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Inszenierung in der Politik: nur Show oder ein konstitutives Moment des Politischen?

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Book cover Die verstimmte Demokratie

Zusammenfassung

Die politische Kultur Deutschlands ist durch eine lange Tradition des Misstrauens gegen das Inszenierte und Ästhetische in der Politik gekennzeichnet. Inszenierung gilt hier stets als Gegenpol zu allem „Echten“, „Authentischen“; als gern genutzte Möglichkeit, von den politischen Realitäten abzulenken durch den Aufbau blendender Scheinwelten. Historisch zeigte sich dieses Misstrauen schon als Ablehnung des aristokratischmonarchischen Pomps durch das Bürgertum und seine „inneren Werte“ – ein Kontrast, dem in der idealistischen Philosophie des 19. Jahrhunderts, etwa bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel, die grundlegende Unterscheidung von „Sein“ und „Schein“ entsprach. Thomas Mann kritisierte in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts die „ästhetizistische Politik“. Das tiefe Misstrauen gegen inszenatorische Scheinwelten bekam später durch die monumentalen Massenchoreographien des Nationalsozialismus einen weiteren, vielleicht entscheidenden Schub. Die ideologiekritische Wendung gegen eine „Ästhetisierung der Politik“, wie sie Walter Benjamin 1936 formulierte,1 lässt sich dann vergleichsweise nahtlos verbinden mit jenen Vorbehalten, wie sie in neuerer Zeit gegen „Placebo-Politik“ und „Mediokratie“ (Thomas Meyer),2 nicht zuletzt auch gegen die „Amerikanisierung“ der politischen Kommunikation in Deutschland geäußert wurden. Das „Amerikanische“ steht hier gleichsam als Chiffre für eine Politik, die dem Schein und dem ablenkenden Showeffekt gewidmet ist.

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Notes

  1. 1.

    Benjamin, Walter (198112): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (ersch. 1936). In: ders.: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. Frankfurt a. M., S. 7 – 44.

  2. 2.

    Vgl. Meyer, Thomas (2001): Mediokratie – Die Kolonisierung der Politik durch die Medien. Frankfurt a. M.; zur Gegenposition vgl. Dörner, Andreas (2001): Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. Frankfurt a. M. 2001.

  3. 3.

    Goffman, Erving (20039): Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München.

  4. 4.

    Vgl. Hickethier, Knut (2003): Der politische Blick im Dispositiv Fernsehen. Der Unterhaltungswert der Politik in der medialen Republik. In: Weisbrod, Bernd (Hg.): Die Politik der Öffentlichkeit – die Öffentlichkeit der Politik. Politische Medialisierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen, S. 93.

  5. 5.

    Sarcinelli, Ulrich (2005): Politische Kommunikation in Deutschland. Politikvermittlung im demokratischen System. Wiesbaden, S. 107 ff.

  6. 6.

    Dörner, Andreas (2003): Politische Kulturforschung. In: Münkler, Herfried (Hg.): Politikwissenschaft. Ein Grundkurs. Reinbek bei Hamburg, S. 587 – 619.

  7. 7.

    Gehlen, Arnold (19753): Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen. Frankfurt a. M., S. 24.

  8. 8.

    Zur Relevanz der Körperlichkeit des Politikers in der modernen Mediendemokratie siehe Diehl, Paula/Koch, Gertrud (Hg.) (2007): Inszenierung von Politik – Der Körper als Medium. München.

  9. 9.

    Grande, Edgar (2000): Charisma und Komplexität. Verhandlungsdemokratie, Mediendemokratie und der Funktionswandel politischer Eliten. In: Werle, Raymund/Schimank, Uwe (Hg.): Gesellschaftliche Komplexität und kollektive Handlungsfähigkeit. Frankfurt a. M., S. 297 – 319.

  10. 10.

    Das ist ja nicht zuletzt schon die Pointe der repräsentativen Demokratie im Rahmen des „Responsible Government“ bei Mill, John Stuart (1861): Considerations on Representative Government. London.

  11. 11.

    Zur traditionellen Sicht von Politikerauftritten in Personality-Talkshows vgl. Schultz, Tanjev (2002): Menschelnde Unterhaltung mit Politikern. Daten und Überlegungen zu Politikerauftritten in Promi-Talkshows. In: Schicha, Christian/Brosda, Carsten (Hg.): Politikvermittlung in Unterhaltungsformaten. Medieninszenierungen zwischen Popularität und Populismus. Münster, S. 183.

  12. 12.

    Eine differenzierte empirische Erforschung des Phänomens erfolgt derzeit in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt mit dem Titel „Inszenierung und Kontingenz. Zur Präsentation politischer Akteure in deutschen Personality-Talkshows“ (Leitung Andreas Dörner, Ludgera Vogt); vgl. dazu Dörner, Andreas/Vogt, Ludgera (2009): Personality-Talkshows: Riskante Bühnen für politische Akteure. In: Girnth, Heiko/Michel, Sascha (Hg.): Polit-Talkshows – Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen. Bonn, S. 191 – 205; dies. (2011): Wahlkampf auf dem Boulevard. Personality-Talkshows, Personalisierung und Prominenzkapital zwischen Hauptund Nebenwahl. In: Tenscher, Jens (Hg.): Superwahljahr 2009. Vergleichende Analysen aus Anlass der Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament. Wiesbaden, S. 199 – 222. Die hier und im Folgenden erwähnten Beispiele sind aus diesem Projekt entnommene Fallstudien.

  13. 13.

    So in „Menschen bei Maischberger“ (ARD), 19. 5. 2009, und zwei Tage vorher bei „Zuschauer fragen – Bundeskanzlerin Merkel antwortet“ auf RTL.

  14. 14.

    „Johannes B. Kerner“ (ZDF), 3. 6. 2009.

  15. 15.

    „Johannes B. Kerner“ (ZDF), 4. 6. 2009.

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© 2012 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden

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Dörner, A. (2012). Inszenierung in der Politik: nur Show oder ein konstitutives Moment des Politischen?. In: Braun, S., Geisler, A. (eds) Die verstimmte Demokratie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19035-8_10

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-19035-8_10

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-18410-4

  • Online ISBN: 978-3-531-19035-8

  • eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)

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