Entweder — Oder?

Auszug

Der Gedanke, das zeitgenössische Individuum führe angesichts der Uneinheit-lichkeit seiner Umweltbezüge ein „Leben im Plural“ (Welsch 1991: 352) und sei weder in der Lage noch Willens, eine dauerhaft „angebbare Identität“ (ebd.: 355) zu entwickeln, ist entgegen der Etikettierung dieses Gedankens als postmodern einem durchaus noch modernen Denkstil verhaftet: Einem reflexiven Wahrneh-mungs- und Erkenntnisstil, der die Einheit der Person in den extensiven Zeithorizonten ihrer Biographie zu bestimmen sucht und der diese Einheit förmlich zersplittert sieht, wenn eine solch biographische Identität nicht mehr angegeben wird oder angegeben werden kann. Dass zeitgenössische Individuen bisweilen dazu neigen, postmodern zu agieren, bedeutet etwa für Zygmunt Bauman eben dies: Dass sich der Einzelne nicht (mehr) auf das Leben als Ganzes hin orientiert, sondern auf das Augenblickliche, das Ästhetische, auf den Genuss. „Der Angelpunkt der postmodernen Lebensstrategie heißt nicht Identitätsbildung, sondern Vermeidung jeglicher Festlegung“ (Bauman 1997: 146).

Die folgenden Überlegungen stehen in Zusammenhang mit dem von der DFG geförderten Forschungsprojekt „Stile des Lebens“, das Hans-Georg Soeffher, Anne Sonnenmoser und ich an der Universität Konstanz durchfuhren. Vgl. ausführlicher Soeffher (2001) u. Müller (2002; 2006).