Zusammenfassung
Ist das Faust-Drama Goethes eines der bedeutendsten Reflexionsmedien literarisch-kultureller Konfiguration von Geschlecht und insbesondere Männlichkeit im 19. Jahrhundert (Tholen 2005), so lässt sich an seiner Wirkungsgeschichte sowie an anderen geschlechtlich codierten und medienübergreifenden Konstellationen der Faust-Figur und des ›Faustischen‹ um und nach 1850 eindrucksvoll ablesen, in welch spannungsreichem Verhältnis Konzepte des Heroischen und Postheroischen gesehen werden und kulturell mindestens ein Jahrhundert lang nebeneinander existieren. Kommt es schon im 18. Jahrhundert auf verschiedenen Gebieten zur Dekonstruktion des Heroischen und zur Ausbreitung einer »ambivalenten heroisch-postheroischen Anthropologie« (Reiling/Rohde 2011, 7), so wird die europäische Kulturformation des Heroismus im 19. und auch im 20. Jahrhundert in ihrer ganzen kulturpolitischen Funktionalität, aber zugleich auch in ihrer ästhetischen, ethischen und geschlechtlichen Ambiguität offengelegt und nicht selten in ihr Gegenteil verkehrt. Die ästhetische und kulturelle Moderne lässt sich durch einen »Übergang vom heroischen zum postheroischen Decorum« (ebd., 12) ebenso beschreiben wie durch die zahlreichen Bemühungen, Faust-Figur und ›Faustisches‹ geschlechtlich zu pluralisieren, zu queeren oder auch in restaurativer Hinsicht zu vereindeutigen – Letzteres vor allem durch Programmatiken und Akte der Resouveränisierung von Männlichkeit und hegemonial männlicher Identität.
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Tholen, T., Pietsch, V. (2018). Postheroismus. In: Rohde, C., Valk, T., Mayer, M. (eds) Faust-Handbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05363-3_45
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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