Zusammenfassung
Anthropologische Überlegungen genießen derzeit einen äußerst fragwürdigen Ruf, gelten sie doch als Ausdruck einer kultur- wie zeitvergessenen Abstraktion, in der die vielfältigen Erscheinungsformen menschlichen Lebens zugunsten eines nur vermeintlich universalen Bildes des ‚Menschen‘ zum Verschwinden gebracht werden. Gerade angesichts der nahezu unbeschränkten Bestimmungen des Menschlichen kommt in der Tat jedem weiteren Versuch eine Vergeblichkeit zu, die dann auch die Einsicht ermöglicht, dass solche Bestimmungen bereits strukturell nicht möglich sind, weil sich die ‚anthropologische Differenz‘ – nämlich die Tatsache, dass in diesen Selbstverständigungen ‚der Mensch‘ sich zugleich Subjekt und Objekt und insofern immer auch entzogen ist (vgl. Kamper 1973) – überhaupt nicht aufheben lässt. Und dennoch – trotz des immer wieder behaupteten oder gar geforderten ‚Todes des Menschen‘ kann von einem ‚Ende der Anthropologie‘ nicht die Rede sein (vgl. Kamper/Wulf 1994): nicht nur, weil die ‚Frage nach dem Menschen‘ (Derrida) zum Kernbestand unserer jeweiligen, sicherlich bedingten und begrenzten Selbstverständnisse gehört, so dass sein Leben menschlich zu führen immer auch heißt, sich zu sich – und damit zu dieser Frage – zu verhalten; sondern auch, weil jeweilige ‚Konzeptionen des Menschlichen‘ ihrerseits fester, wenn auch oft stillschweigender Bestandteil sozial- und kulturwissenschaftlicher Theorien sind (vgl. Honneth/Joas1980). Insofern nimmt es gegenwärtig kaum Wunder, dass aller Orts anthropologische Überlegungen durchaus wieder Konjunktur haben – wie ein Blick in die jüngeren Arbeiten belegt (vgl. stellvertretend Krüger/Lindemann 2006 und Krüger 2012).
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Ricken, N. (2012). Bildsamkeit und Sozialität. In: Ricken, N., Balzer, N. (eds) Judith Butler: Pädagogische Lektüren. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94368-8_13
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