Zusammenfassung
Mit seinem auf Totalität ausgerichteten Erkenntnis-, Lebens- und Machtstreben scheint Faust auf den ersten Blick jene neuzeitlich-modernen »Einheitsträume« zu verkörpern (»vom Konzept der Mathesis universalis über die Projekte der Weltgeschichtsphilosophien bis zu den Globalentwürfen der Sozialutopien«; Welsch 1993, 6), von denen sich das Denken der Postmoderne zugunsten radikaler Pluralität und Differenz vehement distanziert. Der Mythos Faust selbst kann als ›große Erzählung‹ gelesen werden, die aus postmoderner Sicht mitverantwortlich zeichnet für fatale Irrwege und die Kontinuität des Inhumanen in der Moderne. Dies betrifft insbesondere die Faust-Ideologie (das sog. ›Faustische‹), wie sie sich im 19. und 20. Jahrhundert herausgebildet hat. Mit Blick auf diese Stoffgeschichte im Gefolge des Goetheschen Faust bleibt festzuhalten, dass die Postmoderne – hier verstanden als einflussreicher epochengeschichtlicher Diskurszusammenhang in Kunst und Kultur, Literatur und Philosophie der westlichen Welt zwischen 1960 und den 1990er Jahren – in vielem quer steht zum Faust-Mythos. Jene Metaerzählungen, die Jean-François Lyotard zufolge als Leitideen den Verlauf von Kultur und Gesellschaft in der Moderne steuern – »Emanzipation der Menschheit«, »Teleologie des Geistes«, »Hermeneutik des Sinns« (ebd., 32) bzw. Aufklärung, Freiheit, Wohlstand–, finden sich dabei bereits in Goethes Faust mehr oder weniger genau literarisch gespiegelt.
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Literatur
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Rohde, C. (2018). Postmoderne. In: Rohde, C., Valk, T., Mayer, M. (eds) Faust-Handbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05363-3_66
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