Behutsame Annäherung in Literaturkritik und Dichtung zwischen 1800 und 1885

Zusammenfassung

Anfang des 19. Jahrhunderts beginnt eine neue Phase in den Beziehungen zwischen dem deutschsprachigen Raum und dem zaristischen Russland. Das gilt für die politischen und gesellschaftlichen Kontakte ebenso wie für die kulturellen. Bedingt ist die Annäherung zunächst durch den gemeinsamen Kampf gegen Napoleon unter russischer Führung, der dem Land als »Befreier Europas« für einige Jahre einen enormen Prestigegewinn verschafft, erkennbar u.a. in der ausgiebigen und positiven Würdigung durch deutsche Dichter (z.B. Friedrich Rückerts Geharnischte Sonette von 1813). In diesem Zusammenhang gelangt eine Vielzahl junger und kulturell interessierter Russen nach Deutschland, eine Entwicklung, die sich auch in den folgenden Jahrzehnten fortsetzt, als zahlreiche Russen zu Studienzwecken nach Deutschland reisen. Auf politischer Ebene kommt es nach den Napoleonischen Kriegen zu weitreichenden Kooperationen. Bereits im November 1813 schließt Russland Bündnisse mit den süddeutschen Rheinbundstaaten; durch die während des Wiener Kongresses (1814/1815) getroffenen Vereinbarungen gewinnt Russland weiter Macht und Einfluss in Mitteleuropa. Die für Frankreich positiven, für die deutschen Teilstaaten hingegen wenig erfreulichen Friedensverhandlungen mit Frankreich 1814 und 1815 führen allerdings zu starken Irritationen vor allem in national gesinnten deutschen Kreisen. Russland erwies sich nicht wie gehofft als Sachwalter deutscher Interessen, sondern als bedrohliche Hegemonialmacht, der man verstärkt mit Misstrauen und Abneigung begegnete. Bestätigt wurde diese Haltung dadurch, dass Russland die ihm im Rahmen der Polnischen Teilungen zugesprochenen Gebiete Polens trotz liberaler Verheißungen mehr und mehr zur russischen Provinz machte, woran auch die blutig niedergeschlagenen Aufstände der Polen 1830 und 1863 nichts ändern konnten.