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Donna Haraway: Natur-Kulturen und die Faktizität der Figuration

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Kultur. Theorien der Gegenwart

Zusammenfassung

Die Biologin und Wissenschaftstheoretikerin Donna Jeanne Haraway bezeichnet sich selbst gerne als „Produkt des Sputnik-Schocks“. Damit ist ein ungebrochener, kompetitiver, maskulin geprägter Fortschrittsglaube angesprochen, der auf der einen Seite Haraways akademische Sozialisation und Karriere strukturell zuallererst ermöglichte, der jedoch gleichzeitig zum Stein des Anstoßes für viele von Haraways wissenschafts- und gesellschaftskritischen Arbeiten wurde. Sie wurde 1944 in eine irisch-katholische Arbeiter- bzw. Mittelschichts- Familie hinein geboren. Dank der Struktur des US-amerikanischen Universitätssystems studierte sie parallel Zoologie, Philosophie und Literatur. Nach Forschungsaufenthalten in Paris (Fondation Teilhard de Chardin) und in Yale schloss sie ihr Studium mit einer wissenschaftshistorischen Dissertation über Organizitäts-Metaphern in der Evolutionsbiologie ab und wandte sich in der Folge der feministischen Wissenschaftstheorie und -kritik zu. Ihre Dissertation ist 1976 unter dem Titel Crystals, Fabrics, and Fields: Metaphors of Organicism in Twentieth-Century Developmental Biology (Haraway 1976) erschienen. Haraway behandelt erstmals ein Thema, das ihr ganzes Werk durchzieht: Die Wirksamkeit von Metaphern in wissenschaftlichen Diskursen. Später fundiert sie dieses Interesse an Wissenschaftsmetaphern und -narrativen stärker theoretisch. Ab Mitte der 80er Jahre entwickelt sie von diskursanalytischen Zugängen in der Tradition Foucaults aus ihre Auffassung von kulturellen Prozessen als materiell-semiotische und damit auch eine implizite Erzähl- und Metapherntheorie. Die Dissertation ist noch ganz „under the spell of Thomas Kuhn“ (Haraway 2000: 19) geschrieben und behandelt recht klassisch einen Paradigmenwechsel in der Evolutionsbiologie, der sich in einer wechselnden „tropischen Struktur“ (Haraway 2000: 20) ebendieser ausdrückt. In diese Zeit fällt Haraways Heirat mit dem Homosexuellen Jaye Miller, mit dem sie auch nach ihrer Scheidung im Jahr 1973 und bis zu dessen Tod als Folge von AIDS 1991 zusammenlebt. Ihr zunehmendes Engagement in der Anti-Kriegs und in der feministischen Bewegung führt sie von der Wissenschaftsgeschichte zur Erkenntniskritik als Gesellschaftskritik. Nach einer Assistenz-Professur an der Johns Hopkins Universität wurde Haraway von Hayden White und James Clifford an das History of Consciousness Program der University of California in Santa Cruz gerufen. An diesem Programm lehrt und forscht sie seither. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind: Wissenschaft und Politik, feministische Theorie, Science Fiction, Postkolonialismus, Identität und Technologie. In den 80er Jahren arbeitete Haraway einerseits an wissenschaftshistorischen und -theoretischen Arbeiten im Feld der Biologie weiter (beispielsweise mit ihren Studien zur Primatologie oder zur Metaphorologie des Immunsystems, Haraway 1995c und d) und entwickelte parallel dazu ihre Thesen zu den sich neu formierenden „Technosciences“. Der bekannteste Text dazu ist ihr Manifest für Cyborgs (original: A Manifesto for Cyborgs: Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980´s publiziert im Socialist Review 80/1985). Der Text war äußerst folgenreich und wurde nicht nur in der feministischen Wissenschaftsforschung als Meilenstein einer engagierten Hinwendung zu aktuellen wissenschaftspolitischen Fragen gewertet, sondern ebenso stark in Kunst und Popkultur rezipiert. Eine der direktesten „Umsetzungen“ des Cyborg-Manifestes in Romanform ist Marge Piercys Roman „He, she, it“ (Piercy 1991), den Haraway wiederum in ihren theoretischen Schriften verarbeitet. Im akademischen Feld war der Text nicht nur Anstoß für Handbücher (The Cyborg Handbook, Gray et al. 1995) sondern löste sogar die Gründung von „Cyborg-Studies“ an US-amerikanischen Colleges aus und rief so manchen selbsternannten „Cyborgologen“ auf den Plan.

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Literatur von Donna J. Haraway:

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© 2011 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

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Harrasser, K. (2011). Donna Haraway: Natur-Kulturen und die Faktizität der Figuration. In: Moebius, S., Quadflieg, D. (eds) Kultur. Theorien der Gegenwart. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92056-6_47

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-92056-6_47

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