Zusammenfassung
Welche Rolle spielt die Metaphysik der Langeweile im zeitgenössischen Denken? Anthropologisierung und Historisierung des Langeweileverständnisses haben die allgemeine Kulturdiagnostik des 20. Jahrhunderts in einer Weise geprägt, die auch den philosophischen Umgang damit nicht unberührt lassen konnte. Es sei an die zwei vielleicht spektakulärsten Metaphysiken der Langeweile, nämlich in der Stimmungsanalyse M. Heideggers und im Gnostizismus E. M. Ciorans, erinnert (s. I.2.1/I.2.2). Erstere entwickelte sich als Konkurrenz und Kritik einer anthropologischen und lebensphilosophischen Reformulierung traditioneller metaphysischer Topoi, letztere zehrte metaphysisch vom krisenhaften Geschichtsbewußtsein der westlichen Moderne, dem Gegenwart nur fortlaufende Entleerung von Sinn, Sein, Substanz, vor allem affektiv-emotionaler Substanz, zugunsten einer rein willens- und verstandesbestimmten Zukunft bedeuten kann.1 Beide Autoren haben — wenngleich in sehr verschiedener Weise — einen Ennui der Massen, eine Langeweile als gesamtkulturelles Phänomen erwogen, aber noch nicht als siegreich erlebt und wohl auch nicht erleben können. Bei Heidegger verhinderte dies die zeitdiagnostische Verankerung seiner Langeweileanalytik in der Zwischenkriegssituation, bei Cioran wiederum der Zeitdiagnostik überschreitende Prospekt auf eine ‚verfehlte Schöpfung’ bzw. einen ‚Absturz in die Zeit’.2
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Anmerkung
Vgl. Emile M. Cioran, Die verfehlte Schöpfung (Le mauvais démiurge, Paris 1969); ds., Der Absturz in die Zeit (La chute dans le temps, Paris 1990).
Vgl. Cornelius Hell, Skepsis, Mystik und Dualismus. Eine Einführung in das Werk E. M. Ciorans, Bonn 1985.
Harry G. Frankfurt, Gründe der Liebe, aus dem Amerikanischen von Martin Hartmann, Frankfurt/M. 2005.
Vgl. Agnes Heller, Theorie der Gefühle, Hamburg 1980, 23.
Besuch vom Mittagsdämon. Philosophie der Langeweile, Lüneburg 2000.
Vgl. Eva Illouz, Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, Frankfurt/M. 2006.
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Große, J. (2008). Zeitgenössische Deutungen. In: Philosophie der Langeweile. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05231-5_5
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