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Muḥammad ʿĀbid al-Ğābirī (1936–2010) – ein Aufklärer und Verfechter der Säkularisierung?

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Demokratie und Islam

Part of the book series: Politik und Religion ((PUR))

Zusammenfassung

Al-Ǧābirī gilt als ein dem Säkularismus verpflichteter islamischer Denker. Seine Schriften widerlegen jedoch diese Ansicht. Ursprünglich marxistischem Gedankengut anhängend, nahm er den Riss wahr, der die arabisch-islamischen Gesellschaften spaltete. Auf der einen Seite steht eine kleine „moderne Elite“, auf der anderen die „traditionelle“, die über weitaus stärkeren Einfluss auf die Massen verfügt. In einem modernisierten Islam, der sich aber nicht einer Säkularisierung öffnet, sieht al-Ǧābirī das Mittel zur Heilung des Risses. Al- Ǧābirī befürwortet eine von der Scharia beherrschte Zivilisation, die durch Formelkompromisse, nicht durch inhaltliche Veränderungen, mit der westlichen kompatibel gemacht werden soll.

Beginne mit der Richtigstellung der Begriffe!

Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht;

stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande…

Konfuzius

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Notes

  1. 1.

    La raison politique en Islam: Hier et aujourd’hui, Editions La Découverte 2007.

  2. 2.

    Unter dem Titel The Formation of Arabic Reason erschien eine englische Übersetzung – des gesamten Werkes? – als Online-Ausgabe (Center for Arabic Unity Studies, London 2011).

  3. 3.

    Vgl. auch Kügelgen 1994: 263, 280 sowie 375. Man ist angenehm überrascht, wenn man Frau Hegasys Dissertation aufschlägt und dort auf die den Sinn gut treffende Wiedergabe Kritik des arabischen Denkens stößt ( Staat, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft in Marokko. Die Potentiale der sozio-kulturellen Opposition, Deutsches Orientinstitut, Hamburg 1997, 99). Warum hat Frau Hegasy diesen Weg der nüchternen Analyse verlassen?

  4. 4.

    Bereits bei Anke von Kügelgen hätten sie nachlesen können, daß er sich vom Marxismus lossagte, da dieser zur Lösung der Frage, wie man seine – arabisch-islamische – Authentizität bewahren und dennoch der Moderne angehören könne, nichts beitrage (Kügelgen 1994, S. 268). Übrigens scheinen die beiden Verfasser in unreflektierter Manier „links“ mit „säkular“ und „aufgeklärt“ gleichzusetzen. „Since the 1970s, al-Jabri has been one of the advocates of a radical, secular leftist society in the Arab world“, schreibt Frau Hegasy im März 2009 und verschweigt al-Ǧābirīs islamorientiertes Schrifttum der neunziger Jahre (Hegasy 2009).

  5. 5.

    Hier und im folgenden scheint al-Ǧābirī sich selber aus einer bereits 1992 erschienenen Schrift mit dem Titel Blickwendung auf den Wiederaufbau des zeitgenössischen arabischen Denkens zu zitieren; vgl. Hegasy 1997, S. 106 f.

  6. 6.

    Diese Spaltung islamischer Gesellschaften ist selbstverständlich auch von nichtislamischen Autoren bereits oft erörtert worden. Sie wurde vorzugsweise von Intellektuellen verursacht, die sich die Verwirklichung marxistischen Gedankenguts, das sie im Westen kennengelernt hatten, zum Ziel setzten. Vgl. hierzu Laqueur 1957, S. 273 f.; mit Blick auf die islamischen Gesellschaften in der Sowjetunion vgl. Bräker 1969, S. 103–110; sowie ders.: 1968, S. 16–24.

  7. 7.

    Al-Ǧābirīs Urteil deckt sich in dieser Hinsicht mit demjenigen einer nüchternen, begriffstreuen westlichen Islamforschung (vgl. die sehr ausführliche Studie von Badry: 1998). In der islamophilen westlichen Publizistik, die mit den Begriffen ein unredliches Spiel treibt, hat der Islam selber ein „demokratisches Wesen“, das übrigens – erstaunlicherweise – auf einen Parlamentarismus verzichten kann (so z. B. Voll und Esposito 1994).

  8. 8.

    Durch das Spiel mit den Wörtern beabsichtigt al-Ǧābirī, in den Lesern einen Schock zu erzeugen, ihnen neue Sichtweisen zu eröffnen und das Denken in Analogien aufzubrechen.

  9. 9.

    In der seit längerem viele islamische Gemeinden in Europa überflutenden „salafistischen“ Propaganda ist die Gleichsetzung von Demokratie mit širk ein immer wieder bemühter Topos.

  10. 10.

    So besonders kraß in dem Schriftchen von Todd: 2011.

  11. 11.

    Al-Ǧābirīs „historischer Block“ hat nichts mit dem „islamischen Block“ zu tun, von dem in Nassers „panislamischer Phase“ die Rede war; vgl. Bräker 1968, S. 62.

  12. 12.

    Vgl. die Beispiele für das 20. Jahrhundert bei Nagel 1981, S. 226–235, Bd. II.

  13. 13.

    Man darf darüber spekulieren, ob al-Ǧābirī im Zusammenhang mit der Beschreibung der Aufgaben des „historischen Blocks“ weiterhin den Begriff des širk (vgl. oben) für angemessen hielte. Dieser diente dazu, die von al-Ǧābirī getadelte Analogie zwischen der göttlichen Herrschaft über das All einerseits und der Regierung der irdischen islamischen Gemeinde zu zerstören. Letztere muß, wenn der „historische Block“ Erfolg haben soll, entschieden eine islamische sein.

  14. 14.

    Dem Muslim al-Ǧābirī gelingt es nicht, sich von der Vorstellung freizumachen, daß das Lenken des Diesseits und das Erlassen der für die Diesseitigen geltenden Gesetze die zwei Aspekte des von dem als Person gedachten Allah ununterbrochen ausgehenden schaffenden Wirkens seien. Seine Auslegung des Averroes, die al-Ǧābirī den Ruf eines muslimischen Aufklärers eintrug, zeugt hiervon, wie noch anzumerken sein wird. Die Voraussetzung für das europäische Konzept der Menschenrechte ist hingegen ein deistisches Gottesverständnis, das jeden „nach seiner Façon selig“ werden läßt; auch durch Glaubenslosigkeit wird dieses Konzept nicht außer Kraft gesetzt.

  15. 15.

    Man lese als Beispiel die ausführliche Definition von dīn, die sich im Internet unter der Adresse http://www.islamweb.net/media/index.php?page=article&lang=A&id=150729 findet.

  16. 16.

    Dies ist das heute gebräuchliche Standardargument, mit dem die westliche Kritik aufgefangen werden soll (vgl. z. B. Jūsuf al-Qaraḍāwī in der vom Fernsehsender al-Ǧazīra ausgestrahlten Folge vom 6. Februar 2005 der Sendereihe aš-Šarīʿa wal-ḥajāh). Im Zuge einer tatsächlichen Historisierung der autoritativen Texte müßte in diesem Fall hervorgehoben werden, daß der Ausspruch Mohammeds nicht authentisch ist, da er in den Kontext der nach Mohammeds Tod einsetzenden Enteschatologisierung gehört: Die im Koran vorgesehene Verfluchung, eine erst im Jenseits wirksam werdende Sanktion, soll schon hier und heute gelten (vgl. hierzu Nagel 2008b, S. 62 f., 83).

  17. 17.

    Vgl. oben, 10.

  18. 18.

    Ob al-Ǧābirīs Argumente stichhaltig sind und ob seine Ansichten zutreffen, kann ich hier nicht erörtern. Für Frau Hegasy ist übrigens die Abwertung Avicennas ein Beleg für einen antipersischen „Chauvinismus“ al-Ǧābirīs (Hegasy 2010, S. 8). Diese absurde Behauptung zeigt, daß sie nicht die notwendigen Kenntnisse besitzt, um sich in ein grundlegendes Problem der islamischen Geistesgeschichte einzuarbeiten. Es treten die verhängnisvollen Schwächen einer Islamwissenschaft zutage, die zu einer Nahostpolitologie mit gelegentlichem Gebrauch arabischer Quellentexte geschrumpft ist.

  19. 19.

    Ibn Rušd: Faṣl al-maqāl wa-taqrīr mā baina š-šarīʿa wal-ḥikma mina l-ittiṣāl, ed. Albert Nader, 3. Auflage, Beirut 1973, 33–36: Die Scharia stimmt mit den Methoden und Zielen der Philosophie überein, denn die Scharia fordert dazu auf, den Einen Wahren zu erkennen. Sowohl der Schariagelehrte als auch der Philosoph bedienen sich dabei der Auslegung (arab.: at-taʾwīl) der autoritativen Texte. Auslegung aber heißt, den eigentlichen Sinn eines Begriffs in einen übertragenen Sinn zu verwandeln, ohne daß man dabei gegen den arabischen Sprachgebrauch verstößt; man benennt eine Sache nach einer ihr gleichen, nach ihren Voraussetzungen, ihren Folgen oder nach ihren Begleitumständen. Die Rechtsgelehrten erreichen auf diese Weise Analogien, die vermutlich wahr sind; die durch die Philosophen mittels Analogie erzielten Einsichten sind hingegen mit Gewißheit wahr. Wir können dessen sicher sein, daß die Einsichten, die die Philosophen über ihre zur Gewißheit führenden Analogieschlüsse erzielen, niemals dem Inhalt der autoritativen Texte (arab.: aš-šarʿ) widersprechen. Sie bleiben also auch bei Averroes der eine, ewig gültige Bezugsrahmen.

  20. 20.

    al-Ǧābirī hebt übrigens im Anschluß an den andalusischen Rechtsgelehrten aš-Šāṭibī (gest. 1388) hervor, daß das Verstehen des Korans als eines schriftlichen Textes – und eben darum geht es, wenn er als autoritativer Text verwendet wird – die Beachtung der Aufeinanderfolge der Phasen seiner Entstehung erfordert.

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Nagel, T. (2014). Muḥammad ʿĀbid al-Ğābirī (1936–2010) – ein Aufklärer und Verfechter der Säkularisierung?. In: Cavuldak, A., Hidalgo, O., Hildmann, P., Zapf, H. (eds) Demokratie und Islam. Politik und Religion. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19833-0_8

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