Auszug
Im Folgenden sollen Grundlinien von Methodendebatten der vergangenen 80 Jahre im deutschen und anglo-amerikanischen Sprachraum nachgezeichnet und dabei die zentralen methodologischen Argumente diskutiert werden, mit denen Vertreter der qualitativen und der quantitativen Tradition den Wert und die Brauchbarkeit ihrer Ansätze begründet haben. Seit der (durch die wissenschaftshistorischen Arbeiten von Thomas Kuhn populär gewordene) Begriff des „Paradigmas“ in den 1970er Jahren in die sozialwissenschaftliche Methodendebatte eingeführt wurde, wird die Frage nach der Vereinbarkeit der beiden „methodologischen Paradigmen“ diskutiert. Anhand der Diskussionen, die in den letzten 20 Jahren vor allem im englischsprachigen Raum geführt wurden, lässt sich allerdings zeigen, dass der Kuhn’sche Paradigmenbegriff ein nur sehr begrenzt taugliches Instrument zur Begründung und Abgrenzung forschungsmethodischer Ansätze ist. Das lehrt auch die Forschungspraxis der Sozialwissenschaften, denn in den vergangenen beiden Dekaden wurde sowohl in der sozialwissenschaftlichen Evaluations- als auch in der Grundlagenforschung die Verknüpfung qualitativer und quantitativer Methoden zu gemeinsamen Forschungsdesigns zunehmend populär. Die Aufarbeitung der methodologischen Grundlagen von „Mixed Methods“ und „Multimethod Designs“ steht jedoch noch in den Anfängen. Zwar existiert mittlerweile eine umfangreiche Literatur zu technischen, forschungspraktischen und methodischen Fragen und Problemen von methodenintegrativen Designs. Bereits bei deren Klassifikation besteht allerdings Uneinigkeit. Und grundlegende Fragen nach der methodologischen und theoretischen Begründbarkeit der Methodenintegration werden eher am Rande diskutiert und der für die Debatte zentrale Begriff der „Triangulation“ erweist sich bei näherem Hinsehen als eine mehrdeutige Metapher, die eine Reihe von ganz verschiedenen Konnotationen tragen kann, wie im zweiten Abschnitt dieses Kapitels gezeigt werden soll.
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Literatur
Park habe, so berichten seine Schüler weiter, unter wissenschaftlicher Forschung eine direkte Beobachtung und anschließende Klassifikation verstanden, bei der die Angemessenheit von Erklärungen subjektiv, ohne eine explizite Methode der Überprüfung festgelegt werden könnte, und habe deswegen Fragen nach der richtigen Untersuchungsmethode einen untergeordneten Stellenwert zugemessen (vgl. Matthews 1977, S. 179).
Znaniecki stand mit dieser Argumentation keineswegs allein. Auch andere den statistischen Methoden gegenüber kritisch eingestellte Autoren wie Robert MacIver oder Herbert Blumer kritisierten bis in die frühen 1930er Jahre zwar die Tendenz zur Quantifizierung und Messbarkeit als unangemessen für sozialwissenschaftliche Gegenstandsbereiche, nicht jedoch den experimentellen Ansatz mit dem Anspruch auf die Formulierung raumzeitlich universeller Gesetzmäßigkeiten (Blumer 1928; MacIver 1931; vgl. auch Hammersley 1989, S. 138 ff.).
Der symbolische Interaktionismus versteht und analysiert soziales Handeln und soziale Interaktionen als fortlaufende Prozesse der wechselseitigen Interpretation, in denen die Akteure ihre gemeinsam geteilten Symbolwelten gleichermaßen nutzen und hervorbringen (Blumer 1981). Die phänomenologische Soziologie richtete das Augenmerk auf die „Beschreibung der Sinndeutungs-und Sinnsetzungsvorgänge, welche die in der Sozialwelt Lebenden vollziehen“ (Schütz 1974, S. 348). Die Entwicklung soziologischer Begriffe kann demnach nur gelingen, wenn der Sozialwissenschaftler anknüpfen kann an die Typisierungen der Alltagsmenschen, was einen Zugang zu den Wissensvorräten der in der Sozialwelt Lebenden erfordert. Dieser Zugang zu den Beständen an Alltagswissen, auf die die Mitglieder der untersuchten Sozialwelt zurückgreifen müssen, um sich den Sinn ihrer Handlungen gegenseitig verständlich zu machen, war auch für die Ethnomethodologie ein grundlegendes Erfordernis soziologischer Theoriebildung (Weingarten, Sack 1976).
In Deutschland ist der Herausgeberband über den „Positivismusstreit“ (Adorno u.a. 1969/76) die einzige derartige Publikation geblieben, die in breiteren Kreisen rezipiert wurde. Auch von den Teilnehmern dieser Diskussion wurde bereits die Kritik geäußert, dass „keine Diskussion zustande kam, in der Gründe und Gegengründe ineinandergriffen“ (ADORNO 1969/76, 7), bzw. dass die Gegenseite „alle möglichen Missverständnisse reproduziert, die... schon durch die Lektüre der vorliegenden Diskussionsbeiträge hätten vermieden werden können“ (Albert 1969/76, 336).
Dies zeigt sich exemplarisch an der Gründung der Arbeitsgruppe „Qualitative Methoden“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vor wenigen Jahren, in der die Vertreter der qualitativen Methodenlehre sich ein eigenes Forum aufgebaut haben, nachdem eigene jahrelange Versuche, Einfluss in der „Sektion Methoden“ zu gewinnen, aufgegeben worden waren. „Zwar hat man in der Sektion Methoden, insbesondere in neuerer Zeit, nicht prinzipiell die Legitimität qualitativer Sozialforschung bestritten“, so resümierte eine der beiden Gründungssprecherinnen der Gruppe, Christel Hopf, ihre Wahrnehmung der Situation: „Faktisch war es jedoch so, dass in der Sektion Methoden vor allem Fragen quantitativer Forschung und Neuentwicklungen im Bereich statistischer Verfahren aufgegriffen wurden und die Diskussion qualitativer Verfahren einen relativ geringen Stellenwert haben. Für Soziologinnen und Soziologen, die sich primär in der qualitativen Sozialforschung engagierten, war daher die Mitgliedschaft in der Sektion Methoden nicht besonders attraktiv.“ (Hopf 1998, S. 41). Einem bereits zum Zeitpunkt der Gründung der Gruppe vorhandenen Unbehagen in der Allgemeinen und den Speziellen Soziologien gab Rüdiger Lautmann Ausdruck „Nicht allen Beteiligten war wohl bei diesem Vorgang, der in gewisser Weise ein Schisma bedeutet“ (Lautmann 1998, S. 42). Trotz einer von der Methodensektion anfänglich angebotenen Zusammenarbeit (Engel 1998) scheiterte die Kooperation zwischen der Methodensektion und der AG Qualitative Methoden, so dass sich die Trennung inzwischen institutionell verfestigt hat und zu der im Jahr 2003 vom Konzil der DGS verabschiedeten Verleihung des Status einer (dauerhaft institutionalisierten) Sektion an die bislang nur temporär eingerichtete „Arbeitsgruppe Qualitative Methoden“. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass von jeweils über 100 in der Methodensektion und in der Sektion Qualitative Methoden organisierten Soziologen nur fünf die Mitgliedschaft in beiden Gruppen besitzen.
Andere Autoren haben für eine Reihe weiterer theoretischer und erkenntnisphilosophischer Positionen den Paradigmenstatus beansprucht: so etwa Tashakkori und Teddlie 1998 für den Pragmatismus in der Tradition von Peirce, James und Dewey, oder Mertens (1998, 1999) für ein „transformativ-emanzipatorisches“ Paradigma.
In späteren Veröffentlichungen der beiden Autoren wurden dann allerdings positivistisches und postpositivistisches Paradigma, wie bereits erwähnt, wiedervereinigt zu einem allgemeinen „positivistischen Modell“ (Lincoln, Guba 2000).
Während Anselm Strauss sich in seinen späteren Arbeiten von diesen positivistischen Konnotationen der Methode der Grounded Theory distanziert hat, hat Barney Glaser hieran (in scharfer, polemischer Abgrenzung zu Strauss), daran festgehalten: „Grounded theory looks for what is, not what might be, and therefore needs no test“ (ebd., S.67). Nicht die Bildung von Hypothesen, d.h. von vorläufigen und fehlbaren Annahmen, ist, Glaser zufolge, Aufgabe einer empirischen Untersuchung, vielmehr geht es darum, die soziale Welt so zu beschreiben, wie sie tatsächlich ist: „In grounded theory (...) everything fits, as the world is socially integrated and grounded theory simply catches this integration throughemergence.“ (ebd., S.84)
Diese Problematik wurde in den achtziger Jahren im englischen Sprachraum unter der Überschrift „Kritik des ethnographischen Realismus“ thematisiert und eine Diskussion begonnen, in der der Konstruktionscharakter qualitativer, ethnographischer Feldforschungsberichte herausgestellt wurde. Etliche im Rahmen dieser Diskussion entstandene Forschungsarbeiten waren bemüht, die Vorstellung des neutralen ethnographischen Beobachters als eine inszenierte rhetorische Fiktion aufzudecken, die durch bestimmte Genremerkmale ethnographischer Forschungsberichte erzeugt wird (v.a. van Maanen 1988, eine Übersicht bei Hammersley 1995).
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(2008). Qualitative vs. quantitative Forschung — die Debatte. In: Die Integration qualitativer und quantitativer Methoden in der empirischen Sozialforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91174-8_2
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