Zusammenfassung
Das Handlungskonzept der brandenburgischen Landesregierung „Tolerantes Brandenburg“ wurde im Sommer 1998 verhandelt. Schon in der Vorbereitung des Konzeptes war man sich bewusst, dass es ein schwieriger Weg werden würde, den man gehen wollte. Zunächst war das Problem der öffentlichen Wahrnehmung nicht von der Hand zu weisen: Brandenburg war das erste Bundesland, das offen zugab, dass das Problemfeld Rechtsextremismus ein strukturelles ist. Das hatte bis dahin niemand gewagt: Allgemein galt die rechtsextreme Bewegung als ein vorübergehendes Phänomen der Jugendkultur. Die Erkenntnis, dass die Stammtische nicht Folge, sondern Ursache einer rechtsextremen Szene war, die dort ihre Akzeptanz fanden, war schmerzhaft, verwies sie doch auf beachtliche Demokratiedefizite und vor allem auf einen kommunalen Wertekanon, der Rechtsextremismus als normale politische Alternative ermöglichte. Die Idee war, das Problem auf drei Ebenen anzugehen: Die staatlichen Stellen sollten sich stärker mit dem Phänomen beschäftigen; die engagierten Bündnisse sollten miteinander vernetzt (durch das „Aktionsbündnis Brandenburg gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“ (Aktionsbündnis 2010)) und Neugründungen stimuliert werden; drittens sollten in den Kommunen engagierte BürgerInnen und lokale Akteursgruppen beraten werden mit dem Ziel, sich stärker und qualifizierter im demokratischen Spektrum zu engagieren (Mobiles Beratungsteam, MBT). Man war sich dabei durchaus im Klaren, dass dem Land in den zivilgesellschaftlichen Bereichen keine Lenkungsfunktion zukommen darf. So wurde das Aktionsbündnis seitdem immer durch die Vertreter der Evangelischen Kirche geleitet und das Mobile Beratungsteam in freie Trägerschaft gegeben (Demokratie und Integration in Brandenburg e. V., vormals RAA e. V.), um Interessenkollisionen zu vermeiden (Hülsemann 2004: 10). Die Arbeit des MBT war ab 1999 zunächst stark durch die Aufgabe geprägt, über die rechtsextreme Szene in die Kommunen Brandenburgs zu informieren. Die Wissensdefizite waren enorm. Erst nach einigen Jahren rückten immer stärker Demokratie bildende Beratungszusammenhänge in den Vordergrund. Inzwischen dominieren die partizipativen Aspekte die alltägliche Arbeit, selbst wenn es einen rechtsextremen Anlass gibt. Etwas zugespitzt kann man sagen, dass Rechtsextremismus dort stark ist, wo die demokratischen Strukturen schwach sind. Es geht also weniger um die Therapie des Fieberthermometers (Rechtsextremismus), sondern der Erkältung (Demokratiedefizite). Die Öffnung der kommunalen Systeme (vom Museum bis zur Verwaltung, die Wohnungsbaugesellschaft ebenso wie der Jugendclub) für demokratische Prozesse ist dabei von eminenter Wichtigkeit. Wer die Erfahrung macht, dass er als Einzelner oder in Kooperation eine Wirksamkeit entfalten kann, dass er selbst Realität verändert, ist von „Schnauze voll“-Botschaften nicht mehr erreichbar.
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Literatur
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Wilking, D. (2010). Wertebildung am Beispiel der Arbeit des Mobilen Beratungsteams. In: Schubarth, W., Speck, K., von Berg, H.L. (eds) Wertebildung in Jugendarbeit, Schule und Kommune. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92551-6_19
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