Auszug
Die Wahl der Metapher folgte einer Intuition. Das Stichwort des Grenzgängers sollte mich zu einer (post)modernen Umgangsweise mit Grenzen fuhren. Die Intuition bewahrheitete sich. Am Ende meiner Recherche bin ich mir gewiss, dass Grenzgänger und Grenzgänge kulturell signifikante Denk- und Redefiguren darstellen, um bestimmte (post)moderne Befindlichkeiten anzuzeigen und auszudrücken. Dass menschliches Leben allseits begrenzt sei, zählt zu den anthropologischen Konstanten des Menschseins, versteht sich. Begrenzt sind unsere Lebenszeit, unsere Fähigkeit, unser Charakter, unser zivilisatorisches Universum. Zugleich war und ist der Mensch ein grenzüberschreitendes Wesen — auch darüber dürfte die philosophische und historische Anthropologie einig sein. In der europäischen Moderne, der Entfesselung des kapitalistischen Wirtschaftens in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten wurde der Wunsch nach Grenzüberschreitung endemisch, entgrenzte sich selbst. Der Grenzgänger ist eine, nicht die einzige Denk- und Lebensfigur dieser modernen Wunschproduktion. Der Grenzgang meint, in der Technik-Folklore des Kabel-TV gesprochen, das Switchen zwischen getrennten, unvereinbaren Welten, Kulturen, Lebensweisen; meint letztlich eine Grundbefindlichkeit des (post)modernen Menschen.
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Zinnecker, J. (2006). Grenzgänger. In: Gebhardt, W., Hitzler, R. (eds) Nomaden, Flaneure, Vagabunden. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90377-4_10
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