Zusammenfassung
Jede Klassik-Diskussion beginnt mit der Bestimmung dessen, was ein klassisches Werk ausmacht. Die Werke sind es, die einen zum klassischen Autor oder eine ganze Epoche zur klassischen machen. Ein klassisches Werk ist nicht von vornherein als solches erkennbar, ein klassischer Autor weiß nicht, daß er ein Klassiker ist. Er kann sich dies vornehmen und beispielhaft zu schreiben versuchen, doch erst die Nachwelt entscheidet, ob ihm dies gelungen ist, und erklärt, falls er damit nicht alleinsteht, eine Epoche zur klassischen. Ein Klassiker allein macht noch keine Klassik. Vorbildlichkeit und Nachruhm — zwei mögliche Beschreibungen von Klassik, auch wenn es klassische Werke ohne Nachfolger oder mit einem Renommé gibt, das erst die Literaturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts begründet hat. Die direkte Anerkennung eines Autors als Klassiker hat Nachahmung und Schülerschaft zur Folge, also Klassizismus, oder aber Abwehr und die Entstehung von Gegenklassikern. Für beides liefert Frankreich epochale Beispiele, mit dem Klassizismus seines 18. Jahrhunderts als Fortsetzung des »siècle classique« ebenso wie mit diesem selbst, das nicht zuletzt auch eine Reaktion auf die Klassiker des 16. Jahrhunderts war, auf Rabelais, die Pléiade, Montaigne. [1] Spanien dagegen bietet, wie noch auszuführen sein wird, den merkwürdigen Fall einer Klassik, der des 17. Jahrhunderts [2], die auf einen (humanistischen) Klassizismus reagiert.
Der Klassiker ist zuerst ein Klassiker seiner Nation.
Martin Walser
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Anmerkungen
Die Bezeichnung des spanischen 16. und 17. Jahrhunderts als »Klassik« steht hinter der Beschreibung als Goldenes Zeitalter (»siglo de oro«) zurück, entspricht aber doch einer innerspanisch akzeptierten Einschätzung, die dem eigenen Literaturbarock klassische Qualitäten zuweist (vgl. etwa Francisco Ruiz Ramón, Estudios de teatro español clásico y contemporáneo, Madrid 1978). Vgl. auch den Beitrag von Frank Baasner in diesem Band.
Vgl. zur Einführung Wilhelm Theodor Elwert, Die italienische Literatur des Mittelalters. Dante, Petrarca, Boccaccio, München 1980, und zu ihrer Bedeutung für die Entstehung der italienischen Nationalliteratur Verf., »Die Entstehung der italienischen Nationalliteratur im Florenz des 14. Jahrhunderts«, in: Klaus Garber (Hrsg.), Nation und Literatur im Europa der frühen Neuzeit, Tübingen 1989, 226–239.
Vgl. Christoph Strosetzki, Literatur als Beruf. Zum Selbstverständnis gelehrter und schriftstellerischer Existenz im spanischen Siglo de Oro, Düsseldorf 1987.
Die Deutung der Epoche, die Hans Ulrich Gumbrecht diesbezüglich unter dem Titel »Klassik in Spanien« versucht, ist in der Vielzahl der assoziierten Details unbefriedigend und wenig hilfreich (in: Hans Joachim Simm (Hrsg.), Literarische Klassik, Frankfurt a.M. 1988, 155–181). Zur Rezeptionsproblematik, die für das spanische Nationaltheater des 17. Jahrhunderts besonders komplex ausfallen muß, vgl. Verf., »Die Differenzierung des Publikums im Theater des Siglo de Oro und die Interpretation der comedia«, in: Rolf Kloepfer (Hrsg.), Bildung und Ausbildung in der Romania, 3 Bde., München 1979, II: Iberische Halbinsel und Lateinamerika, 66–81.
Charles V. Aubrun, La comédie espagnole (1600–1680), Paris 1966 (spanisch 1981).
Ders., »Las mil y ochocientas comedias de Lope«, in: Lope de Vega y los origines del teatro español, Madrid 1981, 27–33.
Lope de Vega, El Arte nuevo de hacer comedias en este tiempo, Edición y estudio preliminar de Juana de José Prades, Madrid 1971, 229–237 (Text und Kommentar zu den Versen 362–376) bzw. 300 (Übersetzung hier und im folgenden vom Verf.). Zur Deutung vgl. Juan Manuel Rozas, Significado y doctrina del »Arte nuevo« de Lope de Vega, Madrid 1976.
Dieter Janik, der eine eindrucksvolle Beschreibung der comedia unter diesem Gesichtspunkt geliefert hat, zögert, ihr klassische Qualitäten zuzusprechen, Lope de Vega also neben Shakespeare, Racine oder Schiller zu stellen (»Spanisches Theater und Theaterleben zu Anfang des 17. Jahrhunderts«, in: Günter Holtus (Hrsg.), Theaterwesen und dramatische Literatur, Tübingen 1987, 195–208). Hat aber, so wäre zu bedenken, nicht auch der Film längst seine Klassiker und sind diese nicht ihrerseits Klassiker der Moderne?
Vgl. Marc Vitse, Frédéric Serralta, »El teatro en el siglo XVII«, in: José María Díez Borque (Hrsg.), Historia del teatro en España, 3 Bde., Madrid 1983, I, Kap. IV, 513.
Vgl. Verf., »La comedia de capa y espada, una cárcel artificial: Peor està que estaba y Mejor está que estaba, de Calderón«, in: J. M. Juano de la Haza (Hrsg.), El mundo del teatro español en su Siglo de Oro: ensayos dedicados a John E. Varey, Ottawa 1989, 327–338, hier 335.
Eine Vorstudie in deutscher Sprache zu diesem Artikel findet sich in Volker Roloff, Harald Wentzlaff-Eggebert (Hrsgg.), Das spanische Theater vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1988, 138–145.
Vgl. auch Wolfgang Matzat, »Die auswegslose Komödie«, Romanische Forschungen 98 (1986), 58–80.
El pintor de su deshonra — haben immer wieder Anlaß geboten, über das (sozial-)kritische Potential der comedia nachzudenken. Vgl. dazu Harald Wentzlaff-Eggebert, »Calderóns Ehrendramen«, in: Titus Heydenreich (Hrsg.), Pedro Calderón de la Barca. Beiträge zu Werk und Wirkung, Erlangen 1982, 19–32.
Pedro Calderón de la Barca, Comedias, 4 Bde, Madrid 1848, (Biblioteca de Autores Españoles).
Heft 5 der Cuadernos de teatro clásico (Joaquín Álvarez Barrientos (Hrsg.), Clásicos despues de los clásicos), Madrid 1990.
Marcelino Menéndez Pelayo, Caldáron (y su teatro). Conferencias dadas en el Círculo de la Unión Católica, Madrid 1881.
Vgl. Ana Martínez Arancón: La batalla en torno a Góngora (Selección de textos), Barcelona 1978.
Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht, »Warum gerade Góngora? Poetologie und historisches Bewußtsein in Spanien zwischen Jahrhundertwende und Bürgerkrieg«, in: Rainer Warning, Winfried Wehle (Hrsgg.), Lyrik und Malerei der Avantgarde, München 1982, 145–192.
Vgl. dazu Verf., »Der Beitrag der Romanistik zur Barockdiskussion«, in: Klaus Garber (Hrsg.), Europäische Barock-Rezeption, Wiesbaden 1991, Bd. II, 841–856.
Vgl. für Calderón Henry W. Sullivan, Calderón in the German Lands and the Low Countries: his reception and influence, 1654–1680, Cambridge UP 1983, und Verf., Caldéron in Deutschland (Ausstellungskatalog), Berlin 1981.
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Neumeister, S. (1993). Klassik in Spanien: Die comedia des 17. Jahrhunderts. In: Voßkamp, W. (eds) Klassik im Vergleich Normativität und Historizität europäischer Klassiken. Germanistische Symposien. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05558-3_13
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