Zusammenfassung
Die Idee eines blinden Kreislaufs von Vernunftprojektionen in Jacobis Bild vom Spiegel, der sich selbst sieht, hat Schelling dahingehend kritisiert, dass in einem solchen Zirkel der Reflexion nie ein Standpunkt bezogen werden könne, von dem aus der Verblendungszusammenhang selbst zu hinterfragen sei: „Der Spiegel aber sieht nicht sich selbst, er reflektiert, aber für ein Auge außer ihm“. Als ein nur sich selbst reflektierender Spiegel werde Jacobis Doppelphilosophie missverständlich, da sie nur einen zirkulären, sich selbst ad absurdum führenden Begründungsgang vorführe1. Der Rückzug ins „Nichtwissen“ („mit der Versicherung, nur im Nichtwissen sey Heil“) motiviere sich nur dadurch, dass auf der anderen Seite „das rationale Wissen selbst = nicht Wissen ist“2. Der Spiegel des Universums aber — so Schelling — „muß selbst erst im System der Philosophie abgeleitet werden“3. Jacobis Position des Vorbehalts vermittle keinen Standpunkt, der den Überstieg der negativen in die positive Philosophie plausibel machen könne. Er könne nicht den letzten „Akt des Gottsetzens“ als einen Akt des Zurücktretens in die „völlige Subjektivität“ denken („vergleichbar etwa dem Akt der Andacht, die eben auf einer solchen Selbstvernichtung gegenüber von einem Höheren beruht“4), „der dann wohl auch dem Wissen gegenüber als ein Akt des Glaubens oder selbst als Glauben bezeichnet werden“5 muß. Sein Salto mortale sei, ohne prätendiert zu sein, nicht in der Lage, den Zusammenhang des Unbedingten mit dem Wissen einsichtig zu machen.
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Anmerkungen
„Kunst also leistet das, was Philosophie aufgrund ihrer reflexiven Struktur von sich her nicht zu leisten vermag: das Absolut-Identische ungetrennt, als die Einheit der Gegensätze ‚Bewußt und Unbewußt’, ‚Endlich und Unendlich’, ‚Ideal und Real’ objektiv zugänglich zu machen“ (Werner Beierwaltes: Einleitung in: F. W. J. Schelling, Texte zur Philosophie der Kunst. Stuttgart 1982, S. 16).
Zur Verschleierungsfunktion von ‚Realität’ in Hegels Logik vgl. Michael Theunissen: Sein und Schein. Frankfurt am Main 1978, S. 100.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Jenaer Systementwürfe III. Hamburg 1987, S. 172.
Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. In: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin / New York 1967ff. Bd. 1, S. 888.
Bernhard Lypp: Ästhetischer Absolutismus und politische Vernunft. Zum Widerstreit von Reflexion und Sittlichkeit im deutschen Idealismus. Frankfurt am Main 1972, S. 94. Vgl. auch Dieter Jähnig (1966), Bd. 1, S. 231.
Schelling III, 611 (= System des transzendentalen Idealismus). Vgl. hierzu die Studie von Wolfgang Janke: Intellektuelle und ästhetische Anschauung. Zu Schellings „System des transzendentalen Idealismus“. In: Wolfgang Janke, Entgegensetzungen. Studien zu Fichte-Konfrontationen von Rousseau bis Kierkegaard. Amsterdam, Atlanta 1994, S. 69–82.
In der Frühschrift Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie (1794) bewertet es Schelling — trotz der Versuche Reinholds mit seiner Elementarphilosophie die Widersprüche zu beheben — als eine Schwierigkeit in dem Ansatz der Kritik der reinen Vernunft, „eine Form aller Philosophie zu begründen, ohne daß doch irgendwo ein Princip aufgestellt war, durch welches nicht nur die allen einzelnen Formen zu Grunde liegende Urform selbst, sondern auch der nothwendige Zusammenhang derselben mit den einzelnen von ihr abhängigen Formen begründet worden wäre“ (I, 87). Vgl. Michaela Boenke: Transformation des Realitätsbegriffs. Untersuchungen zur frühen Philosophie Schellings im Ausgang von Kant. Stuttgart 1990, S. 173–183.
Vgl. dazu Hans Friedrich Fulda: Spekulatives Denken und Selbstbewußtsein. Dieter Henrich zum 60. Geburtstag. In: Theorie der Subjektivität. Hrsg. v. Conrad Cramer, Hans Friedrich Fulda, Rolf-Peter Horstmann, Ulrich Pothast, Frankfurt am Main 1987, S. 444–479, hier: S. 456f.
Gegenüber der frühen metaphysischen Schelling-Deutung hat bereits Walter Schulz deutlich gemacht, dass in diesem „Ansatz, die Erfahrung als Gegebenes hinzunehmen und nur ihre Möglichkeit aufzuweisen, (…) der Idealismus der Fortsetzer der Kantischen Philosophie [ist], und er hat durchaus nicht das Bestreben, die Wirklichkeit durch eine ontische Setzung aus dem Geist zu erschaffen oder sie im psychologischen Sinne als bloße Vorstellung aus-zugeben“ (Walter Schulz: Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings. Pfullingen 19752, S. 32).
So schreibt Manfred Frank ganz in diesem Sinne: „Um nun das untrügliche Existenzbewußtsein des cogito zu erklären, sieht sich Kant zu einer mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen seiner Kritik völlig unverträglichen Annahme getrieben, die er in einer Fußnote zur B-Auflage der »Paralogismen der reinen Vernunft« (B 422/3) vorstellt. Er schreibt dem Satz cogito sum den erkenntnistheoretischen Status eines empirischen Bewußtseins zu“ (Manfred Frank: Einführung in die frühromantische Ästhetik. Frankfurt am Main 1989, S. 146f.).
Vgl. Birgit Sandkaulen-Bock: Ausgang vom Unbedingten. Ebd., S. 44; vgl. Dieter Henrich: Selbstbewußtsein und spekulatives Denken. In: Fluchtlinien. Philosophische Essays. Hrsg. v. D. Henrich. Frankfurt am Main 1982, S. 159.
Vgl. zur Rekonstruktion dieses Problems in der Transzendentalen Deduktion Kants, Dieter Henrich: Identität und Objektivität. Eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion. Heidelberg 1976; ders.: Die Identität des Subjekts in der transzendentalen Deduktion. In: Kant. Analysen — Probleme — Kritik. Hrsg. von Hariolf Oberer u. Gerhard Seel, Würzburg 1988, S. 39–70.
Vgl. dazu die Thesen von Hans Freier: Die Rückkehr der Götter. Ebd., S. 35ff. Stefan Summerer schreibt dazu: „Trotzdem reicht die produktive Einbildungskraft in ihrer versinn-lichenden Darstellung des Übersinnlichen weiter als nur bis zu einem formalen Schema, als bis zur bloß reflektierenden Urteilskraft. In ihrer bewußtlos–bewußten Produktivität hat die Einbildungskraft teil an der ihr zugrundeliegenden Ureinheit; Kants Unterscheidung zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft ist für sie deshalb nicht verbindlich. Die Urteilskraft wird an sich selbst bestimmend für ihre Inhalte, anstatt diese als ein ihr Gegebenes nur zu beurteilen. Wenn Schelling die Kritik der Urteilskraft gegen Fichtes Naturverachtung ins Feld führt und davon spricht, dass Kant die Natur dem handelnden Menschen als eine eigenständige Objektivität gegenübergestellt habe, so hat dies durchaus seine Richtigkeit“ (Stefan Summerer: Wirkliche Sittlichkeit und ästhetische Illusion. Die Fichterezeption in den Fragmenten und Aufzeichnungen Friedrich Schlegels und Hardenbergs. Bonn 1974, S. 228).
Vgl. dazu die Thesen von Hans Freier: Die Rückkehr der Götter. Ebd., S. 107 ff.. Zur Kritik an Hegels Systembegriff vgl. Emil Angehrn: Freiheit und System bei Hegel. Berlin 1977, besonders S. 413–468.
Manfred Frank, Gerhard Kurz: Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen. Frankfurt am Main 1975, S. 110.
Zur Problematik der strittigen Verfasserfrage des Ältesten Systemprogramms vgl. Christoph Jamme u. Helmut Schneider: Mythologie der Vernunft. Hegels „ältestes Systemprogramm“ des deutschen Idealismus. Frankfurt am Main 1984; Frank-Peter Hansen: Das Älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus. Rezeptionsgeschichte und Interpretation. Berlin 1989.
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Feger, H. (2007). Schellings Inversion der analytischen Transzendentalphilosophie. In: Poetische Vernunft. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05259-9_8
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