Zusammenfassung
Die Laws of Form (Spencer-Brown 1969) sind nicht voraussetzungslos in die Welt mathematischer Texte getreten. Die Probleme, auf die der Text reagiert, aber auch manche der vorgeführten Lösungen, werden einem anderen und womöglich tieferen Verständnis zugänglich, wenn man die Laws of Form im Kontext der Mathematik- und Logikgeschichte betrachtet. Die Laws of Form werden, in der hier vorgeschlagenen Perspektive, als ein spätes Werk der mathematischen „Gegenmoderne“ beobachtet, das auf eigenwillige Art begründungstheoretische Diskussionen vergangener Tage wiederbelebt, und sich hierfür den Logizismus des Frege/Russell- Programms als Kontrastfolie der eigenen Ansichten wählt; Ansichten, die im nicht-klassischen Mathematikbild des konstruktivistischen Intuitionismus eine (mathematikinterne) vorbereitete Umgebung finden – auch und gerade, was die mystisch- spirituellen Momente des Intuitionismus betrifft. Zugleich vollziehen die Laws of Form ein ästhetisches, zum Intuitionismus geradezu antithetisch aufgestelltes Formalismusprogramm (eine „Schrift der Form“), welches Ansätze aus Ludwig Wittgensteins Tractatus aufnimmt und in radikalisierender Weise weiterentwickelt. Durch diese Erweiterung des Aufmerksamkeitsbereichs mag in der anschließenden Skizze der wichtigsten Gedankenlinien der Laws of Form deutlicher hervortreten, was an den Laws of Form auf andere Weise neu ist – aber auch, was vielleicht nicht. Unser Beitrag schließt mit dem Aufnehmen der Eingangsfrage: Auf welches Problem reagiert die Systemtheorie mit ihrem (kontingenten, aber eben dadurch: spezifizierbaren) Aufgriff von Denkfiguren, die sie in den Gesetzen der Form beobachtet?
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Fuchs, P., Hoegl, F. (2011). Die Schrift der Form. In: Pörksen, B. (eds) Schlüsselwerke des Konstruktivismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93069-5_11
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