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Temporalität verfilmen: Das Zeit-Kino von David Lynch

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Zeitspieler
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Auszug

Lost Highway, Mulholland Drive und The Straight Story sind Zeit-Filme im deleuzianischen Sinne. In ihnen wird Temporalität künstlerisch durchdacht. Lynch verleiht subjektiven Zeiterfahrungen formalen Ausdruck und erkundet temporale Wirkungsfacetten, welche der homogenen Zeitinszenierung des Erzählkinos entgehen. Die Filme wenden sich vom Bewegungs-Bild dem Zeit-Bild, d.h. einer ästhetik des Virtuellen, zu und machen eine Zeitlichkeit lebendig, die den Sinnen sonst verborgen bleibt. Temporalität wird von den motorischen Bewegungen der Außenwelt gelöst, so dass sich die Kamera nicht durch ein Netz räumlicher Beziehungen bewegt, sondern durch ein Netz unsichtbarer mentaler Relationen. Anstatt auf dem Zeitpfeil voranzuschreiten, führen die Filme vielmehr in die Zeit hinein und das bedeutet bei Lynch hinein in die Vergangenheit. Während dies in The Straight Story in Form einer melancholischen Lebensrückschau geschieht, wird in Lost Highway und Mulholland Drive ein verstörendes Spiel von Vergangenheitsentfremdung und -erfindung entfacht. Wie Bergson und Deleuze wertet auch Lynch die Vergangenheit gegenüber der Gegenwart auf, und auch er identifiziert sie mit der Virtualität — mit der unausgeschöpften Fülle von Möglichkeiten, die sich ebenso unerwartet wie unkontrolliert Bahn brechen können. Die unheimlichen Gefilde des Denkbaren breiten sich unter der vertrauten Oberfläche des Aktuellen aus und verzerren sie. Anders als das konventionelle Erzählkino beschränken sich Lynchs Zeitinszenierungen nicht auf die Sukzession des Aktuellen, sondern beziehen das sich zeitgleich erstreckende Denkmögliche mit ein — sie greifen auf das Simultanfeld des Virtuellen aus, auf dem chronologische Verortungen sowie die Scheidung der Zeitdimensionen obsolet werden und sich Figuren wie Zuschauer im Extremfall zu verlieren drohen. Zeit wird in Lynchs Filmen beunruhigend, weil sie direkt zur Darstellung kommt als komplexe Koexistenz von Aktuellem und Virtuellem.

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  • Deleuze, Gilles (1992): Differenz und Wiederholung. München: Fink.

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© 2009 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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(2009). Temporalität verfilmen: Das Zeit-Kino von David Lynch. In: Zeitspieler. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91420-6_11

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