Zusammenfassung
Eine der Schwierigkeiten, gehaltvolle Aussagen über interinstitutionelle Vereinbarungen zu formulieren, besteht, wie sich gezeigt hat, darin, dass es bisher keinen allgemein akzeptierten Wortgebrauch gibt. Die Ansichten darüber, was genau eine interinstitutionelle Vereinbarung ist, welche Merkmale sie aufweisen muss, und wie sie von anderen kooperativen Handlungen abgegrenzt werden kann, gehen weit auseinander 185. Es wird auch vertreten, dass eine Klassifizierung anhand allgemeiner Kriterien insgesamt ausgeschlossen sei186. Das ist bei einem Phänomen, das sich ohne direkte vertragliche Grundlage aus der Praxis entwickelt hat, ohne dass systematische Anliegen Pate standen, durchaus verständlich. Für eine rechtswissenschaftliche Studie ist dieser Zustand allerdings unbefriedigend187. Eine Systematisierung, die mehr als eine nur deskriptive rechtliche Bewertung der Organpraxis sein will, setzt hinReichende Identifizierungsmerkmale für ihren Gegenstand voraus. Solche Merkmale brauchen mit dem geläufigen Selbstverständnis der Praxis nicht deckungsgleich zu sein. Das liegt auch in der Natur der Sache. Die dogmatische Konstruktion als Aufgabe der Rechtswissenschaft 188 verlangt es gerade, das vorgefundene Material aus Rechtstexten und juristischer Praxis zu sortieren und unter dem Blickwinkel eines dogmatischen Leitbildes neu zu deuten.
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Jüngst etwa Bobbert, Interinstitutionelle Vereinbarungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 6f; Godet, Accords interinstitutionnels et équilibre institutionnel dans la Communauté Européenne, S. 15ff; Interinstitutionelle Vereinbarungen und „institutionelles Gleichgewicht“, Hummer, a.a.O. (Fn. 182) S. 115f.
So früh schon Bernhardt, Quellen des Gemeinschaftsrechts: die „Verfassung“ der Gemeinschaft, S. 88; skeptisch zu einer einheitlichen Deutung auch Hummer, Interinstitutionelle Vereinbarungen und „institutionelles Gleichgewicht“, a.a.O. (Fn. 182) S. 160.
Zum Erfordernis begrifflicher Klarheit für eine rationale Argumentation siehe auch Wagner, S. 33f.
Vgl. von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 7.
Das beklagt auch Hummer, a.a.O. (Fn. 182), S. 127f.
Hummer zählt insgesamt 11 aufgeführte Vereinbarungen, ders. Hummer, Interinstitutionelle Vereinbarungen und „institutionelles Gleichgewicht“, a.a.O. (Fn. 182) S. 122. Dabei legt er allerdings einen sehr weiten Begriff der Vereinbarung zugrunde. Immerhin enthält die Liste etwa keine der dreiseitigen, förmlichen interinstitutionellen Vereinbarungen. An echten trilateralen Akten wird nur der gemeinsame Beschluss von Parlament, Rat und Kommission zu der Ausübung des Untersuchungsrechts des Europäischen Parlaments, ABl. L 113 vom 19.5.1995, S. 2, aufgeführt, der allerdings nach dem Verständnis dieser Studie nicht als interinstitutionelle Vereinbarung angesehen wird. Zu der Notwendigkeit der Abgrenzung der Handlungsformen der Vereinbarung und des Beschlusses siehe auch Schöndorf-Haubold, Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft, S. 320f (Manuskript).
Dazu näher siehe oben, S. 8ff.
Vor allem Gauweiler, Die rechtliche Qualifikation interorganschaftlicher Absprachen im Europarecht, 1989; früher schon Klein, Entwicklungsperspektiven für das Europäische Parlament, EuR 1987, S. 107; Bieber, Das Verfahrensrecht von Verfassungsorganen, S. 187ff; jüngst auch Hummer, Interinstitutionelle Vereinbarungen und „institutionelles Gleichgewicht“, a.a.O. (Fn. 182) S. 115f, 128f.
Etwa bei Koenig /Haratsch, Europarecht, S. 103; Interinstitutionelle Vereinbarungen und „institutionelles Gleichgewicht“, Hummer, a.a.O. (Fn. 182) S. 115f, 128f.
So zumindest Schöndorf-Haubold, Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft, S. 319 Fn. 31 (Manuskript).
Monar, Interinstitutional Agreements: The Phenomenon and its new dynamics after Maastricht, CMLR 31 (1994), 693f; Schwarze, Möglichkeiten und Grenzen interinstitutioneller Vereinbarungen nach Maastricht, EuR Beiheft 2/1995, S. 56ff; Snyder, Interinstitutional agreements: forms and constitutional limitations, S. 454ff; Bobbert, Interinstitutionelle Vereinbarungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, a.a.O. (Fn. 185) S. 6ff; ähnlich Shaw, Law of the European Union, S. 287; Godet, Accords interinstitutionnels et équilibre institutionnel dans la Communauté Européenne, a.a.O. (Fn. 185) S. 15ff; aus jüngster Zeit vor allem Hummer, Interinstitutionelle Vereinbarungen und „institutionelles Gleichgewicht“, S. 113ff, der insgesamt auf über 160 Vereinbarungen kommt; vgl. auch die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, Art. 120 Abs. 1 GO EP.
Zu diesem Problem auch Schöndorf-Haubold, a.a.O. (Fn. 196), S. 320f (Manuskript).
Siehe zum Beispiel Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 4. März 1975 über die Einführung eines Konzertierungsverfahrens, ABl. 1975 C 89 vom 22. April 1975, S. 1; Interinstitutionelle Erklärung über Demokratie, Transparenz und Subsidiarität vom 25. Oktober 1993, ABl. 1993 C 329 vom 6.12.1993, S. 133; Modus vivendi vom 20. Dezember 1994 zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission betreffend die Maßnahmen zur Durchführung der nach dem Verfahren des Artikels 189b EG-Vertrag erlassenen Rechtsakte, ABl. 1996 C 102 vom 4.4.1996, S. 1; Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission vom 5. Juli 2000, ABl. 2001 C 121 vom 24.4.2001, S. 122.
Gegen die Bezeichnung einer Rechtssatzform als Ordnungskriterium siehe auch von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 163.
So früh schon EuGH, verb. Rs. 53 und 54/63, Lemmerz gegen Hohe Behörde, Urteil vom 5. Dezember 1963, Slg. 1963, 517, S. 537f; EuGH, Rs. 22/70, Kommission gegen Rat, Urteil vom 31. März 1971, Slg. 1971, 263, Rdnr. 38/42 st. Rspr.
In die Richtung einer solchen Unterscheidung schon Reich, La mise en oeuvre du traité sur l’Union européenne par les accords interinstitutionnels, RMCUE 375 (1994), S. 81; für eine Konkretisierung des Begriffsverständnisses auch Schöndorf-Haubold, Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft, a.a.O. (Fn. 196) S. 320f (Manuskript).
Ders., Rechtsquellen der EU-Finanzordnung, in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, A. IIINr. 2, S. 13 Rdnr. 39.
Zu der Unterscheidung siehe etwa Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 26ff.
Eine Kritik an der Inversionsmethode bei Röhl, a.a.O. (Fn. 205), S. 49ff; Heck, Was ist diejenige Begriffsjurisprudenz, die wir bekämpfen?, DJZ 1909, S. 1458f.
Zu der Speicherfunktion der Handlungsformen vgl. Schmidt-Aßmann, Die Lehre von den Rechtsformen des Verwaltungshandelns, DVBl. 1989, S. 533f.
So sieht etwa Art. 254 Abs. 3 EGV für bestimmte Richtlinien und für Entscheidungen eine bloße Bekanntgabe (engl./frz. notification) vor; dazu auch Bast, Handlungsformen, S. 525f; ders. Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, S. 118f (Manuskript).
Bspw. Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission vom 5. Juli 2000, ABl. 2001 C 121 vom 24.4.2001, S. 122; Interinstitutionelle Vereinbarung vom 20. November 2002 zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat über den Zugang des Europäischen Parlaments zu sensiblen Informationen des Rates im Bereich der Sicherheits-und Verteidigungspolitik, ABl. 2002 C 298 vom 30.11.2002, S. 1; Hummer zählt, allerdings auf der Grundlage eines sehr viel weiteren Begriffsverständnisses, insgesamt 63 zweiseitige Vereinbarungen unter den drei Hauptorganen, vgl. ders. Hummer, a.a.O. (Fn. 182) Interinstitutionelle Vereinbarungen und „institutionelles Gleichgewicht“, S. 131.
So auch Hummer selbst unter Einbeziehung der informellen Akte, ders., a.a.O. (Fn. 182), S. 130ff.
Der Begriff des institutionellen Dreiecks tauchte im offiziellen Vokabular der Europäischen Gemeinschaften erstmals in dem Bericht der drei Weisen über die europäischen Institutionen von 1979 auf, siehe dazu Jacqué, L’évolution du triangle institutionnel communautaire depuis l’élection du Parlement Européen au suffrage universel direct, S. 183.
Erklärung Nr. 3, ABl. 2001 C 80 vom 10.3.2001, S. 77; diese Erklärung hat jedoch nur interpretatorische Wirkung, bindendes Primärrecht stellt sich nicht dar.
Vgl. Art. III-397, ABl. 2004 C 370 vom 16.12.2004, S. 1.
Godet, a.a.O. (Fn. 184) Accords interinstitutionnels et équilibre institutionnel dans la Communauté Européenne, a.a.O. (Fn. 151) Les accords interinstitutionnels, 2000, S. 529ff, dar; ebenso Hummer, a.a.O. (Fn. 182) Interinstitutionelle Vereinbarungen und „institutionelles Gleichgewicht“, S. 231ff; Hummer, a.a.O. (Fn. 182) Interinstitutionelle Vereinbarungen und „institutionelles Gleichgewicht“, S. 134ff.
Snyder, a.a.O. (Fn. 198), S. 459.
Snyder, a.a.O. (Fn. 198), S. 461.
Monar teilt interinstitutionelle Vereinbarungen in zwei Gruppen ein, je nachdem, ob sie „explicitly provided for by Treaty provisions“ sind oder nicht, siehe ders. Monar, Interinstitutional Agreements: The Phenomenon and its new dynamics after Maastricht, CMLR 31 (1994), S. 703; ähnlich Bobbert, a.a.O. (Fn. 185) Interinstitutionelle Vereinbarungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 6f; Godet, Accords interinstitutionnels et équilibre institutionnel dans la Communauté Européenne, S. 15ff; Hummer, a.a.O. (Fn. 182) Interinstitutionelle Vereinbarungen und „institutionelles Gleichgewicht“, S. 87ff; vgl. dazu Snyder, a.a.O. (Fn. 198) Interinstitutional agreements: forms and constitutional limitations, S. 459f.
Laut Monar sind das Vereinbarungen, die sich auf die Art. 218 Abs. 1 EGV, Art. 203 Abs. 9 EGV, Art. 195 Abs. 4 EGV, Art. 20D EGKS, 107D EAG und Art. 193 Abs. 3 EGV, 20B EGKS und 107B EAG beziehen, vgl. ders. a.a.O. (Fn. 221), S. 697.
Monar, a.a.O. (Fn. 221), S. 697ff und 703.
Monar selbst gibt durchaus zu, dass diese Terminologie nicht sehr präzise ist, seiner Ansicht nach ist es aber „the best we have“, ders. Monar, a.a.O. (Fn. 221), S. 699.
Siehe unten, S. 471ff.
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von Alemann, F. (2006). Identifikationsmerkmale interinstitutioneller Vereinbarungen. In: Die Handlungsform der interinstitutionellen Vereinbarung. Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, vol 182. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-37711-5_5
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