandelt werden. Komplizierte Verläufe einer Divertikulitis mit stationärem Krankenhausaufenthalt nur bei 1–5 % der Patienten mit Divertikulose (Abb. 21.8).

    Abb. 21.8
    figure 8

    Epidemiologie der Divertikulose . Nur wenige Patienten (12 /1000 Patienten) mit Divertikulose erleiden eine komplizierte Divertikulitis

  • Etwa 30 % aller stationären Krankenhauspatienten mit Divertikulitis werden operiert.

  • Krankenhausletalität zwischen 1,0 und 1,5 %.

  • Divertikulose und Divertikulitis sind Alterserkrankungen

    • Prävalenz der Dickdarmdivertikulose bei Menschen über 60 Jahren 60–80 %.

    • Stationäre Krankenhausaufnahmen wegen Divertikulitis vor dem 45. Lebensjahr sind eine Rarität. Zwei Drittel der Erkrankungsfälle treten jenseits des 65. Lebensjahrs auf.

5.3 Pathogenese

5.3.1 Divertikelbildung

  • Lücken in der Längsmuskelschicht des Darms infolge der dort penetrierenden Gefäße zur Versorgung der Submukosa

  • Alterungsprozesse mit Elastizitätsverlust der Darmwand

  • Motilitätsstörungen mit Bildung von separierten Sigmasegmenten mit erhöhtem intraluminalem Druck

5.3.2 Divertikulitis

  • Transmurale, nekrotisierende Entzündung bei Stase des Darminhalts und bakterielle Überwucherung im Divertikel

  • Mikroperforationen der im Bereich der Divertikel ausgedünnten Dickdarmwand

  • Parakolische Entzündung (Phlegmone) und/oder Perforation (meist zunächst durch entzündliche Umgebungsreaktion gedeckt) mit oder ohne Ausbildung eines parakolischen Abszesses

5.3.3 Weitere Komplikationen

  • Stenosierung des Dickdarmlumens (durch rezidivierende Entzündung und nachfolgend narbige Schrumpfung)

  • Fistelbildung (durch Einbeziehung umgebender Organe in den Entzündungsprozess)

  • Freie Perforation eines parakolischen Abszesses, der sich meist zunächst ausbildet, in die Bauchhöhle mit nachfolgender eitriger oder kotiger Peritonitis

5.4 Klinik

5.4.1 Symptomatische Divertikelkrankheit

  • Charakteristisch: linksseitiger Unterbauchschmerz

  • Sigma im linken Unterbauch meist als walzenförmige, druckschmerzhafte Resistenz tastbar

5.4.2 Divertikulitis

  • Charakteristische Zeichen:

    • linksseitiger Unterbauchschmerz

    • Fieber und/oder laborchemische Entzündungszeichen (BSG-Beschleunigung, Leukozytose, CRP-Erhöhung)

    • (fakultativ) tastbare Resistenz im linken Unterbauch

  • Lokale peritonitische Zeichen weisen auf eine komplizierte Divertikulitis hin: parakolische Phlegmone, (gedeckte) Perforation

Bei der klinischen Untersuchung ist zu beachten, dass bei einigen Patienten das entzündlich veränderte Colon sigmoideum auch im mittleren oder gar im rechten Unterbauch lokalisiert sein kann.

5.4.3 Dickdarmdivertikulose als Ursache für eine untere gastrointestinale Blutung

  • Bei etwa 10 % aller Patienten mit Divertikulose

  • Etwa 40–60 % aller unteren gastrointestinalen Blutungen stammen aus Dickdarmdivertikeln durch Ruptur der durch Divertikel elongierten Gefäße

  • Blutung abrupt, mitunter massiv (1/3), meist schmerzlos

  • Auftreten meist ohne gleichzeitig bestehende Divertikulitis

  • Bei etwa 80 % spontanes Sistieren der Blutung

  • Rezidive häufig (etwa 25 %)

  • Risiko für Divertikelblutungen: Alter, NSAR

5.5 Apparative Diagnostik

5.5.1 Sonographie und Computertomographie

  • Ziele der Anwendung

    • Bestätigung der Verdachtsdiagnose

    • Stadienzuordnung

    • Darstellung des Ausmaßes eventueller Komplikationen

    • Grober Ausschluss anderer Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik (z. B. perforiertes Kolonkarzinom)

  • Sensitivität der Sonographie für die Diagnose einer Divertikulitis: etwa 90 %

  • Sensitivität der CT für die Diagnose einer Divertikulitis: etwa 95 %

Die CT ist für die Diagnose von Komplikationen der Divertikulitis (z. B. gedeckte Perforation oder Abszedierung) besser geeignet (Sensitivität nahe 100 %) als die Sonographie. Daher ist die CT diagnostisches Verfahren der Wahl bei der Stadienzuordnung der akuten Divertikulitis und damit Grundlage für eine stadiengerechte Therapie.

5.5.2 Koloskopie

  • Trägt wenig zur Diagnostik bei klinisch vermuteter akuter Divertikulitis bei (Sensitivität deutlich geringer als bei Sonographie oder CT)

  • Bei der akuten Divertikulitis erhöhtes Komplikationsrisiko wahrscheinlich

  • Daher erst nach Abklingen der Entzündung zum Ausschluss eines Kolonkarzinoms notwendig

Ein Kolonkontrasteinlauf ist bei Verdacht auf eine Divertikulose oder Divertikulitis wegen der Komplikationsgefahr kontraindiziert.

5.5.3 Vorgehen bei unterer gastrointestinaler Blutung als mögliche Folge einer Dickdarmdivertikulose

  • Koloskopie (Angiographie)

  • Auch bei Nachweis einer Dickdarmdivertikulose andere Blutungsquellen durchaus möglich

  • Nachweis der definitiven Blutungsquelle häufig schwierig, weil endoskopisch keine guten Sichtverhältnisse vorliegen und ein angiographischer Nachweis einer Blutungsquelle nur bei intensiven Blutungen (> 1–2 ml/min) gelingt

5.6 Pathologie

  • Da es sich bei der Divertikulitis um einen überwiegend parakolisch lokalisierten Entzündungsprozess handelt, sind in der Regel der makroskopische Befund bei der Koloskopie und der mikroskopische Befund der entnommenen Biopsien unauffällig.

5.7 Differenzialdiagnose

5.7.1 Linksseitiger, nichtfebriler Unterbauchschmerz

  • Reizdarmsyndrom

  • Linksseitiges Kolonkarzinom

  • Bei Frauen linksseitige Ovarialerkrankungen

5.7.2 Febriler linksseitiger Unterbauchschmerz

  • Komplizierte Karzinomerkrankung des Dickdarms

  • Entzündliche Dickdarmerkrankungen (z. B. M. Crohn, ischämische Kolitis)

  • Entzündliche Adnexerkrankungen

  • Harnwegsinfektion bei Urolithiasis

5.8 Stadieneinteilung

  • In Deutschland ist die Klassifikation nach Hansen und Stock (Tab. 21.11), im angloamerikanischen Schrifttum die nach Hinchey (Tab. 21.12) am gebräuchlichsten.

    Tab. 21.11 Stadieneinteilungen der Divertikulitis nach Hansen und Stock (Hansen und Stock 1999)
    Tab. 21.12 Stadieneinteilungen der Divertikulitis nach Hinchey
  • Empfehlung einer neuen Klassifikation durch die Leitlinienkonferenz (Leifeld et al. 2014; Tab. 21.13): CDD-Klassifikation (CDD: Classification of diverticular disease); Vorteile: Differenzierung von akuter unkomplizierter Divertikelkrankheit/Divertikulitis, von Mikroperforation/Makroperforation und von chronisch rezidivierenden (rekurrierenden) Verläufen.

    Tab. 21.13 CDD-Klassifikation der Divertikulitis/Divertikelkrankheit gemäß der Leitlinienkommission 2014 (CDD: Classification of diverticular disease)
  • Bei allen Klassifikationen handelt es sich nicht um Stadieneinteilungen, bei denen im Sinne einer progredienten Erkrankung ein Durchlaufen der einzelnen Stadien bis zum höchsten Stadium zwangsläufig auftreten würde.

5.9 Prognosefaktoren

  • Komplikationsträchtiger Verlauf bei

    • Immunsuppression (Steroidtherapie, onkologische Erkrankung, medikamentöse Tumortherapie)

    • Einnahme von NSAR oder Paracetamol

  • Ein jüngeres Lebensalter scheint sich als Risikofaktor eher nicht zu bestätigen

5.10 Prävention

  • Primärprävention einer symptomatischen Divertikelkrankheit oder eines Schubes einer Divertikulitis:

    • ballaststoffreiche Kost, körperliche Aktivität, geringer Fettanteil in der Nahrung, Vermeiden von Übergewicht, Verzicht auf Nikotinkonsum, Meiden einer NSAR-Therapie

    • allerdings geringe Evidenz für diese Empfehlungen

  • Eine wirksame (diätetische) Sekundärprophylaxe ist bisher nicht bekannt.

5.11 Therapieindikationen (Abb. 21.9)

Abb. 21.9
figure 9

Stadiengerechte Therapie der Divertikelkrankheit des Dickdarms

Eine zufällig durch ein bildgebendes Verfahren (Sonographie, Endoskopie, CT) entdeckte asymptomatische Divertikulose ist nicht therapiebedürftig.

5.11.1 Symptomatische, nicht entzündliche Divertikelkrankheit

5.11.1.1 Konservative Therapie
  • Verminderung des Ballaststoffgehalts der Nahrung (verminderte Füllung des Kolons führt zu einem verminderten Druck auf die Kolonwand)

  • Spasmolytika (akut: Butylscopolamin 10–20 mg als Suppositorium oder oral; chronisch: Mebeverin 2-mal 200 mg als Retardpräparat)

5.11.2 Unkomplizierte akute Divertikulitis (CDD-Typ 1)

5.11.2.1 Konservative Therapie
  • Primär konservative Therapie

  • Ambulante Behandlung unter engmaschiger ärztlicher Kontrolle: Patienten ohne Fieber, ohne Leukozytose, ohne Abwehrspannung, ohne Stuhlverhalt, ohne Hinweis auf Perforation oder komplizierte Divertikulitis (CDD-Typ 1a und 1b) in der Bildgebung; lediglich gering erhöhtes CRP; adäquate Compliance, orale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme

  • Antibiotikatherapie bei Patienten mit Risikoindikatoren für einen komplizierten Verlauf: arterielle Hypertonie, chronische Nierenerkrankungen, Immunsuppression, allergische Disposition

  • Nichtantibiotische Therapie mit ballaststoffarmer Kost und Spasmolytika nur bei sehr leichter Erkrankung ohne Komorbiditäten ausreichend; evtl. Mesalazin (3-mal 1000 mg/d)

  • Antibiotische Therapie (z. B. Ciprofloxacin 2-mal 500 mg oral)

  • Erfolgsrate der konservativen Therapie: nahezu 100 %; aber: Operation mit aufgeschobener Dringlichkeit bei Nichtansprechen einer adäquaten konservativen Therapie (s. u.)

5.11.2.2 Prognose
  • In der Regel keine Operationsindikation; Ausnahmen: Patienten mit erhöhtem Rezidiv- und/oder Komplikationsrisiko und/oder erhöhter Mortalität (z. B. Z. n. Transplantation, Immunsuppression, chronisch-systemische Glukokortikoide, Kollagenosen, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz oder chronisch-obstruktive Lungenerkrankung)

  • Wegen des gutartigen Verlaufs grundsätzlich keine Indikation zur Intervall-Operation

  • Jährliches Rezidivrisiko nach unkomplizierter akuter Divertikulitis: etwa 2 %

  • Operation nur bei wenigen Patienten (3–5 %) im weiteren Verlauf notwendig

5.11.2.3 Operative Therapie

Der CDD-Typ 1b kann Patienten mit geringer entzündlicher Exsudation im Mesokolon umfassen, aber auch Patienten mit Mikroabszessen oder zunächst nicht erkannter, gedeckter perforierter Divertikulitis.

  • Operationsindikation abhängig vom Verlauf unter konservativer Therapie

  • Keine deutliche Besserung nach 48 h konservativer Therapie: dringliche Operationsindikation

  • Deutliche Besserung nach 48 h konservativer Therapie, aber keine Beschwerdefreiheit nach etwa 1 Woche: frühelektive oder elektive Operationsindikation (frühelektive OP: OP, die innerhalb von 48 h vorgenommen werden sollte; elektive OP: OP, die definitionsgemäß mehr als 72 h aufgeschoben werden kann; Notfalloperation: OP, die unverzüglich durchgeführt werden muss; dringliche OP: OP, die innerhalb eines definierten kurzen Zeitraums (24 h) vollzogen werden sollte)

5.11.3 Komplizierte Divertikulitis (CDD-Typ 2a [Mikroabszess] und CDD-Typ 2b [Makroabszess])

5.11.3.1 Konservative Therapie
  • Stationäre Behandlung

  • Antibiotische Therapie: in der Regel parenteral

  • Empirisch wirksame Antibiotika-Kombinationen: Ciprofloxacin/Metronidazol, Mezlocillin/Metronidazol oder Piperacillin/Tazobactam

  • Grundsätzlich orale Nahrungskarenz, aber orale Nahrungszufuhr in Abhängigkeit von der klinischen Situation möglich

  • Parenterale Substitution von Flüssigkeit und Elektrolyten bei mangelhafter oraler Trinkmenge

  • Ggf. auch spasmolytische und analgetische Behandlung (Butylscopolamin, Novaminsulfon)

  • Gedeckte divertikulitische Perforation und umschriebene Abszessbildung: sonographisch oder computertomographisch gesteuerte interventionelle Drainage, falls dies aufgrund der Größe (> 4 cm) notwendig und aufgrund der Lokalisation des Abszesses möglich ist, insbesondere bei retroperitonealen und parakolischen Abszessen; Versagen der perkutanen Drainage: 15–30 %, Morbidität: 5 %

  • Kleine, nicht sicher punktierbare Abszesse: alleinige konservative Therapie unter täglicher Kontrolle von Klinik und Entzündungswerten (CRP, Leukozyten)

  • Erfolgsrate der konservativen Therapie: etwa 80 %; bei Patienten mit erfolgreich behandelter komplizierter Divertikulitis (Makroperforation, Abszess) sollte die Operation im entzündungsfreien Intervall empfohlen werden

  • Unterschiedliche Empfehlungen für das entzündungsfreie Intervall bis zur Operation: 4–6 Wochen (Reissfelder et al. 2006) bzw. 6–8 Wochen (American Society of Colon and Rectal Surgeons: Rafferty J et al., 2006)

5.11.3.2 Operative Therapie
  • Abszesse, die nicht interventionell drainierbar sind: dringliche Operation, d. h. Operation innerhalb von 24 h.

  • Fehlendes klinisches Ansprechen auf eine konservative Therapie innerhalb von 72 h: dringliche Operation.

  • Deutliche Besserung zu Beginn der konservativen Therapie, aber keine Beschwerdefreiheit nach etwa 1 Woche: frühelektive oder elektive Operationsindikation.

  • Patienten mit erfolgreich behandelter komplizierter Divertikulitis (Abszess, Makroperforation) sollte die Operation im entzündungsfreien Intervall empfohlen werden.

  • Ob in allen Fällen, insbesondere bei älteren, multimorbiden Patienten mit erhöhtem Operationsrisiko, nach Abklingen der akuten Entzündungserkrankung als Sekundärprophylaxe eine Operation mit Entfernung des betroffenen Dickdarmsegments zu erfolgen hat, unterliegt einer individuellen interdisziplinären Entscheidung.

5.11.4 Komplizierte Divertikulitis mit freier Perforation und eitriger oder kotiger Peritonitis (CDD-Typ 2c)

  • Patienten mit freier Perforation und Peritonitis bei akut komplizierter Divertikulitis sollten unmittelbar nach Diagnosestellung operiert werden (Notfalloperation).

5.11.5 Chronisch rezidivierende Divertikulitis, Stenose, Fistel (CDD-Typ 3)

  • Fisteln bei chronisch-komplizierter Divertikulitis: elektive Operationsindikation.

  • Fisteln zu Harnblase (Risiko einer Urosepsis), anderen Darmsegmenten, Haut oder Vagina (insbesondere nach Hysterektomie).

  • Stenose: dringliche, frühelektive oder elektive Operationsindikation bei klinischer Relevanz und je nach klinischem Befund; eine der häufigsten elektiven Operationsindikationen im Rahmen einer Divertikelkrankheit.

  • Eine postdivertikulitische Stenose ist dann klinisch relevant, wenn sie zu einer behandlungsbedürftigen Behinderung der Stuhlpassage führt.

  • Chronisch rezidivierende, unkomplizierte Divertikulitis (CDD-Typ 3b): Operationsindikation nur nach sorgfältiger individueller Nutzen-Risiko-Abwägung (Operationsrisiko, Ausmaß der strukturellen Dickdarmveränderungen nach rezidivierenden Divertikulitiden, Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf einer erneuten Divertikulitis, persönliche Lebenssituation – z. B. als Vielreisender).

  • Eine generelle elektive Intervalloperation in Abhängigkeit von der Anzahl der vorausgegangenen entzündlichen Schübe ist nicht gerechtfertigt.

  • Die Notwendigkeit einer Notfalloperation ist beim Rezidiv geringer als beim ersten Schub; geringere Mortalität und Morbidität beim Rezidiv.

  • Die ehemals bestehende Empfehlung zur Resektion nach dem 2. Schub ist verlassen worden.

  • Rezidive werden wiederum entsprechend der oben genannten Risikofaktoren (Abschn. 21.5.11) und stadiengerecht, d. h. wie ein erster Schub, behandelt.

  • Die Mehrzahl der schweren oder gar tödlichen Verläufe scheint während des ersten Divertikulitisschubs aufzutreten; weitere Divertikulitisschübe scheinen auch aufgrund zunehmender Vernarbungen mit einer signifikant niedrigeren Morbidität und Letalität verbunden zu sein; Problem: retrospektiv bei einer kleinen Fallzahl erhobene Daten mit entsprechend geringem Evidenzgrad (Chapman et al. 20052006).

  • Laufende randomisierte Studie: DIRECT-Trial (van de Wall et al. 2010): konservative Therapie versus laparoskopische Sigmaresektion bei persistierenden abdominellen Beschwerden nach einer Divertikulitisepisode und/oder 3 oder mehr Rezidiven innerhalb von 2 Jahren.

5.11.6 Dickdarmdivertikulose als Ursache für eine untere gastrointestinale Blutung (CDD-Typ 4)

  • Stationäre Aufnahme.

  • 80 % der Divertikelblutungen sistieren spontan: keine Operationsindikation; Chance des Sistierens abhängig von der Blutungsintensität: 0 % ab einem Transfusionsbedarf von 6 EK/d.

  • Endoskopische Blutstillung.

  • Bei fehlender Möglichkeit zu einer endoskopischen Blutstillung und rezidivierenden bedrohlichen Blutungen: Durchführung einer Angiographie mit Embolisation.

  • In allen anderen Fällen mit anhaltender Blutung oder bei klinisch relevantem Blutungsrezidiv: dringliche Operationsindikation; Lokalisationsdiagnostik zum Zeitpunkt der vermuteten aktiven Blutung; Operationsverfahren: in der Regel Dickdarmteilresektion, d. h. Sigmaresektion bei Blutungsquelle im Colon sigmoideum.

  • Rezidivierende, klinisch relevante Divertikelblutungen (z. B. Hb-Abfall > 2 g/dl, Schock) ohne Option der konservativen Risikosenkung: frühelektive Operationsindikation bei bekannter Blutungslokalisation nach individueller Nutzen-Risiko-Bewertung.

  • Lokalisationsdiagnostik: Notfallendoskopie als Maßnahme der ersten Wahl; Spiral-CT erhöht die Treffsicherheit der Koloskopie; ansonsten Angiographie (exakteste Blutungslokalisation bei entsprechend starker Blutungsintensität: 0,5 ml/min); CT-Angiographie (Spezifität und Sensitivität: 85 % bzw. 89 %); die Leitlinie nennt auch die im klinischen Alltag kaum angewandte Szintigraphie.

  • Sehr seltene nicht lokalisierbare Blutung: evtl. subtotale Kolektomie mit Ileorektostomie; intraoperativer Ausschluss einer Blutung aus dem Dünndarm (in unklaren Fällen ggf. Anlage von Loop-Ileostomata).

5.12 Prinzipien der chirurgischen Therapie

5.12.1 Verfahrenswahl bei der elektiven Sigmaresektion

  • Die laparoskopische bzw. laparoskopisch-assistierte Operation ist der offenen Resektion vorzuziehen, sofern nicht triftige Gründe dagegen sprechen.

  • Anlage einer spannungsfreien, gut durchbluteten und dichten Anastomose; sofern hierzu die Mobilisation der linken Flexur erforderlich ist, soll diese erfolgen; Stapler- und Handnahtanastomose gleichwertig.

  • Empfohlener Erhalt der A. mesenterica inferior, auch wenn die Datenlage unbefriedigend ist; höhere Rate von Anastomoseninsuffizienzen bei zentraler Ligatur in der einzigen prospektiv randomisierten Studie (Tocchi et al. 2001).

  • Vorteile laparoskopischer Operation: geringere Rate lokaler Komplikationen, insbesondere von Wundinfektionen, Fasziendeshiszenzen, intraabdominellen Abszessen, postoperativem Ileus; bessere Lebensqualität.

  • Nachteil: längere Operationszeit.

  • Single-Port-, NOS- und NOTES-Techniken: dokumentierte Machbarkeit; Bedeutung dieser Techniken im Vergleich mit laparoskopischen Techniken derzeit noch unklar.

5.12.2 Verfahrenswahl bei gedeckt perforierter Sigmadivertikulitis

  • Operationsziel: Fokussanierung, Rezidivprophylaxe (Abschn. 21.5.12)

  • Notfallversorgung: Sigmaresektion oder (laparoskopische) Drainage mit guten Ergebnissen

  • Bei entsprechender Erfahrung laparoskopische Operation auch bei perforierter Sigmadivertikulitis

5.12.3 Verfahrenswahl bei perforierter Sigmadivertikulitis

  • Primäre Resektion und Anastomose als Verfahren der Wahl auch bei komplizierter Sigmadivertikulitis.

  • Ggf. mit Vorschaltung eines Ileostomas; Empfehlung eigentlich nur für Risikopatienten, aber vermutlich immer sinnvoll, wenn die Bedingungen nicht optimal sind.

  • Septische und instabile Patienten mit erschwerter Mobilisation der linken Flexur: Diskontinuitätsresektion nach Hartmann kann durchgeführt werden (mit Anlage eines Descendostoma und distalem Blindverschluss).

  • Diskontinuitätsresektion nach Hartmann: Möglichst keine Mobilisation der linken Kolonflexur im Rahmen des Primäreingriffs, um die spannungsfreie Reanastomosierung bei der Rückverlagerung zu erleichtern.

  • Laparoskopisches Vorgehen auch möglich bei Stomarückverlagerung nach Diskontinuitätsresektion nach Hartmann:

    • frühestens 3 Monate nach dem Primäreingriff; im Durchschnitt nach 9 Monaten

    • großzügige Konversion bei unzureichender Übersicht

    • evtl. präoperative Harnleiterschienung links in Abhängigkeit vom Vorbefund oder Stauungszeichen

  • Problem der Diskontinuitätsresektion nach Hartmann: Ein großer Teil der Patienten behält lebenslang das Stoma, da keine Hartmann-Wiederanschlussoperation durchgeführt wird (Vermeulen et al. 2009).

  • Randomisierter Vergleich von primärer Resektion mit Anastomose versus Hartmann-OP bei freier Perforation (Tab. 21.14; Oberkofler et al. 2012): 75 % der Studienpatienten litten an einer CDD-Typ 2c1/Hinchey III und 25 % der Patienten an einer CDD-Typ 2c2/Hinchey IV.

    Tab. 21.14 Randomisierter Vergleich von primärer Resektion mit Anastomose versus Hartmann-OP bei freier Perforation. (Nach Oberkofler et al. 2012)
  • CDD-Typ 2c1/Hinchey III (perforierte Divertikulitis mit eitriger Peritonitis): Laparoskopische Peritoneallavage und Drainage ohne Resektion als alternative Therapiestrategie; bislang bei inadäquater Datenlage noch keine diesbezügliche Empfehlung der Leitlinienkommission, aber der Hinweis auf vielversprechende Daten mit Rechtfertigung der individuellen Anwendung; beachtenswert geringe Letalität von nur 0,25–4 % (Myers et al. 2008; Afshar et al. 2012).

  • Bislang keine prospektiv randomisierten Studien zu diesem Vorgehen, aber 2 rekrutierende randomisierte Studien: skandinavische DILALA-Studie (laparoskopische Lavage versus Diskontinuitätsresektion nach Hartmann; Thornell et al. 2011); holländische LADIES-Studie (laparoskopische Lavage und Drainage versus Resektion mit weiterer Randomisierung zur Sigmaresektion mit oder ohne Wiederherstellung der Kontinuität; Swank et al. 2010).

5.12.4 Rezidivdivertikulitis nach Sigmaresektion

  • Häufigkeit: 2,7–9,6 %; 18,6 % nach konservativer Therapie, 6,1 % nach Operation.

  • Behandlung nach den gleichen Regeln wie bei Patienten mit Divertikelkrankheit ohne vorangegangene Sigmaresektion.

  • Wichtigster Risikofaktor: inadäquates Resektionsausmaß nach aboral. Die Anastomose sollte im oberen Rektumdrittel liegen und es darf kein Sigmaanteil belassen werden.

  • Rezidivprophylaxe bei der Erstoperation: Resektion der Hochdruckzone im rektosigmoidalen Übergangsbereich (Absetzung des Resektates in der Regel im oberen Rektum, d. h. unterhalb der peritonealen Umschlagsfalte und unterhalb des Promontoriums); der orale Absetzungsrand sollte in jedem Fall proximal chronisch oder akut entzündlich veränderter Wandabschnitte in gesundem Darm gewählt werden; keine zwingende Resektion aller divertikeltragenden Darmabschnitte, aber der anastomosierte Bezirk selbst muss aus Gründen der Anastomosensicherheit frei von Divertikeln sein.

5.12.5 Stadienabhängige Letalität der Sigmadivertikulitis

CDD-Typ 1

< 1 %

CDD-Typ 2a/b

< 1–3 %

CDD-Typ 2c1/2c2

< 1–24 %

5.13 Leitlinien

Leifeld L, Germer CT, Böhm S, Dumoulin FL, Häuser W, Kreis M, Labenz J, Lembcke B, Post S, Reinshagen M, Ritz M, Sauerbruch T, Wedel T, von Rahden B, Kruis W (2014) S2k-Leitlinie Divertikelkrankheit/Divertikulitis. Z Gastroenterol 52:663–710

6 Appendizitis

Autoren

Viszeralchirurgie: L. Mirow, P. Hildebrand

6.1 Definition

  • Bei der Appendizitis liegt eine Entzündung der Appendix vermiformis (Wurmfortsatz) vor. Die Erkrankung stellt auch heute noch in vielen Regionen der Erde die häufigste Ursache eines akuten Abdomens dar. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Appendizitis als Ursache für die akute, damals oft tödlich verlaufende Bauchfellentzündung identifiziert. Die erste erfolgreiche Entfernung der Appendix bei akuter Peritonitis gelang 1889 (Schüller).

6.2 Epidemiologie

  • Inzidenz:

    • Ca. 7 % der Bevölkerung erkranken an Appendizitis, Inzidenz abnehmend.

    • Die Letalität bei perforierter Appendizitis beträgt ca. 3 ‰.

    • Altersgipfel beim männlichen Geschlecht zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr, beim weiblichen Geschlecht zwischen dem 15. und 19. Lebensjahr.

6.3 Pathogenese

  • Prädisponierender Faktor ist in 70 % der Fälle ein Verschluss des Appendixlumens durch Kotsteine, Fremdkörper, Adhäsionen von außen oder durch Parasiten. Es resultiert eine Stase des Mukosasekretes, welche zur Gewebehypoxie führt und die Wand der Appendix schädigt. Andere Ursachen sind enterogene Infektionen, z. B. durch Enterokokken. Außerdem kommt eine hämatogene Entstehung durch Einwanderung pathogener Keime in die appendikulären Lymphfollikel bei Tonsillitis, Scharlach oder Masern vor.

6.4 Lagevarianten

  • In ca. 65 % der Fälle ist der Wurmfortsatz retrozäkal gelegen und nach kranial hochgeschlagen.

  • Nur in etwa 30 % der Fälle ragt die Appendix frei in die Bauchhöhle mit Nachbarschaft zu anderen Organen (Uterus und Adnexe).

6.5 Formen der Appendizitis (Entzündungsstadien)

  • Katharalische Appendizitis

    • Mildeste und häufigste Form, kann spontan abklingen

  • Phlegmonöse Appendizitis

    • Bei weiterem Fortschreiten der Entzündung diffuse entzündliche Infiltration der Organwand

  • Gangränöse (nekrotisierende) Appendizitis

  • Abszedierende Appendizitis

    • Bei Überschreiten der natürlichen Organgrenzen und folgender Einschmelzung

6.6 Klinik

  • Leitsymptom:

    • Abdominalschmerz, oft kolikartig im Epigastrium einsetzend, dann innerhalb von Stunden in den rechten Unterbauch wandernd

  • Weitere Symptome:

    • Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Wind- und Stuhlverhalt, selten Durchfall

    • Fieber (axillär-rektale Temperaturdifferenz von 0,8–1,0 °C)

6.7 Diagnostik

6.7.1 Anamnese

  • Bei typischer Anamnese ist oft eine Eingrenzung der Differenzialdiagnosen möglich, um eine zielgerichtete weiterführende Diagnostik einzuleiten.

6.7.2 Klinische Untersuchung

  • Die klinische Untersuchung umfasst Inspektion, Auskultation und Palpation und ist Voraussetzung für die Entscheidung über die notwendige weitere Diagnostik.

  • Tabelle 21.15 führt die bei der klinischen Untersuchung für die Diagnose wegweisenden Druckpunkte auf.

    Tab. 21.15 Klinische Druckpunkte bei der akuten Appendizitis

Eine Perforation kann oft zunächst mit einer gewissen Schmerzreduktion einhergehen. Der Allgemeinzustand verschlechtert sich danach allmählich, und es entwickeln sich die typischen peritonitischen Symptome.

6.8 Apparative Untersuchungen

  • Sonographie:

    • In der Regel entzündlich verdickte Darmwand, pathologisch veränderte Appendix häufig als sog. Kokarde nachweisbar. Gelegentlich parazäkale Flüssigkeitsansammlung (periappendizitischer Abszess, gedeckte Perforation)

  • Laboruntersuchungen:

    • Häufig Leukozytose über 10.000 mit Linksverschiebung, aber nicht obligat

    • CRP-Erhöhung, ebenfalls nicht obligat

6.9 Besonderheiten

  • Alte Patienten:

    • Schlaffe Bauchdecken, Indolenz

  • Schwangere:

    • Hochstand der Appendix

  • Kinder:

    • Insbesondere bei Kleinkindern auch Bauchschmerzen aus anderen Gründen möglich

    • Schmerz nur mangelhaft lokalisierbar

6.10 Differenzialdiagnosen

  • Prinzipiell kann die Appendizitis, besonders aufgrund der Lagevarianten, jede andere akute Erkrankung der Bauchhöhle vortäuschen!

  • Die häufigsten Differenzialdiagnosen sind in Tab. 21.16 aufgeführt.

    Tab. 21.16 Differenzialdiagnosen der akuten Appendizitis

6.11 Therapie

  • Therapie der Wahl ist die Appendektomie. Sie kann entweder laparoskopisch oder konventionell vorgenommen werden.

  • Bei der laparoskopischen Appendektomie ist der Verschluss des Appendixstumpfes mittels Linear-Stapler oder mittels Röderschlinge möglich. Der Zugangsweg der Wahl bei der konventionellen Appendektomie ist der Wechselschnitt nach Mc Burney.

  • Bei jungen Frauen und bei jeglichem Zweifel an der Diagnose ist die Laparoskopie zu bevorzugen, einerseits aus diagnostischen Gründen, andererseits zur Verminderung von Adhäsionen mit Sekundärfolgen. Neuerdings ist auch eine Single-Incision-Appendektomie möglich.

6.11.1 Ablauf der laparoskopischen Appendektomie

  • Rückenlagerung, Allgemeinanästhesie

  • Perioperative Antibiotikagabe

  • Hautdesinfektion

  • Infraumbilikale Hautinzision und offenes Einbringen des 10-mm-Optiktrokars

  • Explorative Laparoskopie („Rundblick“)

  • Einbringen der Arbeitstrokare (10/12 mm im linken Unterbauch, 5 mm im rechten Unterbauch)

  • Durchtrennung des Mesenteriolum und somit der A. appendicularis (Endarterie) mit Stapler, Clip oder mittels Koagulation

  • Absetzen der Appendix vermiformis an der Basis mit dem Stapler oder nach Setzen von Appendixclips

  • Bergen des Wurmfortsatzes im Bergebeutel und Abgabe zur histologischen Untersuchung

  • Sorgfältige Spülung des Abdomens und des kleines Beckens mit physiologischer Kochsalzlösung und Kontrolle auf Bluttrockenheit

  • Platzierung einer Easy-Flow-Drainage

  • Entfernung der Trokare unter Sicht

  • Faszienverschluss im Bereich der 10/12-mm-Inzisionen

  • Hautnaht

  • Steriler Verband

6.12 Komplikationen

  • Freie Perforation mit konsekutiver Peritonitis (Kap. 6)

  • Gedeckte Perforation mit Abszessbildung (perityphlitischer Abszess)

  • Retrozäkaler Abszess

  • Douglas-Abszess

6.13 Postoperative Komplikationen

  • Wundinfektionen, Bauchdeckenabszess, Douglas-Abszess

7 Zöliakie

Autor

Gastroenterologie: W. Caspary

7.1 Definition

  • Beim Erwachsenen auch Sprue

  • Dünndarmkrankheit mit

    • mukosaler Entzündung

    • Zottenatrophie

    • Kryptenhyperplasie der Dünndarmschleimhaut

  • Lebenslange Überempfindlichkeit auf Klebereiweiß Gluten (Protein in Weizenprodukten)

  • Besserung in der Regel nach Elimination von Gluten in der Nahrung

  • Klassische Form

    • Malabsorption für fast alle Nahrungsbestandteile

    • Gewichtsverlust

7.2 Epidemiologie

  • Prävalenz

    • Früher in den meisten europäischen Ländern 1 / 3000–1 / 300 Einwohner

    • Nach Einführung der Antikörperdiagnostik bei 1 / 100–1 / 300 Einwohnern sowohl in den USA als auch in Europa

    • Gehäuftes Vorkommen bei Zwillingen und diabetischen Kindern

    • Antikörpertestung in den USA: bei 13.165 Blutspendern Zöliakie-positive Testung

      • 1 / 22 bei Verwandten 1. Grades

      • 1 / 39 bei Verwandten 2. Grades

      • 1 / 56 bei symptomatischen Patienten

      • 1 / 133 bei Patienten ohne Risiko

    • Bestätigung für das im Vergleich zu früher falsch niedrig geschätzte häufige Vorkommen der Zöliakie

    • 70 % der Patienten weiblich

    • Gehäuftes Vorkommen bei HLA-DQ2 and/oder HLA-DQ8

    • Nicht selten Assoziation mit anderen Krankheiten

Zöliakie – Assoziation mit anderen Krankheiten

  • Dermatitis herpetiformis Duhring

    • 90 % der Patienten mit DHD und dem granulären Muster der IgA-Ablagerungen

    • 10 % der Patienten mit dem linearen Muster haben eine Sprue/Zöliakie

  • Diabetes mellitus Typ I

    • Prävalenz der Zöliakie beträgt 4–5 %

  • Down-Syndrom

  • Selektiver IgA-Mangel

  • Autoimmune Schilddrüsenerkrankungen

  • Autoimmune Kollagenosen

    • Rheumatoide Arthritis

    • Epilepsie mit zerebralen Verkalkungen

    • Primär biliäre Zirrhose (PBC)

    • Primär sklerosierende Cholangitis (PSC)

    • IgA-Nephropathie

    • Mikroskopische Kolitis

7.3 Ätiologie und Pathogenese

  • Reaktion der Dünndarmmukosa durch eine inadäquate T-Zell-vermittelte Immunreaktion auf Gluten und Gliadin (in Getreide enthaltene großmolekulare Proteine)

  • Bei genetisch prädisponierten Patienten mit einer hyperregeneratorischen Schleimhautumformung imponierend durch Zottenschwund und Kryptenhyperplasie

  • Besonders toxisch: 33mer des α-Gliadins

    • Keine Spaltung durch Peptidasen bei Zöliakiepatienten an der Bürstensaummembran der Dünndarmmukosa

  • Nach dem Eindringen Modifikation der toxischen Gliadinpeptide durch die Gewebstransglutaminase (t-TG)

  • HLA-DQ2-vermittelte T-Zellaktivierung

Aus diesen neuen pathogenetischen Erkenntnissen ergeben sich neue Therapiemöglichkeiten, die sich momentan weltweit in Erprobung befinden: Prolylendopeptidasen, die im Darmlumen die toxischen Gliadine verdauen und unschädlich machen sollen.

7.4 Klinik

  • Bei der klassischen Zöliakie typisches Malabsorptionssyndrom

    • Massiver Durchfall

    • Steatorrhö

    • Aufgeblähtes Abdomen (Meteorismus)

    • Gewichtsverlust

  • Durchfälle bei der Zöliakie bedingt durch

    • Resorptionsstörung (Malabsorption)

    • Gesteigerte Netto-Sekretion von Wasser und Elektrolyten durch die erhöht permeable Dünndarmmukosa

  • Immer häufiger oligosymptomatische Formen der Zöliakie entdeckt

    • Kein Vollbild der globalen Malabsorption

    • Nur Folgen einzelner Resorptionsdefekte im Vordergrund

      • Erniedrigtes Serumeisen

      • Eisenmangelanämie

      • Knochenschmerzen mit Kompressionsfrakturen oder sog. Milkman-Frakturen durch Osteomalazie

Bei fast allen Patienten mit dem Vollbild der Zöliakie besteht eine Laktoseintoleranz.

Zöliakie – Klinische Befunde

  • Auszehrung

    • Gewichtsverlust, Muskelschwund

    • Lockere Hautfalten, Hypotonie

  • Uhrglasnägel

  • Ödeme

  • Hyperkeratosen, Ekchymosen, Cheilosis, Glossitis

  • Tympanitisches und protuberantes Abdomen

  • Zeichen peripherer Neuropathie

  • Hyperpathie, Ataxie

  • Positiver Chvostek oder Trousseau

7.5 Klassifikation

  • Die klassische Zöliakie ist nur die Spitze des Eisbergs bei der Zöliakie (Abb. 21.10), d. h., sie äußert sich mit klinischen Symptomen. Die eher symptomarmen Verlaufsmöglichkeiten sind wie folgt aufgeführt:

    Abb. 21.10
    figure 10

    Der Eisberg der Zöliakie

    • Klassische Zöliakie: Klinisches Vollbild mit Durchfällen, Gewichtsverlust, Malabsorption.

    • Atypische Verläufe: Gastrointestinale Symptome können fehlen. Dermatitis herpetiformis Duhring, Eisenmangelanämie (häufigstes Symptom beim Erwachsenen), Osteoporose, Hepatopathie (Transaminasenerhöhungen), Arthritis.

    • Asymptomatische (stumme) Zöliakie: Patienten mit positivem tTG-Antikörpertest und pathologischer Biopsie, jedoch ohne Krankheitssymptome.

    • Potenzielle Zöliakie: Patienten mit positiven Antikörpertests, normaler Dünndarmschleimhaut, ohne Krankheitssymptome.

    • Transiente Zöliakie: Ca. 5 % von Patienten mit Zöliakie im jugendlichen Alter vertragen später eine normale Kost ohne Schleimhautumformung.

  • Zum Spektrum der klinischen Manifestation der Zöliakie nach Häufigkeit, Assoziation und Komplikationen siehe Tab. 21.17.

    Tab. 21.17 Das Spektrum der klinischen Manifestation bei der Zöliakie

7.6 Diagnostik

7.6.1 Dünndarmfunktionstests

  • Wichtige Hinweise auf das Vorliegen einer Malabsorption bei Zöliakie durch Laborparameter aus der Routinediagnostik (Tab. 21.18)

    Tab. 21.18 Malabsorption bei Zöliakie – Hinweise aus der Routinediagnostik (↓ erniedrigt; ↑ erhöht)
  • Nachweis einer Malabsorption durch Funktionstests D-Xylose-, Laktosetoleranz- oder H2-Atemtests und der Stuhlfettbestimmung

  • Resorptionstests: Differenzierung unterschiedlicher Ausprägungen der Funktionseinschränkung, jedoch kein Beweis für das Vorliegen einer Zöliakie

7.6.2 Serologie

  • Antikörperdiagnostik auf Gewebs-Transglutaminase (IgA-t-TG) sowie Endomysium (IgA-EMA)

  • Sehr hoher diagnostischer Stellenwert (Sensitivität 95–98 %, Spezifität 95 % für IgA-t-TG)

  • Immer auch Mitbestimmung des Serum-IgA, da IgA-Mangel bei der Zöliakie in bis zu 5 % der Fälle und damit falsch-negative IgA-Antikörpertests

  • Bei gleichzeitig bestehendem IgA-Mangel

    • Versagen der serologischen Tests

    • Evtl. Aussage noch möglich mit anti-IgG-t-TG oder mit einem neuen Test: Antikörper gegen deamidiertes Gliadin Peptid (IgG- oder IgA-DGP)

  • Ausschluss der Zöliakie durch fehlende HLA-DQ2 und/oder HLA-DQ8

7.6.2.1 Wer sollte auf Zöliakie mit Antikörpertest untersucht werden?
  • Aufgrund der Häufigkeit der Zöliakie von 1 : 100 und der bekannten Assoziationen Empfehlung zur Antikörpertestung bei folgenden Krankheiten und Symptomen:

    • Chronische Diarrhö

    • Wachstumsverzögerung bei Kindern

    • Unklare gastrointestinale Symptome inkl. Übelkeit und Erbrechen

    • Prolongierte Müdigkeit (Fatigue-Syndrom)

    • Rezidivierende Bauchschmerzen, Krämpfe, Blähbauch

    • Unklarer Gewichtsverlust

    • Unklare Eisenmangelanämie

    • Unklare Transaminasenerhöhungen

    • Autoimmunthyreoiditis

    • Dermatitis herpetiformis Duhring

    • Reizdarmsyndrom

    • Patienten, die Verwandte 1. Grades mit Zöliakie oder Diabetes Typ 1 haben

    • Patienten mit anderen Autoimmunerkrankungen

7.6.3 Endoskopie und Histologie

  • Bei positivem Antikörpertest Sicherung der Diagnose

    • Endoskopisch durch eine Gastroduodenoskopie und

    • histologisch durch mindestens vier Biopsien aus dem mittleren oder unteren Duodenum

  • Charakteristisches Aussehen der Dünndarmschleimhaut

    • Kaum oder überhaupt nicht mehr nachweisbare Zotten

    • Elongierte Krypten

    • Schleimhaut des Jejunums ähnelt der des Kolons (= Kolonisation der Dünndarmmukosa)

    • Verplumpte Epithelzellen

    • Zottenschwund bei bloßer Betrachtung mit der Lupe schon im Bioptat erkennbar (Stereomikroskopie)

    • Schleimhautveränderungen im proximalen Dünndarm ausgeprägter als im Ileum

    • Immer erhöhte Anzahl der intraepithelialen Lymphozyten (IEL) bei einer Zöliakie

    • Ausmaß der Schleimhautveränderungen nach den modifizierten Marsh-Kriterien (Abb. 21.11)

      Abb. 21.11
      figure 11

      Zöliakie – Modifizierte Marsh-Kriterien

Vom Pathologen muss man verlangen, dass er eine Dünndarmbiopsie nach den Marsh-Kriterien beurteilt. Die endgültige Diagnose der Zöliakie ist in der Kombination der Antikörperdiagnostik und der Dünndarmhistologie zu stellen, da das histologische Bild der Dünndarmbiopsie nicht unbedingt spezifisch für die Zöliakie ist. Sind anti-tTG-Antikörper positiv und die Biopsie nach den Marsh-Kriterien pathologisch, ist die Zöliakie gesichert. Sind Antikörper negativ und Biopsie normal, ist die Zöliakie sicher ausgeschlossen. Problematischer ist die diagnostische Situation bei positivem Antikörpertest und normaler Biopsie sowie bei negativem Antikörpertest und pathologischer Histologie (Tab. 21.19).

Tab. 21.19 Klinische Möglichkeiten der Diagnostik auf Zöliakie mit Histologie und Antikörperdiagnostik
  • Auftreten von Osteoporose oder Osteomalazie nicht selten bei Zöliakie, daher initial

    • Bestimmung von Calcium im Serum, alkalische Phosphatase, 25-Hydroxycolecalciferol und Parathormon

    • Knochendichtemessung (Dual Energy X-ray Absorptiometry, DEXA-Scan, oder quantitative Computertomographie, QCT)

7.6.4 Diagnostik bei Patienten unter glutenfreier Diät

  • Häufiges diagnostisches Problem

  • Antikörper möglicherweise bei Zöliakiepatienten unter glutenfreier Diät negativ bei wieder normaler Histologie

  • Zur Diagnose der Zöliakie

    • Glutenbelastung mit ca. 10 g Gluten (in 4 Scheiben Brot enthalten) pro Tag über 2–4 Wochen

    • Antikörperbelastung und Biopsie

    • Ausschluss von Zöliakie durch das Fehlen von HLA-DQ2 und/oder -DQ8

7.7 Kollagensprue

  • Sonderform der Zöliakie

  • Verdickungen der Basalmembran und Kollagenablagerungen in der Lamina propria

  • Therapieresistenz gegenüber einer glutenfreien Diät

  • Ungünstige Prognose

Drei Kriterien sollten für die Diagnostik der Zöliakie erfüllt sein:

  1. 1.

    Nachweis einer Malabsorption,

  2. 2.

    abnorme Dünndarmmukosa mit Zottenschwund und Kryptenhyperplasie,

  3. 3.

    klinische, biochemische und histologische Besserung nach Einhalten einer strikten glutenfreien Diät.

7.8 Differenzialdiagnose

  • Differenzialdiagnose

  • Zöliakieähnliche Dünndarmhistologie – insbesondere bei negativem Antikörpertest – nicht unbedingt beweisend für eine Zöliakie

Differenzialdiagnose der Zöliakie – andere Krankheiten mit zöliakieähnlicher Histologie

  • Bakterielle Überbesiedlung

  • Morbus Crohn

  • Kuhmilchintoleranz (bei Kindern)

  • Eosinophile Gastroenteritis

  • Lambliasis

  • Maligne Lymphome

  • Peptische Duodenitis

  • Postenteritisch

  • Topische Sprue

  • Zollinger-Ellison-Syndrom

  • Common variable immunodeficieny (CVID)

  • Autoimmunenteropathie

  • AIDS-Enteropathie

7.9 Therapie

  • Entsprechend dem Verursacherprinzip: Therapie durch Einhaltung einer lebenslänglichen strikt glutenfreien Diät.

Keine Produkte aus Weizen, Gerste und Roggen!

  • Erlaubt sind: Mais, Reis und Hirse.

  • Hafer kann erlaubt werden, wenn sichergestellt ist, dass dieser während des Mahlvorgangs nicht mit anderen Mehlen kontaminiert worden ist.

  • Insbesondere ist darauf zu achten, dass man glutenfreie Fertigprodukte verwendet.

  • Gefährdung des Therapieerfolgs schon durch geringe Mengen an Gluten.

Selbsthilfeorganisation

Patienten sollten sich der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG; Kupferstraße 36, 70565 Stuttgart, info@dzg-online.de, www.dzg-online.de) anschließen. Von dort erhalten Ärzte oder Patienten aktuelle Informationen zur Diät und Bezugsquellen für glutenfreie Produkte.

  • Bei erheblichen Vitamin- und Mineralmangelzuständen im Initialstadium Substitution von fettlöslichen Vitaminen (A, D, E, K), wasserlöslichen Vitaminen, Calcium und Eisen auf parenteralem Wege.

  • Beim Vollbild der Sprue fast immer ein Laktasemangel, sodass auch Milch und Milchprodukte zu eliminieren sind.

  • Bessere Verträglichkeit von Milchprodukten später nach Wiederaufbau der Zottenarchitektur.

Fertignahrungsmittel, die Gluten enthalten können

  • Bouillonwürfel

  • Dosensuppen

  • Ketchup

  • Käseaufstrich

  • Chips und Dips

  • Schokoladenmischungen

  • Dosenwurst

  • Fleischsoßen (Soja, Worcestershire)

  • Senf

  • Erdnussbutter

  • Dosenfleisch und -geflügel

  • Salatdressings

  • Suppenmischungen

  • Tomatensauce

  • Würstchen (Wiener etc.)

  • Joghurt mit Früchten

7.10 Chirurgische Therapie

  • Chirurgische Intervention bei Zöliakie nur in Ausnahmefällen und bei Komplikationen z. B.

    • bei der sehr seltenen ulzerösen Jejunoileitis (Darmsegmentresektion)

    • bei refraktärer Zöliakie

    • bei Diagnostik eines malignen T-Zell-Lymphoms (meist Segmentresektion notwendig wegen oft gleichzeitiger Darmstenose)

Auch auf chirurgischen Stationen sollten Patienten mit Zöliakie, die wegen anderer Krankheiten operiert werden, postoperativ weiter eine glutenfreie Diät erhalten.

7.11 Prognose

  • Therapieerfolge in der Regel bei 85 % der Zöliakiepatienten unter strikt glutenfreier Diät

  • Meist schon innerhalb von 1–2 Wochen, aber selten auch erst nach Wochen oder Monaten

  • Persistieren der Veränderungen der Dünndarmmukosa oft länger als die klinischen Symptome oder die Einschränkung der Resorptionsparameter

  • Reduktion des Risikos der Entwicklung maligner Lymphome, das bei Patienten mit Zöliakie 5-fach erhöht ist, durch strikte Einhaltung einer glutenfreien Diät

  • Allgemeines Krebsrisiko jedoch nur um 30 % erhöht

  • Risikoreduktion für ein Mammakarzinom bei der Zöliakie sogar um > 50 %

Spricht ein Patient mit Zöliakie nicht auf eine glutenfreie Diät an, sollte man an andere Möglichkeiten oder Komplikationen denken:

  • Die Diagnose war nicht korrekt

  • Diätfehler (häufigste Ursache!) – auch Saucen, Suppen, Fertigprodukte können Gluten enthalten!

  • Zusätzliche Erkrankungen, z. B. Pankreasinsuffizienz

  • Therapierefraktäre Zöliakie (spricht auf Kortikosteroide an)

  • Ulzerationen des Jejunum oder Ileums

  • Persistierender Laktasemangel mit Laktoseintoleranz

  • Kollagen-Sprue (Sonderform: Verdickung der Basalmembran und Kollagenablagerungen in der Lamina propria mit ungünstiger Prognose)

  • Autoimmun-Enteropathie (Biopsie wie bei Zöliakie, Antikörper aber negativ)

  • Mikroskopische Kolitis

  • Entwicklung eines intestinalen malignen T-Zell-Lymphoms

7.11.1 Refraktäre Zöliakie (RCD)

  • Kein Ansprechen einiger Patienten auf eine glutenfreie Diät

  • In erster Linie Fahnden nach Diätfehlern

  • Möglicherweise auch eine refraktäre Zöliakie (RCD) – Einteilung in zwei immunologische Kategorien:

    • Typ 1 RCD mit normaler Population intraepithelialer Lymphozyten

    • Typ 2 RCD mit aberranten oder prämalignen intraepithelialen Lymphozyten, aus denen sich nicht selten ein enteropathie-assoziiertes T-Zell-Lymphom entwickeln kann.

  • Therapie

    • Behandlung der RCD mit Prednison oder Budesonid

    • Prognose für Typ 1 erheblich günstiger als für Typ 2

    • Beim Typ 2 möglicherweise auch als Sonderform die Kollagensprue (Verdickungen der Basalmembran und Kollagenablagerungen in der Lamina propria)

    • Therapieresistenz gegenüber glutenfreien Diät und ungünstige Prognose

7.11.2 Dermatitis herpetiformis Duhring

  • Hautkrankheit Dermatitis herpetiformis Duhring (DHD) häufig verbunden mit einem Zöliakie-Syndrom

  • Bei DHD Auftreten von papulo-vesikulären Eruptionen, meist symmetrisch an Ellbogen, Knien, Gesäß, Sacrum, Gesicht, Hals, Stamm und gelegentlich im Mund

  • Symptome: Juckreiz und Brennen, Sistieren nach Ruptur der Bläschen

  • Beginn mit kleiner roter Macula → Papula → Bläschen (Vesikel), nach Aufkratzen → Ruptur → verbleibende Pigmentierung und Narbe

  • Diagnosesicherung durch Nachweis von granulären IgA-Ablagerungen in der Haut, nicht durch Vesikel befallen

Besserung der intestinalen Symptomatik, der Hautsymptome und Einsparung von Medikamenten bei der Behandlung der Hautsymptome (Dapsone®) durch glutenfreie Diät

8 Nahrungsmittelallergien

Autoren

Gastroenterologie: J. Stein

8.1 Definition

  • Nahrungsmittelallergien (NMA) sind als Erkrankungen definiert, die durch immunologisch vermittelte, abnormale entzündliche Reaktionen auf Nahrungsmittelproteine zustande kommen. Sie müssen von nichtimmunologisch vermittelten Nahrungsmittelunverträglichkeiten (z. B. Pseudoallergien, Enzymdefekten wie Laktoseintoleranz etc.) abgegrenzt werden (Abb. 21.12).

    Abb. 21.12
    figure 12

    Klassifikation von Nahrungsmittelunverträglichkeiten nach zugrunde liegenden Mechanismen. (Mod. nach Johannson et al. 2001 und DGE 2004)

8.2 Epidemiologie

  • Die Prävalenz der NMA beträgt bei Kindern 4–8 % (Asien: 13,1 %) bei Erwachsenen 1–2 % (Asien: 22,3 %). Dagegen klagen bis zu 20 % der Erwachsenen in westlichen Ländern über Nahrungsmittelunverträglichkeiten (NMU).

  • Analog zur Entwicklung respiratorischer allergischer Erkrankungen findet sich eine Zunahme der NMA. Konkrete Zahlen liegen nur für die Erdnussallergie vor.

  • Häufigkeit Frauen zu Männer (1,4 : 1,7).

  • 90 % der NMA werden durch 10 Nahrungsmittelsorten ausgelöst (Top 5: Haselnuss, Apfel, Erdnuss, Sellerie, Walnuss).

  • Vor allem bei Kindern je nach Allergen unterschiedliche Abnahme der Relativität mit dem Alter (Schäfer 2008).

8.3 Pathogenese

  • Basisdefekt (Brandtzaeg 2010): Störung der mukosalen Homöostase mit nachfolgender Störung der immunologischen Tolerenz gegen exogene (Nahrungsmittel) und endogene (kommensale Flora) Antigene.

8.3.1 Risikofaktoren

  • Verzögerte bzw. unzureichende Entwicklung des protektiven IgA-Systems innerhalb des „gut- associated lymphoid tissue“ (GALT) in der Postnatalphase

  • Verlust der intestinalen immunologischen Toleranz („Hygienetheorie“): Protektiver Effekt einer ausreichenden Exposition mit bakteriellem Lipopolysaccharid (LPS) in den ersten Lebensjahren

  • Störung der intestinalen Barriere (Epithel, Defensine) durch verzögerte Ausbildung (Kinder), Antibiotika (?), Infektionen (?)

  • Durch Polymorphismen bedingter „Th2-Switch“ von naiven Lymphozyten mit der IL-4- und IL-13-vermittelten lokalen Bildung von IgE

  • Primäre Nahrungsmittelallergie (v. a. Kinder):

    • Bis 25 % bei Kindern mit atopischer Dermatitis („Neurodermitis“). Vor allem Milch, Ei, Weizen, Soja, Erdnüsse, Fisch (Tab. 21.20). Mit Ausnahme von Erdnuss und Fisch gute Prognose („Herauswachsen“ mit dem Alter)

      Tab. 21.20 Häufige bzw. potenziell lebensbedrohliche Allergenquellen bei Nahrungsmittelallergien im Kindes- und Erwachsenenalter. (Nach Kleine-Tebbe et al. 2009)
  • Sekundäre Nahrungsmittelallergie (v. a. Erwachsene):

    • Vor allem Patienten mit primärer Pollen- oder Hausstaubmilbenallergie → Allergenkreuzreaktion (Tab. 21.21).

      Tab. 21.21 Beispiele für Kreuzreaktionen zwischen Inhalationsallergien und Nahrungsmittelallergien
  • Sonderformen: Anstrengungsinduzierte NMA (Wong und Krishna 2013): allergische Symptome nur in Verbindung mit postprandialer körperlicher Aktivität (häufig bei Weizen, Sellerie, Kuhmilch, Tomaten, Geflügelfleisch). Ursache (Hypothesen): gestörte Temperaturregulation, gesteigerte intestinale Allergieresorption

  • Fleischallergie (Jappe 2012): IgE-Antikörper gegen Zuckerstrukturen (Galactose-α-1,3-Galactose [α-Gal], nur eingeschränkt hitzelabil) auf Zellen und Geweben bei Säugetieren, die Nichtprimaten sind; Sensibilisierungswege: Zeckenstiche (Eiweiße im Speichel der Zecken), Parasitosen (Amöbiasis, Nematoden-/Zestodeninfektionen); im Gegensatz zum klassischen Typ – Allergie protrahiertes Auftreten (3–6 h) → „verzögerte Typ-I-Allergie“ (Freisetzung und Aufnahme erst im Rahmen von Verdauungsprozessen); Cave: Kreuzreaktionen zwischen Rindfleisch und Kuhmilch (Rinderserumalbumin), Cetuximab, einem chimären AK gegen EGF (α-Gal liegt auch auf der Fab-Region)

8.3.2 Immunpathogenese und Reaktionstypen

8.3.2.1 IgE-vermittelte NMA (Typ-I-Sofortreaktion)
  • Verlauf in 3 Phasen (Bischoff 2010):

    1. 1.

      Sensibilisierung (Klinisch stumme Sensibilisierung meist im Kindes- oder Säuglingsalter)

    2. 2.

      IgE-abhängige sofortige (Frühphase) Aktivierung von Mastzellen, Basophilen und proinflammatorischen Mediatiren (Histamin, Proteasen, Leukotrienen) → Freisetzung chomotaltischer Zytokine (TNF-alpha, IL-3, IL-4, IL-5)

    3. 3.

      Infiltration (Spätphase) des Gewebes duch neutrophile und eosinophile Granulozyten sowie Lymphozyten (chronische organzerstörende Phase als Resultat rezidivierender verzögerter Reaktionen)

8.3.2.2 IgE-unabhängige NMA (Typ-II- bis -IV-Reaktion)
  • Typ-II-Reaktionen:

    • Vermittelt durch Oberflächenmoleküle der Erythrozyten (typisch für Kuhmilchallergie, i. d. R. gegen mehrere Kuhmilchproteine)

  • Typ-III-Reaktionen:

    • Vermittelt durch IgG-Immunkomplexe (Stellenwert bei der NMA noch unklar)

  • Typ-IV-Reaktionen:

    • Vermittelt durch allergenspezifische T-Zellen

  • Nahrungsmittelallergene (Tab. 21.21): 10–60 kDa große Proteine oder Glykoproteine (→ kreuzreagierende Kohlenhydratepitope)

  • Besonderheit: hitzeempfindliche Allergene (v. a. baumpollenassoziierte Nahrungsmittel wie z. B. Stein- und Kernobst, die das OAS hervorrufen). Nach ausreichendem Erhitzen Verzehr der Nahrungsmittel problemlos möglich

  • T-Zell-vermittelte Reaktionen von der Hitzeeinwirkung allerdings nicht betroffen, sodass z. B. Exazerbationen bei Patienten mit atopischer Dermatitis auch nach Verzehr zuvor erhitzter kreuzreaktiver Nahrungsmittel möglich (Lepp et al. 2009)

  • Neu (v. a. Südeuropa): hitze- und verdauungsstabile niedermolekulare Lipid-Transferproteine (LTP) als Pan-Allergene in der Familie der Rosaceae (z. B. Pfirsich, Aprikose, Pflaume, Apfel), aber auch in Nüssen, Leguminosen und anderen Nahrungsmittelgruppen. Nicht in Gräser- oder Baumpollen!

8.4 Klinik

  • Das klinische Bild der NMA hängt vom vorliegenden Allergietyp (I–IV) ab oder lokaler Manifestation, Typ des zeitlichen Symptombeginns (sofort: < 2 h, intermediär: 2–24 h, verzögert: > 24 h) sowie intestinalen und/oder extraintestinalen Manifestationen (Tab. 21.22).

    Tab. 21.22 Symptome der Nahrungsmittelallergie

8.4.1 Orales Allergiesyndrom (OAS)

  • Definition: Kontakturtikaria unmittelbar nach Kontakt mit frischem Gemüse, Früchten oder Nüssen, Auftreten von Brennen, Juckreiz, intraorale Rötung und Schwellung bis zum Angioödem der Lippen und Zunge. Ursache sind rohe (hitzelabile) Obst- und Gemüsesorten mit nur milden oropharyngealen Symptomen (wenige Minuten nach dem oder bereits während des Kauens)

  • Ursache: Sequenzhomologien der Pollenallergene zu hitzelabilen Antigenen in Früchten: → Kreuzallergie mit Birken-, Erlen-, Haselpollen: Apfel (50–60 %), Haselnuss (40–60 %), Pfirsich (20–30 %), Kirsche (10–20 %), Karotte (10 %), Soja (10 %) → Kreuzallergie mit Beifußpollen: Sellerie (40 %), Gewürze (10 %), Zerstörung der Antigene bei Erhitzen und Säure → Säfte und Kompott werden vertragen!

8.5 Diagnostik

  • Die allergologische Diagnostik gründet sich immer auf eine präzise Ernährungsanamnese, der Analyse des Symptombildes und der Symptomkinetik, die die Abfolge der weiteren diagnostischen Schritte beeinflusst (Niggemann et al. 2011; Abb. 21.13 u. 21.14).

    Abb. 21.13
    figure 13

    Diagnostisches Repertoire bei allergischen Erkrankungen. (Nach Kleine-Tebbe 2009)

    Abb. 21.14
    figure 14

    Diagnostisches Vorgehen bei NMA. (Nach Kleine-Tebbe et al. 2009)

8.5.1 Stufendiagnostik

  • Ernährungs- und Symptomtagebuch über 2–4 Wochen (Cave: versteckte Allergene!)

  • Labor:

    • Gesamt-IgE und nahrungsmittelspezifisches-IgE im Serum, Methylhistamin im 24-h-Urin, Eosinophilenmarker im Stuhl (z. B. des eosinophilen kationischen Proteins = ECP)

  • Hauttests:

    • Prick-Tests der Haut (Lebensmittelextrakte, Umweltantigene, Schimmelpilze und Gewürze)

    • Prick-zu-Pricktest (native Nahrungsmittel). Pricktest-Lanzette in das Nahrungsmittel, dann mit der gleichen Lanzette in die Haut „geprickt“ (Getreidemehle, Nussmehle, Gewürze werden mit physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt).

      → Hoher negativ-prädiktiver Wert (> 95 %), geringer positiv prädiktiver Wert (< 50 %)

    • Weiterhin: Scratch-Test, Reib-Test, Intrakutan-Test (Tab. 21.23)

      Tab. 21.23 Eignung verschiedener Hauttests bei Nahrungsmittelallergie (Nach Henzgen et al. 2008)

Weder ein positiver Hauttest noch der Nachweis von nahrungsmittelspezifischem IgE oder erhöhten Eosinophilenmarkern sind beweisend für eine NMA. Hauttests und Laborparameter zeigen zunächst lediglich eine Sensibilisierung an.

  • Provokationstests:

    • Goldstandard für den Nachweis einer Nahrungsmittelallergie: doppelblind und placebokontrolliert durchgeführter oraler Provokationstest (DBPCFC)

  • Problematisch: oligo- bis polyvalente IgE-Sensibilisierungen, untypische Symptomatik (v. a. bei chronischen Verläufen), lokale intestinale IgE-vermittelte oder verzögerte Reaktionen bei nicht IgE-vermittelten Allergietypen (II–IV), widersprüchliche Sensibilisierungszeichen

  • Hinweise für verzögerte Nahrungsmittelallergien vom Typ II–IV (Zopf et al. 2009):

    • der nach 24–48 h abgelesene späte positive Hauttest

    • die Bestimmung der C3- und C4-Komplementfaktoren (Verbrauch bei Typ II)

    • Nachweis von Immunkomplexen (IC-IgG,-IgA, -IgM und -IgE; bei Typ III)

    • Cytokinanalyse (Tumornekrosefaktor-α, Interferon; bei Typ IV)

Indikationen zur In-vitro-Diagnostik von Nahrungsmittelallergien (Kleine-Tebbe et al. 2009)

  • Begründeter Verdacht einer IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie

  • Gezielter Ausschluss einer IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie (abhängig von der Allergenquelle und dem Testsystem)

  • Verdacht der Sensibilisierung auf hauttestungeeignete Nahrungsmittel

  • Bedrohliche Reaktionen auf Nahrungsmittelallergenquellen (schweres Asthma oder Kreislaufreaktionen in der Anamnese)

  • Bedingungen, die eine Hauttestung bzw. deren Auswertung nicht zulassen (z. B. Urticaria factitia, generalisierte Hauterkrankung, Gabe von Medikamenten, die das Hauttestergebnis beeinträchtigen)

  • Säuglings- oder Kleinkindalter

IgG4-Antikörper gegen Nahrungsmittel sind nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht als Indikator für krankmachende Vorgänge misszuverstehen, sondern Ausdruck der natürlichen (physiologischen) Immunantwort des Menschen nach wiederholtem Kontakt mit Nahrungsmittelbestandteilen. Daher ist der allergenspezifische Nachweis von IgG- oder IgG4-Antikörpern gegen Nahrungsmittel zur Abklärung und Diagnostik von Nahrungsmittelunverträglichkeiten ungeeignet und strikt abzulehnen.

Es liegen keine gesicherten Hinweise in Form kontrollierter, aussagekräftiger Studien vor, dass ein Nachweis von Serum-IgG- oder -IgG4-Antikörpern gegen Nahrungsmittel einen diagnostischen oder pathologischen Wert besitzt.

Die IgG-Antikörpertests sind demzufolge weniger aufgrund potenzieller technischer Mängel, sondern wegen der irreführenden Interpretation von Testergebnissen abzulehnen, die anschließend als Begründung für ungerechtfertigte und häufig einschneidende Diäten verwendet werden. Sie tragen damit zu erhöhtem Leidensdruck, eingeschränkter Lebensqualität, zur Verunsicherung oder sogar Gefährdung der betroffenen Personen bei (Kleine-Tebbe et al. 2009c).

8.6 Differenzialdiagnosen

  • Entsprechend der Abdominalsymptome:

    • Pseudoallergische Reaktionen

    • Zöliakie

    • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (M. Crohn. Colitis ulcerosa)

    • Kohlenhydratintoleranzen (Laktose, Fruktose, Trehalose)

    • Additiva(= Zusatzstoffe)-Intoleranzen (Glutamat-, Salicylat-, Sulfit-Intoleranz)

    • Eosinophile Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts (s. eosinophile Ösophagitis, eosinophile Gastroenteritis bzw. Colitis)

    • Mastozytosen

    • Histamin-Intoleranz

    • Funktionelle gastrointestinale Störungen (Reizdarmsyndrom)

    • Psychovegetative Störungen

8.7 Prävention

8.7.1 Primärprävention

  • Bei Kindern aus allergisch belasteten Familien mit hohem Atopierisiko empfohlen:

    • Möglichst lange Stillperiode (mindestens 6, besser 12 Monate)

    • Einsatz von hydrolysierter Trinknahrung (wenn nicht gestillt werden kann)

    • Meiden (in den ersten 6 Monaten) bzw. stufenweises Einführen (6.–12. Monat) von Nahrungsmitteln

    • Meiden von Risikonahrungsmitteln wie Nüssen, Ei etc. im ersten Lebensjahr generell

    • Modulation der bakteriellen Darmflora mittels Probiotika

Es konnte gezeigt werden, dass durch Gabe von Präbiotika die Inzidenz allergischer Erkrankungen wie des atopischen Ekzems im Kleinkindesalter halbiert werden kann (Gourbeyre et al. 2011).

8.7.2 Sekundärprävention

  • Hyposensibilisierung (s. c. oder oral). In erster Linie bei mit Pollen kreuzreaktiven Nahrungsmittelallergenen in Form der sublingualen und subkutanen Immuntherapie (Staden et al. 2007)

8.8 Therapie

  • Die therapeutischen Interventionen bei einer Nahrungsmittelallergie (NMA) setzen eine eindeutige Diagnose voraus. Eine Sensibilisierung allein reicht nicht aus, um eine Therapie zu begründen; wichtig ist der Nachweis der klinischen Relevanz (Lepp et al. 2009: LL DGAI).

Erst nachdem die klinische Relevanz einer Nahrungsmittelallergie eindeutig nachgewiesen ist, erfolgt die therapeutische Intervention (LL DGAI 2009).

8.8.1 Eliminationsdiät

  • Wichtigste Therapieform bei Nahrungsmittelallergien ist die allergenspezifische Karenz , die eine exakte Allergenidentifikation voraussetzt (präzise Anamnese; Analyse kutaner, serologischer und intestinaler Sensibilisierungszeichen, Diagnose durch In-vivo- oder Ex-vivo-Provokation).

Nicht selten führen Eliminationsdiäten zu bedenklichen Mangelerscheinungen. Eine Betreuung der Nahrungsmittelallergiker durch erfahrene allergologische Ernährungsfachkräfte ist daher unumgänglich.

8.8.2 Hypoallergene Kostformen

  • Empfohlen bei atopischen Müttern in der Schwangerschaft und Stillzeit (z. B. Aminosäuren-, Oligopeptid- oder Polymerpräparationen). Signifikante Verhinderung der Inzidenz von NMA bei Kindern in vorbelasteten Familien.

8.8.3 Medikamente

  • Bei fehlender Allergenidentifikation bzw. oligo- und polyvalenter Allergie

  • Mastzellstabilisatoren (z. B. Dinatriumcromoglycinsäure). Hemmen auch die IgE-AK-Bildung. Vor allem bei milderen Formen (in Kombination mit Eliminationsdiät bzw. hypoallergener Diät). Erfolgsrate etwa 50 %.

    • H1-Antihistaminika (z. B. Ketotifen, Desoxyloratadin). Nur in der Behandlung des OAS, nicht bei NMA

    • Topische (z. B. Budesonid) oder systemische Steroide (z. B. Prednisolon) bei schweren Verläufen

    • Leukotrienrezeptorantagonisten (z. B. Montelukast)

    • Ggf. Pankreasfermente (→ Proteolyse von Allergenen)

    • Probiotika (z. B. Lactobacillus rhamnosus GG). Reduzieren signifikant die Allergieinzidenz bei Kindern aus Hochrisikofamilien (Savilahti et al. 2008), eine primär therapeutische Wirkung bei NMA ist nicht belegt (Lepp et al. 2009: LL DGAI).

  • Notfallmedikamente: Patienten mit vorausgegangener bedrohlicher Reaktion (unabhängig vom Allergen), bei systemischen Reaktionen auf hochpotente Allergene (z. B. Erdnüsse, Baumnüsse, Samen) oder bei bestimmten Begleiterkrankungen (z. B. Asthma bronchiale, Mastozytose) müssen mit Notfallmedikamenten (Adrenalin-Autoinjektor, Antihistaminikum, Glukokortikosteroid) ausgestattet sein (Muñoz-Furlong et al. 2009; Lepp et al. 2009).

Gefährdete Patienten sollten nach Schulung mit einem Adrenalin-Autoinjektor, einem Antihistaminikum und einem Glukokortikosteroid zur Selbstmedikation ausgestattet werden.

8.9 Zukünftige Therapieoptionen

  • Subkutane Immuntherapie mit Nahrungsmittelextrakten

  • Orale Immuntherapie/spezifische orale Toleranzinduktion „SOTI“ mit nativen Nahrungsmitteln

  • Sublinguale Immuntherapie

8.10 Prognosefaktoren

  • Bei Allergenelimination gute Prognose .

  • Toleranzentwicklung für Kuhmilch- und Hühnereiweißallergie bei Kindern bis zum Schulalter in 50–80 % der Fälle. Gilt nicht für Allergien gegen Baumnüsse, Fisch und Erdnuss, die einen längeren (meist lebenslangen) Verlauf zeigen (Staden et al. 2007)

  • Das Alter der Erstmanifestation: Toleranzentwicklung v. a. bei früher Manifestation.

  • Bei Erwachsenen grundsätzlich ähnlicher Spontanverlauf zu erwarten. Daten liegen nur vereinzelt vor (LL DGAL 2009).

Nach ein- bis zweijähriger Allergenkarenz kann für einige Nahrungsmittel eine Reexposition erwogen werden, da es die Möglichkeit der spontanen Toleranzentwicklung gibt (LL DGAI 2009).

8.11 Langzeitkomplikationen

  • Schwere, z. T. lebensbedrohliche Reaktionen durch versteckte Nahrungsmittelallergene

  • Mangelerscheinungen bei Eliminationsdiät

8.12 Leitlinien

Kleine-Tebbe J, Ballmer-Weber BK, Beyer K et al (2009a) In-vitro-Diagnostik und molekulare Grundlagen von IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien. Leitlinie von DGAKI, ÄDA, GPA, ÖGAI und SGAI. Allergo J 18:132–146

Kleine-Tebbe J, Ballmer-Weber BK, Beyer K et al (2009b) In-vitro-Allergiediagnostik. Leitlinie von DGAKI, ÄDA, GPA, ÖGAI und SGAI. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 061/017. Letzte Überarbeitung 08/2009

Kleine-Tebbe J, Reese I, Ballmer-Weber BK et al (2009c) Keine Empfehlung für IgG- und IgG4-Bestimmungen gegen Nahrungsmittel. Leitlinie von DGAKI, ÄDA, GPA, ÖGAI und SGAI. Allergo J 18:267–273

Leifeld L, Germer CT, Böhm S, Dumoulin FL, Häuser W, Kreis M, Labenz J, Lembcke B, Post S, Reinshagen M, Ritz JP, Sauerbruch T, Wedel T, von Rahden B, Kruis W (2014) S2k Leitlinie Divertikelkrankheit/Divertikulitis. Z Gastroenterol 52(7):663–710 (Jul)

Lepp U, Ballmer-Weber B, Beyer K et al. (2009) Therapiemöglichkeiten bei der IgE-vermittelten Nahrungsmittel-Allergie. Leitlinie von DGAKI, ÄDA, GPA, ÖGAI und SGAI. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 061/011. Letzte Überarbeitung 10/2009

Niggemann B, Beyer K, Erdmann S, Fuchs T, Kleine-Tebbe J, Lepp U, Raithel M, Reese I, Saloga J, Schäfer C, Szépfalusi Z, Vieths S, Zuberbier T, Werfel T, Worm M (2011) Standardisierung von oralen Provokationstests bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie. Leitlinie von DGAKI, ÄDA und GPA. Allergo J20:149–160