Zusammenfassung
Vom ›Volksbuch‹ über die Feldpostausgabe von Goethes Faust, die den deutschen Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkriegs auf seinen Eroberungszügen begleitete, bis zum Decknamen ›Margarete‹ der IM Christa Wolf – Faust und seine Gestalten sind in höchstem Maße wirksam als Konstruktionen von Geschlechtlichkeit. Wenngleich die Goethesche Dichtung nur eine Station innerhalb einer langen Stoffgeschichte ist, erwies sie sich als derart wirkungsmächtig, dass spätere Bearbeitungen wie auch die Forschung in genderkritischer Hinsicht notwendigerweise darauf Bezug nehmen mussten bzw. diese gezielt weiterschrieben. Goethes Dichtung wird damit gleichsam zum der eigenen Hexenküche entnommenen Zauberspiegel, der sowohl durchlässig ist für den Blick auf ältere Schichten der Stoffgeschichte, als auch die Adaptionen und Inversionen nachfolgender Werke reflektiert. Dabei bewirkt bereits die Welttheaterkonzeption eine Typisierung der Figuren, deren Folgen im Hinblick auf Geschlechterkonzeptionen, Geschlechterrollen und -performances bis in die Gegenwart spürbar sind. Werden diese in der ›kleinen Welt‹ des ersten Teils noch durch individuelle Figurenzeichnungen ausponderiert, verselbständigen sie sich im als Wissensspeicher fungierenden (Schneider 2005) und über weite Strecken allegorischen (Schlaffer 1981) zweiten Teil. In dieser Linie einer Vervielfältigung der Figuren und Themen stehen auch einige Dichtungen und Theaterinszenierungen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – wie Einar Schleefs Inszenierung 1990 in Frankfurt am Main und Elfriede Jelineks postdramatisches Theaterstück FaustIn and out (2011). Den Weg der Vervielfältigung beschreitet auch Werner Fritschs monumentaler Autorenfilm Faust Sonnengesang, der sein lyrisches Ich im Sterbemoment eine panmythologische Weltreise antreten lässt.
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Literatur
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Hartmann, T. (2018). Gender. In: Rohde, C., Valk, T., Mayer, M. (eds) Faust-Handbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05363-3_65
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