Auszug
Die Formierung der französischen Nation — une et indivisible — steht in engstem Zusammenhang mit der Französischen Revolution175. Der seiner selbst bewusst werdende „Dritte Stand“ als das — im wesentlichen — gewerbliche und gebildete Bürgertum, gewann sein Zusammengehörigkeitsbewusstsein darin, citoyen français, Bürger Frankreichs zu sein.176 Dies war durch die Politik der französischen Krone vorbereitet worden, die alles daran gesetzt hatte, die Zwischengewalten zu entmachten und eine einheitliche Untertanengesellschaft, die als solche der einheitlichen königlichstaatlichen Gewalt gegenüberstehen sollte, zu schaffen. Die im Zuge der Revolution und ihres Postulats von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ erwachende Nation177 stellte sich nicht gegen den bestehenden Staat; sie fühlte sich ihm und seiner Geschichte verbunden, entriss ihn aber zugleich dem Königtum und gestaltete ihn grundlegend um.178 Ein entscheidender Unterschied zwischen den Parteigängern der Revolution und Aktivposten der alten Ordnung wie Turgot lag nicht zuletzt darin, dass erstere sich mit den bis zum Zeitpunkt der Revolution erzielten Rationalisierungen in Planung und Regulierung öffentlicher Angelegenheiten nicht zufrieden gaben und die Meinung vertraten, unter den Bedingungen der als anachronistisch empfundenen alten Zustände ließen sich weitergehende Fortschritte für Frankreich nichterzielen. Derart unzufrieden und erfüllt von einem esprit bourgeois179, welcher in den Jahrzehnten vor der Revolution in Prozessen der Säkularisierung eine weitreichende Verbreitung gefunden hatte, gewann mithin jene Politik ihre revolutionäre Brisanz, mittels derer es dem Dritten Stand schließlich gelang, aus dem Status seiner —gemessen an den Privilegien der beiden ersten Stände — Ungleichheit herauszutreten, sich von politischen Verhältnissen zu befreien, in denen sich das Bürgertum in der Freisetzung seiner schöpferischen Potenzen entscheidend behindert sah.
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© 2006 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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(2006). Rahmenbedingungen nationaler Selbstfindung. In: Patriotismus in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90666-9_2
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