Zusammenfassung
Ludwig Feuerbach studierte von 1824 bis 1826 bei Hegel in Berlin. Trotz aller späteren Polemik, zeigt Feuerbachs Religionsphilosophie deutliche Spuren seiner Beschäftigung mit der hegelschen Konzeption des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins und des Geistes. Der Beitrag untersucht den Zusammenhang, den Hegel zwischen Selbstbewusstsein und Religion herstellt, und erörtert die Kritik Feuerbachs an Hegel. Während Hegel unter Religion das Bewusstsein versteht, das der absolute Geist von sich selbst besitzt, macht Feuerbach daraus eine krankhafte Abart des Selbstbewusstseins der menschlichen Gattung. Statt sein eigenes allgemeines Wesen zu verwirklichen, schreibt der einzelne Mensch die positiven Eigenschaften der Menschheit einem anderen zu und verehrt dieses als Gott. Feuerbachs Deutung der Religion bleibt insofern hinter dem hegelschen Begriff des Geistes zurück, als er den Gedanken eines Welt und Menschheit übersteigenden, alles umfassenden Absoluten von vornherein ausschließt.
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Notes
- 1.
In den folgenden Semestern hörte Feuerbach bei Hegel noch Philosophie der Weltgeschichte, Naturrecht und Staatswissenschaft, Psychologie und Anthropologie, Geschichte der Philosophie sowie Philosophie der Natur. Vgl. Thies (1974) (S. XX).
- 2.
Ludwig Feuerbach, Brief an den Vater vom 24. Mai 1824. In: Feuerbach (1984, S. 45–46).
- 3.
- 4.
- 5.
Vgl. etwa Tholuck (1823, S. 233–234).
- 6.
- 7.
Phänomenologie, S. 101.
- 8.
- 9.
Phänomenologie, S. 132.
- 10.
Man denke an das berüchtigte Aperçu aus der Vorrede zur Rechtsphilosophie: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“, sowie an die zugehörige Erläuterung aus der Einleitung zur Enzyklopädie. Vgl. Hegel (1980), § 6.
- 11.
Phänomenologie, S. 238.
- 12.
Phänomenologie, S. 364.
- 13.
Phänomenologie, S. 367.
- 14.
Feuerbach (1970a, S. 61).
- 15.
Christentum, S. 7. – Soweit nicht anders angegeben, wird Das Wesen des Christentums im Folgenden zit. nach der Erstausgabe (Leipzig 1841) unter Angabe von Band- und Seitenzahl der Gesammelten Werke.
- 16.
Christentum, S. 6. – Wie Nadine Mooren zu Recht bemerkt, ist Feuerbachs Kritik weniger anti-religiös als anti-theologisch. Vgl. Mooren (2015, S. 67).
- 17.
Christentum, S. 28.
- 18.
Vgl. zum Folgenden Metzinger (2010, S. 278–279).
- 19.
Christentum, S. 29.
- 20.
Vgl. Nagel (1984).
- 21.
Christentum, S. 28.
- 22.
Metzinger (2010, S. 278).
- 23.
Christentum, S. 28.
- 24.
- 25.
Christentum, S. 28.
- 26.
Im Hintergrund dieser Auffassung steht Kants Theorie der transzendentalen Apperzeption. Das ‚Ich denke‘, das alle Vorstellungen eines Selbstbewusstseins begleiten können muss, ist gewissermaßen ein Begriff, den wir von unserem eigenen Wesen bilden, ohne dass wir freilich die Natur unserer Gattung mit ihm bereits erschöpft hätten.
- 27.
Christentum, S. 29.
- 28.
Christentum, S. 71.
- 29.
Christentum, S. 53–55 und S. 63. – Walter Jaeschke macht gegen Feuerbach geltend, Hegel wolle die Beschreibung Gottes in der Struktur von Subjekt und Prädikat sowie die Deutung der Religion als Beziehung zwischen Subjekt und Objekt gerade überwinden. Vgl. Jaeschke (1980, S. 360).
- 30.
Damit übernimmt Feuerbach den traditionellen Begriff Gottes als vollkommensten Wesens. Zum Projektionsverdacht gegen die perfect being theology vgl. Clayton (2000, S. 171–177).
- 31.
Christentum, S. 66 [3. Aufl.].
- 32.
Christentum, S. 47–48 [3. Aufl.].
- 33.
Markus Enders wirft Feuerbach eine Fehldeutung des herkömmlichen Grundsatzes ‚similia similibus cognoscuntur‘ vor, dem zufolge ein intelligentes Wesen von einem anderen nicht nur dann begriffen werden kann, wenn dieses über die gleiche, sondern auch, wenn es über eine höhere Erkenntniskraft verfügt als jenes. Vgl. Enders (2004, S. 127–129).
- 34.
Vgl. Christentum, S. 47 [3. Aufl.].
- 35.
Vgl. Feuerbach (1969).
- 36.
- 37.
Feuerbach (1970c, S. 244).
- 38.
Phänomenologie, S. 18.
- 39.
Phänomenologie, S. 108.
- 40.
In der Enzyklopädie spricht Hegel von einem das Endliche „übergreifenden“ Unendlichen und einer das Objektive „übergreifenden“ Subjektivität. Vgl. Hegel (1980), § 215 Anm.
- 41.
- 42.
Vgl. zum Beispiel Magee (2013).
- 43.
Phänomenologie, S. 362.
- 44.
Phänomenologie, S. 417.
- 45.
Apg 17,28. – Das Zitat stammt aus dem Proömium der Phainomena des Aratos von Soloi (gest. 245 v. Chr.).
- 46.
In der Lebenswelt finden sich wenige Beispiele für ein solches Verhältnis. Am ehesten zu denken wäre vielleicht an Organismen, die als ‚Gast‘ von einem ‚Wirt‘ ernährt werden. Dabei handelt es sich jedoch um Wesen verschiedener Arten, zum Beispiel die Intestinalflora im Darm eines größeren Tieres.
- 47.
Literatur
Siglenverzeichnis
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Weiterführende Literatur
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Clayton, Philip: The Problem of God in Modern Thought. Grand Rapids 2000.
Enders, Markus: Homo homini Deus. Zur Religionskritik Ludwig Feuerbachs. In: Jahrbuch für Religionsphilosophie 3. 2004, 107–142.
Feuerbach, Ludwig: Über Philosophie und Christentum in Beziehung auf den der Hegelschen Philosophie gemachten Vorwurf der Unchristlichkeit. In: Gesammelte Werke. Bd. 8: Kleinere Schriften I (1835–1839). Berlin 1969, 219–292.
Feuerbach, Ludwig: Zur Kritik der Hegelschen Philosophie. In: Gesammelte Werke. Bd. 9: Kleinere Schriften II (1839–1846). Berlin 1970a, 16–62.
Feuerbach, Ludwig: Zur Beurteilung der Schrift „Das Wesen des Christentums“. In: Gesammelte Werke. Bd. 9: Kleinere Schriften II (1839–1846). Berlin 1970b, 229–242.
Feuerbach, Ludwig: Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie. In: Gesammelte Werke. Bd. 9: Kleinere Schriften II (1839–1846). Berlin 1970c, 243–263.
Feuerbach, Ludwig: Kritik des „Anti-Hegels“. Zur Einleitung in das Studium der Philosophie. In: Gesammelte Werke. Bd. 8: Kleinere Schriften I (1835–1839). Berlin 1982, 62–127.
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Göcke, Benedikt Paul: Alles in Gott? Zur Aktualität des Panentheismus Karl Christian Friedrich Krauses. Regensburg 2012.
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Gooch, Todd: Atheism. In: Michael N. Forster/Kristin Gjesdal (Hg.): The Oxford Handbook of German Philosophy in the Nineteenth Century. Oxford 2015, 829–851.
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Sans SJ, G. (2021). Religion und Selbstbewusstsein: Von Hegel zu Feuerbach und zurück. In: Kühnlein, M., Ottmann, H. (eds) Religionsphilosophie nach Hegel. Neue Horizonte der Religionsphilosophie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05752-5_6
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