Auszug
Um bei der empirischen Fundierung didaktischen Denkens der Komplexität des reflexiv zu durchdringenden Unterrichtsalltages entsprechen zu können, bedarf es eines ethnographischen, „praxeologischen“ Typus von Unterrichtsforschung, der sich auf die Analyse sozialer Praktiken richtet. Zunächst werden einige Probleme der didaktischen Tradition aus Sicht der Unterrichtsforschung skizziert. Dann werden verschiedene Ansätze ethnographischer Unterrichtsforschung vorgestellt, um für eine Fundierung der Unterrichtsbeobachtung in einer „Theorie sozialer Praktiken“ zu plädieren. Die eth- nographische Unterrichtsforschung ist demnach als „praxeologische Forschung“ zu konturieren, die die spe- zifischen sozialen Praktiken identifiziert und in ihrer Eigenlogik analysiert, die das alltägliche Unterrichtsgeschehen konstituieren. Die praxeologische Unterrichtsforschung orientiert sich weder am „Input“ des Unterrichts, den Einstellungen, Absichten und Zielen von Lehrpersonen, noch am „Output“, den Sehülerleistungen im Sinne der pädagogisch-psychologischen Schulleistungsmessung, sondern an der „Performanz“ des Lehrens und Lernens, an dem praktischen Vollzug von Unterricht. Der Beitrag präsentiert zur Veranschaulichung zwei empirische Beispiele und diskutiert abschließend das Verhältnis von praxeo logischer Unter richtsforschung und Allgemeiner Didaktik, das als ein doppeltes Spannungsverhältnis zwischen Präskription und Deskription und zwischen rationalen Akteuren und selbstläufigen Praktiken konzipiert werden muss.
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Breidenstein, G. (2009). Allgemeine Didaktik und praxeologische Unterrichtsforschung. In: Meyer, M.A., Prenzel, M., Hellekamps, S. (eds) Perspektiven der Didaktik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91775-7_14
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