Zusammenfassung
Das Ergebnis der Bundestagswahl 2009 ebnete der Union den Weg in die „Wunschkoalition“ mit der FDP. Dadurch ist ihr eine Wiederauflage der ungewollten Großen Koalition erspart geblieben. Dabei ist es der CDU gerade unter den spezifischen Bedingungen der Großen Koalition gelungen, sich mit Blick auf den Wählermarkt von tradierten Positionen etwa in der Familien- und Ausländerpolitik zu emanzipieren und sich strukturell zu modernisieren. In der Großen Koalition sah sich die Partei, die die Kanzlerin stellte, mit einer doppelten Herausforderung konfrontiert: Einerseits war sie in das „Korsett“ des Koalitionsvertrages eingebunden, wodurch eine „CDU-pur-Politik“ von vornherein ausgeschlossen war. Andererseits arbeitete die CDU jedoch bereits seit längerem daran, das durch deutsche Einheit und Globalisierung, vor allem aber durch den sozialen Wandel brüchig gewordene programmatische, mentale und identitätsstiftende eigene Angebot mit den Interessenlagen der Wählerschaft in Einklang zu bringen. Insbesondere die Enttraditionalisierung der Lebensformen, die sich in einem anderen Familien- und Gesellschaftsbild vieler Menschen niederschlägt, hatte sich zu einer starken Herausforderung für die Konservativen entwickelt. Hinzu kommt, dass auf das politische Feindbild des „Antikommunismus“ mit dem Ende der bipolaren Blockkonfrontation nicht mehr zurückgegriffen werden kann. Wenngleich die Union versucht, mit einer scharfen Abgrenzung zur Linkspartei daran anzuknüpfen, lassen sich neue Feindbilder, wie etwa das Schreckbild des Islamismus, nicht in gleicher Weise identitätsbildend verankern. Auch mit dem Konzept einer „Deutschen Leitkultur“ vermochte die Union diese Lücke bislang nicht zu füllen. Mit fortschreitender Säkularisierung, Individualisierung, Urbanisierung und Medialisierung wird die Zahl der konfessionsgebundenen und im ländlichen Raum lebenden Menschen geringer, wodurch die Union deutliche Stimmenverluste bei diesen bisherigen Stammwählergruppen hinnehmen musste. Ähnliche Probleme lassen sich allerdings nicht nur bei der CDU, sondern auch in den meisten anderen europäischen konservativen Parteien beobachten (Müller-Hilmer 2006; Kersbergen 1995). Im Fall der Union sind es vor allem programmatische Zielkonflikte, die sich aus den parallel bestehenden Ideenwelten einer liberalen Wirtschaftspolitik mit individualistischem Leistungsideal, konservativen Werthorizonten mit einem traditionellen Familienbild oder Konzepten sozialer Verantwortung ergeben können (Micus/Walter 2008: 252). In Anbetracht dieser Ungleichzeitigkeiten steht die Union vor der Frage, ob und wie sie eine neue „strategische Zeitgenossenschaft“ entwickeln kann, um sich auf volatilen Wählermärkten zu behaupten. Im Zentrum einer Modernisierung der Partei stehen vor allem programmatische Neujustierungen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie in der Gesellschaftspolitik. Hier geht es um das Verhältnis von Staat und Markt, eine zeitgenössische Familienpolitik und den Stellenwert des christlich-konservativen Wertekanons im Selbstverständnis der Union. Aus den Erosionsprozessen traditioneller Milieus und den damit verbundenen elektoralen Herausforderungen resultieren auch interne Machtkämpfe und politische Suchprozesse. Im Kern geht es um die Definition einer zeitgenössischen Problem-, Interessen- und Ideenpolitik, die die innerparteilichen Richtungen, also vor allem die konservativen, wirtschaftsliberalen und christlich-sozialen Strömungen, so in die Partei einbindet, dass die CDU ihrer klassen- und konfessionsübergreifenden Struktur als Volksund Regierungspartei gerecht werden kann.
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Schroeder, W., Neumann, A. (2010). Die CDU in der Großen Koalition – auf dem Weg zu einer neuen strategischen Zeitgenossenschaft. In: Bukow, S., Seemann, W. (eds) Die Große Koalition. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92451-9_14
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