1 Ausgangslage

BriefeFootnote 1 gehören zu den wertvollsten Quellen für die literatur-, geschichts-, musik- und sprachwissenschaftliche Forschung.Footnote 2 Im Gegensatz zu veröffentlichten Monographien, Aufsätzen, Partituren etc. versprechen Briefe einen intimeren oder unverfälschteren Einblick in die Gedankenwelt von Menschen. Denn Briefe gehören zu den Textsorten, die vom Autor meistens erst einmal nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen waren.Footnote 3 Das hat auch zur Folge, dass Briefe eine Ad-hoc-Schriftlichkeit abbilden und damit eine gewisse Nähe zur Mündlichkeit bekommen.Footnote 4 Neben die (mehr oder weniger vermeintliche) Privatheit tritt ein weiterer Aspekt: Im Gegensatz zu Aufsätzen, Abhandlungen, Romanen etc., die über Titel und ggf. Inhaltsangaben verfügen, kann der Inhalt eines Briefes von der Wissenschaftlerin kaum antizipiert werden, bevor sie ihn gelesen hat. Hinzu kommt, dass der Inhalt häufig sehr heterogen ist: Im Brief werden ganz unterschiedliche Ereignisse, Erkenntnisse, Personen oder Publikationen aus der Lebens- und Arbeitswelt der Schreiber angesprochen und kommentiert. Irmtraut Schmid spricht gar von einem „Gemischtwarenladen“.Footnote 5 Gerade aus diesen Gründen ist die moderne Wissenschaft an Briefen als Quellen äußerst interessiert. So untersucht z. B. die Wissenschaftsgeschichte anhand von Briefen, wie Erkenntnisse gewonnen, diskutiert und verbreitet wurden. Die Musikwissenschaft geht anhand von Briefen der Entstehung von Kompositionen nach, während die Politikgeschichte wiederum darin nach Ansichten und Bewertungen von politischen Ereignissen und Theorien fahndet. Die Literaturwissenschaft schließlich möchte Werkentstehungen untersuchen oder behandelt den Brief selbst als literarisches Erzeugnis. Darüber hinaus interessieren sich Wissenschaftlerinnen für Briefe, weil ein Brief „so gut wie nie als nomadisches Einzelobjekt existiert”,Footnote 6 sondern einerseits in einer Reihe von vorhergehenden oder nachfolgenden Briefen steht, andererseits die Korrespondenten fast immer nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Partnern im epistolaren Austausch stehen. Damit bilden mehrere Briefwechsel ein Briefnetz – ein Aspekt, der die Textsorte ‚Brief‘ von den meisten anderen abhebt und auch einen eigenen Zugriff nötig macht. Der Erforschung dieser Briefnetze widmet sich heute – neben den bereits genannten Disziplinen – insbesondere auch die historische Netzwerkforschung.

Das hohe wissenschaftliche Interesse führte dazu, dass Briefe seit Langem für die Forschung erschlossen werden. Zum einen geschieht das über archivalische Nachweismittel. Neben den üblichen Findbüchern und Datenbanken der einzelnen Archive ist hier insbesondere die Zentralkartei der Autographen (ZKA) zu nennen, die von 1966 bis zur Jahrtausendwende von der Staatsbibliothek zu Berlin gepflegt wurde. 2001 ist die ZKA im elektronischen Katalog Kalliope aufgegangen und wird dort weiterhin gepflegt, nun aber in einer Verbundarchitektur. Kalliope weist derzeit neben anderen Dokumenttypen mehr als zwei Millionen Briefe in (vornehmlich deutschen) Archiven und Bibliotheken nach.Footnote 7 Die Erfassung von Briefen erfolgt dezentral in den Einrichtungen, die Erschließungstiefe variiert dabei von den reinen Basisdaten eines Briefes (Absender, Empfänger, Schreibdatum) über eine grobe Verschlagwortung bis hin zu einem kurzen Regest. Im Großteil der Fälle bleibt es allerdings bei den Basisdaten, da eine tiefere Erschließung für die Archive und Bibliotheken zu zeitaufwendig wäre. Fragen nach Briefinhalten, Datierungen oder Identifizierung von Absendern können in diesem Rahmen nicht geklärt werden.

Zum anderen werden Briefe aber seit dem 19. Jahrhundert in gedruckten Briefausgaben für die weitere Forschung bereitgestellt. Die Bandbreite reicht von reinen Regestausgaben, die lediglich Zusammenfassungen der einzelnen Briefe enthalten, über mehr oder weniger genaue Transkriptionen bis hin zur vollständigen Edition mit textkritischem Kommentar und inhaltlichen Erläuterungen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert seit Langem die Erstellung solcher Editionen und hat dazu schon früh einige Kolloquien abgehalten. Zu den zahlreichen Gesamtausgaben, die heute vor allem im Rahmen des Akademienprogramms erstellt werden, gehören Briefeditionen selbstverständlich dazu.

Diese Masse an gedruckten Briefen veranlasste bereits 1969 Fritz Schlawe dazu, eine Bibliographie der Briefausgaben und Gesamtregister der Briefschreiber und Briefempfänger der Briefsammlungen des 19. Jahrhunderts vorzulegen. Seine Begründung: „Von den Briefen weniger großer Persönlichkeiten abgesehen, deren œuvre in Gesamtausgaben vorliegt oder durch Spezialbibliographien erschlossen ist, waren diese Briefe bis jetzt zum großen Teil bibliographisch nicht näher nachweisbar und damit weithin der Auswertung entzogen”.Footnote 8 In seiner Bibliographie erfasste er rund 20.000 Korrespondenzen. Schon damals ob der ungeheuren Menge unvollständig, ist diese Bibliographie nach fast 45 Jahren stark veraltet.

Gedruckte Briefeditionen waren (und sind) so angelegt, dass fast immer nur die Briefe von bzw. an eine Person oder gar nur der Briefwechsel zwischen zwei bestimmten Personen aufgenommen wird. In neueren, genuin digital angelegten Briefeditionen werden gelegentlich darüber hinaus auch Briefe berücksichtigt, die die im Zentrum des Editionsvorhabens stehende Persönlichkeit ‚nur‘ zum Inhalt haben, aber nicht deren Korrespondenz entstammen. Außerdem gibt es auch digitale Editionen, die Korrespondenzen thematisch orientiert zu erschließen versuchen, so z. B. das Projekt Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800.Footnote 9 Die große Masse an Editionen geht aber nicht so vor. Insbesondere die Gesamtausgaben stehen vor dem Problem, dass die Fokussierung auf eine Person deren Bedeutung bzw. die ihrer Korrespondenzpartner verfälschen kann.Footnote 10 Demgegenüber hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten verstärkt das Umfeld der untersuchten Persönlichkeiten in den Blick genommen.

Gegenüber archivalischen Findmitteln und thematisch orientierten Nachweisdatenbanken bieten historisch-kritische Briefeditionen die beste Erschließungstiefe, weil die Texte durch Transkription, Kommentierung und Registrierung systematisch und vollständig bearbeitet und erschlossen wurden. Doch dieses Wissen steht nur dann der Wissenschaftlerin zur Verfügung, wenn ihr die Edition eines einschlägigen Briefes bekannt ist. Wenn dies nicht der Fall ist, muss die Wissenschaftlerin recherchieren – und das ist zeitaufwendig, insbesondere wenn dem gesuchten Korrespondenten nicht eine eigene Edition gewidmet wurde. Will man darüber hinaus aber Briefinhalte finden, ist eine arbeitsökonomische Recherche fast schon unmöglich. Dabei benutzen Wissenschaftlerinnen Briefeditionen tatsächlich häufig sehr selektiv, da sie an ganz bestimmten Details oder Fragen interessiert sind. So konstatiert auch Jochen Strobel, „[…] dass Briefleser oder besser Nutzer von Briefeditionen nur in Ausnahmefällen gewillt sind, dicke Bände zu lesen, in denen sich unüberschaubar heterogene Daten verbergen, die meisten davon für das spezifische Nutzerinteresse noch dazu bedeutungslos“.Footnote 11 Und Norbert Oellers fragte schon 1993 rhetorisch: „Aber wer liest einen Briefband wie einen Roman?“Footnote 12

Und so kommt Wolfgang Bunzel – mit Blick auf die Erforschung der Romantik – zum Schluss:

Die schiere Masse der überlieferten Briefe ist selbst für Experten nicht zu überschauen, viel weniger für Forscher, die sich nur mit einzelnen Personen beschäftigen oder an Detailaspekten interessiert sind. Dies hat zur Folge, dass schon das gedruckt vorliegende Material nur höchst selektiv benutzt wird und die Mehrzahl der Briefe unzitiert, meist sogar ungesichtet bleibt.Footnote 13

Spätestens seit der Jahrtausendwende wird in Bezug auf Briefe über eine Lösung dieses Problems mithilfe der Informationstechnologie diskutiert und auch tatsächlich verfolgt. So initiierte 2005 das Heidelberger Institut für Textkritik den BRIEFkasten – eine Datenbank, die wie Schlawes Publikation gedruckte bzw. edierte Briefe nachweisen wollte.Footnote 14 Weitere IT-gestützte Projekte wurden vor allem zur Erforschung der Res publica literaria zwischen 1550 und 1750 initiiert. Zu nennen sind hier insbesondere Early Modern Letters Online (EMLO)Footnote 15 sowie Frühneuzeitliche Ärztebriefe des deutschsprachigen RaumsFootnote 16. Diese beiden Projekte haben gemein, dass sie Datenbanken erstellen, die Gelehrtenbriefe – ob archivalisch oder gedruckt überliefert oder nur erschlossen – aus der Frühen Neuzeit nachweisen; neben der entsprechenden Verschlagwortung enthalten sie teilweise auch Regesten der aufgenommenen Briefe. Darüber hinaus versuchen gerade die Projekte zur Erforschung der Res publica literaria, den schon angesprochenen Netzcharakter der Korrespondenzen für die Forschung nutzbar zu machen.Footnote 17 Während EMLO teilweise kollaborativ erweitert wird, entsteht die Datenbank Frühneuzeitliche Ärztebriefe im Rahmen eines Akademienvorhabens an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Die in beiden Projekten gesammelten Briefmetadaten stehen zur kostenlosen Recherche bereit, können aber nicht über technische Schnittstellen unter einer freien Lizenz bezogen und nachgenutzt werden.Footnote 18

Für andere Forschungsthemen und Epochen, wie etwa die deutsche Romantik oder das 19. Jahrhundert insgesamt, stehen entsprechende Datenbankprojekte aber nicht zur Verfügung. Das ist für die Forschung eine missliche Lage, erreicht das Zeitalter des deutschsprachigen Privatbriefs doch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erst seinen Höhepunkt.Footnote 19 Angesichts der enormen Briefmengen, die zahlreiche Editionsprojekte herausgeben, scheint aber eine ‚klassische‘, zentral verwaltete Datenbank aller edierten Briefe schwierig zu realisieren, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Anzahl edierter Briefe durch Neuvorhaben stetig anwächst.Footnote 20

Und so fordert auch Bunzel:

die Schaffung einer dezentralen, möglichst offenen, auf [...] html/xml-Grundlage basierenden und mit TEI-Minimalstandards operierenden digitalen Plattform, die nach vielen Richtungen hin erweiterbar ist und es den bereits bestehenden Portalen und Homepages erlaubt, sich mit denkbar geringem Zusatzaufwand daran zu beteiligen. Nötig ist dafür keine Superstruktur, welche die – ohnehin nicht exakt bezifferbare – Gesamtheit aller Briefe der Romantik überwölbt, sondern vielmehr ein intelligentes Verknüpfungssystem, das vorhandene Dokumente in Konnex zueinander bringt.Footnote 21

Die nötigen Grundvoraussetzungen für ein solches Verknüpfungssystem hatte Andrea Rapp bereits 2007 auf einer Tagung des DFG-Projekts Entwicklung von Werkzeugen für digitale Formen wissenschaftlich-kritischer Musikeditionen genannt:

Standardisierung ist eine wichtige Voraussetzung, da sich erst mit ihr Perspektiven der Vernetzung auftun; Die Text Encoding Initiative (TEI) bietet hier einen flexiblen Standard, um für das eigene Corpus wichtige Details zu codieren. Darüber hinaus kann für die Vernetzung – und speziell für Suchanfragen – aber auch ein baseline-encoding sinnvoll sein, [...] d. h. die Einigung auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der für Briefe z. B. in der Angabe von Absender, Empfänger, Ort und Datum bestehen könnte. Schon diese wenigen Informationen erleichtern die Suche über große Corpora hinweg. Denkbar wäre dadurch etwa die Schaffung eines projekt- und länderübergreifenden Briefverzeichnisses, dem dann später die Brieftexte angefügt werden könnten. Damit eröffnen sich z. B. Perspektiven für die Untersuchung von Korrespondentenbeziehungen mit neuartigen Fragestellungen.Footnote 22

Die Frage nach solchen gemeinsamen Nennern und einem übergreifenden Verknüpfungssystem für Briefeditionen wurde 2014 auch in einem Workshop von Anne Baillot und Markus Schnöpf zum Thema Briefeditionen um 1800. Schnittstellen finden und vernetzen aufgegriffen. Auf diesem Workshop entstand die Initiative zur Entwicklung des Correspondence Metadata Interchange Format und zum Webservice correspSearch. Die derzeit online verfügbare Basisversion des WebservicesFootnote 23 wurde von der DH-Arbeitsgruppe TELOTA an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften entwickelt. Seit Herbst 2017 wird correspSearch nun in einem von der DFG geförderten Projekt weiterentwickelt (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Überblick über den Webservice correspSearch

2 Austauschformat für Briefmetadaten

Grundprinzip des Webservice correspSearch ist es, die Briefmetadaten aus digitalen Briefverzeichnissen, die von den Editionsvorhaben selbst bereitgestellt werden, zu beziehen und zu aggregieren. Es wurde also keine Datenbank im klassischen Sinne geschaffen, in der die Daten nur einmalig aus ggf. unterschiedlichen Quellformaten importiert werden und dann nur in einer zentralen Datenbank weitergepflegt werden können. Stattdessen wurde – wie von Bunzel vorgeschlagen – mit correspSearch ein offenes System entwickelt, das lediglich bereits vorhandene Daten, die in einem standardisierten Austauschformat auf TEI-XML-Basis vorliegen, aggregiert. Letzteres ist das Correspondence Metadata Interchange Format (CMIF), das von der TEI Correspondence Special Interest Group entwickelt wurde und wird.Footnote 24

Im Kern basiert das CMIF auf dem TEI-Elementset <correspDesc> (Correspondence Description), das von einer Taskforce – namentlich Marcel Illetschko, Sabine Seifert und Peter Stadler – initiiert und von 2013 bis 2015 entwickelt wurde. Dabei dient <correspDesc> ausschließlich dazu, die kommunikationsspezifischen Metadaten eines Briefes zu erfassen, d. h. insbesondere Absender, Empfänger, Schreib- und Empfangsdatum bzw. -ort. Darüber hinaus kann der Korrespondenzkontext (auch ‚Korrespondenzstelle‘ genannt) innerhalb eines Briefwechsels angegeben werden – also der Brief, auf den geantwortet wird, bzw. der Brief, mit dem wiederum der vorliegende beantwortet wird.Footnote 25 Alle anderen Metadaten, die typischerweise beim Edieren eines Briefes anfallen, werden mit den dafür schon länger vorhandenen TEI-Elementen (msDesc, physDesc etc.) kodiert. Das TEI-Elementset <correspDesc> umfasst also, grob gesagt, diejenigen Daten des Briefes, die in Briefeditionen i. d. R. auch als ‚Kopfdaten‘ oder ‚Titel‘ des Briefes notiert werden. Es sind auch gleichzeitig jene Daten, die in Briefeditionen im Briefverzeichnis aufgelistet werden. Deshalb lag es nahe, das Elementset <correspDesc> nicht nur zur Erfassung der Metadaten eines einzelnen Briefes zu verwenden, sondern auch im Rahmen eines digitalen Briefverzeichnisses.Footnote 26

Im Unterschied zur Spezifikation in den TEI-Richtlinien wird <correspDesc> im CMIF allerdings deutlich restriktiver und in reduzierter Form verwendet. So ist es z. B. nach den TEI-Richtlinien durchaus möglich, eine komplette Adresse mitsamt detaillierter Auszeichnung im Kindelement <correspAction> zu notieren. Im CMIF ist das nicht erlaubt, vielmehr beschränkt sich die Angabe hier auf die Elemente <persName>, <orgName> und <placeName>, um die Briefpartner und ihre Aufenthaltsorte festzuhalten. Eine Unterstrukturierung der Elemente ist nicht erlaubt; dafür wird im CMIF empfohlen, zusätzlich eine ID aus einer Normdatei zu verwenden, um Personen und Orte zu identifizieren (dazu unten mehr). Auch im Fall der Datumsangaben ist die Verwendung gegenüber den TEI-Richtlinien eingeschränkt: Zugelassen sind (derzeit) nur die Attribute @when, @from, @to, @notBefore, @notAfter. Darüber hinaus können nicht alle vom W3C vorgesehenen Datumswerte notiert werden, sondern nur die gängigsten.

Das Austauschformat reduziert also die Ausdrucksmöglichkeiten und schränkt damit Umfang und Genauigkeit der Daten zwangsläufig ein. Auf der einen Seite bedeutet dies natürlich einen Nachteil, weil nicht alle in der Edition vorhandenen Metadaten auf diesem Wege bereitgestellt werden können. Die Reduktion und Restriktion ist aber notwendig, um die Metadaten durch einen Webservice wie correspSearch verarbeiten zu können. Zum einen sollte nämlich die Anzahl der Metadatenfelder, die in der Suche ausgewertet werden müssen, überschaubar bleiben und sich an den gängigsten Anforderungen orientieren. Zum anderen muss die Kodierung eindeutig sein. Die Verwendung von TEI-XML allein gewährleistet dies nämlich noch nicht. Zwar harmonisiert sie schon in gewissem Maße digitale Editionen, allerdings handelt es sich bei der TEI um „Richtlinien“ (‚Guidelines‘) und nicht um einen ‚Standard‘ im engeren und eigentlichen Sinne. Letzterer müsste dafür sorgen, dass gleichartige Textphänomene auch gleichartig und eindeutig kodiert werden. Dies ist aber nicht der Fall, weshalb es auch Unterformate, wie z. B. das Basisformat des Deutschen Textarchivs (DTABf) gibt, die eine entsprechende Eindeutigkeit der Kodierung herstellen.Footnote 27

Im Bereich der Briefeditionen stellt sich die Ausgangssituation vergleichsweise gut dar: bereits seit drei Jahrzehnten wird in den Editionswissenschaften über Standardisierung, Vereinheitlichung und Vernetzung von Briefeditionen diskutiert.Footnote 28 Diese Diskussion zeigt zum einen den Bedarf nach Standardisierung, zum anderen lässt sich gut auf dieser Basis aufbauen. Darüber hinaus hat die Verwendung eines Austauschformats für Briefmetadaten einen entscheidenden Vorteil: Das digitale Briefverzeichnis wird zusätzlich, d. h. separat zur Edition, bereitgestellt. Man muss eben nicht die Edition (d. h. die Kodierung der edierten Texte) an sich standardisieren, sondern nur die Schnittstellen zwischen den Editionen.Footnote 29 So kann in der einzelnen digitalen Briefedition eine projektspezifische Kodierung gewählt werden, die dem zu edierenden Material und dem Editionskonzept gerecht wird. Das Editionsvorhaben muss lediglich darauf achten, dass mit den vorhandenen Daten ein digitales Briefverzeichnis als CMIF bereitgestellt werden kann.

Die Konzeption, die Briefmetadaten einer Edition (oder auch einer Briefdatenbank) über eine separate Datei in einem Austauschformat bereitzustellen, hat den Vorteil, dass die Metadaten prinzipiell stets in der Obhut des Projekts oder der Projektträgerin verbleiben. Der Webservice bezieht in regelmäßigen Abständen diese CMIF-Dateien neu und aktualisiert so den abfragbaren Bestand an Metadaten. Dadurch können Briefmetadaten bei Bedarf (z. B. im Fall neuer Erkenntnisse) einfach vom jeweiligen Editionsvorhaben ergänzt, aktualisiert und korrigiert werden. Außerdem müssen – im Fall digitaler Briefeditionen – die Daten auch nicht zusätzlich zur Edition in einem anderen System gepflegt werden: die CMIF-Datei wird einfach aus der digitalen Edition heraus über ein Skript erstellt.

Das Austauschformat ist öffentlich spezifiziert und umfassend dokumentiert, sodass es jedem Editionsvorhaben leicht möglich ist, eigene Daten bereitzustellen. Dafür muss die CMIF-Datei lediglich online erreichbar und unter einer freien Lizenz gestellt sein. Die freie Lizenzierung ermöglicht eine rechtssichere Weiterverwendung der Daten nicht nur im Webservice correspSearch, sondern auch in anderen Datenbanken, Projekten und digitalen Briefeditionen.

Das CMI-Format wird von der TEI Correspondence SIG in Zukunft weiterentwickelt und um weitere Kodierungsmöglichkeiten ergänzt werden, u. a. um erwähnte Entitäten (siehe nächster Abschnitt) oder die zugrundeliegende Archivalie notieren zu können.Footnote 30

3 Identifizierung und Adressierung

Ein standardisiertes Austauschformat ist nur eine wichtige Voraussetzung, um Briefeditionen anhand eines Webservices wie correspSearch zu vernetzen. Die zweite notwendige Bedingung ist die technische Möglichkeit, projektübergreifend Entitäten zu identifizieren und zu adressieren. Entitäten können konkret oder abstrakt, materiell oder immateriell sein. Dazu gehören z. B. Personen, Körperschaften, Orte, Ereignisse, Werke oder Gegenstände. Die Identifizierung von Entitäten ist in Briefeditionen wichtig – zum einen weil Personen und Orte als Teilnehmer des Kommunikationsereignisses ‚Brief‘ auftreten, zum anderen weil in Briefen, wie eingangs skizziert, häufig unterschiedliche Personen, Werke etc. vom Briefschreiber erwähnt und kommentiert werden –, ohne dass dies auf den ersten Blick ersichtlich ist. Gerade Briefeditionen werden von Wissenschaftlerinnen selektiv nach diesen Erwähnungen durchsucht und konsultiert. Daher wurden auch schon vor dem digitalen Zeitalter die Register als unverzichtbarer Bestandteil von Briefeditionen gesehen.Footnote 31

Allerdings hat sich das im Druckzeitalter verwendete System von Namen (ggf. in Kombination mit weiteren Angaben, wie z. B. bei Personen deren Lebensdaten), Titeln und Signaturen für die maschinelle Verarbeitung als fehleranfällig und ungünstig erwiesen, da diese Angaben entweder mehrdeutig oder unterschiedlich notiert sein können. Deshalb wurden und werden in Datenbanken numerische oder alphanumerische Kennungen für Entitäten vergeben. Da diese Kennungen immer nur in einem Bezugssystem (z. B. einer Datenbank oder einem Projekt) gültig sind, ist es notwendig, auch die Instanz anzugeben, die die konkret vorliegenden Kennungen verwaltet und in deren Rahmen die Kennungen gelten.

Dieses Prinzip liegt auch dem Konzept des Uniform Resource Identifiers (URI) zugrunde, das Tim Berners-Lee 1994 einführte und das durch das W3C zu einem Standard weiterentwickelt wurde.Footnote 32 Neben einer festgelegten Syntax, die die Maschinenlesbarkeit garantiert, basiert der Grundgedanke von URIs auch auf der Forderung nach Permanenz, also dauerhafter Verfügbarkeit bzw. Adressierbarkeit der URI.Footnote 33 Beide Vorteile machen URIs unverzichtbar für digitale Daten und Publikationen.

Daher gehören URIs heute selbstverständlich zum Web und werden vielfach angeboten und verwendet. So bieten Archive, Bibliotheken oder Verbundkataloge (z. B. Kalliope) permanente URIs an, um archivalische Materialien, Bücher und davon abgeleitete Digitalisate eindeutig und dauerhaft zu identifizieren. Die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) bietet für jedes nach 1913 in Deutschland erschienene Buch eine solche URI an. Und auch Wissenschaftseinrichtungen beginnen zunehmend damit, digitale Publikationen (oder Teile davon) mit URIs zu versehen. Daher setzt auch correspSearch durchgehend auf die Verwendung von URIs. Generell empfiehlt es sich auch für digitale Briefeditionen, „cool URIs“ im Sinne von Berners-Lee bereitzustellen.

Wie schon erwähnt, ist es im Bereich der Briefeditionen aber nicht nur wichtig, die Archivalien und die gedruckt bzw. digital publizierten Briefe zu adressieren, sondern vor allem auch die im Zusammenhang mit ihnen stehenden Entitäten. Für Personen und Körperschaften hat sich seit Längerem im Bereich der deutschsprachigen Digital Humanities (und insbesondere auch der digitalen [Brief-]Editionen) die Verwendung von Kennungen aus der Gemeinsamen Normdatei (GND) etabliert.Footnote 34 Die GND wird von der Deutschen Nationalbibliothek, allen deutschsprachigen Bibliotheksverbünden mit den angeschlossenen Bibliotheken sowie zahlreichen weiteren Einrichtungen kooperativ geführt. Mit ihrer Hilfe und dem BEACON-AustauschformatFootnote 35 ist es beispielsweise möglich, Informationen zu Personen in Webangeboten wie z. B. digitale Nachschlagewerke und Editionen automatisiert zu verknüpfen. Dafür muss lediglich die ID aus der GND in der eigenen Datenbank notiert und eine BEACON-Schnittstelle angeboten werden.

Aufgrund der bisher schon sehr erfolgreichen Vernetzung mit Hilfe von GND-IDs und BEACON-Schnittstellen werden in CMIF-Dateien bzw. im Webservice correspSearch ebenfalls GND-URIs zur Identifizierung von Personen und Körperschaften verwendet. Über die Gemeinsame Normdatei hinaus werden aber auch IDs aus anderen einschlägigen Normdateien verwendet. Im Moment sind dies die Autorités der Bibliothèque Nationale de France (BNF), die Normdatei des Library of Congress (LC) und die Kennungen der National Diet Library (NDL) Japans. Mit Hilfe der Virtual International Authority File (VIAF) ist es dem Webservice correspSearch möglich, eine ID auf ihr entsprechendes Pendant in einer der anderen unterstützten Normdateien abzubilden. So kann ein Editionsvorhaben Kennungen aus der präferierten Normdatei verwenden – was insbesondere im internationalen Kontext nützlich ist.

Dass die Verwendung von IDs aus Normdateien die automatisierte, projektübergreifende Identifizierung von Absendern und Empfängern erfolgreich ermöglicht, konnte beim bisherigen Betrieb von correspSearch gezeigt werden. Allerdings ist sie auch nicht unproblematisch. Zum einen gibt es Dubletten in der GND, d. h. für eine Person liegen ggf. mehrere Datensätze (also IDs) vor. Zum anderen gibt es nicht für alle Personen oder Körperschaften einen entsprechenden Datensatz und damit eine Norm-ID, die verwendet werden kann. Gerade im Bereich von Briefeditionen kann es mitunter viele Personen geben, die aus verschiedenen Gründen nicht in der GND auftauchen. Im digitalen BriefverzeichnisFootnote 36 der Weber-Gesamtausgabe ist z. B. für etwa 30 % der Personen keine GND-URI vorhanden. Dieser Umstand muss allerdings nicht gleich zu Problemen bei der Vernetzung führen, weil darunter auch viele Personen sind, die tatsächlich nur in einer Edition auftauchen und die daher auch nicht projektübergreifend identifiziert werden müssen. Dies können z. B. Familienangehörige sein oder lediglich lokal in Erscheinung tretende Personen. Hier könnten in Zukunft in correspSearch die ‚lokalen‘ URIs der jeweiligen Edition verwendet werden.

Neue Datensätze können in der GND zwar prinzipiell angelegt werden, aber dies geschieht, da die GND kooperativ geführt wird, bisher i. d. R. mithilfe einer regionalen Bibliothek, z. B. einer Universitätsbibliothek. Dieser Workflow wird in vielen Fällen auch so realisiert, steht aber aus unterschiedlichsten (meist administrativen) Gründen nicht jedem Projekt offen. Hier wären bessere Ergänzungsmöglichkeiten und neue kooperative Redaktionsmöglichkeiten nicht nur wichtig, sondern sogar unabdingbar. Dieses Problem wurde seitens der DNB erkannt; sie arbeitet daher derzeit an einem Plan zur Weiterentwicklung der GND, der insbesondere die oben genannten Probleme adressiert und bessere Kooperationsmöglichkeiten für nicht-bibliothekarische Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen schaffen möchte.Footnote 37

Neben Personen und Orten stellt die Deutsche Nationalbibliothek in der GND auch Körperschaften und – in begrenztem Umfang – auch Werktitel zur Verfügung. Als Nationalbibliothek stellt sie natürlich auch URIs für Publikationen zur Verfügung; dies geschieht aber nicht in einer Normdatei (der GND), sondern über den Katalog der DNB. Dort sind alle seit 1913 in Deutschland erschienen Publikationen verzeichnet. Für die Zeit vor 1913 ist die DNB nicht zuständig und führt daher auch keine Datensätze für Publikationen, die vor diesem Datum erschienen sind. Die Sammlung, Erschließung und der Nachweis älterer deutschsprachiger Bücher und Schriften geschieht kooperativ durch mehrere Bibliotheken. Die Nachweise werden als Verzeichnisse der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke für das 16., 17. und 18. Jahrhundert publiziert – mittlerweile auch als Datenbanken. Dadurch entsteht eine retrospektive Nationalbibliographie. Für das 19. Jahrhundert gibt es solche Unternehmungen allerdings noch nicht; es bestehen derzeit nur entsprechende Sammelaufträge für zwei Bibliotheken: Für den Zeitraum 1801 bis 1870 ist dies die Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg (Frankfurt am Main), für den Zeitraum 1870 bis 1912 ist dies die Staatsbibliothek zu Berlin. Beide weisen selbstverständlich die von ihnen im Rahmen dieses Sammelauftrags erworbenen Publikationen im OPAC nach. Diese Nachweise sind aber bestandsorientiert; eine retrospektive Nationalbibliographie ist damit also nicht in Arbeit. Allerdings wäre ein solches, dezidiertes Verzeichnis – quasi ein VD 19 – sehr wünschenswert.

Allen Verzeichnissen der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke und dem Katalog der DNB (nicht der Normdatei!) ist gemeinsam, dass sie die tatsächlich gedruckten Ausgaben, nicht aber die Werke als Abstraktum verzeichnen. Allerdings ist im Bereich der (Brief-)Editionen selten bekannt, auf welche Ausgabe genau sich eine Erwähnung in der Quelle bezieht, wenn es denn mehrere Ausgaben gibt. Wichtiger ist daher das abstrakte Werk als die konkrete Fassung – oder gar einzelne Exemplare in den Bibliotheken – für eine projektübergreifende Identifizierung.Footnote 38 Normierte Werktitel sind zwar teilweise schon in der Gemeinsamen Normdatei vorhanden, aber eben längst nicht für jedes Werk. Wichtig wäre es, hier die GND zu erweitern und auch konsequent Verknüpfungen zwischen normiertem Werkdatensatz und Nachweisen in den VDs zu setzen.

Zusammenfassend ließe sich sagen, dass mit der Gemeinsamen Normdatei und den VDs schon viel Arbeit geleistet wurde und die notwendigen Infrastrukturen grundsätzlich schon bereitstehen. Im Hinblick auf den Einsatz in digitalen (Brief-)Editionen müssten sie allerdings optimiert, geöffnet und untereinander besser verknüpft werden.

Neben Personen, Orten und Werken werden in Briefen auch häufig Objekte oder Bauten erwähnt – insbesondere in Briefen von bzw. an Kunsthistoriker, Archäologen oder Naturwissenschaftler. Auch diese erwähnten Objekte gilt es projektübergreifend zu identifizieren. Dabei sind im Bereich der Archäologie und Kunstgeschichte schon entsprechende Normdateien oder vergleichbare, projektübergreifende Datenbanken entstanden, wie z. B. iDAI.objects arachneFootnote 39. Darüber hinaus sollten auch Museen ihre Bestände nach außen hin über Metadaten nachweisen und für die einzelnen Objekte URIs anbieten.

Eine Alternative zur Nutzung von Normdateien wurde mit dem Projekt metagrid der Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften entwickelt.Footnote 40 Hier werden keine Normdatensätze angelegt, sondern lediglich Konkordanzen erstellt, die IDs zu Personen (und anderen Entitäten) aus den teilnehmenden Projekten aufeinander abbilden. D. h. metagrid hält selbst keine eigenen Metadaten vor, sondern vernetzt Metadaten aus den unterschiedlichen Projekten. Die Verknüpfung von verschiedenen Projekt-IDs geschieht dabei nicht ausschließlich manuell, sondern wird durch Prüfungswerkzeuge unterstützt.Footnote 41 Vorteil ist, dass die Wissenschaftlerin nicht darauf angewiesen ist, dass es in einer Normdatei einen entsprechenden Datensatz zu einer Person gibt, die man mit anderen Projekten vernetzen möchte. Zur Vernetzung muss dann aber zwingend die zentrale Instanz, d. h. metagrid, abgefragt werden. Daher stellt metagrid auch ein entsprechendes Javascript-Widget zur Verfügung, das die Daten in einer Weboberfläche, z. B. einer digitalen Edition, anzeigt. Bei der Benutzung von IDs aus Normdateien ist es dagegen möglich, dass sich digitale Publikationen untereinander vernetzen, ohne dass eine zentrale Instanz abgefragt werden muss.

4 Daten

Derzeit (Mitte September 2017) sind rund 24.500 edierte Briefe aus über 100 Publikationen im Webservice correspSearch nachgewiesen. Der Bestand wird laufend erweitert, indem Institutionen und Editionsvorhaben – aber auch einzelne Wissenschaftlerinnen – Metadaten über edierte Briefe im CMI-Format online und unter einer freien Lizenz bereitstellen. In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass unter ‚edierten Briefen‘ nicht nur edierte Briefe im Wortsinne verstanden werden. Darunter würden dann ja nur editionswissenschaftlich erstellte Transkriptionen mit einer zumindest basalen Kommentierung fallen. Dabei fallen schon in Briefeditionen auch Daten über Briefe an, die gar nicht überliefert sind, sondern nur aus anderen Briefen oder weiteren Quellen (aus Tagebüchern, Briefjournalen etc.) belegt sind und ‚erschlossen‘ werden. Darüber hinaus gibt es auch Vorhaben, die Briefe mit Regesten erschließen (z. B. die Regestausgabe der Briefe an Goethe), oder Projekte, die lediglich Transkriptionen bereitstellen. Alle auf diese verschiedenen Arten wissenschaftlich aufbereiteten Briefe weist correspSearch nach.Footnote 42 Demgegenüber weist correspSearch keine archivalischen Briefbestände nach – dies ist Aufgabe des Verbundkatalogs Kalliope. Wenngleich man aus den eben genannten Gründen eher von ‚wissenschaftlich aufbereiteten Briefen‘ sprechen müsste, wird der Einfachheit halber hier weiter von ‚edierten Briefen‘ gesprochen.

Edierte Briefe liegen in ganz verschiedenen Publikationstypen vor. Es ist naheliegend, dass viele Briefe aus digitalen Editionen nachgewiesen werden, die häufig zwar schwerpunktmäßig auch Briefe enthalten – aber nicht allein. Hierzu zählen beispielsweise die Weber-Gesamtausgabe, die Edition Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin und die edition humboldt digital.Footnote 43 Reine digitale Briefeditionen, die Daten in correspSearch bereitstellen, sind z. B. die Alfred-Escher-Briefedition oder die Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen. Aber nicht nur Briefe aus digitalen, sondern auch aus gedruckten Editionen können bzw. werden bereits nachgewiesen. Darunter fallen zum einen Briefwechsel, wie etwa der Briefwechsel zwischen Karl August Varnhagen von Ense und Friedrich de la Motte-Fouqué, zum anderen gehören dazu Briefwechsel aus Gesamtausgaben, wie z. B. die Kritische Gesamtausgabe zu Friedrich Schleiermacher oder diejenige zu Samuel Thomas Soemmerring. Neben dezidierten Editionen enthalten aber auch andere Publikationen häufig edierte Briefe, wie z. B. Dissertationen oder Zeitschriftenaufsätze. Auch diese können in correspSearch nachgewiesen werden, wie es z. B. die Open-Access-Zeitschrift HiN – Humboldt im Netz handhabt.Footnote 44

Neben digitalen Editionen im engeren Sinne können auch gedruckte Editionen und andere Publikationen digital vorliegen – entweder als PDF oder als Digitalisat. Ersteres sollte in einem institutionellen Repositorium abgelegt werden und kann dann aus der bibliographischen Angabe heraus verlinkt werden – allerdings nur auf Ebene der Publikation, nicht auf Ebene der einzelnen Briefe. Anders sieht es mit älteren Editionen und Publikationen aus, die über die Digitalisierungssysteme der Bibliotheken bereitgestellt werden. Hier wird – spätestens bei der Ansicht im generischen DFG-Viewer – eine seitengenaue, permanente ID bereitgestellt, die als Verweisziel für den einzelnen Brief angegeben werden kann. Zwar könnte man darüber nachdenken, ob es möglich wäre, ein CMIF aus den von der Bibliothek erstellten Strukturdaten im METS/MODS-Format zu extrahieren. Dafür müssten aber bei Briefausgaben die Strukturdaten grundsätzlich so granular sein, dass sie jeden einzelnen Brief abbilden. Darüber hinaus enthält das CMIF mehr Daten, als in den Strukturdaten bisher notiert werden können (d. h. Norm-IDs, Orts- und Datumsangaben). Mit den geplanten Weiterentwicklungen des CMIF wird dieser Unterschied sehr wahrscheinlich noch größer werden.

Werden Daten aus verschiedenen Quellen aggregiert und unterliegen erst einmal keiner zentralen redaktionellen Kontrolle, kann es zu ‚Dubletten‘ kommen. Darunter fallen im Kontext von correspSearch Briefe, die mehrfach, aber in verschiedenen Editionen ediert vorliegen. Dieser Fall ist intendiert – im Idealfall kann man irgendwann alle Editionen eines Briefes über correspSearch abfragen und per Link aufrufen. Dennoch gibt es Nutzungsszenarien, wo man diese Mehrfachindizierungen filtern und dafür nur einen Datensatz erhalten möchte – etwa um die aggregierten Daten für eine (Korrespondenz-)Netzwerkanalyse zu nutzen. Um Briefe in correspSearch zu unterscheiden bzw. als identisch zu identifizieren, gibt es mehrere vorstellbare Ansätze. Der erste – und naheliegende – wäre, die archivalische Einheit anzugeben, auf die sich die Edition bezieht. Früher war das die Signatur, heute wäre es eine URI. Hier böten sich URIs aus dem Verbundkatalog Kalliope an, sofern sie denn den einzelnen Brief verzeichnen und nicht etwa ein Bündel von Briefen. Zweitens könnte man mit Hilfe von URIs explizit auf andere Editionen desselben Briefes verweisen, sofern diese URIs besitzen. Das ist insbesondere bei gedruckten Briefeditionen nicht der Fall. Hier könnte allerdings eine Bibliothek oder correspSearch selbst als URI-Anbieter stellvertretend einspringen. Drittens käme die Aufnahme von Incipits ins CMIF infrage, anhand welcher man einen Brief sehr wahrscheinlich eindeutig identifizieren könnte.

5 API

Wissenschaftlerinnen können den Datenbestand von correspSearch bequem über die Weboberfläche abfragen und sich anzeigen lassen. Die derzeit basalen Abfragemöglichkeiten werden nun im Rahmen des von der DFG geförderten Projektes weiterentwickelt.

Allerdings ist correspSearch nicht nur eine Website, sondern ein Webservice. Als solcher macht er die Daten nicht nur über eine Benutzeroberfläche zugänglich und durchsuchbar, sondern stellt sie auch zur automatisierten Abfrage über eine technische Schnittstelle, ein Application Programming Interface (API), bereit. Dadurch wird correspSearch nicht zur Einbahnstraße, sondern im Gegenteil zum Umschlagplatz für die bereitgestellten Briefmetadaten.

Die aggregierten Daten können in verschiedenen Formaten abgerufen werden. Zuvorderst werden die Daten natürlich im selben Format angeboten, wie sie ursprünglich bereitgestellt wurden – nämlich als CMIF, d. h. TEI-XML. Sie können aber auch als CMIF in einer (derzeit noch in der Probephase befindlichen) JSON-Serialisierung abgerufen werden. Über diese beiden Schnittstellen hinaus bietet correspSearch die Daten zum einen noch als Texttabelle in CSVFootnote 45 an, zum anderen steht eine BEACON-Schnittstelle zur Verfügung, mit deren Hilfe Portale (wie z. B. die Deutsche Biographie) oder digitale Editionen auf die Nachweise edierter Briefe zu einer bestimmten Person automatisiert verlinken können.

Die Bereitstellung der aggregierten Briefmetadaten über eine API ermöglicht es, dass diese zur Analyse und Visualisierung von Korrespondenznetzwerken verwendet werden können. Der methodische Ansatz der Netzwerkanalyse, den Briefe (und deren Edition) geradezu evozieren, wurde – wie eingangs erwähnt – schon vielfach in der Forschung gewünscht. In Zukunft soll correspSearch zwar auch über eine eigene Visualisierungsoberfläche verfügen, um den Datenbestand leichter zugänglich zu machen. Häufig wird es aber notwendig sein, die aggregierten Daten (oder Teile davon) mit eigener Software und speziellen netzwerkanalytischen Methoden auszuwerten.

Darüber hinaus ermöglicht die API aber auch einen neuen Umgang mit den edierten Briefen. Wie eingangs schon angeführt, werden Briefe häufig im Rahmen von Briefwechseln, also der Korrespondenz zwischen i. d. R. zwei Personen, herausgegeben. Dadurch wird zwar der Briefwechsel gut bearbeitet und sichtbar, der Bezug zum übrigen Briefverkehr der zwei Protagonisten wird allerdings ausgeblendet bzw. nur durch die Konsultation anderer Editionen sichtbar. Ein gutes Beispiel für einen solchen Fall ist Alexander von Humboldt: Bereits bei Arbeitsbeginn der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle an der Berliner Akademie der Wissenschaften Anfang der 1960er Jahre hat man davon abgesehen, eine Gesamtausgabe zu unternehmen. Zu groß schien das Briefœuvre Humboldts zu sein, als dass dies möglich wäre. Man gab daher Teile der Humboldt’schen Korrespondenz in mehreren Briefausgaben heraus, die entweder auf bestimmte Themen oder eben Personen fokussierten. Mit Hilfe digitaler Briefverzeichnisse und dem Webservice correspSearch kann man nun die Humboldt’sche Korrespondenz wieder zusammenführen – aber nicht nur auf correspSearch selbst, sondern – dank der API – in Angeboten dritter, wie z. B. der Chronologie zu Alexander von Humboldts Leben in edition humboldt digital.

Mithilfe der correspSearch-API ist es aber auch möglich, die verteilt edierten Briefe direkt zu verknüpfen. Eine solche Vernetzungsfunktion ist ebenfalls in edition humboldt digital realisiert: Für jeden Brief wird correspSearch auf Briefe von und an Humboldt im selben Zeitraum hin abgefragt. Die Ergebnisse werden der Nutzerin direkt in edition humboldt digital unter dem Stichwort ‚Briefnetz erkunden‘ angezeigt. PerspektivischFootnote 46 kann die Nutzerin sich dadurch wie in einer Gesamtausgabe bewegen und von Brief zu Brief springen, obwohl sie dabei im Regelfall die Edition wechseln wird. Darüber hinaus werden aber nicht nur die Briefe von und an Alexander von Humboldt aus anderen Editionen angezeigt, sondern auch diejenigen, die der jeweilige Korrespondenzpartner im selben Zeitraum empfangen oder versendet hat. Dieser ‚erweiterte Korrespondenzkontext‘ ist nicht unerheblich, kann eine Person doch über ein Ereignis, eine Publikation etc. an verschiedene Korrespondenzpartner schreiben – und das unter Umständen auch mit unterschiedlichem Inhalt. Denn wie die Forschung schon seit Längerem heraushebt, sind Briefe nicht nur subjektive Äußerungen von Individuen, sondern zudem noch stets stark auf den Adressaten bezogen. Die automatisierte Darstellung des ‚erweiterten Korrespondenzkontextes‘ enthebt die Wissenschaftlerin natürlich nicht von der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Briefen, unterstützt aber die Exploration der ‚benachbarten‘ Korrespondenz. Insofern hilft diese Funktion auch, ein methodisches Problem der gedruckten (und teilweise auch der digitalen) Briefedition zu überwinden, nämlich dass sich die Briefedition von der „Ordnungsfunktion Autor“ lösen kann.Footnote 47

An diesem Beispiel wird deutlich, wie man verteilt vorliegende und mit unterschiedlichen Technologien realisierte Briefeditionen mithilfe entsprechender Schnittstellen tatsächlich vernetzen kann.

Im DFG-geförderten Projekt wird die API von correspSearch erweitert, u. a. auch um eine Schnittstelle, die die aggregierten Briefmetadaten als Turtles oder RDF-XML anbietet. Damit werden die Daten auch als Linked Open Data für Technologien des Semantic Web nutzbar. Diese Schnittstelle wird in Kooperation mit der Digitalen Akademie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz) entwickelt – auf Basis erster Erfahrungen aus einem Pilotprojekt.Footnote 48

6 correspSearch als Informationsinfrastruktur

Im Unterschied zu themen- oder forschungsspezifischen Briefdatenbanken ist der Webservice correspSearch als Informationsinfrastruktur konzipiert. Das bedeutet zum einen, dass er keine räumliche, zeitliche oder thematische Fokussierung hat und daher prinzipiell alle edierten Briefe nachweisen möchte. Zum anderen bedeutet dies, dass correspSearch einer fest umrissenen Aufgabe gewidmet ist und sich ansonsten in die Infrastrukturlandschaft einfügt. Das hat zur Folge, dass bestimmte Aspekte nicht von correspSearch abgedeckt werden sollen. So weist der Webservice nur edierte oder zumindest wissenschaftlich erschlossene Briefe nach – nicht aber deren archivalische Überlieferung. Letzteres ist Aufgabe des Verbundkatalogs Kalliope, zu dem mittlerweile sehr viele Archive des deutschsprachigen Raums beitragen. Ebenso wenig bietet correspSearch eine Personendatenbank an, um Absender und Empfänger identifizieren zu können. Für diese Aufgabe greift correspSearch, wie schon erwähnt, auf die GND oder andere Anbieter zurück. Die Vorhaltung gedruckter und digitaler Briefeditionen wiederum wird ebenfalls nicht durch correspSearch geleistet. Sie obliegt den jeweiligen Forschungseinrichtungen oder Bibliotheken. Die Liste ließe sich fortsetzen. Ziel ist jedenfalls, keine alles umfassende Datenbank zu bereitzustellen, sondern sich auf einen bestimmten Dienst zu fokussieren – eben den Nachweis edierter bzw. wissenschaftlich aufbereiteter Briefe.

Man könnte diesen Ansatz, den Joris van Zundert in ähnlicher Weise bereits 2012 vorgeschlagen hat, „Mikroinfrastruktur“ nennen, in Anlehnung an die in der Softwarearchitektur weit verbreiteten Microservices.Footnote 49 Diese übernehmen ganz spezielle Aufgaben und stellen die verarbeiteten Daten über definierte APIs zur Verfügung, wo sie wiederum von anderen Microservices weiterverwendet werden können. Ihre Vorteile sind – im übertragenen Sinne – auch die Vorteile einer Mikroinfrastruktur: Entwicklung und Wartung bleibt überschaubar, im Notfall kann eine Mikroinfrastruktur leichter ersetzt werden. Auch kann schneller ein erster Prototyp entwickelt werden, der bereits über basale Funktionen verfügt. So können Anforderungen und Anwendungsfälle unkomplizierter evaluiert werden. Gleichzeitig können sich leichter mehrere Akteure an der Errichtung einer Infrastrukturlandschaft beteiligen, da jeweils ein Dienst auf eine bestimmte Aufgabe fokussiert ist. Mikroinfrastrukturen können so unabhängig voneinander entwickelt und betrieben werden. Voraussetzung für eine ‚Landschaft der Mikroinfrastrukturen‘ ist allerdings, dass man sich über entsprechende Schnittstellen einigt, diese dann anbietet und andere wiederum nachnutzt. Dementsprechend soll der Webservice correspSearch im Rahmen der DFG-geförderten Weiterentwicklung auch um weitere Schnittstellen ergänzt werden, die den Dienst tiefer in die digitale Infrastrukturlandschaft integrieren.

Der Webservice correspSearch wird von einer Forschungseinrichtung entwickelt und dauerhaft vorgehalten. Diese Entwicklung ist im digitalen Zeitalter nicht neu: Informationsinfrastrukturen werden von verschiedenen Akteurstypen angeboten. Neben den Forschungseinrichtungen sind dies vor allem Bibliotheken, aber auch Universitäten und Archive. Größere Infrastrukturen werden meistens im Rahmen eines Kooperationsverbundes gestemmt. correspSearch wird als Mikroinfrastruktur zwar von einer einzelnen Forschungseinrichtung angeboten, dies geschieht aber in Kooperation mit Bibliotheken und Archiven – bzw. mit Rückgriff auf deren Dienste. Jedenfalls muss der Dialog zwischen den Akteuren weiter vertieft werden, um Dienste und deren Schnittstellen zu einer gemeinsamen, für die Wissenschaftscommunity sinnvollen Infrastrukturlandschaft verbinden zu können.