Zusammenfassung
Eine der Initialzündungen für die Debatte um eine ›kulturwissenschaftliche Wende‹ der Literaturwissenschaften war 1991 die »Denkschrift« Geisteswissenschaft heute gewesen, an der mit Hans Robert Jauß und Wolfgang Frühwald auch zwei Neuphilologen beteiligt waren. In seinem Beitrag beschwor Jauß die grenzüberschreitende, integrative und dialogische Tendenz, die das, was heute die humanities seien, von Vico bis Kant geprägt habe, bevor in der Folge des deutschen Idealismus die tiefe Kluft zwischen Geist und Physis, zwischen Hermeneutik und Szientismus, gerissen worden sei. Jauß blieb allerdings dem derart angeklagten Idealismus selbst verhaftet, wenn er in einem gleichsam triadischen Modell der »Hoffnung« auf eine erneute Vereinigung des Getrennten Ausdruck verlieh, insofern nämlich »der Zersplitterung und Isolierung der geisteswissenschaftlichen Forschung am ehesten und sinnvollsten durch eine Anthropologisierung des Wissens zu begegnen wäre.«1
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Notizen
Frühwald, Wolfgang/Jauß, Hans Robert/Koselleck, Reinhart/Mittelstraß, Jürgen/Steinwachs, Burkhart: Geisteswissenschaft heute. Eine Denkschrift. Frankfurt a. M. 1991, S. 51.
Haug, Walter: »Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft?« In: DVjs 73 (1999), S. 69–93, hier S. 91.
Anderegg, Johannes/Kunz, Edith Anna (Hg.): Kulturwissenschaften. Positionen und Perspektiven. Bielefeld 1999, Einleitung S. 13, 15.
Das folgende nach Horstmann, Axel: »Philologie«. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. 7. Darmstadt 1989, Sp. 552–572.
Creuzer, Friedrich: Das akademische Studium des Alterthums. Heidelberg 1807, S. 9.
Vgl. zum Begriff Wezel, Johann Carl: Versuch über die Kenntniß des Menschen. Leipzig 1784/85. Reprint Frankfurt a.M. 1971, S. 11
sowie Schings, Hans Jürgen (Hg.): Der ganze Mensch. Literarische Anthropologie im 18. Jahrhundert. Stuttgart/Weimar 1994.
Wolf, Friedrich August: Darstellung der Alterthums-Wissenschaft nach Begriff, Umfang, Zweck und Werth. Berlin 1807, S. 15.
Grimm, Jacob: Ueber den Ursprung der Sprache [1851]. Frankfurt a. M. 1958, S. 8.
Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a.M. 1971, S. 384.
Scherer, Wilhelm: Poetik [1888]. Hrsg. von Gunter Reiss. Tübingen 1977, S. 35.
Bölsche, Wilhelm: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie [1887]. Hrsg. von Johannes J. Braakenburg. Tübingen 1977, S. 45.
Vgl. zu weiteren Beispielen Dainat, Holger: »Von der Neueren deutschen Literaturgeschichte zur Literaturwissenschaft. Die Fachentwicklung von 1890– 1913/14«. In: Fohrmann, Jürgen/Voßkamp, Wilhelm (Hg.): Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert. Stuttgart/Weimar 1994, S. 494–537.
vgl. Carroll, Joseph: Evolution and Literary Theory. Columbia/London 1995, S. 1
Barsch, Achim: »Biologie, Literatur und Literaturwissenschaft im 19. Jahrhundert: Wilhelm Scherer als Beispiel für eine Orientierung an den Naturwissenschaften«. In: ders./Hejl, Peter M. (Hg.): Menschenbilder. Zur Pluralisierung der Vorstellung von der menschlichen Natur (1850–1914). Frankfurt a. M. 2000, S. 237–259, hier S. 257f.
Hart, Julius: »Eine schein-empirische Poetik.« In: Kritisches Jahrbuch 1 (1889), S. 29–39, hier S. 32.
Dilthey, Wilhelm: »Wilhelm Scherer zum persönlichen Gedächtniß«. In: Deutsche Rundschau 49 (1886), S. 132–146, hier S. 132 f.
Dilthey, Wilhelm: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Frankfurt a.M. 1970, S. 270.
Staiger, Emil: Die Kunst der Interpretation [1951]. Zürich 1955, S. 11.
Derrida, Jacques: Mémoires. Für Paul de Man. Wien 1988, S. 82.
Bachmann-Medick, Doris: Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft. Frankfurt a.M. 1996, S. 14.
Proß, Wolfgang: »Ideologie und Utopie einer neuen Disziplin.: Kritische Bemerkungen zur ›anthropologischen Wende‹ der Geisteswissenschaften«. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 46 (1999), S. 508–519.
Vgl. Geertz, Clifford: »Kulturbegriff und Menschenbild«. In: Habermas, Rebekka/ Minkmaar, Niels (Hg.): Das Schwein des Häuptlings. Sechs Aufsätze zur Historischen Anthropologie. Berlin 1992, S. 56–82, hier S. 75.
Vgl. Wegmann, Nikolaus: »Was heißt einen ›klassischen‹ Text lesen? Philologische Selbstreflexion zwischen Wissenschaft und Bildung«. In: Fohrmann, Jürgen/Voßkamp, Wilhelm (Hg.): Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert. Stuttgart/Weimar 1994, S. 342–450, hier S. 343.
Zur Beobachtung zweiter Ordnung als Leistung von Kunst im allgemeinen vgl. Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1995, S. 92–164, zur Operation des Lesens S. 159–162, zur Potentialisierung von Welt S. 222–242.
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Pethes, N. (2004). Zwischen ›Anthropologisierung‹ und ›Rephilologisierung‹. Das Menschenbild der Literaturwissenschaften 1800–1900–2000. In: Erhart, W. (eds) Grenzen der Germanistik. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05570-5_4
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