Auszug
Diese Worte sagte vor einigen Jahren eine ehemalige Patientin zu mir, die sich in beeindruckender Art und Weise mit ihrem bisherigen Lebensweg auseinandersetzte. Zu ihren Lebenserfahrungen als Kind gehörte es, regelmäßig Zeuge zu sein, wie ihr Vater ihre Mutter misshandelte. Irgendwann erwischte es dann den älteren Bruder, der versuchte, den Vater zurückzuhalten. Das Mädchen selbst wurde nie vom Vater geschlagen, sondern hatte die Aufgabe, den Vater nach seinen Ausbrüchen zu trösten, wenn er wie ein Häufchen Elend, teilweise betrunken, weinend da saß. In der späteren Psychotherapie, die sie mit 17 Jahren begann, tauchten immer wieder Bezüge auf zwischen ihren (mittlerweile Jahre zurückliegenden) Gewaltererlebnissen und Ängsten und Schwierigkeiten in ihrem aktuellen Leben. Sie erlebte auch jetzt noch eine quälende Gefühlszerissenheit zum Vater, pendelte zwischen Hass, Scham, Mitleid und Verantwortungsgefühl, wechselte in ihren Identifikationen zwischen Opfer und Täter, erlebte Misstrauen in all ihren heutigen Beziehungen. Immer wieder lief sie Gefahr, die erlebte elterliche Paarbeziehung in ihren eigenen Liebesbeziehungen zu reinszenieren, hatte eine panische Angst, so zu werden, wie der Vater, wenn sie in Wutausbrüchen von scheinbar grenzenloser Destruktivität überflutet wurde. Eine Zeitlang war sie fast besessen davon, ihre Nase operieren zu lassen, bis sich herausstellte, dass die eigene Nase sie an die Nase ihres Vaters erinnert. In ihrem Grundgefühl, der erlebten Familienhölle auch in ihrem eigenen Leben niemals entrinnen zu können, wurde sie phasenweise depressiv und wollte nicht mehr leben. Teile ihrer Erinnerungen waren traumatisch verarbeitet, d.h. nur in Fragmenten vorhanden und/oder gefühlsmäßig abgetrennt mit Empfindungen von Leere oder Betäubtheit. In Alpträumen tauchten Bruchstücke wieder auf.
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Literatur
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Wurdak, M. (2007). Therapeutische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die häusliche Gewalt erlebt haben. In: Kavemann, B., Kreyssig, U. (eds) Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90550-1_18
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