Zusammenfassung
In der sozialwissenschaftlichen Literatur findet man immer wieder Versuche, Fragen der folgenden Art zu beantworten: Warum kam Hitler an die Macht? Warum ist die Selbstmordrate in Hamburg höher als in Leipzig? Wird die CDU die nächste Bundestagswahl gewinnen Wird die Kriminalität in der Bundesrepublik im nächsten Jahr steigen? In den Warum-Fragen wird nach „Ursachen“ oder Bedingungen für das Auftreten von Ereignissen gefragt, die an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt (oder in einem bestimmten Zeitraum) stattfmden.30 Es wird also versucht, bestimmte, ganz konkrete Ereignisse zu erklären.31 In den übrigen oben angeführten Fragen soll ein bestimmtes Ereignis vorausgesagt werden, d.h. es ist gefragt, ob ein bestimmtes Ereignis in der Zukunft auftreten wird.
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Literatur
Es gibt auch Warum-Fragen mit anderer Bedeutung, z.B.: „Warum sollte dies wahr sein?“ Hier wird nach Argumenten für oder gegen eine Behauptung gesucht. Vgl. Hempel 1965b, S. 334–335; Nagel 1961, S. 15–20.
Das Wort „erklären“ kann verschiedene Bedeutungen haben. Vgl. Stegmüller 1969, S. 72–75.
Es gibt wohl kaum ein wissenschaftstheoretisches Problem, das so kontrovers diskutiert wurde und wird wie die sinnvolle Vorgehensweise bei einer Erklärung. Es ist in diesem Rahmen nicht möglich und auch nicht beabsichtigt, diese Literatur darzustellen oder zu diskutieren. Wir werden uns auf das sog. Hempel-Oppenheim Schema konzentrieren. Der Grund ist, daß diese Vorgehensweise von den meisten empirisch-theoretisch arbeitenden Wissenschaftlern angewendet werden dürfte. Weiterhin meine ich, daß es keine deutlich bessere Alternative zu diesem Modell gibt.
Das Hempel-Oppenheim Schema wurde schon sehr früh beschrieben, etwa von John Stuart Mill. Zur Geschichte dieses Modells vgl. Hempel 1965b, S. 251, Fußnote 7, und S. 337, Fußnote 2. Die erste systematische Analyse der Logik der Erklärung findet man bei Hempel und Oppenheim 1948, wieder abgedruckt in Hempel 1965b (deutsch 1977 - dieses Buch enthält nicht alle Kapitel des Buches von 1965b). Eine kurze Darstellung dieses Schemas findet man u a bei Stegmüller 1966, S. 449–461. Besonders zu empfehlen ist die ausführliche Abhandlung in Hempel 1965b, S. 331–496, und in Stegmüller 1969. Vgl. auch Knowles 1990, in dem eine Reihe interessanter Aufsätze abgedruckt sind. Weiter sind zu empfehlen Schurz 1990 und Little 1991.
Vgl. hierzu Émile Durkheims Werk über den Selbstmord: Le suicide, Paris 1897 (liegt auch in deutscher Übersetzung vor).
Adäquatheitsbedingungen für Erklärungen wurden zum ersten Mal formuliert von Hempel und Oppenheim 1948. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf diesen Aufsatz.
Hempel und Oppenheim nennen nicht als Bedingung, daß das Explanans singuläre Sätze enthalten muß, weil sie Adäquatheitsbedingungen für Erklärungen generell beschreiben, also auch für Erklärungen von Gesetzen. Man kann nämlich auch ein Gesetz erklären, d.h. aus anderen Gesetzen ableiten. Wir befassen uns jedoch mit Adäquatheitsbedingungen für die Erklärung singulärer Ereignisse. Hierzu müssen im Explanans singuläre Sätze vorkommen, die die Anfangsbedingungen be-
Es erscheint weiterhin fraglich, ob in einer Erklärung tatsächlich Gesetze erforderlich sind oder ob nicht andersartige, gesetzesähnliche Aussagen ausreichen. Dies mag das folgende Beispiel illustrieren. Angenommen, es gelte folgender Satz: „Wenn jemand zwischen 1945 und 1975 fünf Jahre in der Bundesrepublik gewohnt hat, dann spricht er die deutsche Sprache.“ Es handelt sich hier nicht um ein Gesetz, da diese Aussage etwas über Ereignisse behauptet, die in einem bestimmten Zeitraum und an einem bestimmten Ort stattgefunden haben. Wenn wir nun fragen, warum Herr Müller deutsch spricht, dann wird man es sicherlich als eine befriedigende Antwort ansehen, wenn man sagt: Weil er fünf Jahre lang in der BRD gelebt hat.
Vgl. zum folgenden im einzelnen Hempel 1965b, S.376–412. Vgl. auch Stegmüller 1969, Kapitel IX. Es ist in diesem Zusammenhang nicht möglich, im einzelnen auf den Unterschied zwischen induktiven und deduktiven Schlüssen, auf die Probleme beim Aufbau einer induktiven Logik und auf das Induktionsproblem einzugehen. Eine leicht verständliche Abhandlung über die Ziele, die Probleme und den Aufbau der induktiven Logik findet man bei Carnap und Stegmüller 1958. Vgl. weiterhin z.B.: Ackermann 1966; Essler 1970, 1973; Kutschera 1972, Kapitel 2; Lakatos 1968; Levy 1967; Stegmüller 1973; Vetter 1967. Zum Induktionsproblem vgl. z.B. Popper 1971, Kapitel 1; Popper 1973, Kapitel I; Stegmüller 1971.
Beiinduktiven Erklärungen singulärer Ereignisse entsteht - im Gegensatz zu deduktiven Erklärungen - häufig ein Problem, das Hempel als die Mehrdeutigkeit induktiver Erklärungen bezeichnet. Vgl. hierzu Opp 1976, S. 142 ff.
Der statistisch versierte Leser mag sich dies anhand eines Streudiagramms einer abhängigen (Y) und einer unabhängigen Variablen (X) verdeutlichen. Durch die Punkte (die z.B. Länder symbolisieren könnten) sei eine Regressionslinie gezeichnet. Je stärker die Punkte um die Linie streuen, desto fehlerhafter werden die „Voraussagen“ von Y (z.B. G) bei gegebenen Werten von X (z.B. R) sein. Ein Fehler ist dabei gleich der Differenz zwischen dem tatsächlichen Y-Wert und dem aufgrund der Regressionslinie vorausgesagten Y-Wert.
Über eine Vielzahl vorliegender Selbstmordtheorien berichtet z.B. Lindner-Braun 1990.
Vgl Schmid 1968, S. 123. Vgl. vor allem auch die Beispiele bei Peuckert 1974.
Vgl. hierzu weiter die Schriften von Stegmüller 1969, S. 105–111, und Hempel 1965b, S. 415–425. Eine Reihe sozialwissenschaftlicher Beispiele für unvollkommene Erklärungen findet sich bei Helberger 1974, S. 170–175.
Opp 1976, S. 158–163, enthält weiter eine Explikation des Lazarsfeldschen Erklärungsschemas. Es wird diskutiert, inwieweit die von Paul F. Lazarsfeld vorgeschlagene Erklärungsstrategie, die in der Soziologie sehr verbreitet ist, eine Erklärung im hier beschriebenen Sinne bietet.
Die Literatur zur Methode des Verstehens generell ist sehr umfangreich. Vgl. insbesondere die beiden folgenden Bücher von Vertretern einer phänomenologisch orientierten Sozialwissenschaft: Habermas 1970 und Winch 1966. Vgl. auch einführend Seifert 1971. Zu einer allgemeinen Diskussion und Kritik vgl. Albert 1994. Klassische Vertreter dieser Methode sind Wilhelm Dilthey und Alfred Schütz. Auch Max Weber wird zuweilen der verstehenden Soziologie zugerechnet, dies ist jedoch umstritten.
Abel schreibt, daß B’ und C’ durch eine Verhaltensmaxime („behavioral maxim”) miteinander verbunden sind. Es handelt sich jedoch nicht um eine Gesetzesaussage - siehe S. 184. Um ein solches Mißverständnis zu vermeiden, werden wir im folgenden den Ausdruck „Verhaltensmaxime“ nicht verwenden.
Zu dieser Theorie existiert eine umfangreiche Literatur. Vgl. z.B. Heckhausen 1989 oder ein Lehrbuch der Sozialpsychologie.
Derartige Prognosen sind in der Soziologie vor allem durch Robert K. Mertons Aufsatz „The Self-Fulfilling Prophecy“ bekanntgeworden. Dort finden sich auch weitere Beispiele. Vgl. Merton 1957, S. 421–439, deutsch in Topitsch 1965, S. 144–165.
Die Eigendynamik von Voraussagen ist offenbar nicht auf den sozialen Bereich beschränkt. Vgl. hierzu Grünbaum 1956, S. 236–240. Vgl. auch die Diskussion bei Buck 1963.
Nebenbei sei bemerkt, daß bei einer sich selbst widerlegenden Prognose die angewendeten Theorien keineswegs falsifiziert werden. Vielmehr ändern sich aufgrund der Wirkung der Prognose die Anfangsbedingungen. In unserem Beispiel stieg etwa die Nachfrage vor der Publikation der Prognose, dann sank sie. Vgl. Nagel 1961, S. 470–471.
Zu der These, daß unser künftiges Wissen die Prognose sozialer Ereignisse unmöglich macht - eine These, die von Karl R. Popper vertreten wird -, siehe Opp 1967.
Eingeschränkte und uneingeschränkte Prognosen sind nicht mit bedingten und unbedingten Prognosen im Sinne Poppers identisch. Sowohl eingeschränkte als auch uneingeschränkte Prognosen kommen durch die Anwendung von Gesetzesaussagen und die Erhebung von Anfangsbedingungen zustande. Beide Arten von Prognosen sind also in diesem Sinne „wissenschaftlich“ und keineswegs „prophetisch”.
Zu den Mängeln sog. Entwicklungsgesetze, die eine Prognose historischer Entwicklungen erlauben sollen, vgl. insbesondere Popper 1960.
Die Literatur zu diesem Ansatz ist sehr umfangreich. Vgl. einführend Bohnen 1975, 2000; vgl. weiter Coleman 1990; Esser 1993; Frey 1990/1999; Kirchgässner 2000; Kunz 1997; McKenzie und Tullock 1978/1984; Opp 1979, 1988; Ramb und Tietzel 1993; Raub und Voss 1981; Vanberg 1975; Voss und Abraham 2000; Weede 1992.
Zur Diskussion der Modellbildung in der Ökonomie vgl. Ami 1989 mit weiteren Literaturhinweisen. Vgl. insbesondere die Arbeiten von Nagel 1953 und Musgrave 1981, siehe auch Max Albert 1996. Weiter sei auf methodologische Schriften zur Ökonomie verwiesen - z.B. Blaug 1992. Empfehlenswert ist auch Little 1991.
Vgl. hierzu Coleman 1990; Frey 1990/1999; Kirchgässner 2000; Opp 1983, Kap. II.
Diese Art der Darstellung ist vor allem durch die Arbeiten von James S. Coleman bekannt geworden, vgl. z.B. 1990. Die Badewanne findet sich jedoch in genereller Form bereits bei Hummell und Opp 1971, S. 15. McClelland (1961, S. 47) illustriert mit dieser Darstellung ein Beispiel.
Dieses Theorem besagt folgendes. Angenommen, aus einer Menge von Prämissen P und aus einer zusätzlichen Prämisse Q sei eine Konklusion R ableitbar. Ist dies der Fall, dann gilt: Aus den Prämissen P allein ist die Implikation „Wenn Q, dann R“ ableitbar. Angewendet auf die Bildung von Modellen sei die Menge P, die auch aus einem Element bestehen kann, das Modell rationalen Handelns. Die Prämisse „Q” sei die Menge der zusätzlichen Annahmen „Q“ sei also ein komplexer Satz, der aus der Konjunktion der einzelnen Annahmen besteht, d.h. die einzelnen Annahmen werden als ein einziger Satz betrachtet, der aus einer Und-Verbindung der einzelnen Annahmen besteht. „R” sei das Explanandum. Es folgt dann allein aus dem Modell rationalen Handelns: Wenn die Annahmen Q zutreffen, dann gilt auch die Konklusion R.
Hier seien nur einige Beispiele für Modelle erwähnt Das vielleicht am intensivsten in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen diskutierte Modell ist die Theorie kollektiven Handelns von Mancur Olson (1965). Es geht hier insbesondere darum zu erklären, warum in großen Gruppen die Erreichung gemeinsamer Ziele der Mitglieder relativ unwahrscheinlich ist. Ausgangspunkt ist also eine Makrohypothese, in der etwas über den Zusammenhang von Gruppengröße und Herstellung von Kollektivgütern gesagt wird. Die Erklärung verläuft so, daß die Gruppengröße mit den Nutzen bzw. Kosten des Beitrages der Individuen zur Herstellung des Kollektivgutes zusammenhängt. „Herstellung des Kollektivgutes“ ist ein Ergebnis der Beitragsleistungen der Akteure. Die Erklärung läßt sich in Form der beschriebenen Badewanne darstellen. Andere Modelle befassen sich ebenfalls mit kollektivem Handeln. Modelle, die u.a. mittels Computersimulationen formuliert werden, findet man in Marwell und Oliver 1993, siehe auch die Arbeiten von Douglas Heckathorn und Michael Macy.
Der Leser, der sich mit weiteren konkreten Modellen befassen möchte, sei auf die folgenden Beispiele verwiesen, die insbesondere für Soziologen interessant sein dürften: Esser (1985) schlägt ein Modell für die Erklärung sozialer Differenzierung vor. Nauck (1989) erklärt interkulturelle Unterschiede in den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Wippler (1985) erklärt die Entstehung von oligarchischen Strukturen in Organisationen; Opp, Voß, und Gern (1993) erklären die Revolution in der DDR.
Vgl. zu einer solchen Erklärung im einzelnen Opp, Voß und Gern 1993.
Generell gilt: Falls empirische Brückenhypothesen behaupten, daß bestimmte Ereignisse von den Akteuren in bestimmter Weise wahrgenommen werden, dann können diese durch eine Umfrage überprüft werden.
Vgl. zu dieser These Friedman 1953. Die Ausführungen Friedmans siehe die in Fußnote 31 zitierten Schriften.
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Opp, KD. (2005). Erklärung, Voraussage und Verstehen. In: Methodologie der Sozialwissenschaften. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90333-0_3
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