Zusammenfassung
Unter dem Datum des 31. Januar 1878 schrieb Paul Heyse an seinen Stuttgarter Freund Wilhelm Hemsen ein längeres Briefgedicht, nach Gegenstand und Form Goethes »Römischen Elegien« nachempfunden. Der Zufall, der den gefeierten Dichterfürsten auf der Suche nach einem Quartier in die Casa Goethe am Corso führte, gab den Anlaß zu dem Gedicht. Die Begegnung der beiden Dichter über fast ein Jahrhundert der Stadtgeschichte hinweg, der jüngere im aufrichtig gemeinten Bekenntnis verehrender Nachfolge für den größeren Olympier, wird zum Anlaß genommen, um diesen Zeitsprung in mehreren Vergleichsebenen zu bedenken: im Kontrast der verwandt-gegensätzlichen Charaktere, im Wandel der öffentlichen Erwartung an den Dichter, in der beklemmenden Ahnung eines wachsenden Verlusts idealer Gesinnungen vor dem Andrang des prosaischen Tages. Und diese Reflexionen greifen diskret auf die Stadt Rom und auf das Bild aus, das der Reisende mit sich nach Süden trug. Da heißt es (V.55–71):
Alles ist längst verwandelt vom neuernden Geiste der Enkel;
Nur nach Süden der Blick schweift über den Garten am Hause,
Über die Nachbargärtchen, getrennt durch schwärzliche Mauern,
Zwar auch sie nicht mehr »mit einfach edeler Baukunst,
Gartensälen, Baikonen, Terrassen und offenen Logen«
Frei und lustig geschmückt; ein unansehnlich Gewinkel
Strebt vielfältig empor und dient allein dem Bedürfnis.
Doch wie damals noch erfreun Zitronen und reife
Goldorangen den Blick, »ein grünendes, blühendes Eden«,
Und zwei Brünnlein sprühn in reinliche Becken die Welle,
Die es erfrischt. Und wenn hoch über den Dächern die Sonne
Mitten im starrenden Winter den Hauch ausbreitet des Frühlings
Ist’s gar lieblich dahinten, und allerlei Götter und Geister
Meinst du schweben zu sehen entlang den sonnigen Pfaden,
Ganz wie am lachenden Morgen, da droben im oberen Stockwerk
Sich ein Laden geöffnet und aus zwei strahlenden braunen
Augen ein hoher Mensch in das niedere Gärtchen hinabsah.
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Auswahlbibliographie
Le Guide di Roma. Materialien zu einer Geschichte der römischen Topographie. Unter Benützung des handschriftlichen Nachlasses von Oskar Pollak hrsg. von Ludwig Schudt, Wien-Augsburg 1930
Friedrich Noack: Das Deutschtum in Rom seit dem Ausgang des Mittelalters, 2 Bde., Berlin-Leipzig 1927
ders.: Deutsches Leben in Rom. 1700–1900, Stuttgart-Berlin 1907
Walther Rehm: Europäische Romdichtung. München 21960 (zuerst 1937)
H. Jedin: Die deutsche Romfahrt von Bonifatius bis Winckelmann, Krefeld (1951)
Herbert v. Einem: Die Kunst der Deutschrömer. Klassizismus und Romantik. In: H. v. E.: Stil und Überlieferung. Aufsätze zu Kunstgeschichte des Abendlands, Düsseldorf 1971, S. 236–279
Ludwig Schudt: Italienreisen im 17. und 18. Jahrhundert, Wien-München 1959
Stefan Oswald: Italien-Bilder. Beiträge zur Wandlung der deutschen Italienauffassung 1770–1840, Heidelberg 1985
Wolfgang Altgeld: Das politische Italienbild der Deutschen zwischen Aufklärung und europäischer Revolution von 1848, Tübingen 1984
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Miller, N. (1988). Einleitende Bemerkungen. In: Wiedemann, C. (eds) Rom-Paris-London. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05555-2_13
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-05555-2_13
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-00610-3
Online ISBN: 978-3-476-05555-2
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