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Wieviel Kriminalitätsfurcht braucht die Gesellschaft?

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Wach- & Schließgesellschaft Deutschland
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Auszug

Der Geburtsort der Kriminalitätsfurchtforschung liegt in den USA. Seit den 1970er Jahren wird in den USA regelmäßig der National Crime Survey durchgeführt, seit 1982 in Großbritannien der British Crime Survey. 1989 ist der International Crime and Victimization Survey (ICVS) ins Leben gerufen worden, in dem aus mehr als fünfzig Länden Daten zur Kriminalitätsfurcht, Viktimisierung und Sanktionseinstellungen erhoben werden. Auch in Deutschland wurden bereits in den 1970er Jahren die ersten Studien zur Kriminalitätsfurcht vorgelegt.51 Kriminalitätsfurcht schien vor dem Hintergrund objektiv steigender Kriminalitätsraten zu einem Problem der Lebensqualität (Schwind et al. 1978) und staatlicher Sicherheitspolitik zu werden. Viktimologische Daten sollten Hinweise über mögliche Vertrauensverluste in staatliche Kriminalpolitik geben, die sich etwa in einer mangelnden Bereitschaft ausdrückt, Viktimisierungen bei der Polizei anzuzeigen oder gar in Selbstjustiz gipfelt (Schwind 2001b: Rdnr. 14).

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Literatur

  1. Vgl. z.B. Stephan, Egon (1976): Die Stuttgarter Opferbefragung, Wiesbaden; Schwind, Hans-Dieter/Ahlborn, Wilfried/Weiß, Rüdiger (1978): Empirische Kriminalgeographie — Bestandsaufnahme und Weiterführung am Beispiel Bochum, Wiesbaden.

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  2. Newman (2003) hat beispielsweise belegt, dass die us-amerikanische Politik ihre Deutungen der Attentate vom Elften September an herrschende politische Einstellungen der Bevölkerung angelehnt hat, die in Umfragen ermittelt wurden. Umgekehrt wurden dann diese Befragungen genutzt, um die Anti-Terror-Politik zu legitimieren.

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  3. Es mag überraschen, dass sich die Bundesbürger in den 1970er Jahren am stärksten fürchteten. In den 1980er Jahren waren die Furchtraten wieder rückläufig, um dann bis Mitte der 1990er Jahre wieder anzusteigen (Boers 1991; Ders. 1993; Boers/Kurz 1997; Reuband 1999a und 1999b). Heutzutage weist Deutschland die höchsten Zufriedenheitswerte mit der öffentlichen Sicherheit seit zwei Jahrzehnten auf (Oberwittler/Höfer 2005: 476). Auch in den USA finden sich in den 1970er Jahren die bis dahin stärksten Furchtwerte (Taylor/Hale 1986: 151). Diese Ergebnisse scheinen die These Garlands (2004) zu bestätigen, worauf eine deutliche quantitative Veränderung der objektiven Kriminalitätsraten in dieser Zeit auch die Einstellungen zur Kriminalität veränderten. Einen ähnlichen Zusammenhang zwischen kurzfristig stark ansteigendem Kriminalitätsaufkommen und sprunghaft erhöhten Furchtwerten ermittelten Boers/Kurz (1997: 197) auch für die neuen Bundesländer Anfang der 1990er Jahre. Dort fürchtete man sich zeitweise doppelt so stark vor Verbrechen wie im Westen bei gleicher objektiver Kriminalitätsbelastung. Auch hier wurde auf den außerordentlichen Anstieg der Kriminalität im Zuge der Wende mit einer stark erhöhten Verbrechensbedeutung reagiert. Während Kriminalitätsfurcht nicht mit der objektiven Viktimisierungswahrscheinlichkeit korrespondiert, können sich in dem Anstieg der Furcht gleichwohl erhebliche Veränderungen der Kriminalitätswirklichkeit widerspiegeln. Sowohl ein objektiver erheblicher Anstieg von Kriminalitätsraten wie auch die qualitative Veränderung der Verbrechenswirklichkeit (durch neue Tatbegehungsformen etwa) können zu stark erhöhten Furchtwerten führen (Ferraro 1995: 47).

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  4. Gleiches gilt insgesamt für die interaktionistische Perspektive, die in der viktimologischen Forschung praktisch keine Rolle spielt, wie auch Phillips/ Smith (2004: 380) im Hinblick auf E. Goffmans Interaktionismus und Z. Baumans Phänomenologie kritisieren: Diese Ansätze „sind aufgrund einer paradigmatischen Kluft zwischen interpretativer Forschung einerseits und einem eher positivistischen, politikrelevanten Diskurs auf der anderen Seite von der Mainstream Kriminologie abgetrennt.“ Wobei hierzu anzumerken wäre, dass sich die Kriminalitätsfurchtforschung gerade aufgrund dieser Mängel gut in die Mainstream-Kriminologie fügt.

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  5. Mit der Vorgabe der zwei Deliktgruppen, Körperverletzung und Eigentumsdelikt, wurden zwar allgemeine Gefahrenkategorien bezeichnet, es bleibt jedoch zweifelhaft, ob die Befragten alle deliktbezogenen Kriminalitätsbefürchtungen hierunter subsumieren konnten. Während der Einbruch in eine Wohnung oder das weggenommene Autoradio recht klar unter die Eigentumsdelikte fallen, mag die Zuordnung eines bewaffneten Raubüberfalls in eine der beiden Kategorien schon schwerer fallen (vgl. auch Ferraro 1995: 87). Auch hinsichtlich der Körperverletzung bleibt unklar, ob sich hierin die in der Literatur immer wieder als gravierend herausgestellte Angst von Frauen vor einer Vergewaltigung einordnen lässt. Darüber hinaus vermag der Begriff der Körperverletzung die vielen Angst machenden Situationen, wie die Verfolgung auf der Straße, exhibitionistische Handlungen etc. nicht zu erfassen. Auch eine Operationalisierung deliktgruppenspezifischer Kriminalitätsfurcht in Eigentums-und Gewaltdelikte, wie sie z.B. Williams et al. (2000) vorschlagen, würde dieses Problem nicht klar trennbarer Viktimisierungsängste nicht lösen.

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  6. Reuband kommt mit einer Faktorenanalyse der Indikatoren für Kriminalitätsfurcht zum gegenteiligen Ergebnis. Hier laden die Items der affektiven und kognitiven Dimension auf zwei unterschiedlichen Faktoren (2000: 188 f). Auch bei Lisbach/Spiess (2003: 211) lassen sich für die kognitiven und emotionalen Komponenten zwei Faktoren finden, allerdings korrelieren diese mit r =.50.

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  7. Für eine Darstellung, der je nach Definition enorm variierenden Inzidenzraten sexueller Gewalterfahrungen von Frauen s. Macmillan/ Nierobisz/ Welsh 2000: 307 f.

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  8. Kury et al. (2000: 560 ff.) errechnen allerdings leicht höhere Werte für Frauen, die sie wiederum mit der höheren Verbrechensfurcht von Frauen begründen.

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  9. Längst steht fest, dass das Viktimisierungsrisiko für Frauen am falschen Ort vermutet wird. Nicht im öffentlichen Raum in den Abendstunden und von fremden Männern droht die Gefahr, sondern sie geht in erster Linie von Intimpartnern in der Häuslichkeit aus (Cavender et al. 1999; Hollander 2001; Chan/Rigakos 2002: 752). Trotzdem hat sich gezeigt, dass der sexuellen Belästigung durch Fremde eine Schlüsselrolle bei der Erklärung weiblicher Kriminalitätsfurcht zukommt (Macmillan/Nierobisz/Welch 2000: 318).

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  10. Der Einfluss erfolgter Viktimisierungen auf die Kriminalitätseinstellungen (auf affektiver und kognitiver Dimension sowie auf der Vorsichtskala) hat sich auch für die Subgruppe der Älteren ab 58 Jahren als sehr schwach und nicht signifikant erwiesen. Damit unterscheiden sich nach den vorliegenden Daten Ältere nicht von der allgemeinen Bevölkerung, für die in zahlreichen Untersuchungen festgestellt wurde, dass Viktimisierungen nur schwache und z.T. negative Einflüsse auf Kriminalitätseinstellungen aufweisen. McCoy (1996: 198 ff.) kommt im Rahmen ihrer Untersuchung zur Kriminalitätsfurcht Älterer erstaunlicherweise zu dem Ergebnis, dass eigene Opferwerdungen und Viktimisierungen von Personen, die im selben Haushalt leben, einen hochsignifikanten positiven Einfluss auf die Kriminalitätsbefürchtungen haben. Möglicherweise ist dieses ungewöhnliche Ergebnis damit zu erklären, dass die Autorin zur Messung von Kriminalitätsfucht die Standardfrage verwendet hat.

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  11. Dass ein meritokratische Prinzip den Gesellschaftraum strukturiert, hat immer schon Anlass zu Zweifeln gegeben. Man kann mit guten Gründen die Verteilung von gesellschaftlicher Anerkennung und ökonomischen Ressourcen entlang von Leistungskriterien für eine kleinbürgerliche Gerechtigkeitsvorstellung halten (vgl. Bourdieu 1982: 554). Dieses Ideal wird überdies zunehmend in der Marktgesellschaft eines Besseren belehrt, in der nicht mehr so sehr Leistung, sondern Erfolg soziale Positionen bestimmt (vgl. Neckel 1991, 2000). Mit der Pensionierung werden aber zumeist beide Distinktionsstrategien aufgegeben, so dass gesellschaftliche Anerkennung v.a. aus vergangenen Leistungen und Erfolgen bezogen werden kann.

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  12. Die Harris-Studie enthielt eine Batterie von Fragen, mit der erhoben wurde, ob die Befragten Kriminalität mit rapidem sozialen Wandel verknüpfen. Beispielsweise wurde den Befragten folgendes Statement vorgelegt: „Law and order has broken down in the country because we have gotten away from the old moral values“ (Furstenberg 1971: 606).

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  13. Nicht zuletzt mag das Ergebnis erhöhter Kriminalitätsfurcht bei Älteren auch mit durch eine fehlende Differenzierung nach dem Geschlecht bedingt sein. Die Überrepräsentanz von Frauen in älteren Kohorten erhöht die Kriminalitätsfurcht dieser Gruppe, die dann fälschlicherweise dem Alter statt dem Geschlechtseffekt zugeschrieben wird (Fattah 1993: 51).

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  14. Eine solche Distanzierungsstrategie findet sich auch in einer Untersuchung von LaGrange et al. (1992: 319) bestätigt. Hier wird festgestellt, dass 64% der Probanden, die von mind. einer Straftat in ihrem Stadtviertel wissen, diese einem Fremden zuschreiben und nicht einem Bewohner ihres Viertels.

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  15. Die Behauptung eines Einflusses medialer Berichterstattung auf personale Kriminalitätseinstellungen, zu denen auch das Unsicherheitsgefühl im Wohnviertel zählt, ist jedoch problematisch, zumindest insoweit allein quantitative Daten herangezogen werden. Zum einen verweist Boers (1991: 163 ff.) darauf, dass Medienberichte i.a.R. nicht persönlich relevantes Wissen von Kriminalität vermitteln und aus diesem Grunde zwar auf die sozialen Kriminalitätseinstellungen wirken, jedoch der Einfluss auf die eigenen Befürchtungen durchaus umstritten ist. Selbst wenn Effekte des Medienkonsums auf personale Kriminalitätseinstellungen im Rahmen bivariater Analysen festgestellt werden können, seien multivariate Analysemethoden notwendig, um Scheinkorrelation aufzudecken, die sich etwa durch den Zusammenhang zwischen geringerem Bildungstand und erhöhtem Fernsehkonsum ergeben. Drittens könne auch die Richtung des Zusammenhangs nicht geklärt werden, da durch Querschnittuntersuchung nicht zu ersehen ist, ob personale Kriminalitätsfurcht die Medienrezeption gezielt in Richtung verstärkter Aufmerksamkeit hinsichtlich der Kriminalitätsberichte beeinflusst oder ob Medien auf die personalen Kriminalitätseinstellungen einwirken.

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  16. Heinz/ Spiess (2001: 165) berichten von einer Studie, in der sogar 67% der Befragten im Rahmen einer geschlossenen Fragestellung mit 25 Antwortvorgaben die „Unsicherheit auf den Straßen (Drogen, Raub, Vandalismus)“ als das größte Problem in Stuttgart bezeichnet haben (Statistisches Landesamt der Landeshauptstadt Stuttgart, Hg., Statistischer Informationsdienst — Beiträge aus Statistik und Stadtforschung, Heft 3/1995, Heft 9/1995).

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  17. Boers/ Kurz (1997: 217) errechnen, dass 1995 fast 60% der Ostdeutschen und ein Drittel der Westdeutschen sehr beunruhigt über das Problem der Arbeitslosigkeit waren. Noch mehr allerdings besorgte sie das Thema der Organisierten Kriminalität (Ostdeutsche zu rd. 62% und Westdeutsche mit knapp 47%). Dieses Ranking spiegelt offenbar die intensive politisch-mediale Problematisierung der „Organisierten Kriminalität“ wider.

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(2008). Wieviel Kriminalitätsfurcht braucht die Gesellschaft?. In: Wach- & Schließgesellschaft Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91068-0_3

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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