Zusammenfassung
Spätestens seit Charles E. Lindbloms Science of „Muddling Through“ (1959) gibt es gute Gründe für die Ansicht, dass rationale Entscheidung und Steuerung von Organisationen nur begrenzt möglich sind. Die zahlreichen Erfahrungen mit nichtintendierten Handlungsfolgen bzw. zweckwidrigen Effekten zielgerichteter Handlungen sollten für die diversen Steuerungsproblematiken auch im Bildungsbereich sensibel gemacht haben, würde man meinen (sofern man noch pädagogisch denkt und also kontrafaktisch an das individuelle und auch kollektive Lernen glaubt). Rational ist es, Fehlentwicklungen so weit wie möglich zu korrigieren und zu versuchen, ihre Ursachen aufzuheben. Wenn man merkt, dass man in die falsche Richtung schreitet, sollte man die Richtung ändern. Vielleicht muss man auf den alten Weg zurückkehren, wenn sich dieser im Rückblick, wenn nicht unbestritten großartig, aber nun doch als der bessere Weg herausgestellt hat. Eine mehr oder weniger bewährte Strategie wieder aufzunehmen, nachdem man – wie viele Zeitgenossen auch – eine andere gewählt hatte, von welcher mittlerweile auch fast alle wissen, dass sie nicht zum Ziel führt, ist weder eine Schande noch romantisch, konservativ oder ewiggestrig, sondern vernünftig. Auch wenn die sogenannte Input-Steuerung ihre Probleme hat, so sollte man nach den in vielerlei Hinsicht im Grunde einfach misslungenen Versuchen der Output-Steuerung wieder zur Input-Steuerung zurückkehren – dies würde ich rational nennen. Die negativen Nebeneffekte der Output- Steuerung auf allen Ebenen des Bildungssystems und vor allem auch in der Forschung sind nicht von der Hand zu weisen. Einmal könnte Europa wirklich von den USA lernen, nämlich hinsichtlich dessen, was man nicht kopieren und wie man es nicht machen sollte (vgl. Lind 2009). Das wäre „evidenzbasierte“ Bildungspolitik! Evidenz ist nämlich nicht das, was Forschung und Evaluation hervorbringen, sondern das, was auch Forscher/innen und Evaluatoren/innen als Grenzen ihrer Bemühungen zu akzeptieren haben.
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Abbott, A. (2002): „Welcome to the University of Chicago“. Ansprache für die Erstsemester der Universität Chicago. Supplement in: Forschung & Lehre, Heft 08/2007.
Becker, R. (2007): Lassen sich aus den Ergebnissen von PISA Reformperspektiven für die Bildungssysteme ableiten? Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaft, 29. Jg., H. 1, S. 13–29.
Cohen, M. D./March, J. G./Olson, J. P. (1972/1990): Ein Papierkorb-Modell für organisiertes Wahlverhalten. In: March, J. G.: Entscheidung und Organisation. Kritische und konstruktive Entwicklungen und Perspektiven. Braunschweig: Gabler, S. 329–372.
Campbell, D. T. (1975): Assessing the Impact of Planned Social Change. In: Lyons, G. M. (Hrsg.): Social Research and Public Policies. The Dartmouth/OECD Conference. Hanover, New Hampshire: Dartmouth College, The Public Affairs Center, S. 3–45.
Heid, H. (2007): Was vermag die Standardisierung wünschenswerter Lernoutputs zur Qualitätsverbesserung des Bildungswesens beizutragen? In: Benner, D. (Hrsg.): Bildungsstandards. Chancen und Grenzen, Beispiele und Perspektiven. Paderborn u.a.: Schöningh, S. 29–48.
Kagan, J. (1998/2000): Die drei Grundirrtümer der Psychologie. Weinheim: Beltz.
Köller, O. (2007): Bildungsstandards, einheitliche Prüfungsanforderungen und Qualitätssicherung in der Sekundarstufe II. In: Benner, D. (Hrsg.): Bildungsstandards. Chancen und Grenzen, Beispiele und Perspektiven. Paderborn u.a.: Schöningh, S. 13–28.
Lind, G. (2009): Amerika als Vorbild? Erwünschte und unerwünschte Folgen aus Evaluationen. In: Bohl, T./Kiper, H. (Hrsg.): Lernen aus Evaluationsergebnissen – Verbesserungen planen und implementieren. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 79–97.
Lindblom, C. E. (1959): The Science of “Muddling Through”. In: Public Administration Review, 19. Jg., S. 79–88.
Luhmann, N. (2002): Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Mérö, L. (1996/2004): Die Logik der Unvernunft. Spieltheorie und die Psychologie des Handelns. Reinbek: Rowohlt.
Nichols, S. L./Glass, G. V./Berliner, D. C. (2006): High-Stakes Testing and Student Achievement: Does Accountability Pressure Increase Student Learning? In: Education Policy Analysis Archives, 14. Jg., H. 1. URL: www.epaa.asu.edu/ojs/article/view/72/198 (Stand: 20.02.2011).
Nichols, S. L./Berliner, D. C. (2005): The Inevitable Corruption of Indicators and Educators Through High-Stakes Testing. East Lansing: Great Lakes Centre for Education Research & Practice. URL: www.greatlakescenter.org/docs/early_research/g_l_new_doc/EPSL-0503–101-EPRU.pdf (Stand: 20.02.2011).
Osterloh, M. (2010). „Unternehmen Universität?“ Wie die Suche nach Effizienz, Output-Messung und das Ranking-Fieber in der Wissenschaft zu Opportunismus und Ideenarmut führen können. In: Neue Zürcher Zeitung, Ausgabe vom 20.5.2010 (Nr. 114), S. 13.
Reichenbach, R. (2008). In der „Concorde-Falle“. Erfolgreiches Scheitern von Bildungsreformen. In: Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 30. Jg., H. 1, S. 53–63.
Rothblatt, S. (2007): Education's Abiding Moral Dilemma. Merit and Worth in the Cross-Atlantic Democracies, 1800–2006. Oxford: Symposium Books.
Seibel, W. (1992): Funktionaler Dilettantismus. Erfolgreich scheiternde Organisationen im „Dritten Sektor“ zwischen Markt und Staat. Baden-Baden: Nomos.
Author information
Authors and Affiliations
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2011 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Reichenbach, R. (2011). In der „Concorde-Falle“: Festhalten an unnötigen Reformen. In: Bellmann, J., Müller, T. (eds) Wissen, was wirkt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93296-5_11
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-93296-5_11
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-17688-8
Online ISBN: 978-3-531-93296-5
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)