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Zusammenfassung

In den Jahren zwischen 1900 und 1909 lebte Rilke immer wieder in Paris. Es waren die Jahre des ausgehenden Symbolismus, des gesteigerten Lebensgenusses, der Suche nach den künstlichen und natürlichen Paradiesen — aber auch die Jahre der sich ankündigenden Revolte gegen die traditionelle Kunst durch die Kubisten und Futuristen, von der Rilke nur wenig wahrgenommen zu haben scheint.2 Wie seine Briefe zeigen, hat Rilke auf die erste Konfrontation mit der modernen Wirklichkeit der Metropolen bekanntlich mit einer heftigen Abwehr reagiert.3 Paris wurde für ihn zu einem Sinnbild der Moderne, zu einem Alptraum, den er mit Motiven und Uterarischen Bildern zu beschreiben versuchte, die als Topoi von den Expressionisten erst einige Jahre später beschworen werden sollten. In einem Brief vom 31. August 1902 sind es die Hospitäler und die Kranken, die er zuerst in Paris wahrnimmt. Den »Lebenstrieb« der Moderne, der alles in einem Augenblick zu ergreifen sucht, sieht Rilke mit dem Tod verschwistert:

Mich ängstigen die vielen Hospitäler, die hier überall sind. Ich verstehe, warum sie bei Verlaine, bei Baudelaire und Mallarmé immerfort vorkommen. Man sieht Kranke, die hingehen oder hinfahren, in allen Straßen. […] Man fühlt auf einmal, daß es in dieser weiten Stadt Heere von Kranken gibt, Armeen von Sterbenden, Völker von Toten.

Ich habe das noch in keiner Stadt gefühlt, und es ist seltsam, daß ich es gerade in Paris fühle, wo (wie Holitscher schrieb) der Lebenstrieb stärker ist als anderswo. Lebenstrieb ist das — Leben? Nein, — Leben ist etwas Ruhiges, Weites, Einfaches. Lebenstrieb ist Hast und Jagd. Trieb, das Leben zu haben, gleich, ganz, in einer Stunde. Davon ist Paris so voll und darum so nahe am Tode. Es ist eine fremde, fremde Stadt.4

1. »… er geht an eben dieser ’Hölle’ zugrunde«1 — Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Für Jacob Steiner

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Notizen

  1. Vgl. Rainer Maria Rilke an Karl von der Heydt: »Paris, 77, rue de Varenne, am 12. Dezember 1908. […] Und was ich vor zwei Jahren schon ebenso dumm als sehnsüchtig gewünscht habe, einmal ruhig in Paris bleiben zu können, das erweist sich (und vollends unter diesen Umständen) als sehr in der Ordnung. Ich hatte, merklich, recht mit diesem Bedürfnis. Allerhand kommt endlich weiter. Darunter auch Malte Laurids B. (wenn gleich dieser sehr, sehr langsam). Freuen Sie sich übrigens nicht zu sehr auf ihn; Sie wissen, er geht an eben dieser ’Hölle’ zugrunde und endgültig, ohne Pardon noch Auferstehung.« Rainer Maria Rilke: Briefe. Hrsg. vom Rilke-Archiv in Weimar in Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke besorgt durch Karl Altheim. Frankfurt 1987, Band 1, S. 238.

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  2. »Die Frage drängt sich förmlich auf«, schreibt Herman Meyer, »Was hat er von diesen Dingen gewußt, wie hat er zu ihnen gestanden, welche Bedeutung haben sie für ihn gehabt? Rilkes einschlägige Äußerungen sind manchmal etwas dürftig und zum großen Teil recht summarisch, aber dennoch: wenn wir sie sorgfältig in die Annalen der bildenden Kunst einpassen und mit den Fakten konfrontieren, so werden sie etwas spezifischer und ergeben zusammen ein ziemlich eindeutiges Bild. Eines wird ohne weiteres klar: ein so tiefes und positives Verhältnis wie letztlich zu Cézanne hat Rilke zu der Kunst seiner Generationsgenossen keineswegs gefunden.« Herman Meyer: Die Verwandlung des Sichtbaren. Die Bedeutung der modernen bildenden Kunst für Rilkes späte Dichtung. In: ders.: Zarte Empirie. Studien zur Literaturgeschichte. Stuttgart 1963, S. 306. Meyers Aufsatz bleibt grundlegend für das Verhältnis Rilkes zur bildenden Kunst. Neuere Materialien für das frühere Werk enthält: Rainer Maria Rilke: »Haßzellen, stark im größten Liebeskreise…« Verse für Oskar Kokoschka. Faksimile der Handschrift. Mit unveröffentlichten Briefen hrsg. von Joachim W. Storck. Marbach a. N. 1988 ( = Marbacher Schriften).

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  3. Vgl. dazu: Hartmut Engelhardt (Hrsg.): Materialien zu Rainer Maria Rilke »Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge«. Frankfurt 1974 ( = suhrkamp taschenbuch), S. 23–139.

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  4. Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren 1902–1906. Hrsg. von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber, Leipzig 1929, S. 24f.

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  5. Vgl. Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. In: ders: Sämtliche Werke. Hrsg. vom Rilke-Archiv in Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke. Besorgt durch Ernst Zinn. Frankfurt 1966. Band VI, S. 710.

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  6. Als eine künstlerische Steigerung von Rilkes Großstadterfahrung hat Jacob Steiner den Malte gedeutet: »Doch mit dem Stunden-Buch ist für Rilke das Problem künstlerisch noch nicht gelöst. Die wohlklingenden Verse können den Schrecken der Städte nicht adäquat wiedergeben. Das erneute Erlebnis der Großstadt Paris, die Einflüsse der Kunst Cézannes und Rodins sowie die Ästhetik Flauberts und Baudelaires machten ein neues Sagen möglich, eine Prosa, die alle Ängste des Subjekts und alle Widerwärtigkeiten objektiver Art evoziert.« Vgl. Jacob Steinen Rilke und Duino. In: Blätter der Rilke-Gesellschaft 10 (1983), S. 104.

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  7. Vgl. beispielsweise Jacob Steiner in seiner Auslegung der ersten Duineser Elegie: »Und so weist auch die Tatsache, daß nicht nur die Sätze, sondern geschlossene Wortgruppen durch das Versende auseinandergebrochen werden — wie die kubistische Malerei die perspektivische Einheit des Gegenstandes zerbricht zugunsten vielfältiger Simultanansicht — auf einen Grund der Einbildungskraft Rilkes hin: in diesen Zerbrechungen der üblichen Wortfolge und oft auch der syntaktischen Bezüge tut sich das auf, was später das Offene genannt wird.« Jacob Steiner. Rilkes Duineser Elegien. Bern 1969 (= 2., durchgesehene Auflage), S. 13.

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  8. Daß Rilkes Malte einer der Schlüsseltexte für die deutschsprachige Moderne um 1910 ist, scheint bis auf Ausnahmen von der Forschungsliteratur anerkannt zu werden. Vgl. beispielsweise Ulrich Fülleborn: Form und Sinn der Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Rilkes Prosabuch und der Roman. In: Hartmut Engelhardt (Hrsg.): Materialien zu Rainer Maria Rilke »Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge«, a.a.O., S. 175–198. (Zuerst in: Unterscheidung und Bewahrung. Festschrift für Hermann Kunisch zum 60. Geburtstag. Berlin 1961). Eine abweichende Position formuliert Dolf Oehler, allerdings ohne interpretative Anstrengung: »Alles, was dieser dichtende Held oder auch Anti-Held in Paris wahrnimmt, ist von einer — mittlerweile schal und schier ungenießbar gewordenen — narzißtisch sensiblerischen Rückbezüglichkeit […] Rilkes Tableaux Parisiens wirken wie die Projektionen einer Neurose, die ganz und gar der Décadence des Fin de Siècle angehört.« Dolf Oehler: Automographische deutsche Prosa-Literatur im 20. Jahrhundert von Rilke und Kafka zu Weiß, Nizon und Handke. In: Conrad Wiedemann (Hrsg.): Rom-Paris-London. Erfahrung und Selbsterfahrung deutscher Schriftsteller und Künstler in den fremden Metropolen. Ein Symposium. Stuttgart 1987, S. 515.

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  9. Brief an Elisabeth Taubmann vom 8. August 1917. Abgedruckt in: Herman Meyer: Zarte Empirie, a.a.O., S. 334f.

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  10. Worauf auch Walter Jens verwiesen hat. Im Malte sieht Jens »jenes höchste gemeineuropäische Niveau« erreicht, das in der europäischen Literatur zur gleichen Zeit von Majakowski, Walt Whitmann und Marinetti repräsentiert wurde: »Da ist Rilke nun wirklich in der vordersten Front zu suchen.« Vgl.: Berliner Kritiker Colloquium 1965. Diskussion zu »In Sachen Rainer Maria Rilke«. In: Hartmut Engelhardt (Hrsg.): Materialien zu Rainer Maria Rilke »Die Aufzeichnungen des Malte LauridsBrigge«, a.a.O., S. 209f.

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  11. Jacob Steiner: Anschauungsformen. In: ders.: Rilke. Vorträge und Aufsätze. Karlsruhe 1986, S. 10 (Zuerst in: Blätter der Rilke-Gesellschaft7/8 (1980/1981)).

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  12. Vgl. Umberto Boccioni: Wir setzen den Betrachter mitten ins Bild. Zitiert nach Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909–1918. Köln 1972 ( = DuMont Dokumente), S. 230.

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  13. An Anita Forrer schreibt Rilke 1921: »Das will ich meinen, daß Francis Jammes herrlich ist! Aber Sie müssen ihn französisch lesen. […] (Übrigens ist Jammes der Dichter, von dem im Malte an einer Stelle rühmend die Rede ist.)« Rainer Maria Rilke, Anita Forrer: Briefwechsel. Hrsg. von Magda Kerényi. Frankfurt 1982, S. 71. Vgl. auch August Stahl: Rilke-Kommentar. Zu den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, zur erzählerischen Prosa, zu den essayistischen Schriften und zum dramatischen Werk. München 1979, S. 176.

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  14. Vgl. dazu auch Friedrich A. Kittler Aufschreibesysteme 1800–1900. München 1987, S. 324ff.

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  15. F. T. Marinetti: Die futuristische Literatur. Technisches Manifest. In: Der Sturm 3 (1912), Nr. 133, S. 195. Die zum Teil in der deutschsprachigen Forschungsliteratur unterschiedlichen Textfassungen der Manifeste resultieren aus den verschiedenen deutschen Übersetzungen. Im folgenden werden daher, wenn nicht anders vermerkt, die 1912 und 1913 publizierten Manifeste in den ursprünglichen, und teilweise von den Futuristen autorisierten deutschen Fassungen aus dem Sturm zitiert, da es diese Texte waren, die in der Debatte über den Futurismus die Grundlage gebildet und die Wirkungsgeschichte des Futurismus eingeleitet haben. Sämtliche im Sturm publizierten Manifeste sind im Anhang dieser Arbeit dokumentiert. Zum Teil eigene und von den Fassungen im Sturm abweichende Übersetzungen hat Christa Baumgarth: Geschichte des Futurismus, a.a.O., S. 155ff., verfaßt. Hier werden aus ihrer Dokumentation nur die Manifeste zitiert, die nicht im Sturm publiziert worden sind.

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  16. F. T. Marinetti: Supplement zum Technischen Manifest der futuristischen Literatur. In: Der Sturm 3 (1913), S. 279.

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  17. Vgl. dazu auch Karl Robert Mandelkow: Orpheus und Maschine. In: Harro Segeberg (Hrsg.): Technik in der Literatur. Ein Forschungsüberblick und zwölf Aufsätze. Frankfurt 1987 ( = suhrkamp taschenbuch Wissenschaft), S. 387410 (Zuerst als Orpheus et de Machine. Groningen 1966).

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  18. Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, a.a.O., S. 756. Vgl. dazu auch Jochen Hörisch: Die Wut des Verstehens. Zur Kritik der Hermeneutik. Frankfurt 1988 ( = edition suhrkamp), S. 89–98.

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  19. Ganz ähnlich hat sich Hofmannsthal im Kleinen Welttheater auf Flauberts Saint Julien I’hospitalier bezogen. Vgl. dazu Gert Mattenklott: Hofmannsthals Lektüre französischer Realisten: Stendhal, Balzac, Flaubert. In: Hofmannsthal-Blätter 34 (1986), S. 70. Diese Auffassung trennt Hofmannsthal und Rilke von Stefan George. Seine »Verdammung« der modernen Städte bleibt ohne Mitgefühl für die »Mittelmäßigkeit der Massen«. Vgl. dazu Wolfgang Wegner Die Stadt und ihr Richter. Zu Stefan Georges Zeitgedicht »Die tote Stadt«. In: Neue Beitrage zur George-Forschung. Hrsg. von der Gesellschaft zur Förderung der Stefan-George-Gedenkstätte im Stefan George-Gymnasium Bingen e. V. Heidelberg 1977, S. 21–25.

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  20. Rainer Maria Rilke: Bride, a.a.O., S. 195. Vgl. auch Malte, S. 775

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  21. Zitiert nach: Poesia. Organe du Futurisme 5 (1909), Nr. 3/4/5/6, S. 34.

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  22. Vgl. dazu Antoni Saccone: Marinetti e il Futurismo. Materiali per lo studio della letteratura italiana. Napoli 1984, S. 134ff.

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  23. Vgl. Karl Voßler: Italienische Literatur der Gegenwart von der Romantik zum Futurismus. Heidelberg 1914, S. 120.

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  24. Vgl. dazu im einzelnen die ausführliche Darstellung von Marinettis Entwicklung zum Futurismus bei Felix Philipp Ingold: Literatur und Aviatik. Europäische Flugdichtung 1909–1927, Frankfurt 1980 (Zuerst: Basel 1978), S. 62ff.

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  25. F. T. Marinetti: Teoria e Invenzione Futurista. A cura di Luciano De Maria. Milano 1968, S. 304. »Man muß mit allen Mitteln Gabriele D’Annunzio bekämpfen, weil er mit seinem ganzen Genie die vier geistigen Gifte, die wir für immer abschaffen wollen, verfeinert hat: 1. die morbide und nostalgische Poesie der Distanz und der Erinnerung; 2. die romantische Sentimentalität voll triefendem Mondschein, die aufschaut zu der idealen und schicksalshaften weiblichen Schönheit, 3. die Obsession der Wollust, mit dem Dreiecksverhältnis des Ehebruchs, dem Salz des Inzests und der Würze der christlichen Sünde; 4. die professorale Leidenschaft für die Vergangenheit, die Antikenmanie und Sammlerleidenschaft«. (Übersetzung vom Verf.)

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  26. Vgl. Der Sturm 4 (1913), Nr. 148/49, S. 272. Apollinaire hat den Futurismus als eine vom Kubismus abhängige Spielart der Avantgarde betrachtet. Vgl. Guillaume Apollinaire: Der Futurismus. In: Hajo Düchting: Apollinaire zur Kunst Texte und Kritiken 1905–1918. Köln 1989 (= DuMont-Dokumente. Zuerst als Le Futurisme 1912 erschienen), S. 186f.: »Der Futurismus ist meiner Meinung nach eine italienische Nachahmung von zwei Stilrichtungen der französischen Malerei, die innerhalb weniger Jahre aufeinander folgten: Fauvismus und Kubismus. Ich selbst führte M. Marinetti, den ersten Theoretiker der futuristischen Malerei, in die Arbeiten der neuen französischen Maler ein. Ich habe auch im Mercure de France über den Besuch der futuristischen Maler Boccioni und Severini in Picassos Atelier berichtet. […] Die Futuristen verstreuen über die Fläche des Bildes die verschiedenen Aspekte des Gegenstandes und die vielfältigen Gefühle, die von den diesen Aspekten hervorgerufen werden und das führt zur Verwirrung. Die Kunst der Kubisten wird von einer strengen Disziplin unterstützt. Die Kunst der Futuristen wird von Zufälligkeit beherrscht, trotz aller Manifeste und Erklärungen.«

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  27. Die erste deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel Vielleicht- vielleicht auch nicht wie der Malte 1910 in Leipzig.

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  28. Vgl. im einzelnen dazu Luigi Paglia: Invito alla lettura di Filippo Tommaso Marinetti. Milano 1977 ( = Invito alla lettura. Sezione Italiana).

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  29. Später hat sich Marinetti von dieser symbolistischen Tradition gelöst. In der Nummer 3 des ersten Jahrgangs der Poesia zitierte Marinetti einen Auszug aus dem Mercure de France über die Gründung seiner Zeitschrift: »M. F. T. Marinetti, qui a beaucoup contribué, par des conférences et des récitations de poèmes, à répondre en Italie à la littérature symboliste, vient de créer une revue universelle: Poesia.« In: Poesia 1 (1915), Nr. 3, S. 5.

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  30. Vgl. dazu auch Christa Baumgarth: Geschichte des Futurismus, a.a.O., S. 17ff. Die Beiträge sind gesammelt in: F. T. Marinetti: Enquête Internationale sur le vers libre et manifeste du futurisme. Milano 1909 ( = Edizioni Futuristi di Poesia).

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  31. Die Figaro-Fassung war es dann auch, die die Grundlage der Futurismus-Debatte bildete. So heißt es beispielsweise in Kasimir Edschmids Reflexionen über Döblin und die Futuristen 1918: »Am achten März an der Rampe des Theaters Chiarella war die Schlacht von Turin. Auf hinuntergegebene Ideen folgten ebensoviele Faustschläge. Die Futuristen gaben dreitausend Menschen ihr erstes Manifest. Es war eine heftige Zustimmung zu dem, womit ein Jahr früher Marinetti im Figaro die dichterischen Programme aufwarf. […] Europa war um eine große Sensation reicher. Manche behaupten, das Moment der Zersetzung dieses Erdstrichs habe damit begonnen.« In: Kasmir Edschmid: Frühe Manifeste. Epochen des Expressionismus. Hamburg 1957, S. 106.

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  32. Vgl. zu den Varianten der beiden Fassungen im einzelnen die Gegenüberstellung und den ausführlichen Kommentar bei Fanette Roche-Pézard: L’Aventure Futuriste 1909/1916. Roma 1983 (= Collection de l’école francaise de Rome), S. 65, und den Kommmentar, S. 103ff.

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  33. Vgl. Poesia 5 (1909), Nr. 1/2, S. 32.

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  34. Vgl. Poesia 5 (1909), Nr. 1/2, S. 33. Und weiter wird die Vossische Zeitung zitiert: »[…] Aus Mailand wird uns unter dem 23. Februar geschrieben. Seit einigen Tagen fallen an allen Straßenecken der Stadt einen Meter breite und drei Meter lange Plakate auf, die mit brennend roten Buchstaben verkünden, daß der französisch-italienische Dichter F. T. Marinetti den Futurismo ins Leben gerufen habe. Man darf auf die Dichtungen gespannt sein, die sie verwirklichen werden. Erst dann wird man urteilen dürfen, ob dieses Programm der Ausdruck einer überschäumenden Lebenskraft ist, die sich allem Althergebrachtem entgegenstellt oder ob Marinetti nur bizarre Phrasen vereinigte, um für sich Reklame zu machen«, ebd., S. 34.

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  35. Walter Mehring: Die verlorene Bibliothek. Autobiographie einer Kultur. Frankfurt a. M., Berlin, Wien 1980, S. 143.

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  36. Über den Einfluß der französischen Literatur auf Marinetti sowie des gesamten kulturellen Umfelds von Paris vgl. im einzelnen Fanette Roche-Pézard: LAventure Futuriste 1909/1916, a.a.O.

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  37. Bezeichnenderweise unter anderem Jarrys Lyrisme Militariste. Poème en Prose. Vgl. Poesia 1 (1905), Nr. 5/6, S. 11f.

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  38. Darauf verweist auch Felix Philipp Ingold: Literatur und Aviatik, a.a.O., S. 82: »Wegweisende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang — auch für den jungen Marinetti — der grotesk-utopistischen Romansatire Alfred Jarrys (Le Surmâle, 1902) sowie der pathetisch überhöhten Großstadtpoesie von Emile Verhaeren (Les Villes tentaculaires, 1904) zu: beiden Autoren (jedem auf seine Weise) gelingt es, aktuellste Thematik — so etwa die rasch um sich greifende Mechanisierung des städtischen Alltags, die industrielle und kommerzielle Ausbeutung technologischen Fortschritts, den zeitgenössischen Rekord- und Perfektionierungswahn — literaturfähig zu machen. Dutzende von Adepten sind in der Nachfolge Jarrys oder Verhaerens gross geworden, manche brachten es zu vorübergehender Berühmtheit, die meisten waren schon bald wieder vergessen, sind heute nur mehr Namen: Paul-Adren Schayé, Eugéne Demolder, Paul Arosa.«

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  39. Bei Jarry fand Marinetti auch die Mythologisierung des Automobils vorgeprägt. Vgl. Alfred Jarry: Der Übermann. Moderner Roman. Frankfurt 1987 (Zuerst: Le surmâle. Roman moderne. Paris 1902), S. 61: »Ein monströses großes Automobil — das einzige Exemplar eines Rennmodells, das Arthur Gough erst kürzlich erfunden hatte und das von einem Knallgasgemisch angetrieben wurde, dessen Zusammensetzung nur William Elson kannte -, das nämliche Gefährt, auf dem Elson und seine Tochter am Abend zuvor davongebraust waren, das diesmal aber von Ellen ganz allein gesteuert wurde, war im Pegasustempo auf die Freitreppe zugerast. Sirene — auf die Bezeichnung hatte Marcueil das Bullern des Motors gebracht, das die Fensterscheiben von Lurance erzittern ließ. Die maskenartige Autokappe aus rosarotem Plüsch, die Ellen trug, verlieh ihrem Kopf etwas seltsam Vogelartiges, und Marcueil fiel ein, daß die echten Sirenen der Sage keine Meeresungeheuer waren, sondern phantastische Seevögel.« Vgl. dazu die Korrespondenzen in Marinettis Gedichten An das Rennautomobil und An meinen Pegasus.

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  40. Vgl. Mallarmé: Versi e prose. Prima traduzione italiana di F. T. Marinetti. Milano 1916.

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  41. Zum künstlerischen und intellektuellen Umfeld Marinettis in Frankreich, seinem Verhältnis zu Jarry und zum »futurisme francais« vgl. im einzelnen: Présence de F. T. Marinetti. Actes du Colloque International tenu à F Unesco. Réalisé par Jean-Claude Marcadé. Lausanne 1982 ( = Collection Avant-Gardes).

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  42. Zu Recht rückt das Werk Apollinaires verstärkt in das Zentrum der Diskussion über die Konstituierung der Moderne. Vgl. beispielsweise Hans Robert Jauß: Studien zum Epochenwandel der ästhetischen Moderne, a.a.O., S. 217: »Ende 1912 fügte Apollinaire den Druckfahnen seines Recueil Alcools ein programmatisches Eingangsgedicht Zone hinzu. Im Dezember 1912 erschien aber auch schon Les Fenêtres, das erste Stück von Ondes, einer Folge von ganz anders gearteten ’Gedichten mit verschiedenen Stimmen’ (auch ’poèmes-conversations’ genannt), die den ersten, 1912 bis 1914 verfaßten Teil der späteren Sammlung Calligrammes bilden. Im Schnitt zwischen den beiden Recueils, näherhin zwischen Zone und Les Fenêtres, läßt sich die Genese eines ’Art nouveau’ wie im Brennspiegel einer Linse und genauer, weil in lyrischer Ausformung, erfassen, als in dem sogenannten ’Frontwechsel’, der so vielstimmig wie vieldeutig in den zahlreichen theoretischen Manifesten dieser Epochenschwelle ausgerufen wurde. In der Theorie bekundet sich die Proklamation des Neuen vorab in waghalsigen Antizipationen und oft widersprüchlichen Erwartungen, die sich am besten in der poetischen Praxis präzisieren lassen.«

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  43. Vgl. Hugo von Hofmannsthal: Gabriele D’Annunzio. In: ders.: Reden und Aufsätze I. Frankfurt 1979 ( = Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Hrsg. von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch), S. 174f.

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  44. Vgl. Paul Raabe (Hrsg.): Expressionismus. Der Kampf um eine literarische Bewegung. München 1966 ( = dtv), S. 50. Zu Käthe Brodnitz vgl. Hugo Ball (1886–1986). Leben und Werk. Berlin 1986, S. 123f.

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  45. Dennoch bleibt Marinetti seinem Programm einer synthetisierenden Anverwandlung auch am Beispiel Nietzsches treu, denn unverkennbar hat er — bei allen Differenzen — die wesentlichen Themen und Motive seines Mafarka Nietzsches Kritik der Décadence entnommen. Vgl. dazu Claudia Salaris: Storia del Futurismo. Libri. Giornali. Manifesti. Roma 1985 ( = Universale. Scienze sociali), S. 31: »Sullo sfondo è palese l’ideologia marinettiana nel momento di passaggio dal pessimismo schopenhaueriano al vitalismo aggressivo che ha come padre ispiratore Nietzsche. La rivoluzione della volontà e del desiderio contro la passività, il gregarismo, la saggezza, sintomi di necrosi, prende corpo del mito della rinascita, vissuto all’insegna dell’irrazionalismo.«

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  46. Vgl. dazu im einzelnen Robert E. McGinn: Verwandlungen von Nietzsches Übermenschen in der Literatur des Mittelmeerraumes: D’Annunzio, Marinetti und Kazantzakis. In: Nietzsche-Studien. Internationales Jahrbuch für die Nietzsche-Forschung10/11 (1981/1982), S. 601f.: »In diesem ’roman africain’ finden wir also mehrere Motive, die wir auf ’Also sprach Zarathustra’ zurückführen können: das Projekt der Selbstüberwindung und das absichtliche, bewußte Streben nach höheren Lebensformen und der damit verbundene Kult der Jugend, des Willens und des gefahrvollen Lebens. Die spielerische, zärtliche Seite Zarathustras und die Fähigkeit zur Selbstkritik, die im letzten Paragraphen von ’Jenseits von Gut und Böse’ beschrieben wird, eine Fähigkeit, die unerläßlich ist für die unbedingte Hingabe an die Selbstüberwindung, fehlen allerdings in Marinettis Porträt. Marinettis Held ist ungestüm, robust, ein Mann der Tat, besessen von einem starken, disziplinierten Willen.«

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  47. F. T. Marinetti: Mafarka il futurista. Romanzo. Milano 1910, S. 9f. (»Hier ist der große explosive Roman, den ich euch versprochen habe. Er ist polyphon wie eure Seelen und zugleich lyrischer Gesang, Epos, Abenteuerroman und Drama. Ich bin der einzige, der versucht hat, ein solches Meisterwerk zu schreiben, das durch meine Hand sterben wird eines Tages, wenn der wachsende Glanz der Welt den seinen ereilt und es damit überflüssig gemacht haben wird. […] Verteidigt es nicht: Betrachtet es stattdessen lieber explodierend, wie eine gut geladene Granate über den gespaltenen Köpfen unserer Zeitgenossen, und dann tanzt, tanzt einen Kriegstanz, indem ihr in den Pfützen eurer Dummheit patscht, ohne dabei auf das monotone Klatschen zu hören.« Übers, v. Verf.) Die Bezeichnung »Roman africain« der französischen Originalausgabe Mafarka le Futuriste ist von Marinetti in der italienischen Fassung gestrichen worden.

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  48. Das Einleitungskapitel »Lo stupro delle negre« war dann auch Gegenstand einer Gerichtsverhandlung in Mailand aufgrund einer Anklage wegen des Verstoßes gegen die »Sittlichkeit«, die Marinetti als Forum der Propagierung seines futuristischen »Weltgefühls« nutzte. Vgl. dazu Marinettis eigenen Bericht über die Gerichtsverhandlung: F. T. Marinetti: Processo di Mafarka il futurista. In: ders.: Teolia e invenzione futurista, a.a.O., S. 586ff. Über die Verbindung zwischen diesem futuristischen Weltgefühl und dem italienischen Faschismus vgl. im einzelnen: János Riesz: Der Untergang als’spectacle’ und die Erprobung einer’ écriture fasciste’ in F. T. Marinettis ’Mafarka le Futuriste’ (1909). In: Ulrich Schulz-Buschhaus, Helmut Meter (Hrsg.): Aspekte des Erzählens in der modernen italienischen Literatur. Tübingen 1983, S. 85–99.

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  49. Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren 1902–1906, a.a.O., S. 45

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Schmidt-Bergmann, H. (1991). Horizontwandel der literarischen Moderne. In: Die Anfänge der literarischen Avantgarde in Deutschland über Anverwandlung und Abwehr des italienischen Futurismus. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99450-9_2

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