Zusammenfassung
Während in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens das professionalisierte Expertentum akzelerierend an Bedeutung gewinnt, scheint es zumindest einen Bereich zu geben, in dem eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten ist: Gemeint ist der zunehmende Akzeptanz- und Bedeutungsverlust religiösen Expertentums in Gestalt des Klerus und der akademischen Theologie – jedenfalls in westlichen oder westlich orientierten Gesellschaften. Diese Entwicklung erscheint auch deshalb als etwas überraschend, weil sich das, was wir heute als Expertentum bezeichnen, geschichtlich gesehen wohl zuallererst im religiösen Bereich entwickelt hat. Der Schamane oder Medizinmann gilt jedenfalls als eine der ersten spezialisierten Rollen, die es in ‚einfachen Gesellschaften‘ gegeben haben soll (vgl. Tenbruck 1986: 272 ff.). Schamane und Medizinmann waren allerdings mehr als nur spezialisierte Rollen. Sie besaßen auch einen Überblick über einen nicht jedem zugänglichen, weil im ‚Transzendenten‘ verankerten Sonderwissensbereich und waren deshalb in der Lage, prinzipielle Lösungen für alltäglich auftretende Lebensprobleme anzubieten und diese auf Einzelfragen beziehungsweise Einzelfälle zu applizieren – und dies vor allem deshalb, weil sie als charismatisch qualifizierte Ausnahmepersönlichkeiten über ‚privilegierte Informationszugänge‘ verfügten. Damit entsprechen sie voll und ganz den Definitionskriterien für Expertentum, wie sie u. a. von Walter M. Sprondel (1979), Michael Meuser und Ulrike Nagel (1991), Ronald Hitzler (1994) und Michaela Pfadenhauer (2003) aufgestellt wurden.
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Literatur
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Gebhardt, W. (2010). Experte seiner selbst – Über die Selbstermächtigung des religiösen Subjekts. In: Ebertz, M.N., Schützeichel, R. (eds) Sinnstiftung als Beruf. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92388-8_3
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