Zusammenfassung
In postmodernen westlichen Gesellschaften bildet populäre Musik ein zentrales Medium der Konstruktion und Verhandlung sozialer Kategorien wie Gender, Ethnizität und Class. Ferner unterliegt die kulturelle Landschaft dieser Gesellschaften einer zunehmenden Fragmentarisierung, welche eine Vielzahl von – sich meist über spezielle Musik- und Stil-Codes definierenden – Subkulturen hervorgebracht hat. In der akademischen Literatur werden Subkulturen häufig als Sphären der Selbstbehauptung und Rebellion marginalisierter Gruppen entlang der Achsen Ethnizität (z. B. schwarzer Hip-Hop), Class (z. B. working-class Punks) und Gender (z. B. feministische Riot Girls) konzipiert. Die hier untersuchten Musikkulturen fallen jedoch komplett aus diesem Schema heraus. Sowohl die Industrial- als auch die Extreme-Metal-Szene repräsentieren demografisch, ästhetisch und ideell in hohem Maße die jeweils dominanten Pole der Kategorien Gender und Ethnizität, sprich Männlichkeit und Whiteness. Auch in Bezug auf die Achse Class weisen beide Szenen inzwischen starke Mittelschicht-Strömungen auf. Industrial (harsche Maschinenmusik) und Extreme Metal (härtere Formen des Heavy Metal) und die sie umgebenden Szenen produzieren somit im doppelten Sinne – auf klanglicher und auf diskursiver Ebene – ‚Machtvolle‘ Sounds.
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Notes
- 1.
Auszüge aus dem DFG-geförderten Forschungsprojekt Sound-Schlachten.
- 2.
Die Interviews habe ich in szenenahen Örtlichkeiten in Deutschland im Rahmen der Feldforschung für Sound-Schlachten geführt. Zu jedem Interview-Ausschnitt sind Geschlecht, Alter und Musikpräferenzen des/der Interviewten angegeben. Die Transkript-Auszüge wurden formal (z. B. Füllwörter, unvollständige Sätze) editiert.
- 3.
Da diese Untersuchung männliche Fans fokussiert, verwende ich hier und im Folgenden die männliche statt geschlechtsneutrale Schreibweise.
- 4.
Thornton (1995) zeigt diese Assoziationen exemplarisch auf.
- 5.
Interview 2, 13. 02. 10: m, 38, Rhythm- und Noise-Industrial.
- 6.
Ein Beispiel ist die Pagan-Metal-Band Amon Amarth, die meist Wikingerschlachten und das nordische Götterpantheon besingen.
- 7.
Ich verwende den Begriff Totalitarismus mit Bezug auf das Konzept der „totalen Herrschaft“ (Arendt 1991).
- 8.
So beruhte z. B. das gesamte ästhetische und textliche Konzept des Electro-Industrial-Acts Feindflug in seiner Frühphase auf einer Auseinandersetzung mit Nazi-Deutschland und dem Zweiten Weltkrieg.
- 9.
Die Gestaltung des Feindflug-Albums „Volk und Armee“ (2005) veranschaulicht jedoch, dass sich auch maskulines Heldenpathos sozialistischer Prägung (das Cover zeigt ein historisches Sowjet-Motiv eines Soldaten und eines Arbeiters in markiger Pose, die zusammen ein Raketengeschoss halten) nahtlos ins Sujet des Industrial einfügt.
- 10.
Stahlschrulle, Review über Arditi „Omne Ensis Impera“, Metal.de, 22. 06. 08.
- 11.
Martin Lips, Interview-Feature über Lost Legacy, Pagan Fire, Vol. 1, S. 23.
- 12.
Müller of Death, Interview „Ohrenspülung“, Black, Vol. 46, 2007, S. 58.
- 13.
So liefert z. B. der Rhythm-Industrial-Act S.K.E.T. im Booklet des Konzept-Albums „Depleted Uranium Weapons“ (2009) detaillierte Informationen über durch Uranmantelgeschosse verursachte Schäden.
- 14.
Z. B. beim deutschen EBM-Act Funker Vogt.
- 15.
Interview 17, 09. 09. 10: m, 30, Rhythm-Industrial.
- 16.
Interview 22, 04. 10. 10: m, 34, Neofolk, Martial Industrial.
- 17.
Triarii, Interview, Obliveon, undatiert.
- 18.
Ebd.
- 19.
Martin Lichtmesz, „Sex, Gewalt und ewiger Krieg“, Zwielicht, Vol. 2, undatiert, S. 42.
- 20.
CD-Titel der Neofolk-Band Sol Invictus (1994), deren Protagonist Tony Wakeford sich von früheren Aktivitäten sowohl in links- als auch in rechtsradikalen Kreisen heute distanziert.
- 21.
Diese rhetorische Strategie ist auch in neu-rechten Diskursen häufig anzutreffen (vgl. Müller 2010); eine Parallele die kaum verwundert, sind doch für Zwielicht gelegentlich auch Autoren der zum Spektrum der Neuen Rechten zählenden Zeitung Junge Freiheit tätig.
- 22.
Die im linken Spektrum verorteten Autor/innen des Sammelbands eint die Tendenz, sämtliche Leitmotive des Neofolk und Martial Industrial in eine einheitliche Narrative zu fügen, die nahtlos in extrem rechtes Gedankengut mündet. Die verwendeten Beispiele sind zwar minutiös recherchiert, jedoch selektiv: prominente Acts wie Sophia, die typische Leitmotive – z. B. Misanthrophie, Antimodernismus – im Kontext politisch progressiver Ziele (z. B. Tierrechte, Kapitalismuskritik) verarbeiten, werden nicht diskutiert.
- 23.
Es engagierte sich lediglich einer meiner Interviewpartner (als Journalist der Jungen Freiheit) in rechten Zusammenhängen. Mehrere waren hingegen in klassischen linken Belangen aktiv. So lag z. B. der künstlerische Schwerpunkt des Sängers der Death in June Coverband Down in June in antirassistischem Theater (die von Critical Whiteness Theory geprägte Produktion Invisible Empire).
- 24.
Herr Herzschmerz, ‚Political (In-)Correctness‘, Krachcom, 25. 05. 05.
- 25.
Varg, Interview-Feature, Pagan Fire, Vol. 1, 2007, S. 21.
- 26.
Varg/Minas Morgul: Schildfront EP, 2008.
- 27.
Interview 15, 08. 09. 10: m, 37, Black Metal.
- 28.
Interview 5, 25. 02. 10: m, 18, Pagan Metal.
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Brill, D. (2012). Macht-volle Sounds. In: Villa, PI., Jäckel, J., Pfeiffer, Z.S., Sanitter, N., Steckert, R. (eds) Banale Kämpfe?. Geschlecht und Gesellschaft, vol 51. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18982-6_2
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