Auszug
Zwei Grundannahmen sind ein wiederkehrendes Motiv in Diskussionen über die Rolle der Religion in Europa. Die erste Annahme besagt, dass Europa christlich ist. Die gegenwärtigen Debatten um den Zutritt der Türkei zur Europäischen Union zeigen in aller Deutlichkeit, wie präsent die Beschwörung einer christlichen Wertegemeinschaft noch immer ist. Demgegenüber scheinen Europakonzepte, die auf einer demokratischen Wertegemeinschaft ruhen und laizistische oder agnostische Identitäten betonen, deutlich unterlegen zu sein.
Ich danke Hans G. Kippenberg für wichtige Anregungen und Diskussionen.
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Literatur
Foucault (2000), 10f. Als Übersicht zur Vielfalt von Diskurstheorien siehe Engler (2005a).
„Die Welt ist kein Komplize unserer Erkenntnis. Es gibt keine prädiskursive Vorsehung, welche uns die Welt geneigt macht. Man muss den Diskurs als eine Gewalt begreifen, die wir den Dingen antun; jedenfalls als eine Praxis, die wir ihnen aufzwingen. In dieser Praxis finden die Ereignisse des Diskurses das Prinzip ihrer Regelhaftigkeit“ (Foucault [2000], 34f.).
Foucault (2000), 39; siehe auch die Überlegungen Burkhard Gladigows zur Rolle des Unzeitgleichen und Anachronistischen in der Religions-und Kulturgeschichte (Gladigow [2004]).
Siehe etwa Gladigow (2000), 316.
Siehe beispielsweise Chadwick (1977) und Wilson (1999).
Berger (1999), 9.
Lehmann (2004b), 29–35.
Davie (2002).
Davie (2002), 5–11; Davie (1994).
Davie (2002), 19f. Sie spricht in diesem Zusammenhang von „vicarious religion“. Allerdings verlangt der Vergleich mit außereuropäischen Religionen mehr Begriffe als allein den des Glaubens. Spiegelverkehrt zu Westeuropa gewinnen etwa im Mittleren Osten religiöse Vergemeinschaftungen an Gewicht und werden zu Quellen eines neuen Kommunalismus. Samir Khalaf (2002) behandelt den Libanon als ein Beispiel dafür.
McLeod et al. (2003).
Siehe Lehmann (2004c), der festhält, dass „the concept of secularization is a most difficult one. These difficulties are dramatically increased if one considers the competing definitions of what secularization means, or should mean.... The concept of secularization appears, therefore, at best, as a controversial category, and at worst, as an ambiguous one, plagued by explicit simplifications and by implicit misunderstandings“ (S. 329).
Lübbe (2003).
So stellte Mark Smith (1996) fest, dass in den britischen Gemeinden Oldham und Saddleworth keinerlei Veränderungen im Hinblick auf Mitgliedschaft in religiösen Gemeinschaften zwischen 1740 und 1865 stattfanden — in einer Zeit massiver Industrialisierung. Siehe auch Iannaccone (1996).
Brown (2001).
Brown (2003).
Siehe auch den provokanten Aufsatz von Hanegraaff (2003).
Eisenstadt (2002) und (2003); siehe auch Sachsenmaier et al. (2002).
Greeley (1995), 63.
Stark et al. (2000b), 78. Auf S. 79 fügen sie hinzu: „After nearly three centuries of utterly failed prophecies and misrepresentations of both present and past, it seems time to carry the secularization doctrine to the graveyard of failed theories, and there to whisper, ‘Requiescat in pace.’“
Stark et al. (2000b), 63–71 (mit der relevanten Literatur).
Siehe die Nachweise in Stark et al. (2000b), 65.
Stark et al. (1995).
Murray (1972), 83 und 106; zit. nach Stark et al. (2000b), 67.
Jaspers (1947); Perkins (2004), 331f. Die aktuelle wissenschaftliche Diskussion ist bei Perkins ausführlich dargestellt und braucht hier nicht wiederholt zu werden.
„No doubt the grand narrative with which this book is concerned has been, historically, quite as seductive and potentially dangerous. It is in just such extraction from material and historical context that ideas of ‘nation’, ‘Europe’, and ‘Christendom’ become susceptible to exploitation and distortion for the purposes of propaganda, or to lend credibility to ignoble projects. However, despite the degrees of inherent ambiguity and mutability associated with the term, the narrative of Christendom has achieved coherence through the endurance of certain principles, values and traditions which constitute and characterize it and to which both its main proponents and its opponents bear witness“ (Perkins [2004], 331).
Siehe Balkenende et al. (1999) sowie die kritische Reaktion bei de Gruyter (2004). Man erinnere sich auch an die „geistig-moralische Wende“, welche Helmut Kohl nach seiner Wahl zum Bundeskanzler ankündigte. In Kohls Vision eines Europas der „Einheit in Vielfalt“ spielte das Christentum selbstredend die Rolle der Einheit stiftenden Größe; siehe Perkins (2004), 110.
Vertreter der Tschechischen Republik, Italiens, Litauens, Maltas, Polens, Portugals und der Slowakei schrieben im Mai 2004 an Irland, das damals den EU-Vorsitz innehatte: „This issue remains a priority for our governments as well as for millions of European citizens“ (The Guardian, 25. Mai 2004; zit. nach Perkins [2004], 341).
European Voice, 24.–30. Oktober 2002, 7; zitiert nach Perkins (2004), 341.
Siehe dazu Asad (2002).
Siehe Kippenberg/ von Stuckrad (2003a), 126–134; Kippenberg/von Stuckrad (2003b).
Edgar Morin halt fest: „Europa ist für die antike Welt ein gestaltloses Jenseits im Norden. Obwohl es schon seit der frühen Vorgeschichte bevölkert ist, ist es immer noch nicht in die Geschichte eingetreten, als der Niedergang des Römischen Reiches beginnt. Über dieses fällt Europa her, als das Durcheinander der von Osten nach Westen und von Norden nach Süden wogenden Völkerwanderung einsetzt, in deren Verlauf die Völker sich gegenseitig jagen, überrennen, bekämpfen, überlagern, vermischen und schließlich das Weströmische Reich zerstören (476).... Die Gestalt Europas wird so von Anfang an durch ein ethnisches Durcheinander geprägt, in das die Geschichte im Laufe der Jahrhunderte ihre Muster einwebt und das trotz des erstickenden Drucks der modernen Nationalstaaten überlebt, ja sich sogar heute wieder verstärkt bemerkbar macht.... Europa war also durch nichts dazu bestimmt, eine historische Einheit zu werden. Und trotzdem ist es genau dazu gekommen“ (Morin [1988], 35f.). Morins letztem Satz möchte ich nur eingeschränkt zustimmen, denn seine metaphysische Wendung einer „Schicksalsgemeinschaft“, die „zu einer Realität geworden“ ist (ibid., 182), erklärt den Sachverhalt einer (vermeintlichen!) Einheit weniger gut als die enorme Wirkung des europäisch-christlichen Meisternarrativs.
Siehe dazu Smith (2004b), 179–196.
In seiner „Rezeptionsgeschichte“ thematisiert Stausberg „neben der Analyse der europäischen Außenperspektive auf Zoroaster (‘Fremdgeschichte’) stets die Frage nach den religiösen bzw. religionsgeschichtlichen Implikationen und Explikationen dieses Rezeptionsprozesses“ (Stausberg [1998], 22).
Die Konstruktion von „Tradition“ ist ein vergleichbarer Sachverhalt und stellt damit einen ähnlichen Zugriff religionswissenschaftlicher Analyse auf Diskurse von Identität dar; siehe von Stuckrad (2005) sowie den ganzen Band Historicizing ‘Tradition’ in the Study of Religion (Engler et al. [2005]).
Gladigow (1995), 29.
Berman (1974) und (2003); Kippenberg et al. (2005).
Sonntag (1999).
Berühmt ist die Diskussion zwischen Hans Blumenberg und Karl Löwith über die Zusammenhänge von Heilsgeschichte und Fortschrittsidee, zusammengefasst bei Wallace (1981).
Zu den diskursiven Transfers zwischen religiösen, kabbalistischen, astrologischen, philologischen und naturwissenschaftlichen Systemen in der Frühen Neuzeit siehe von Stuckrad (2004), 131–159.
So das berühmte Schlagwort von Thomas Luckmann (1991), zuerst formuliert in Luckmann (1963).
„Die Kunst... übernimmt die Funktion einer... innerweltlichen Erlösung: vom Alltag und, vor allem, auch von dem zunehmenden Druck des theoretischen und praktischen Rationalismus. Mit diesem Anspruch aber tritt sie in direkte Konkurrenz zur Erlösungsreligion“ (Weber [1988], 555 [„Zwischenbetrachtung“]).
Siehe den Überblick bei Dassen (1999), 234–247, der zu Recht auf die Bedeutung des Nationalismus als Kompensation des Sinnverlustes aufmerksam macht.
Zit. nach Dassens niederländischer Übersetzung (1999), 235.
Spengler (1972), 1191.
Zur Diskussion um den modernen homo compensator siehe Marquard (1983), der einen Ansatz Helmut Ritters aufgreift; vgl. Gladigow (2000), 314.
Zur Kritik an dieser, vor allem auf die Religionsphänomenologie zurückgehenden Theorie, siehe McCutcheon (1997).
Siehe dazu Kippenberg/ von Stuckrad (2003a), 164–172.
Siehe von Stuckrad (2004), 231–233; von Stuckrad (2003), 152–159 und 279–284; Hanegraaff (1996), 62–76.
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von Stuckrad, K. (2006). Die Rede vom „Christlichen Abendland“: Hintergründe und Einfluss einer Meistererzählung. In: Augustin, C., Wienand, J., Winkler, C. (eds) Religiöser Pluralismus und Toleranz in Europa. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90293-7_13
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