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Zwischen Wesensmetaphysik und soziologischer Entzauberung. Männlichkeit in den Geschlechtertheorien soziologischer Klassiker

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Geschlecht und Männlichkeit
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Auszug

Die Geschlechtssensibilisierung der Soziologie ist recht jungen Datums und in der angloamerikanischen Diskussion weiter fortgeschritten als hierzulande. Dies zeigt sich, wenn man soziologische Einführungsliteratur, Handbücher und Lexika durchsieht12, wird aber auch anhand der Rezeption deutlich, welche die soziologischen Klassiker erfahren. Daß die Autoren des von Dirk Käsler 1976 bzw. 1978 herausgegebenen Standardwerks über die „Klassiker des soziologischen Denkens“ der Geschlechterthematik keine Beachtung zukommen ließen, verwundert nicht weiter, stand doch vor 20 Jahren die Herausforderung des soziologischen mainstream durch die Frauenforschung erst bevor. Circa ein Jahrzehnt später entsteht zunächst in den Vereinigten Staaten eine Klassikerrezeption, die das Augenmerk auf die expliziten Konzeptualisierungen des Geschlechterverhältnisses wie auf implizite Annahmen über die soziale Position von Frauen und Männern richtet (für übergreifende Abhandlungen vgl. Sydie 1987; Kandal 1988)13.

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Literatur

  1. In amerikanischen und englischen Einführungen und Handbüchern war ein Kapitel zum Geschlechterverhältnis bereits in den achtziger Jahren obligatorisch (vgl. z.B. Doob 1985; Turner 1985; Smelser 1988; Giddens 1989). Der soziologische Mainstream in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien hat vergleichsweise früh erkannt, daß dies ein Gegenstand ist, der den Kern des Faches betrifft. Bei der Lektüre deutschsprachiger soziologischer Einführungsliteratur erfuhr man dies seinerzeit in der Regel nicht. Selbst aktualisierte Auflagen bekannter und bewährter Werke vernachlässigten das Thema (vgl. Amann 1991; Bellebaum 1991, Reimann 1991, Wiswede 1991). Hinweise auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse hatten einen eher beiläufigen Charakter. Im Index sucht man meist vergeblich nach einem entsprechenden Eintrag.’ sensibler’ für die Bedeutung des Themas waren neuere Wörterbücher (vgl. Endruweit/Trommsdorff 1989; Reinhold 1991; Fuchs-Heinritz u.a. 1994). Ab den neunziger Jahren wird Geschlecht zu einem Thema, das durchgängig in Einführungen und Lehrbüchern vertreten ist (vgl. z.B. Korte/Schäfers 1993; Treibel 1993; Joas 2001).

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  2. Bemerkenswert ist allerdings, daß dies in der allgemeinen Klassikerrezeption nur wenig Niederschlag findet. Das ist zumindest der Eindruck, den der ebenfalls von Dirk Käsler (1999) herausgegebene, völlig neu konzipierte Doppelband „Klassiker der Soziologie“ vermittelt.

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  3. Anders als Meurer sieht Bologh (1990, S. 55) im Werk Max Webers eine soziologische Theorie des Geschlechts enthalten. Diese Theorie entwickelt Bologh aber eher selbst auf der Basis Weberscher Kategorien, als daß sie sie aus dem Werk Webers rekonstruierte. So bildet sie beispielsweise die Gegenüberstellung von Politik und religiöser Ethik auf der Achse männlich — weiblich ab. Webers Analyse der Zweckrationalität und kulturelle Stereotype über Männlichkeit werden parallelisiert. „Instrumental, calculating rationality brings with it qualities considered masculine: smart and decisive self-determination of free, confident, aggressive action“ (S. 127; Hervorhebung: MM). Solche Zuordnungen nimmt Weber selbst nicht vor. Indem Bologh dies tut, dekonstruiert sie den Klassiker Weber dadurch, daß sie die „masculine, masculinist and patriarchal“ (S. 1) Färbung seiner Theorie offenlegt. Eine Webersche Geschlechtersoziologie ist damit aber nicht rekonstruiert.

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  4. Wie Thomas Laqueur (1992) in seiner mit der Antike beginnenden Geschichte der körperlichen Inszenierung der Geschlechter gezeigt hat, entdecken auch Biologie und Medizin in genau der gleichen Epoche, in der den Geschlechtern unterschiedliche Charaktere zugewiesen werden, daß sich die primären Geschlechtsmerkmale von Männern und Frauen wesentlich voneinander unterscheiden. Zuvor war ein Verständnis der geschlechtlichen Körper vorherrschend, das z.B. in der Vagina einen nach innen gestülpten Penis erkannte. Auch im Rahmen dieses „Ein-Geschlecht-Modells“, wie Laqueur es nennt, kommt der Frau eine untergeordnete Position zu, gilt sie als die ‘mindere Ausgabe’ des Mannes, doch von einer wesensmäßigen Differenz ist nicht die Rede.

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  5. In diesem Zusammenhang sind auch die im gleichen historischen Kontext einsetzenden Bemühungen um eine Normativierung von ‘Mutterliebe’ zu sehen (vgl. Badinter 1981; Schütze 1986).

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  6. Die zweite Lesart wird von Bickel (1991, S. 158ff.) und von Weiß (1991, S. 177) vertreten.

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  7. Meurer (1991, S. 379) weist darauf hin, daß Tönnies für den Bereich der Familie — und in diesem wird für ihn das Geschlechterverhältnis manifest — eine vorsoziologische Begrifflichkeit für angemessen hält, handele es sich bei der Familie doch um eine vorrationale Lebensform.

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  8. Eine andere Frage ist, inwieweit hier reale Ausprägungen männlicher Dominanz idealisiert werden. Meurer (1991b) und Greven (1991) halten Tönnies eine Verklärung patriarchaler Herrschaftsbeziehungen vor.

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  9. Rehberg (1993, S. 34f.) spricht in diesem Zusammenhang von einem nicht intendierten Substantialismus bei Tönnies.

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  10. Auch die Interpretationen, die eine Entsubstantivierung vornehmen, kommen nicht ohne eine Bezugnahme auf empirische Frauen und Männer aus; so z.B. Bickel (1991, S. 162): „Die Zugehörigkeit des weiblichen Prinzips zum Wesenwillen hat zur Folge, daß der gesamte Bereich des ‘geistig-sittlichen’ Lebens unter dem bestimmenden Einfluß der Frau steht“.

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  11. In Simmeis geschlechtersoziologischen Arbeiten finden sich zahlreiche Stellen, die geradezu feministisch anmuten. So bemerkt er, daß für eine Kommunikation des psychischen Erlebens der Frauen keine adäquaten symbolischen Mittel zur Verfügung stehen, da die Ausdrucksweisen, „die unsere Kultur der seelischen Innerlichkeit zur Verfügung stellt, im wesentlichen von Männern geschaffen sind und darum unvermeidlich vor allem der männlichen Wesensart und ihren Bedürfnissen dienen“ (1985, S. 195). Das ist eine Perspektive ähnlich derjenigen, die den aktuellen Diskussionen um Frauensprache, weibliche Moral, auch um feministische Wissenschaft und Methodologie zugrunde liegt.

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  12. In dem 1902 erschienenen Aufsatz „Weibliche Kultur“ (1985, S. 159ff), in dem zusammen mit seiner 1890 publizierten „Psychologie der Frauen“ (1985, S. 27ff.) und der hier vorrangig berücksichtigten Arbeit „Das Relative und das Absolute im Geschlechter-Problem“ Simmeis Geschlechtertheorie entfaltet ist. Im Gegensatz zu dem letztgenannten Aufsatz enthalten die beiden anderen mehr (explizite) Ausführungen über die Frau als über den Mann.

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  13. Simmel geht in dem Aufsatz über „Weibliche Kultur“ der Frage nach, worauf denn eine solche als eigenständige basieren und worin sie sich manifestieren könne. Seine Überlegungen führen ihn zu einer Wesensbestimmung des Weiblichen, die dessen weitgehend noch ungebrochene Nähe zur Natur betont — das „in dem undifferenzierten Naturgrund wurzelnde Wesen“ (S. 203) heißt es später (ich komme darauf zurück) — und die in der Hauswirtschaft „die große Kulturleistung der Frau“ (S. 170) erblickt. Die feministische Simmel-Rezeption sieht in diesen Bestimmungen einer weiblichen Kultur die Bruchstelle, an der Simmeis soziologisch-kritische Analyse in Geschlechtermetaphysik und in eine Affirmation der bestehenden Geschlechterverhältnisse umschlägt (vgl. Bovenschen 1979, S. 39ff; Klinger 1988; Wolfer-Melior 1985).

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  14. Klinger (1988, S. 150) weist darauf hin, daß diese „einigermaßen paradoxe Position, die Simmel einnimmt, indem er die Gleichsetzung von männlich und objektiv entlarvt und doch gleichzeitig auf ihrer Gültigkeit beharrt“, eine für die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert durchaus typische Erscheinung ist. Freilich dominierte damals — wie auch früher und später — eine fraglos vorgenommene Gleichsetzung den Geschlechterdiskurs, aus dem Simmel insofern herausragt, als er die begrifflichen Mittel für eine kritische Perspektive zumindest entwickelt, wenn er sie auch nicht konsequent einsetzt.

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  15. Beck (1986, S. 179) hat die These von einer „im Grundriß der Industriegesellschaft halbierten Moderne“ formuliert, welche deren als unteilbar konzipierten Prinzipien (Freiheit, Gleichheit) dem einen Geschlecht zuerkennt, dem anderen vorenthält. An Simmeis Geschlechtertheorie läßt sich gut beobachten, wie diese Halbierung auch in der wissenschaftlichen Selbstbeschreibung der Moderne ihren Niederschlag findet. Die moderne Gesellschaft bleibt in ihrer Selbstreflexion ihrer Praxis verhaftet.

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  16. In der „Psychologie der Frauen“ findet sich eine Passage, in der eine soziologische Analyse der Einheitlichkeit des weiblichen Geschlechts angelegt ist. Hier, in dieser geschlechtersoziologischen Frühschrift, rekurriert Simmel auf die Art der Tätigkeit, welche die Frauen bei der häuslichen Arbeit verrichten. „Vorläufig pflegt sich die Tätigkeit der Frauen noch so auf das Haus zu konzentrieren, daß man, vereinzelte Extreme ausgenommen, wohl sagen kann, die Tätigkeit der höchsten und der niedrigsten Frau unterscheide sich lange nicht so sehr, wie sich die des höchsten und des niedrigsten Mannes unterscheidet“ (Simmel 1985, S. 46). Die hier angedeutete Perspektive, die differenten Geschlechtscharaktere aus unterschiedlichen Praxisformen zu erklären, bleibt allerdings unausgearbeitet und wird in späteren Arbeiten nicht mehr aufgenommen. Ulmi (1989, S. 58) bemerkt, daß Simmel zunächst der Meinung gewesen sei, die Frau nicht als Gattungswesen erfassen zu können, daß er später hingegen das Gattungsmäßige als das die Frau bestimmende verstanden habe.

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  17. Die methodische Fragwürdigkeit solcher Vergleiche, die auf einem „kruden wissenschaftlichen Materialismus“ (Roth 1992, S. 175) beruhen, sei vermerkt, braucht hier aber nicht weiter diskutiert zu werden.

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  18. Durkheim weist selbst darauf hin, daß „im übrigen“ „die allgemeine Sittenauffassung“ dem Mann bestimmte Privilegien einräumt, „mit deren Hilfe er in gewissem Maße die Strenge der Vorschriften abmildern kann“ (1990, S. 314). Dieser knappe Verweis auf dem Mann offenstehende Möglichkeiten außerehelichen Geschlechtsverkehrs, der sich scheut, die Dinge beim Namen zu nennen, und der keinen Hinweis auf eine Doppelmoral beinhaltet, ist für Durkheim kein Anlaß, seine These zu relativieren.

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  19. Für eine kritische Diskussion des von Durkheim angewandten methodischen Verfahrens vgl. Selvin 1976.

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  20. In seiner Rezension von Marianne Webers Buch „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ wendet er sich gegen Tendenzen, die „organische Einheit“ von Familie und Ehe zu zerstören, wie sie etwa in politischen Vorstößen zu einer völligen rechtlichen Gleichstellung der Ehegatten und zu einer Liberalisierung der Scheidungsgesetzgebung gegeben seien. Durch solche Tendenzen gerät die weibliche Würde in Gefahr, denn: „The respect shown her, a respect that has increased over historical time, has its origin mainly in the religious respect which the hearth inspires“ (Durkheim 1978, S. 144).

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  21. Durkheim betont die Bedeutung der Einbindung des Mannes in eine Berufsgruppe. „Only this group, in my view, is able to perform the economic and moral functions which the familiy has become increasingly incapable of performing.... In the hearts of men, professional duty must take over the place formerly occupied by domestic duty“ (Durkheim 1965, S. 535f).

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  22. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie Durkheim in seinen Vorlesungen über Erziehung und Moral den unterschiedlichen Stellenwert von Kunst und Wissenschaft bestimmt, wird die hierarchische Ordnung noch deutlicher. Den Moralcharakter zu bilden ist Aufgabe des Unterrichts der Wissenschaften, denn: „Die Moral ist das ernste Leben, sie hat das Wirkliche zum Ziel“. Die Kunst hingegen „bildet keinen positiven Faktor der Moralität. Sie ist ein Mittel, das bereits gebildete Moraltemperament gegen gewisse ungesunde Einflüsse zu behüten“ (Durkheim 1984, S. 307).

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(2006). Zwischen Wesensmetaphysik und soziologischer Entzauberung. Männlichkeit in den Geschlechtertheorien soziologischer Klassiker. In: Geschlecht und Männlichkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90371-2_2

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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