Auszug
Oft steht das Interessanteste, manchmal sogar das Wichtigste in den Anmerkungen. Ich möchte eine meiner Ansicht nach aufschlussreiche Anmerkung aus dem Neuen Geist des Kapitalismus von Luc Boltanski und Ève Chiapello zum Ausgangspunkt von Überlegungen und Hinweisen machen, die auf Schwachstellen dieses bedeutenden Beitrages zur Kapitalismusanalyse hinweisen sollen. Die Anmerkung beginnt mit einem Zitat:
„Der Kapitalismus baut (...) auf einem immanenten Widerspruch auf. Die kapitalistische Gesellschaftsorganisation ist widersprüchlich in dem (...) Sinn, in dem dies auf ein neurotisches Individuum zutrifft. Sie kann nur durch Handlungen versuchen ihre Absichten zu verwirklichen, die diesen (Absichten) entgegenlaufen. Auf der Basisebene der Produktion: Das kapitalistische System kann nur leben, indem es ständig versucht, die Arbeitnehmer zu reinen Vollzugsgehilfen zu degradieren; und es kann nur in dem Maße funktionieren, indem diese Reduktion nicht umgesetzt wird; der Kapitalismus ist dazu gezwungen, unablässig um die Mitwirkung der Arbeitnehmer an dem Produktionsprozess zu buhlen, eine Mitwirkung, die er im übrigen selbst versucht, unmöglich zu machen.“ Dieses Zitat stammt von Cornelius Castoriadis.1 Es enthält eine frühe Umschreibung dessen, was Castoriadis später, etwa in seinem Hauptwerk Gesellschaft als imaginäre Institution (Castoriadis 1975), als zentrale Implikation des pseudorationalen, auf Pseudo-Kontrolle von Natur und von Sozialem gerichteten kapitalistischen „Imaginären“ herauszuarbeiten versucht hat. Boltanski und Chiapello fahren nach diesem Zitat in der Anmerkung nun ihrerseits so fort:
„Das Konzept des kapitalistischen Geistes selbst beruht auf dieser Widersprüchlichkeit, insofern es darum geht, Initiativen für einen Prozess zu mobilisieren, der durch sich selbst keine Teilnahme bewirken kann. Andererseits ist der Kapitalismus pausenlos versucht, den Geist, der ihm dienlich ist — weil er ihm nämlich nur dienlich ist, indem er ihn behindert — zu zerstören.“ (Boltanski/Chiapello 1999, S. 614, Anm. 54)
Castoriadis 1961, S. 106. Hier zitiert nach der Übersetzung in der deutschen Ausgabe von Boltanski/Chiapello 1999, S. 614, Anm. 54.
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© 2008 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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Wolf, H. (2008). Die duale Institution der Arbeit und der neue(ste) Geist des Kapitalismus. In: Wagner, G., Hessinger, P. (eds) Ein neuer Geist des Kapitalismus?. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91074-1_8
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