Auszug
Schulen und Universitäten, so verkünden manche Reformer, vermitteln Wissen, das tot ist, unbrauchbar, veraltet, überflüssig; sie sollten, so empfehlen die Pragmatiker des Alltags, doch viel eher jene Kenntnisse und Fähigkeiten weitergeben, die im Alltag benötigt werden. Die meisten wissen nicht, wie man ein Testament macht. Der Führerschein ist in einer mobilen Gesellschaft unabdingbar. Banküberweisungen und Behördenformulare gilt es auszufüllen. Einen Mietvertrag zu unterschreiben. Verkehrserziehung. Das brauche man wirklich, nicht die Opern von Kleist und die Tragödien von Mozart-oder so ähnlich. Die Menschen seien also dort abzuholen, wo sie sich befänden: mehr „Heimisches“ im Unterricht, mehr Verwertbares; ein Wissen, das der Lebenswelt der Kids entspringt und für diese unmittelbar brauchbar ist.
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Talcott Parsons: The School Class as a Social System: Some of its Functions in American Society (1959), in: Parsons: Social Structure and Personality, New York 1964, 129–154. “On the one hand, the teacher resembles the female head of the family and promotes familial values like diffuse affect, personalism, informality, and play. At the same time, the teacher must embody the values demanded by the occupational world-abstraction, rationality, mastery, independence, and cooperation. The first set of values facilitates identification; the second set directs identification to the adult role.” Jeffrey C. Alexander: Twenty Lectures. Sociological Theory Since World War II, New York 1987, 83.
Ludger Woessmann, Paul E. Peterson (Hrsg.): Schools and the Equal Opportunity Problem, Boston 2007.
Manfred Prisching: Die zweidimensionale Gesellschaft. Ein Essay zur neokonsumistischen Geisteshaltung, Wiesbaden 2006.
102 Birger Priddat fügthinzu: Bildung steckt mitten in einem Prozess, in dem die Verhältnisse von Job, Familie und Schule reorganisiert werden; „neue Infrastrukturen sind notwendig: durchgehende Ganztagsschulen, die die Eltern entlasten, und neue private/public-relationships, die die Schulen entlasten. “ (Priddat 2002, 87) Vgl. auch Heinz Günter Holtappels: Stichwort: Ganztagsschule, Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9 (2006), 1, 5–29. In dieser Darstellung wird schön herausgearbeitet, dass es wesentliche Unterschiede zwischen additiven und freiwilligen Modellen einerseits und integrierten, unfreiwilligen Modellen andererseits gibt. Wenn die Unterrichtsstunden auf den Vormittag beschränkt bleiben und am Nachmittag Betreuungszeiten angehängt werden, wird eine Intensivierung von Lernförderung und Lerngelegenheiten nicht erreicht. Auch bei jenen Schulen, welche die Ganztagsbetreuung so verstehen, dass attraktive Freizeitverbringungsmöglichkeiten vielfältiger Art angeboten, aber sonst keine änderungen vorgenommen werden, sind keine inhaltlichen Wirkungen zu verzeichnen. Insofern haben empirische Studien gezeigt, dass die organisatorische Umstellung auf ein Ganztagsmodell nicht per se bessere Lernergebnisse zeitigt. Es bedarf tatsächlich einer inhaltlich neuen, kompetenten Nutzung einer veränderten Zeitstruktur. Dazu gehört ein neuer Zeitrhythmus mit einem angemessenen Wechsel von Lern-, Eigen-und Freizeitaktivitäten; und natürlich bedürfen Ganztagsschulen eines zusätzlichen Raumprogramms mit Aufenthaltsqualität, einer Verpflegung durch Mahlzeiten, einer Erweiterung des Lehrpersonals durch sozialpädagogische Fachkräfte usw.
Alain Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart, Frankfurt a. M. 2004.
Heinz Abels: Identität. über die Entstehung des Gedankens, dass der Mensch ein Individuum ist, den nicht leicht zu verwirklichenden Anspruch auf Individualität und die Tatsache, dass Identität in Zeiten der Individualisierung von der Hand in den Mund lebt, Wiesbaden 2006; Thomas Kron (Hrsg.): Individualisierung und soziologische Theorie, Opladen 2000.
Peter Gross: Die Multioptionsgesellschaft, Frankfurt 1994.
Ronald Hitzler, Anne Honer: Bastelexistenz, in: Ulrich Beck, Elisabeth Beck-Gernsheim (Hrsg.): Riskante Freiheiten, Frankfurt a. M. 1994, 307–315; Ronald Hitzler: Bastelgesellschaft, in: Manfred Prisching (Hrsg.): Die Etikettengesellschaft, Wien 2003.
Pascal Bruckner: Ich kaufe, also bin ich. Mythos und Wirklichkeit der globalen Welt, Berlin 2004.
Sighart Neckel: Identität als Ware. Die Marktwirtschaft im Sozialen, in Mythos und Wirklichkeit der globalen Welt: Die Macht der Unterscheidung. Essays zur Kultursoziologie der modernen Gesellschaft, Frankfurt-New York 2000, 37–47.
Howard Gardner: Multiple Intelligences. The Theory in Practice, New York 1993.
Peter Büchner, Katrin Wahl: Die Familie als informeller Bildungsort. über die Bedeutung familialer Bildungsleistungen im Kontext der Entstehung und Vermeidung von Bildungsarmut, Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 8 (2005), 3, 356–373; Britta Hawighorst: Mathematische Bildung im Kontext der Familie. über einen interkulturellen Vergleich elterlicher Bildungsorientierungen, Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 10 (2007), 1, 31–48.
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Manfred Fuhrmann: Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters, Frankfurt-Leipzig 1999, 28f.
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Wolfgang Brezinka: Geisteswissenschaften und Bildung. Zur Klärung ihrer Beziehungen in einer individualistischen Gesellschaft, in: Gottfried Magerl, Oswald Panagl, Helmut Rumpler, Erwin Waldschütz (Hrsg.): „Krise der Moderne“ und Renaissance der Geisteswissenschaften, Wien-Köln-Weimar 1997, 408–428, hier 413. Dass die Schulstudien mit den Gegenständen der geistigen Welt vertraut machen, aber noch nicht Einführungen in die Wissenschaft selbst darstellen sollen, wird heute nach Brezinkas Meinung auch von den Geisteswissenschaftlern, die Lehrer ausbilden, kaum mehr verstanden und berücksichtigt. „Deshalb können es auch deren Studenten von ihnen nicht lernen. Immer mehr Leute glauben, wissenschaftliche Erkenntnis sei das höchste Gut, und möchten jedermann für diesen Aberglauben gewinnen.“
Friedrich H. Tenbruck: Der Fortschritt der Wissenschaft als Trivialisierungsprozess, in: Nico Stehr und René König (Hg.): Wissenschaftssoziologie. Opladen 1975 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 18), 19–47, hier 29ff.
Richard Münch: Globale Dynamik, lokale Lebenswelten. Der schwierige Weg in die Weltgesellschaft, Frankfurt a. M. 1998; Anthony Giddens: Die Konsequenzen der Moderne (The Consequences of Modernity, Cambridge 1990), Frankfurt a. M 1995; Ulrich Beck: Die Erfindung der Politik, Frankfurt a. M. 1993.
Das wird auch in Bezug auf die Ausbildung an Fachhochschulen, denen ja mit Recht eine besondere Praxisnähe nachgesagt wird, betont: In einer vom Fachhochschulrat herausgegebenen Studie heißt es hiezu: „Auch die intendierte Praxisorientierung dürfte durch ein hohes theoretisches Niveau eher gewährleistet sein als durch ein unzureichend ausgebildetes theoretisches Problembewußtsein, da ein solches den Horizont der überhaupt problematisier-und bearbeitbaren praktischen Probleme einschränkt. Und insofern sind auch die Problemlösungskapazitäten durch das dem Problemlöser zur Verfügung stehende theoretische Niveau determiniert, so daß etwa im schlechteren Fall bestimmte Aspekte eines Problems gar nicht wahrgenommen bzw. Fragestellungen nicht differenziert genug konkretisiert werden können.” Kurt Sohm: Praxisbezogene Ausbildung auf Hochschulniveau. Eine pädagogisch-didaktische Herausforderung, Wien 1999, 33.
Ernst Sittinger: Schrille Töne in Graz: Erziehung ist Rassismus’, Die Presse vom 23. März 1999, 9.
Ausführlicher dazu Manfred Prisching: Die Ratgeber-Gesellschaft, Theologisch-praktische Quartalsschrift 154 (2006), 2, 115–126.
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Helmut Schelsky: Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, München 1977. Vgl. auch Ivan Illich: Fortschrittsmythen, Reinbek b. H. 1983.
Berit Ernst, Alfred Kieser: Versuch, das unglaubliche Wachstum des Beratungsmarktes zu erklären, in: Rudi Schmidt u.a. (Hrsg.): Managementsoziologie. Themen, Desiderate, Perspektiven, München-Mering 2002, 56–85; Michael Faust: Warum boomt die Managementberatung-und warum nicht zu allen Zeiten und überall?, in: Schmidt 2002, 19–55; Ulrike Froschauer, Manfred Lueger: Unternehmensberatung: Die Moralisierung der Wirtschaft, in: Anne Honer, Ronald Kurt, Jo Reichertz (Hrsg.): Diesseitsreligion. Zur Deutung der Bedeutung moderner Kultur, Konstanz 1999, 119–134; Cornelia Koppetsch: Neue Wirtschaftsberater als Sinnstifter der Marktkultur?, in: Ronald Hitzler, Michaela Pfadenhauer (Hrsg.): Karrierepolitik. Beiträge zur Rekonstruktion erfolgsorientierten Handelns, Opladen 2003, 263–280.
Stephan Voswinkel: Bewunderung ohne Würdigung? Paradoxien der Anerkennung doppelt subjektivierter Arbeit, in: Axel Honneth (Hrsg.): Befreiung aus der Mündigkeit. Paradoxien des gegenwärtigen Kapitalismus, Frankfurt-New York 2002, 65–92.
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Prisching, M. (2008). Das alltagspragmatische Modell. In: Bildungsideologien. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91019-2_4
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