Auszug
Auch wenn die heutige Europäische Union als Wirtschaftsgemeinschaft startete, hat sie sich vor allem seit den Verträgen von Amsterdam und Maastricht zunehmend als eine politische Union entwickelt. Sie versteht sich als ein Verband demokratischer Staaten und bezeichnet ihre eigene Institutionenordnung als eine demokratische Ordnung. Die zentrale Bedeutung von Demokratie für die Union kommt im neuen Verfassungs-entwurf deutlich zum Ausdruck. Der Präambel ist ein Zitat von Thuky-dides vorangestellt: „Die Verfassung, die wir haben (...) heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist.“ Wenig später, in Artikel 2, definiert der Verfassungs-entwurf die Grundwerte der EU. Demokratie gehört zu den genannten Kernwerten: „Die Werte, auf denen die Union sich gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte.“ An späterer Stelle wird dann genauer spezifiziert, welche Form von Demokratie sich die EU vorstellt. Die EU versteht sich vor allem und in erster Linie als ein Zusam-menschluss von repräsentativen Demokratien; sie ergänzt dieses Grundverständnis um Elemente einer partizipatorischen Demokratie, indem sie den Einschluss der Zivilgesellschaft betont. Wir werden in einem ersten Unterkapitel das Demokratieverständnis der EU genauer rekonstruieren, dann analysieren, in welchem Maße die Bürger der gegenwärtigen und zukünftigen Mitgliedsländer demokratische Orientierungen aufweisen und schließlich versuchen, die Unterschiede in den demokratischen Einstellungen zu erklären.
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Literatur
Schon Gabriel Almond und Sidney Verba (1963) haben in ihrer klassischen Studie die ihrer Meinung nach ideale Mischung von politischen Einstellungen als „Civic Culture“ bezeichnet.
Das in der Literatur vielfach diskutierte Demokratiedefizit der EU besteht darin, dass der Europäische Rat als Versammlung der Regierungschefs der Länder und der Rat der Europäischen Union, bestehend aus den Fachministern, nicht unmittelbar von einem europäischen Volk gewählt, sondern indirekt über die nationalen Wahlen legitimiert sind, während aber die Bürger der EU unmittelbar den Beschlüssen des Rats und der Kommission unterworfen sind (vgl. für viele andere und systematisch zusammenfassend Benz 1998; Scharpf 1998).
Am 31. Januar 2000 formulierte der portugiesische Premierminister als Ratsvorsitzender eine Erklärung im Namen der 14 Mitgliedsstaaten, die unter anderem Folgendes vorsah: „— Die Regierungen der 14 Mitgliedstaaten werden keinerlei offizielle bilaterale Kontakte auf politischer Ebene mit der österreichischen Regierung unter Beteiligung der FPÖ begünstigen oder akzeptieren. — Es wird keine Unterstützung für österreichische Kandidaten geben, die sich um Posten in internationalen Organisationen bewerben. — Die österreichischen Botschafter in den EU-Hauptstädten werden nur auf technischer Ebene empfangen.“ Diese Erklärung wurde von Kommission und Europaparlament unterstützt (zu einer rechtlichen Analyse vgl. Schweitzer (2000)).
Fuchs weist darauf hin, dass in der europäischen Diskussion die Begriffe liberal, sozialdemokratisch und sozialistisch üblich seien (Fuchs 1999: 127, FN 1). In manchen Arbeiten behandelt Fuchs zusätzlich ein viertes, republikanisches Modell (Fuchs 1997; 2000).
Fuchs weist darauf hin, dass die direkte Bürgerbeteiligung im liberalen Modell nicht explizit ausgeschlossen wird, allerdings dort keinen zentralen Stellenwert besitzt (Fuchs 1997: 90 und 97).
Die beiden Variablen lassen sich auch im Sinne einer Guttmann-Skala interpretieren, wobei der Reproduzierbarkeitskoeffizient bei sehr guten 0,98 liegt (vgl. Diekmann 1995: 237ff.). 835 Befragte (2,6 %) weisen ein abweichendes Antwortmuster auf. Diese haben wir aus der folgenden Analyse ausgeschlossen. Zusammen mit den Fällen, für welche mindestens eine Einstellungsvariable fehlt, ergeben sich die 6,1 %, die nicht einem der Modelle zuzuordnen sind (Tabelle 6.4).
Was wiederum zu einer wachsenden Kritik führen kann, die sich allerdings auf die Ebenen der „Struktur“ und der „Performanz“ bezieht (Hildebrandt und Dalton 1977; Inglehart 1983).
Putnam (2002: 22) unterscheidet entsprechend zwei verschiedene Typen von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen „bridging versus bonding associations“; nur für den ersten Typus gelten die positiven Effekte für die Demokratie; ähnlich auch die Unterscheidung bei Pamela Paxton (2002: 259).
Pamela Paxton (2002) kann zeigen, dass das Ausmaß der Existenz einer Zivilgesellschaft positive Effekte auf die Demokratie hat, dass aber zugleich auch der umgekehrte Zusammenhang gilt: Demokratien wirken sich förderlich auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft aus.
Welchen faktischen Einfluss zivilgesellschaftliche Akteure auf die EU haben, wird hier nicht analysiert. Zu dieser Frage liegen eine Vielzahl an Untersuchungen vor (z. B. Roose 2003). Einen guten Überblick liefert die Arbeit von Christian Lahusen und Claudia Jauß (2001).
Dieses Ergebnis deckt sich in der Struktur mit den empirischen Befunden von Bernhard Weßels (2003:178) für 12 postkommunistische Gesellschaften.
Organisationsgrade im Gewerkschaftsbereich von 90 % waren keine Seltenheit (vgl. Weßels 1994).
Vgl. zu diesem Vorgehen Fuchs und Klingemann (2002).
Es handelt sich hierbei allerdings um relative Messungen im Vergleich zu allen anderen Befragten. Eine hier prognostizierte EU-Ferne bedeutet daher nicht unbedingt eine absolute Ablehnung der EU-Position, sondern lediglich eine (in Bezug auf alle Befragten) unterdurchschnittliche Befürwortung. Dies ist aber sinnvoll, da sowieso kein absoluter Maßstab für eine notwendige Demokratieunterstützung existiert (siehe schon Almond und Verba 1963).
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(2006). Demokratie und Zivilgesellschaft im erweiterten Europa. In: Kulturelle Unterschiede in der Europäischen Union. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90069-8_6
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