Auszug
Soziale Ungleichheit wirkt sich auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Mit- und Gegeneinanderlebens aus. Ihr Spektrum reicht von ungleichheitsrelevanten Erscheinungsformen des Selbstverständnisses und der Lebensführung einer einzelnen Person über Ungleichheit in Paarbeziehungen, in Gruppenrelationen, als Muster sozialer Ungleichheit, die in Institutionen, Organisationen, abstrakte Regelsysteme und kollektive Orientierungen eingebaut sind, bis letztendlich hin zu Strukturen sozialer Ungleichheit auf gesamtgesellschaftlichem Niveau. In all diesen einzelnen und besonderen Fällen ist und bleibt es eine zentrale Frage, welche sozial relevanten Unterschiede aus welchen Gründen zum Aufhänger für ungleiche Behandlung und/oder Einschätzung werden — die schwierige Frage nach den Maßstäben, wonach sich sozial relevante Unterschiede als Negativum bewerten lassen, eingeschlossen. Bedenkt man dieses vom Einzelnen bis zum gesellschaftlichen Ganzen aufsteigende Spektrum von Möglichkeiten, mit sozialer Ungleichheit in einer Gesellschaft konfrontiert zu werden, dann macht es sicherlich Sinn, von „sozialen Ungleichheiten“ im Plural zu sprechen. Wir werden uns im Folgenden jedoch nur auf der Ebene der gesellschaftlichen Allgemeinheit aufhalten. Es geht um diejenigen Merkmale und Kriterien, welche das Urteil erlauben, eine ganze Gesellschaft sei in ganz bestimmten Hinsichten ungleich verfasst. Auf gesamtgesellschaftlichem Niveau auftretende soziale Ungleichheiten bezeichnen wir als soziale Diskrepanzen. Für Ungleichheitstheorien stellt sich damit zwangsläufig die Ausgangsfrage: In welchen Hinsichten (auf welchen Untersuchungsdimensionen) kann man soziale Diskrepanzen sozialwissenschaftlich erfassen, darstellen, vielleicht sogar kritisieren? Was die dazu vorgeschlagenen Antworten in Philosophie und Sozialwissenschaft angeht, kann man auf ein ganz erstaunliches Phänomen stoßen: Viele der Antwortvorschläge stimmen — bei aller Verschiedenartigkeit der Schulzugehörigkeit ihrer Urheber und trotz aller Variationen im Detail — in den Auffassungen über die Hauptdimensionen einer wissenschaftlichen Ungleichheitsanalyse weitgehend überein!
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Wichtige Bezugstexte
M. Weber: Die drei reinen Typen der Herrschaft, in ders.: Soziologie. Weltgeschichtliche Analysen. Politik, Stuttgart 1956 (ff.), S. 151 ff.
Jean Jacques Rousseau: Diskurs über die Ungleichheit (Edition Meier). Paderborn/München/Wien/Zürich 1984, Zweiter Teil, S. 173 ff. Zitiert als DU.
John Locke: Zwei Abhandlungen über die Regierung (hrsg. und eingel. v. W. Euchner), Frankfurt/M 1977, §§ 4–7, §§ 25–45. Die zweite Abhandlung (Second Treatise on Government) wird als ST mit Paragraphenangabe zitiert.
Vertiefender Kommentar
J. Ritsert: Soziale Diskrepanzen. Konzepte und Kategorien einer Theorie der sozialen Ungleichheit, Teil 1: Genesis, Studientexte zur Sozialwissenschaft, Band 8/I, Frankfurt/M 1994, S. 70–97.
J. Ritsert: Sozialphilosophie und Gesellschaftstheorie, Münster 2004, S. 69–84
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(2009). Dimensionen sozialer Ungleichheit. In: Schlüsselprobleme der Gesellschaftstheorie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91436-7_9
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