Auszug
Vor einiger Zeit, in jenen Jahren, als Emanzipation als höchster Bildungswert deklariert wurde, hätte man noch gesagt, dass die Bildungsdiskussion „unehrlich“ sei: Denn sie berufe sich auf die großen Werte, bediene aber zunehmend die Wirtschaft. Sie rede von Mündigkeit, passe aber für die Laufbahn an. Sie rede von Kultur, habe aber die Karriere im Auge. - Für die aktuelle Diskussion gilt dies nicht mehr: Die Bildungspolitik redet nicht mehr von Werten, Mündigkeit und Kultur, sondern nur noch von Wirtschaft, Laufbahn und Karriere. Insofern ist sie ehrlicher geworden. Bei einigen Direktoren höherer Schulen hat sich das neue Vokabular noch nicht zur Gänze herumgesprochen, und sie verharren-sympathischerweise-beim Vokabular von Menschlichkeit und Sittlichkeit; sie glauben allerdings-fatalerweise-, robuste Distanz zu den Bedingungen eines Arbeitsmarktes wahren zu müssen, um das zu retten, was sie unter Bildung verstehen. Das „non scholae, sed vitae discimus“ wurde immer mehr auratisch als professionell, mehr humanistisch als technologisch verstanden, und oft hat sich die Schule unwillig gezeigt, über ihre Schwelle hinauszublicken. Das gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Nachfrage nach gewissen Bildungsinhalten im deutschsprachigen Raum unterschiedlich ist, je nach den Kanälen des Bildungssystems. Die Nachfrager 227 verlangen vom klassischen Gymnasium etwas anderes als von den berufsbildenden Institutionen. Aber insgesamt kann man wohl sagen: Die Bildungspolitik sagt ehrlich, dass sie auf Bildung weitgehend verzichtet. Schulausbildung ist eine Art von öffentlicher „Anschubfinanzierung“ 228 für Personen, die sich auf einem liquiden Arbeitsmarkt durchschlagen müssen.
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Prisching, M. (2008). Das Arbeitsmarktmodell. In: Bildungsideologien. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91019-2_7
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