Zusammenfassung
„Der Sinn der Welt ist verlohren gegangen”, notierte sich Novalis: „Wir sind beym Buchstaben stehn geblieben. — Wir haben das Erscheinende über der Erscheinung verlohren” (2II, S. 594). Von der vergeblichen Bemühung, den ‚vorgedichteten‘ „Sinn der Welt” im Buchstaben festhalten oder mit Gewalt wiederherstellen zu wollen, erzählte die erste Hälfte der »Europa«-Fabel. Demgegenüber vermag die Poesie, die „nämlich, wie die Philosophie, eine harmonische Stimmung unsers Gemüts” ist, „wo sich alles verschönert”, in den besänftigenden Friedenszustand zu versetzen, als „gehe einem nun erst der rechte Sinn für die Welt auf”. Novalis vergleicht diese Wirkung der von Entrückungszuständen und Träumen, in denen man „die unendlichen, unbegreiflichen, gleichzeitigen Empfindungen eines zusammenstimmenden Pluralis fühlt” (III, S. 286) und — so verteidigt Heinrich von Ofterdingen das Träumen — „eine Schutzwehr” gewinnt „gegen die Regelmäßigkeit und Gewöhnlichkeit des Lebens, eine freie Erholung der gebundenen Phantasie, wo sie alle Bilder des Lebens durcheinanderwirft” (2I, S. 199). Träume und Entrückungszustände befreien ‚unwillkürlich‘ von der gewöhnlichen Gegenwart der gefesselten ‚Wahn‘-Poesie oder „gebundenen Phantasie” und enthalten unbewußt die freie Einigkeit der ‚geistigen Gegenwart‘, die von der bewußten Poesie ‚besonnen‘ hergestellt wird: „Alle Poesie unterbricht den gewöhnlichen Zustand, das gemeine Leben, fast wie der Schlummer, um uns zu erneuern — und so unser Lebensgefühl immer rege zu erhalten“ (2II, S. 568).
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Anmerkungen
Arthur Henkel im Nachwort zu seiner »Ofterdingen«- Ausgabe, (exempla classica), (1963), S. 159 f.
Hugo Friedrich, Die Struktur der modernen Lyrik. Von Baudelaire bis zur Gegenwart, (Rowohlts deutsche Enzyklopädie), (1956), S. 20 f.
Vgl. dazu Heinrich Fauteck, Die Sprachtheorie Fr. v. Hardenbergs (Novalis), Diss. Göttingen 1939, bes. S. 145–181.
Werner Vordtriede, Novalis und die französischen Symbolisten. Zur Entstehungsgeschichte des dichterischen Symbols, (Sprache u. Lit. 8), (1963); zum Gedicht »An Tieck«, S. 123–132, vgl. Maisch (s. Anm. 173), S. 139–154.
Stéphane Mallarmé, Oeuvres complètes, (Bibliothèque de la Pléiade), hg. v. H. Mondor u. G. Jean-Aubry, (3. Aufl., 1961), S. 378; vgl. S. 646: „Oui, que la Littérature existe et, si l’on veut, seule, à l’exception de tout.“
vgl. Albert Schinz, La pensée de Jean-Jacques Rousseau, Paris 1929, S. 174–196.
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Malsch, W. (1965). Die Darstellung der „Zukunft“ als poetische Antizipation des „ewigen Friedens“; ihre theoretische Begründung und dichtungsgeschichtliche Begrenzung im Poesiebegriff des Novalis. In: »Europa« Poetische Rede des Novalis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99625-1_11
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