Auszug
Auch wenn Webers Soziologie heute als ein weiteres Paradigma neben die Paradigmen der Systemtheorie, der Theorie der rationalen Wahl und des kommunikativen Handelns getreten ist (vgl. Lepsius 2003: 32f.; Schluchter 2000a), scheint es sich durch eine Charakteristik auszuzeichnen, die es im Vergleich mit diesen als vorzugswürdig erscheinen lässt. Es enthält weder allumfassende gesellschaftstheoretische Ansprüche noch behauptet es, dass es den theoretischen oder nomologischen Kern zur Erklärung aller sozialen Phänomene schon gefunden hat. Das Weber-Paradigma bietet eine sehr viel offenere Theoriekonzeption, die hinsichtlich ihrer Erklärungsansprüche wesentlich bescheidener auftritt. Wer das Werk von M. Rainer Lepsius, einem der Hauptvertreter des Weber-Paradigmas, kennt, weiß, dass diese Charakteristik des Weber’sschen Forschungsprogramms bei ihm deutlich zutage tritt. Nun ist das wahrscheinlich kein bloßer Zufall, sondern hat vielleicht auch etwas mit den professionellen Prägungen zu tun, die er in seinem frühen Forscherleben erfuhr. 1978 beschrieb er diese kurz und bündig so: „Sollte ich mich selbst klassifizieren, so würde ich mich am stärksten einer soziolo- gischen Tradition zurechnen, die durch Max Weber geprägt wurde und die durch neuere strukturell-funktionale Theorien ergänzt wird.“ (Lepsius 1979: 36)
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Literatur
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© 2008 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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Albert, G. (2008). Soziologie mittlerer Reichweite. Die methodologischen Konzeptionen Robert K. Mertons und Max Webers im Vergleich. In: Sigmund, S., Albert, G., Bienfait, A., Stachura, M. (eds) Soziale Konstellation und historische Perspektive. Studien zum Weber-Paradigma. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90998-1_21
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