Zusammenfassung
Welche Bedeutung hat die moderne Genetik für die psychologische Praxis? Diese Fragestellung berührt eine zentrale humanwissenschaftliche Kontroverse: die Anlage-Umwelt-Debatte. Jener alte Streit darum, ob die Erbanlagen – zumeist gleichgesetzt mit „den Genen“ – oder nicht-erbliche Bedingungen – gefasst als Gesellschaft, Erziehung oder „Umwelt“ – die Individualentwicklung des Menschen bestimmen, lebt immer wieder von Neuem auf. Mittlerweile haben sich Modelle durchgesetzt, die versuchen, zwischen beiden Polen interaktionistisch zu vermitteln. Auch wird allgemein angenommen, dass das Verhältnis von Anlage und Umwelt jeweils spezifisch für ein bestimmtes Merkmal zu bestimmen ist. Daher sind Versuche, die Ursachen einzelner menschlicher Fähigkeiten oder Fertigkeiten sowie Krankheiten zu bestimmen, ebenfalls in die Tradition der Debatte einzuordnen. In Psychologie und Psychiatrie geht es dabei einerseits um Konzepte wie Begabung/Intelligenz und Persönlichkeit und andererseits um verschiedene “Krankheitsbilder”, zu denen neben Schizophrenie, Manie oder Depression hin und wieder auch Kriminalität bzw. „deviantes“ Verhalten gezählt werden (vgl. z. B. Ceci & Williams, 1999; zu “deviantem” Verhalten vgl. Rowe, 1995). Zusätzlich zu ihrer philosophischen bzw. anthropologischen Bedeutung für die Fragen nach dem Wesen und dem Ursprung des Menschen hat die Debatte auch praktische Implikationen, z. B. für Entwicklungspsychologie und Entwicklungspsychopathologie. Hier werden Fördermaßnahmen und die Entscheidung über deren Fortführung oder Abbruch zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Individualentwicklung eines Kindes nicht selten mit dem Einfluss, der Anlage oder Umwelt zugeschrieben wird, begründet. Entsprechend nimmt der Streit darüber, welcher Anteil einer (Entwicklungs-)Störung durch die Anlage oder die Umwelt bedingt sei, eine prominente Stellung in entwicklungspsychologischen Lehrbüchern ein (vgl. z. B. Flammer, 2009; Oerter & Montada, 2008).
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© 2012 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden
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Lux, V. (2012). Genetik und Psychologie. In: Genetik und psychologische Praxis. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19334-2_2
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-19334-2_2
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