Zusammenfassung
Die Geschichte von Faust nach 1750 beginnt mit einem Gerücht – in die Welt gesetzt hat es Gotthold Ephraim Lessing, der im 17. seiner Briefe, die neueste Litteratur betreffend dem deutschen Publikum einen vergessenen Helden in Erinnerung ruft: »[W]ie verliebt war Deutschland, und ist es zum Teil noch, in seinen Doctor Faust!« (Lessing 1997, 501) Gottsched und die Kritik der Aufklärung hatten Faust, der im 18. Jahrhundert überwiegend als Witzfigur im Spiel der Wander- und Puppenbühnen in Erscheinung trat, zur Persona non grata erklärt (s. Kap. 23). Lessing hingegen shakespearisiert Faust gewissermaßen, indem er den Volksbuchhelden mit den großen Dramenhelden des Engländers vergleicht, und bringt ihn im literatur- und theaterpolitischen Streit mit der Gottsched-Fraktion in Stellung. Seine Rehabilitation der Faust-Figur lässt sich auch als erfolgreiche Fama-Bildung beschreiben, wenn man darunter ganz nüchtern die Eröffnung diskursiver Möglichkeiten mit suggestiven Mitteln versteht. Seit Lessing geht das Gerücht, dass sich mit Faust etwas anfangen lässt im literarischen Diskurs der Gegenwart. Stoff und Figur eignen sich offensichtlich hervorragend als Vehikel für die Anliegen einer jungen Generation von Literaten. Insbesondere gilt dies für jene Autoren, die in den 1770er Jahren neben Lessing in Erscheinung treten und die ebenfalls in auffälliger Weise um den Faust-Mythos gravitieren. An verschiedenen Stellen der literarischen Öffentlichkeit tauchen zwischen ungefähr 1776 und 1778 Meldungen auf, denen zufolge neben Les-sing weitere Vertreter der aufstrebenden Literaturszene an einem Faust schreiben, darunter ein literarischer ›Shootingstar‹ aus Frankfurt am Main respektive Weimar. So heißt es etwa in Schubarts Teutscher Chronik vom 14. März 1776 und ein paar Wochen später in nahezu identischem Wortlaut im Berliner litterarischen Wochenblatt: »Wir Teutsche haben naͤchstens drey Dokter Faust zu erwarten, von Goͤthe, Leßing, und Maler Muͤller. Wollen sehen, wen Gott annimmt, und welchen der Teufel holt!« (Teutsche Chronik 1776, 175; vgl. Tille 1900, 699–726 u. 1218)
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Literatur
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Rohde, C. (2018). Mediale Transformationen: Faust um 1800. In: Rohde, C., Valk, T., Mayer, M. (eds) Faust-Handbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05363-3_22
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