Skip to main content

Richard Schaukal »Der Litterat und der Künstler«. Ein Dialog.

Aus: »Das litterarische Echo«, Jg 7, 1904/05, H. 22, Sp. 1599–1604

  • Chapter
Literarische Manifeste der Jahrhundertwende 1890–1910

Zusammenfassung

Der Künstler: Ich höre Euch immer vom „Erlebnis“ reden. Ich kann nicht zugeben, daß dieses, worunter Ihr gewöhnlich eine romantisch zurechtdrapierte Liebschaft oder einen Reiseunfall versteht, einen auch nur halbwegs bedeutenden Faktor im Problem des Künstlers abgeben sollte. Es hat an sich garnichts zu besagen, ganz abgesehen davon, daß Ihr es Euch immer erst vorspielen zu müssen glaubt, auf daß es Farbe und überhaupt Leben gewinne und Euch, wie Ihr Euch ausdrückt, anrege. Ihr seid im Grunde Eures Wesens oder besser an seiner Oberfläche, denn Euer Wesen hat einen falschen Boden, Charlatane. Ihr gebärdet Euch immer. Und Gebärden — eines Eurer Lieblingsworte übrigens, eines jener ekelhaft abgegriffenen neueren Worte, das durch mehr schmutzige Hände gegangen ist, als die ältesten — Gebärden sind die unwiderleglichen Zeugen eines unbeherrschten Daseins. Falsche Gebärden aber, wie Ihr sie habt und einander leihweise überliefert und wieder zurücknehmt mit der Schamlosigkeit von Zigeunern, die Ihr seid, solche falschen Gebärden sind der Gegensatz von Stil. Stil ist Haut, Eure Gebärden sind im besten Falle gleichsam Tätowierungen. Bei den meisten von Euch sind sie nicht einmal dieses, sondern rasch, nachlässig umgeworfene zufällige Trachten einer improvisierten Maskerade. Und mit diesen Gebärden gebärdet Ihr das „Erlebnis“! Ahnt Ihr denn nie in Eurer armen, armen, frierenden Menschenseele, daß das ganze Leben das „Erlebnis“ ist und nicht die einstudierten Posen der événements1, die Ihr mit skrupellosem Handgelenk Euch zurechtbiegt?

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 69.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Hardcover Book
USD 89.99
Price excludes VAT (USA)
  • Durable hardcover edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Notizen

  1. Giosuè Carducci (1835–1907), italienischer Dichter und Literarhistoriker; 1906 Nobelpreisträger für Literatur. Von Schaukai offensichtlich nicht zu den „Künstlern“ gerechnet.

    Google Scholar 

  2. Der englische Malerdichter Dante Gabriel Rossetti (1828–1882); seine besonders als religiöse Lyrikerin hervorgetretene Schwester Christina Georgina Rossetti (1830–1894) und der Kunstgewerbler und Lyriker William Morris (1834–1896).

    Google Scholar 

  3. Paul Bourget (1852–1935), französischer Essayist und Romancier (vgl. LMN S. 245); Oscar Wilde (1856–1900), irischer Dichter; eine der Hauptfiguren des europäischen Ästhetizismus; Walter Horatio Pater (1839–1894), englischer Schriftsteller, Vertreter einer ästhetischen Neo-Renaissance.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Erich Ruprecht Dieter Bänsch

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1970 Springer-Verlag GmbH Deutschland

About this chapter

Cite this chapter

Ruprecht, E., Bänsch, D. (1970). Richard Schaukal »Der Litterat und der Künstler«. Ein Dialog.. In: Ruprecht, E., Bänsch, D. (eds) Literarische Manifeste der Jahrhundertwende 1890–1910. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99502-5_47

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-99502-5_47

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-99503-2

  • Online ISBN: 978-3-476-99502-5

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

Publish with us

Policies and ethics