Zusammenfassung
Seit einigen Jahren werden Computerspiele im populären Mediendiskurs gern in Verengung auf das Genre des Shooters als Hochgeschwindigkeitsformate verhandelt, die primär auf Reiz-Reaktion- bzw. Fire-and-Effect-Parameter ausgerichtet sind. Daran anknüpfend präsentieren Journalismus und Medienpädagogik immer wieder Überlegungen dazu, wie Computer Games Wahrnehmungs- und Handlungsoptionen der Aggressivität bei Jugendlichen konfigurieren (vgl. Fromm, bes. 12-23). Funktionalität und Effekte digitaler Spiele sind jedoch weitaus vielschichtiger. Nahezu unverzichtbar sind Games z.B. für Wissensproduktion und (Selbst-) Management in den informationstechnologischen Kulturen und Staaten fast auf der ganzen Welt. In Spielen oder in digitalen Lernumgebungen, die ans Spiel angelehnt sind, erwirbt man heute ab dem Vorschulalter Kompetenzen in Rechtschreibung (Lauras Stern: Laura geht zur Schule, Multimediamanufaktur 2008) oder Physik (Physikus, Braingame Publishing 2007), im Aufbau urbaner und/oder merkantiler Strukturen (Die Sims, Maxis 2000, Hanse, Ariolasoft 1986) oder im Sportmanagement (Bundesliga Manager Professional, Software 2000, 1991). Man erhält Lektionen in Filmgeschichte (The Final Cut, Arxel Tribe 2001) und der fantastischen Literatur (Silent Hill 1-4, Konami Corporation, 1999-2004) oder eine Einführung in komplexe vormoderne Sozialgefüge (World of Warcraft, Blizzard Entertainment, 2004, vgl. Orth). Die meisten dieser Spiele und digitalen Simulationen operieren zeitkritisch, d.h. Wissenserwerb, Lern- und Spielerfolg sind im Rahmen einer strikten Timeline zu bewältigen. Zeiteffizienz ist jedoch nicht das einzige Kriterium im Verhältnis von Spielverlauf und Zeitmanagement. Games wie Silent Hill rekurrieren darüber hinaus beispielsweise auf temporale Wiederholungsstrukturen, denn sie offerieren bei einem zweiten Parcour durch das Spiel andere narrative Ausgänge als beim ersten Spieldurchgang. Was also hat das Computerspiel mit Wissenstechniken, Zeitmanagement und Technologien des Selbst zu tun? Dieser Fragestellung möchte ich im Folgenden unter medienkulturwissenschaftlicher Perspektive nachgehen. Dazu soll zunächst die Differenz zwischen dem Wahrnehmbarmachen von Zeit, kultureller Zeitökonomie und Implikationen der Software auf ihre Relevanz befragt werden für wissensgesteuerte Technologien des Selbst (vgl. Foucault).
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Barthes, R. (1988): Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen, in: ders., Das semiologische Abenteuer. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Becker, A (2003): „‘Eine die Einbildungskraft empörende Vorstellung’. Von Eadweard Muybridges Zeitkonzeption zu Tim Macmillans Time-Slice-Studien“. In: Röwekamp, B., Pohl, A., Steinle, M. u.a. Medien/Interferenzen, Marburg: Schüren, 14–25.
Bolter, J.D., Grusin, R. (2000): Remediation. Understanding New Media. MIT Press Paperback: Cambridge.
Bruns, K. (2002): „Stück-Werk. Zur ästhetischen Funktion von Video-Inserts in Film und Computerspiel“. In: Ralf Adelmann, Hilde Hoffmann, Rolf F. Nohr (Hg.) • REC - Video als mediales Phänomen. Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften VDG, 182–199.
Bruns, K. (2003): Game over? Narration und Spannung im Computerspiel. kulturrevolution. zeitschrift für angewandte diskurstheorie, Frühjahr 2003, 85–89.
Csikszentimihalyi, M. (1990): Flow. The Psychology of Optimal Experience. New York: Harper & Row.
Duerr, H. P. (1978): Traumzeit. Über die Grenzen zwischen Wildnis und Zivilisation. Frankfurt a.M.: Syndikat. Eigene Zeitzone: Uhren ticken in Venezuela anders”. Die Presse, 29.11.2007; www.diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/346363/index.do.
Foucault, M. (1993): „Technologien des Selbst“ (1988). In: Foucault, M. Technologien des Selbst. Mit Beiträgen von P.H. Hutton, R. Martin u.a. Frankfurt a.M.: S. Fischer, 24–62.
Fromm, R. (2003): Digital spielen – real morden? Shooter, Clans und Fragger: Videospiele in der Jugendszene, Marburg: Schüren.
Gallison, P. (2003): Einsteins Uhren, Poincarés Karten. Die Arbeit an der Ordnung der Zeit. Frankfurt a.M.: S. Fischer.
Genette, G. (1994): Die Erzählung. München: Fink (Discours du récit, Paris 1972).
Kushner, D. (2002): „So What, Exactly Do Gamers Want?“ New York Times 7 March.
Lang, F. (1927): „Moderne Filmregie“. Die Filmbühne. April 1927, H. 1, 4f.
Levine, R. (1998): Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit der Zeit umgehen. München, Zürich: Piper (A Geography of Time: On Tempo, Culture and the Pace of Life, London 1997).
Lightman, A.(1994): Und immer wieder Zeit. Hamburg: Hoffmann und Campe (Einstein's Dream, 1993).
McCloud, S. (2001): Comics richtig lesen, Hamburg: Carlsen (Understanding Comics, New York 1991).
McLuhan, H. M. (1964): Hot media and cold. In: McLuhan, M. Understanding Media: The Extensions of Man. New York: McGraw-Hill.
Meinrenken, J. (2007): Bullet Time & Co. Steuerungsutopien von Computerspielen und Filmen als raumzeitliche Fiktion. In: Leschke, R., Venus, J. Spielformen im Spielfi lm. Zur Medienmorphologie des Kinos nach der Postmoderne. Bielefeld: transcript, 239–270.
Orme, J. E. (1969): Time, Experience and Behavior. London: llife.
Orth, D. (2006): „‚Für die Horde!‘ Konstruktion von Kollektiven in Computerspielen“. In: Jäger, A., Antos , G. Dunn M.H. Masse Mensch. Das „Wir“ – sprachlich behauptet, ästhetisch inszeniert. Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag, 213–232.
Pias, C. (2000): Computer Spiel Welten. Weimar: Sequenzia.
Schmidt, G. (2002): „Zeit des Ereignisses – Zeit der Geschichte“. In: Chi, I., Düchting, S. u.a. ephemer_temporär_provisorisch. Essen: Klartext, 175–196.
Schmidt, K. (2005): „Der Archeplot im Game ‚Silent Hill 2‘ als klassische Heldenreise. In: Neitzel, B., Bopp, M., Nohr, R. F. See? I'm real… . Multidisziplinäre Zugänge zum Computerspiel am Beispiel von Silent Hill. Münster: LIT, 20–40.
Taylor, T.L., Kolko, Beth E. (2003): „Boundary Spaces. Majestic and the uncertain status of knowledge, community and self in a digital age“. Information, Communication & Society (iCS), 4/6, 497–522.
Truffaut, François (2003): Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? München: Heyne (1. Aufl. 1973).
Turkle, S. (1997): Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. München: Fink (Life on the Screen. Identity in the Age of the Internet, New York 1995).
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2010 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Bruns, K. (2010). Höchste Zeit für Mr. Hitchcock. Spiel als Wissenstechnik zwischen Zeitmanagement und Game-Engine. In: Thimm, C. (eds) Das Spiel: Muster und Metapher der Mediengesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91945-4_8
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-91945-4_8
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-16459-5
Online ISBN: 978-3-531-91945-4
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)