„He was, in the vocabulary of students of rhetoric, the perfect mimetic orator, probing his audiences’ deepest fears and passion and articulating those emotions in a language and style they could understand. On paper his speeches were stunningly disconnected, at times incoherent, and always repetitious. But [his] followers reveled in the performance; they never tired of hearing the same lines again and again“ (Carter 1995: 346; Hervorhebung im Orig.).

Der Redner, um den es hier geht, ist nicht Donald Trump, sondern George Wallace, der langjährige Governor von Alabama, der von 1964 bis 1976 vier Mal nacheinander für die Präsidentschaft kandidierte. Während die Fernsehdebatten zwischen Kennedy und Nixon zu der weithin geteilten Überzeugung geführt hatten, dass Wahlkampagnen im Zeitalter des Fernsehens eine Sache sorgfältig vorbereiteter, auf Image-Pflege bedachter Selbstdarstellung seien, machten die Rallies von Wallace, insbesondere während der Phase seiner Präsidentschaftskampagnen von 1964 bis 1972, von der gegenteiligen Strategie Gebrauch. Wallace fand Techniken, um die Intensität der affektiven Energien zu steigern, die an den Schauplätzen zirkulierten, an denen er sprach. Er wusste Wut und Rage unter seinen Zuhörern zu schüren, aber er wusste sie auch zum Lachen zu bringen. Regelmäßig wetterte er gegen die Bundesregierung und die Eliten Washingtons und der Ostküste, betrieb offene Rassenhetze (besonders bis 1972, nach diesem Zeitpunkt begann er öffentlich um Verzeihung zu bitten), und schimpfte auf die Anti-Vietnamkriegs-Demonstranten und die Gegenkultur im Allgemeinen. Sein Ziel war nicht die Ausstrahlung gelassener Selbstbeherrschung, sondern der kollektive Verlust von Ordnung und Kontrolle. Proteste von Zwischenrufern, gefolgt von höhnischen Gegenrepliken vonseiten Wallace’s, waren ein Standardelement seiner Massenversammlungen – ebenso wie die zwischen seinen Befürwortern und seinen Gegnern ausbrechende Gewalt (vor allem während der Kampagne von 1968).

In vielen – wenngleich signifikanter Weise nicht in allen – Hinsichten folgt, was wir bei Donald Trumps Rallies seit 2015 erleben durften, Wallace’s Skript. Dieser Aufsatz stellt die erste Hälfte eines zweiteiligen Essays dar, in dem ich Trumps Rallies reflektiere und theoretisiere, wobei ich mich auf Beispiele von 2015 bis kurz vor den Midterm-Wahlen von 2018 beziehe, und in dem ich außerdem Trumps Veranstaltungen mit denen von Wallace vergleiche und kontrastiere.Footnote 1 Den Grund, aus dem ich mich dem Format der Rally zuwende, liefert meine Überzeugung, dass der rechtsgerichtete amerikanische Populismus – eine Tradition, die in weiten Teilen von Wallace erfunden wurde, obwohl sie auch auf frühere populistische Praktiken zurückgreift – in entscheidendem Maße auf Rally-Performances beruht.

Die Ausgangsbeobachtung der Argumentation, die ich im Laufe der zwei Teile meines Essays entwickeln werde, lautet, dass die Rally für populistische Bewegungen von besonderer Bedeutung ist. Zwar ist es richtig, dass jede demokratische Öffentlichkeit von performativen Praktiken Gebrauch macht, um die Beziehung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten in Szene zu setzen, über sie zu verhandeln und sie infrage zu stellen.Footnote 2 Doch anders als in gewöhnlichen demokratischen Repräsentationsverhältnissen beruhen populistische Bewegungen auf dem Anspruch, den Unterschied zwischen Repräsentierten und Repräsentanten zu eliminieren. Der „representative claim“ (Saward 2006) des Populismus ist paradoxer Natur, insofern er Repräsentation als Nicht-Repräsentation vorstellt, oder, anders gesagt, insofern er darauf besteht, die einheitliche und unvermittelte Präsenz von Repräsentierten und Repräsentanten zu verkörpern.

Die Rally-Performance trägt die Last der Aufgabe, die geforderte unvermittelte Präsenz zu einer gefühlten Realität werden zu lassen. Während also der populistische Anspruch der (Nicht-)Repräsentation rhetorisch behauptet und ideologisch abgesichert wird, beruht er zugleich auf dem Versuch einer praktischen Umsetzung durch die Versammlung von Körpern in einem für die Dauer einer zeitlich begrenzten Performance geteilten physikalischen Raum. Im Verlauf einer solchen Versammlung muss die Performance eine Erscheinung hervorbringen, in der sich etwas zeigt, das mit dem populistischen Einheits-Anspruch identifiziert werden kann. In diesem Sinne beruht der Populismus auf einer „Ästhetik des Erscheinens“ (Martin Seel) oder, mit den Worten Hannah Arendts, auf einem „Erscheinungsraum“. Wie im Verlauf dieser ersten Hälfte meiner zweiteiligen Darstellung deutlich werden wird, ist es eine bewusste Provokation, Arendts Konzept des „Erscheinungsraums“ und Seels Begriff der „Ästhetik des Erscheinens“ in einen Zusammenhang mit der populistischen Rally zu bringen. Auf den ersten Blick sind die auf Figuren wie Wallace oder Trump zentrierten populistischen Rallies nicht weniger als der Gegensatz zu diesen normativ aufgeladenen theoretischen Konzepten. Ich behaupte aber, dass diese provokanten Diskrepanzen nützlich sind, nicht primär zum Zweck einer philosophischen Auseinandersetzung mit Arendt oder Seel, sondern weil sie uns zu einem anspruchsvolleren Verständnis der populistischen Rally selbst zwingen.

Dafür wird es sich als notwendig erweisen, eine zum Rechtspopulismus (eher als zum Linkspopulismus) gehörige populistische Ästhetik des Erscheinens/der Erscheinung zu identifizieren. Ich folge John Judis‘ Terminologie (vgl. Judis 2016), indem ich den Rechtspopulismus als „triadisch“ charakterisiere. Während der Linkspopulismus in dem Sinne „dyadisch“ ist, dass er eine Unterscheidung zwischen dem „Volk“ und den „Eliten“ (oder dem „Establishment“) trifft, unterscheidet der „triadische“ Populismus das „Volk“ sowohl von denen, die als soziale und politische Eliten wahrgenommen werden, als auch von denen, die als am unteren Ende der sozialen Leiter stehend gesehen werden. Während die Definition des „Volkes“ im dyadischen (oder Links-)Populismus potenziell inklusiven Charakter hat (auch wenn die Eliten das „Andere“ des Volkes bleiben), wird das „Volk“ im triadischen Rechtspopulismus durch ein konstitutives Außen strukturiert, das in Gruppen besteht, die als die Ausgeschlossenen oder die Illegitimen zur Nationalgemeinschaft gehören.

Um die populistische Ästhetik genauer zu bestimmen, muss man in Betracht ziehen, dass der Populismus heutzutage in die mediale Architektur der celebrity politics eingebettet ist. In deren Rahmen gebraucht der populistische Repräsentant (der verschleiern muss, dass er repräsentiert und vielmehr als Verkörperung des Volkes wahrgenommen werden will) Techniken der, wie ich es nennen werde, ‚performativen Polarisierung‘, um in der Öffentlichkeit zu erscheinen. An diesem Punkt unterscheidet sich der heutige Populismus, wie er von Donald Trump vorangetrieben wird, merklich von den früheren populistischen Innovationen von George Wallace.

Bislang gibt es zwei Arten von Überlegungen zu celebrity politics: zum einen Warnrufe bezüglich des Untergangs der Politik im bloßen Entertainment – Neil Postman ist mit Amusing Ourselves to Death (1985) der klassische Vertreter dieser Position –, zum anderen optimistische Perspektiven auf die erweiterten Möglichkeiten der Partizipation und der Identifikation mit anderen. Diese zweite Auffassung sieht die zunehmende Bedeutung einer Entertainment-Logik in der Politik als Triebkraft der Demokratisierung (diese Sichtweise ist am ausführlichsten von Wissenschaftlern aus dem Bereich der politischen Kommunikation unter dem Einfluss der britischen Cultural Studies entwickelt worden; vgl. Corner/Pels 2003; Street 2001; Wheeler 2013). Beide Darstellungen teilen die Vorannahme, dass in den celebrity politics die Quelle politischer Ausstrahlung und damit der Macht im medialen Charisma des Kandidaten eher als in den Inhalten besonderer politischer Positionen zu verorten ist. Die Argumentation, die ich im zweiten meiner beiden Essay-Teile entwickeln werde, deutet jedoch darauf hin, dass diese Darstellungen korrigiert werden müssen, um den Weisen gerecht zu werden, in denen mediale Techniken und die Ästhetik der celebrity politics in den Dienst politischer Polarisierung gestellt werden. Die Rolle des populistischen Repräsentanten als einer polarisierenden Promi-Figur zu durchdenken – deren Polarisierungspotenzial die Aufmerksamkeit des größtmöglichen Publikums erforderlich macht –, wird uns dazu zwingen, den komplexen Weisen Rechnung zu tragen, in denen die populistische Versammlung die Spaltung der nationalen Gemeinschaft in zwei entgegengesetzte Lager sowohl verstärkt als auch möglicherweise erschüttert.

Letztlich besteht das Ziel meiner Untersuchungen nicht bloß darin, den ästhetischen Strategien Rechnung zu tragen, von denen zum Zweck populistischer Einheitsansprüche Gebrauch gemacht wird. Der Vorteil einer Untersuchung der Ästhetik des Populismus besteht darüber hinaus darin, dass sie uns die Anziehungskraft oder Anreize der Erfahrung der populistischen Versammlung verstehen lässt. Ich möchte behaupten, dass durch das Herausstellen der ästhetischen Erfahrung des Populismus die politische Ästhetik einen Beitrag zum Verständnis einer wichtigen und bisher wenig beachteten Dimension des Populismus leisten kann.

Der Repräsentationsanspruch

In seinen Schriften über das, was er den „Repräsentationsanspruch“ nennt, hat der Politikwissenschaftler Michael Saward wichtige Schritte zum Durchdenken der performativen Dimension politischer Repräsentation unternommen. Saward gehört zu einer Reihe von Theoretikern – unter anderem gemeinsam mit dem Ideenhistoriker Frank Ankersmit und John Street, einem Wissenschaftler aus dem Bereich der politischen Kommunikation –, die gegen die Annahme vorgehen, dass die Repräsentierten eine erkennbare und gegebene Entität seien, deren Interessen oder Willen Politiker gerecht zu werden versuchen würden. „The represented play a role in choosing representatives“, schreibt Saward, „and representatives ‚choose‘ their constituents in the sense of portraying them or framing them in particular, contestable ways“ (Saward 2006: 301 f.). Für Saward ist politische Repräsentation keine Angelegenheit mimetischer Verdopplung, bei der die Beziehung zwischen Repräsentierten und Repräsentanten eine der formalen Kongruenz wäre. Unter ‚formaler Kongruenz‘ verstehe ich hier die Entsprechung zwischen den Interessen oder dem Willen des Volkes und den Handlungen des Repräsentanten, der diesen Volkswillen in Gesetze (oder wenigstens in politische Prozesse der Gesetzgebung) überführt. Unter der Annahme der formalen Kongruenz verdoppelt der Repräsentant den Willen seiner Wählerschaft, und indem er ihn in einen Verhandlungsprozess einbringt oder ihn direkt zum Gesetz erklärt, bringt der Repräsentant zugleich den Volkswillen zum Ausdruck. Gegen diese mimetische und expressive Sichtweise besteht Saward darauf, dass Repräsentation eine Angelegenheit von Ansprüchen ist, vonseiten des Repräsentanten, in Bezug auf den Repräsentanten selbst, die Wähler und die von beiden Parteien geteilte Welt.

Repräsentation nimmt so die Form performativer Handlungen an, was bedeutet, dass sie in diesen Handlungen selbst besteht. Wie Saward es formuliert: „to an important extent, representation is not something external to its performance, but is something generated by the making, the performing, of claims to be representative“ (ebd.: 302). Die Performances stellen auf diese Weise den Verbund zwischen dem Repräsentanten und den Repräsentierten her – einen Verbund, der im vollsten Sinne nur für die Dauer der performativen Handlung Bestand hat.

Aber performative Repräsentation ist niemals in unkomplizierter Weise produktiv. Sie bringt nicht einfach eine geteilte Welt des Politischen hervor, die dann zu einer gegebenen, unhinterfragten Tatsache würde. Repräsentation ist eine Angelegenheit von Ansprüchen eher als von Anpassung an oder Verdopplung gegebener, stabiler Willens- und Handlungsformen. In diesem Sinne können wir mit Saward sagen, dass

„no would-be representative can fully achieve ‚representation,‘ or be fully representative. Facts may be facts, but claims are contestable and contested; there is no claim to be representative of a certain group that does not leave space for its contestation or rejection by the would-be audience or constituency, or by other political actors“ (ebd.: 302).

Und dennoch haben Repräsentationsansprüche Erfolg, was bedeutet, dass der Raum der Infragestellung und Zurückweisung auch ein Raum der Zustimmung ist. Repräsentationsansprüche sind nur erfolgreich im Hervorbringen einer geteilten Wirklichkeit durch einen spezifischen Verbund von Repräsentanten und Repräsentierten, wenn sie Anerkennung und Zustimmung durch die Empfänger des Anspruchs finden. Zwei Aspekte der Aufnahme eines Repräsentationsanspruchs sollten hier jedoch erwähnt werden: Erstens klingen Billigung und Missbilligung oder Zustimmung und Ablehnung wie kognitive Vorgänge, sie können aber sehr wohl eine Angelegenheit der Affekte sein; zweitens sollten Billigung und Missbilligung, Zustimmung und Ablehnung nicht als binäre Begriffe konzipiert werden, die arretierte Zustände hervorbringen. Grundsätzlich bleiben Ansprüche anfechtbar und die erneuerte oder andauernde Zustimmung ist niemals gesichert. Mit Blick auf die Affekte gesprochen, bleibt die Intensität der Zustimmung Fluktuationen und Stimmungswechseln unterworfen; aus kognitiver Sicht sind Übereinstimmung und Uneinigkeit keine rein für sich bestehenden Geisteszustände. Jedes ‚ja‘ zu einem Repräsentationsanspruch mag von einem stillen ‚aber‘ gefolgt werden, das bei der nächsten Gelegenheit als ‚nein‘ geäußert werden kann. Erfolgreiche Repräsentation ist mit anderen Worten hochgradig instabil und flüchtig, sogar in Fällen, in denen die Zustimmung zum Repräsentationsanspruch sich schließlich durch mehrere erfolgreiche Erneuerungen als langandauernd erweist.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf, betrachte man die folgende Beschreibung einer Rally von George Wallace, die von dem Historiker Dan Carter stammt, dem Autor von The Politics of Rage: George Wallace, the Origins of the New Conservatism, and the Transformation of American Politics (1995), aus dem ich bereits mein Eingangszitat entnommen habe:

„As almost every observer sensed, a Wallace rally was an act of communion between the speaker and his audience, for he was one of the last grandmasters of the kind of foot-stomping public speaking that characterized American politics, particularly southern politics, in the age before television. A Wallace speech excited the kind of nonanalytical emotional response that media advisers had always sought to evoke“ (Carter 1995: 345).

Carter weist auf eine verbreitete Auffassung hin, nach der um „Großmeister“ („grandmasters“) herum gebildete Kundgebungen augenblickshafte Erfahrungen der gemeinschaftlichen Teilhabe aller Beteiligten hervorbringen. Im Kontext der politischen Rally tendieren diese Erfahrungen – von denen Carter sagt, sie gingen aus ungefilterten, emotionalen Reaktionen hervor – dazu, implizit oder explizit als die Zusammenkunft von Repräsentanten und Repräsentierten in einer präsentischen Einheit interpretiert zu werden. Diese Interpretation fließt häufig in die Selbstbeschreibung von Teilnehmern populistischer Rallies ein. In einer Analyse der Choreografie einer Trump-Rally in Springfield, Missouri, vom 21. September 2018, zitiert die New York Times-Reporterin Katie Rogers eine Trump-Anhängerin wie folgt: „Wenn Sie das Gefühl haben, das Land sei gespalten, kommen Sie zu einer dieser Rallies. Hier gibt es jede Menge Zusammenhalt“ (Rogers 2018).

Sehen wir uns Videomaterial von populistischen Rallies an, egal ob von Wallace oder von Trump, dann können wir häufig nicht anders als zu schaudern angesichts der Weise, in der die am Veranstaltungsort Versammelten den Anspruch des Repräsentanten zu bestätigen beginnen. Diejenigen, die in der Veranstaltungshalle anwesend sind, scheinen sich mit bemerkenswerter Hemmungslosigkeit ihrer Rolle als Repräsentierte hinzugeben. Indem sie dem Repräsentanten zujubeln, scheinen sie sich in eine undifferenzierte Masse zu verwandeln. Nicht bloß scheinen sie jedes Vermögen aufzugeben, sich ein Urteil über den Repräsentationsanspruch zu bilden; es scheint als hätten sie aufgehört, überhaupt als unabhängige Subjekte zu existieren. Stattdessen nehmen sie an Ausdrucksformen teil, die den Sinnen – ihren eigenen und denen ihrer Beobachter – einen überwältigenden Eindruck der Gleichheit vermitteln. Sie singen in rhythmischem Gleichklang und führen synchrone Gesten aus.

Diese Momente der populistischen Kundgebung sind in deren Theoretisierung eingeflossen und haben, in ihrer Erweiterung, zur Theorie des Populismus als solchem beigetragen. Das trifft auf die Analysen so einflussreicher politischer Theoretiker zu wie Nadia Urbinati und Jan-Werner Müller. Müller identifiziert den Populismus als eine „particular moralistic imagination of politics“ (Müller 2016: 19):

„In addition to being antielitist, populists are always antipluralist: populists claim that they, and only they, represent the people. Other political competitors are just part of the immoral, corrupt elite, or so populists say, while not having power themselves; when in government, they will not recognize anything like a legitimate opposition. The populist core claim also implies that whoever does not really support populist parties might not be part of the proper people to begin with“ (ebd.: 20).

Ohne den Ausdruck in einem technischen Sinne zu gebrauchen, stellt Müller den anti-pluralistischen Anspruch („claim“) als das Definitionsmerkmal des Populismus heraus. Ähnlich wie Saward, begreift er das Volk als durch den Anspruch einer Fiktion konstruiert. Anders aber als die Position, die ich hier zu entwickeln versuche, scheint Müller davon auszugehen, dass sich im Populismus der anti-pluralistische Anspruch seiner Akzeptanz sicher sein kann. Die Frage danach, wie der populistische Anspruch aufgenommen wird, findet keinerlei Eingang in seine Beschreibung. Sie ist kein notwendiger Bestandteil seiner Theorie, weil das Vorhandensein des Anspruchs und der offenkundige politische Erfolg populistischer Kandidat*innen die Aufnahme des Anspruchs offensichtlich und damit für die Analyse unerheblich erscheinen lassen. Für Müller ist es, als würde der Anspruch allein eine anti-pluralistische politische Gemeinschaft konstituieren.

Im Vergleich dazu trägt Nadia Urbinati der Aufnahme des populistischen Anspruchs durch das Publikum Rechnung, aber sie führt diese Aufnahme auf das Moment der Erfahrung gemeinschaftlicher Teilhabe zurück, das ich oben skizziert habe. In einer Passage, in der sie aus Carl Schmitts Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923) zitiert, schreibt sie:

„A populist leader is not properly elected: it is acclaimed. Consequently, Schmitt forcefully wrote that the ‚will of the people‘ is the same whether it is expressed in the ballot or by acclamation: ‚[e]verything depends on how the will of the people is formed.‘ But then he promptly added that ‚the will of the people can be expressed just as well and perhaps better through acclamation, through something taken for granted, an obvious and unchallenged presence, than through the statistical apparatus‘ of vote counting. […] In a populist assembly there is no need to count votes and acknowledge minorities, because the leader will be a leader of the whole, not simply of the majority. Acclamation is not a form peculiar to representative democracy; moreover, it is antithetical to democracy“ (Urbinati 1998: 119).

Nach Urbinatis Darstellung ist „Akklamation“ die einzige Tätigkeit und politische Funktion der Menge bei der populistischen Versammlung. Obwohl sie Schmitts politische Bewertung umdreht, stützt sie sich auf seine Konzeption dessen, worin die Akklamation besteht: bei der Akklamation wird etwas in seiner „offensichtlichen und unhinterfragten Gegenwart“ als „gegeben vorausgesetzt“. Für Schmitt handelt es sich dabei um den Willen des Volkes in seiner Verkörperung und seinem Ausdruck durch die Führerfigur. Übersetzt in das Vokabular von Michael Saward ist die Akklamation eine vollständige und unerschütterliche Zustimmung zum Repräsentationsanspruch vonseiten der Repräsentierten (wobei die Verbindung zwischen dem, was Saward „Anspruch“ nennt und dem, was Schmitt als „Akklamation“ bezeichnet, nur im Englischen augenfällig wird: der „claim“ wird „acclaimed“, wodurch der ungewisse Charakter der Behauptung getilgt wird). Im Grunde gibt Urbinati zu verstehen, dass bei der populistischen Versammlung der Anspruch des Führers, den „Willen des Volkes“ auszudrücken, nicht bloß gebilligt und hingenommen wird, sondern dass er als eine Gegenwart anerkannt wird, die nicht angefochten werden kann. Wenn ein Anspruch Akklamation hervorruft, wird er verdoppelt.

Wenn wir die Beschreibungen der Rally, die auf ein Gefühl der Einheit und Gemeinschaft hinweisen, mit den Theoretisierungen von Schmitt oder Urbinati verbinden, die in der Versammlung die Akklamation von etwas Offensichtlichem und Unanfechtbaren sehen, dann beginnen wir zu erkennen, wie ein gleitender Übergang zwischen zwei unterschiedlichen Vorgängen stattfindet. Die Tatsache, dass Menschen die Rally als Hervorbringung von Momenten der Gemeinschaft erfahren und beschreiben, bedeutet nicht, möchte ich behaupten, dass dem Repräsentanten, in Sawards Formulierung, eine vollständige „Repräsentation“ gelungen wäre. Die imaginäre Erfahrung der Einheit und Gemeinschaft mag als die ersehnte Wirkung der populistischen Rally beschrieben werden, doch solche Erfahrungen sind die augenblicklichen Auswirkungen dynamischer Beziehungen, die auf der andauernden Nicht-Identität derer beruhen, die an der Performance teilhaben.Footnote 3 Wenn Theoretiker die voreilige Schlussfolgerung ziehen, dass die populistische Rally zeige, wie der Repräsentant und die Repräsentierten wahrhaftig in einer gegenwärtigen Einheit verschmelzen, dann weicht die performative Logik der Repräsentation einer expressiven Logik der Repräsentation. Plötzlich wird dann die Repräsentation als eine Angelegenheit des Ausdrucks eines Volkswillens betrachtet – genau so, wie Schmitt sie formuliert und Urbinati sie rekapituliert.

Die Rally inszenieren

Wenn wir das Abgleiten in diesen Fehlschluss vermeiden wollen, muss die Aufgabe darin bestehen, zu einem Verständnis der ästhetischen Erfahrung der Einheit zu gelangen, welche die populistische Rally hervorruft. Welche Arten von Inszenierung und Choreografie setzen Populisten ein, um diese Erfahrungen hervorzubringen? Wenn wir ein besseres Gespür für die performative Ästhetik der populistischen Versammlung bekommen, können wir auch beginnen, die darin wirksame Dynamik der Repräsentation zu begreifen.

Lassen Sie mich ein paar der charakteristischen Elemente der Inszenierung von Donald Trumps Rallies seit 2015 skizzieren. Während der Präsidentschaftskampagne von 2016 schrieben literarische Autoren und Journalisten wie Dave Eggers (für den Guardian), George Saunders (für den New Yorker), Matt Taibbi (für den Rolling Stone), Martin Amis (für Esquire) und Mark Danner (für die New York Review of Books) Langreportagen über Trump-Rallies, und sie alle betonten, dass die Veranstaltung nicht erst begann, wenn Donald Trump die Bühne betrat, sondern viel früher, während das Publikum noch vor oder in dem Veranstaltungsort wartete, bevor Trump überhaupt die betreffende Stadt mit dem Flugzeug erreicht hatte. Das In-der-Schlange-Stehen, die Unterhaltungen mit anderen Rally-Teilnehmern, das Schlendern entlang der Stände mit Merchandise-Artikeln, deren Slogans in ihrem Grad von Kampfgeist variieren, die Beschallung mit lauter Pop-Musik, die nicht notwendig eine Verbindung zu Trumps politischem Lager aufweist (wie Eggers berichtet, wählte Trumps Team Elton Johns Tiny Dancer), die Auseinandersetzungen mit Demonstrant*innen, meist verbaler, manchmal aber auch gewaltsamer Art: all dies sind, wie die Reporter*innen zu verstehen geben, typische Bestandteile des Vorprogramms, die als integraler Bestandteil der Veranstaltung gesehen werden müssen und die wesentlich für das Schüren von Erwartungen in Bezug auf die Trump-Show sind.

Aber vor oder in dem Veranstaltungsort zu warten, dient nicht bloß dem Aufbau erwartungsvoller Spannung. Es geht auch um die Notwendigkeit, den physischen Raum der Veranstaltungen zum Leben zu erwecken. Vor allem bei der Kampagne von 2016 fanden Trumps Rallies häufig an den unscheinbarsten und notdürftigsten Orten, wie zum Beispiel einem Flugzeughangar, statt. Zu den Gründen für diese Entscheidung mögen die praktischen Vorteile gehört haben, dass Trump mit seiner Boeing 757 einfliegen, vor seinen Fans aus dem Flugzeug steigen (und so den Privatjet als Symbol von Erfolg, Reichtum, Macht und amerikanischer IngenieurskunstFootnote 4 einsetzen) und unmittelbar anschließend zur nächsten Veranstaltung weiterfliegen konnte.

Rallies an solchen Nicht-Orten zu inszenieren, reicht jedoch über den praktischen Nutzen hinaus. Aus einer performativen Perspektive ist die Auswahl solcher Schauplätze von höchster Bedeutung. Das wird sofort plausibel, wenn wir den Flugzeughangar (oder auch die traditionelleren, multifunktionalen Veranstaltungsräumlichkeiten, die Trump in den Jahren 2017 und 2018 häufig nutzte) mit den Kundgebungsorten vergleichen, die für die Reichsparteitage der NSDAP in Nürnberg errichtet wurden. Zunächst mag es scheinen, dass die Kundgebungen in Nürnberg und die Trump-Rallies (oder andere populistische Kundgebungen) denselben Zweck verfolgen. Man betrachte Hans-Ulrich Thamers Erklärung des Grundprinzips der nationalsozialistischen Massenkundgebungen:

„The principle objective behind these massive spectacles was to offer visual evidence of the German community united behind its leader. The ritualized rally of all National Socialist organizations was carefully stage-managed to present an impressive image of mass support for the new regime. The rally site formed the stage for the production of a Führer-cult. Hitler was not only leading actor and point of reference for both the architecture and the processions; he was also director and high-priest of the event, symbolically bringing the people together in an emotionally elating, communal experience“ (Thamer 1996: 172 f.).

Wie bei der populistischen Rally unserer Tage, bestand der Zweck der Veranstaltung darin, die Einheit in der geteilten Bestätigung einer Führer-Figur zu demonstrieren. Doch die Architektur des Führerkults war für eine Art von Performance geschaffen, die sich grundlegend von einer Trump-Rally unterscheidet. Nationalsozialistische Entscheidungsträger trafen bewusst die Wahl, den Kundgebungsort als Schauplatz für einen bestimmten Zweck zu errichten. Er wurde für einen sorgfältig geplanten, politischen Festakt gestaltet (mit einer Dauer von vier, dann sieben, und schließlich acht Tagen), der einer strengen politischen Liturgie folgte, in der kein Platz für irgendwelche Zufälle vorgesehen war. Tatsächlich diente der detaillierte, liturgische Ablauf der NSDAP-Kundgebungen einem doppelten Zweck: Er vermittelte eine Atmosphäre des politisch Sakralen, unterstützt durch die monumentale Architektur – die Nationalsozialistische Kirche der politischen Theologie – und er befreite darüber hinaus die Kundgebung von ihrer Abhängigkeit von Hitlers persönlichem Charisma. Wie Thamer erklärt:

„Albert Speer, co-creator and executor of this concept, informed us that it was Hitler’s aim to restrict the significance of the single personality of the head of State or Party leader within the ritual, and to put in its place a course of events which in itself was capable of impressing the masses. This idea arose from his observation that, in all probability, his successor would not be person with the same mass appeal. Therefore, the ritual had to predominate and a system be installed where even a ‚small political goblin‘ would be able to bring a certain fascination to bear on the masses“ (ebd.: 178).

Die Idee bestand somit darin, die emotionale Wirkung der Kundgebung nicht aus der einzigartigen Präsenz des Anführers, sondern aus der Ganzheit, die das Gesamtkunstwerk der Kundgebung ausmacht, zu beziehen. Der Führer hatte eine besondere Rolle zu spielen, die Teil eines Gesamteindrucks und diesem untergeordnet war. Wie George L. Mosse formuliert, lautete das Ziel: „to bring the audiences into contact with the supposedly immutable forces outside the course of everyday life“ (zit. n. ebd.: 178).

Wo Nazi-Kundgebungen die Absicht enthielten, auf unwandelbare Kräfte hinzuweisen, da hebt eine Trump-Rally die Wandelbarkeit hervor. Der nichtssagende Charakter des Flugzeughangars weist darauf hin, dass er nach der Veranstaltung einem anderen Zweck dienen wird. Anstatt die Ewigkeit zu betonen, bringt er einen tief greifenden Sinn für das ‚Jetzt‘ hervor. Im zeitgenössischen Jargon des Event-Shopping könnte man den Hangar als eine ‚pop-up-Location‘ ansehen: ihr vorübergehender Charakter betont die Dringlichkeit, das Jetzt nicht zu verpassen. Anders ausgedrückt, der Gegenwarts-Sinn, der durch die Trump-Rally erreicht wird, ist mit einer besonderen Raum-Zeitlichkeit der Architektur verknüpft. Während für das ‚Tausendjährige Reich‘ die Materialität des Kundgebungsortes wie zeitlos erscheinen musste – als länger fortbestehend als er es in materieller (und erst recht in politischer) Hinsicht konnte – muss für Trumps populistische Kampagne der Veranstaltungsort den Eindruck erwecken, dass seine Existenz als sozialer Schauplatz mit einem besonderen Zweck vor seinem materiellen Ende verschwinden wird.

Es erübrigt sich zu sagen, dass die Betonung des gegenwärtigen Moments nicht andeuten soll, dass Trumps Macht von kurzer Dauer sei. Die Dialektik von Präsenz-im-Jetzt und ihrem Verschwinden hat eher die Funktion, eine Erfahrung zu erleichtern, die geprägt ist von einer Teilhabe an der Entfaltung der Gegenwart und schließlich von einem Gefühl von Präsenz, das als Überwindung der Repräsentation verstanden werden soll. Trumps performativer Stil ist perfekt auf dieses Ziel abgestimmt.

Trumps performativer Stil

Trump brüstet sich immer wieder damit, dass er keine Skripte verwende. Wenn er gezwungen ist, in der Folge von tragischen Ereignissen präsidial klingende Aussagen zu treffen, signalisiert er seinem Publikum auf subtile Weise, dass er seine Gewohnheit, ohne Redevorlage zu sprechen, für eine Minute unterbrechen müsse, um den Rest des Landes zu besänftigen. So gelingt es ihm, sogar wenn er von einem Skript abliest, zu bekräftigen, dass der wahre Trump der ‚ungeskriptete‘ Trump ist. Und das ist sichtlich nicht bloß Prahlerei: Trump scheint sich in der Tat von einem Thema zum nächsten zu hangeln, wobei das Hangeln zumindest ebenso wichtig ist wie die Themen selbst. Mit nur wenig Übertreibung hat Katy Waldman im Online-Magazin Slate bemerkt:

„Like Obama or Clinton, Trump uses discourse markers to project folksiness or spontaneous feeling. (‚Honestly, she should be locked up.‘) In his mouth, though, these tokens hedge and redirect of their own volition, as if no one is driving the conversational car. […] Regardless of his familiarity with the topic at hand, Trump will luxuriate in all the ‚let me tell you‘s he can possibly throw into his sentences to draw attention to the fact that he’s talking. Of course he employs a ton of discourse markers: Trump as a political force is all discourse marker, no discourse“ (Waldman 2016).

Tatsächlich scheint Trump eine narzisstische Lust aus dem bloßen Akt des Sprechens – des Gesprochenwerdens durch die Sprache sozusagen – zu gewinnen, doch weil diese Lust von der Sprache selbst eher als vom sprechenden Subjekt herrührt, lädt seine Performance die Hörer ein, seinen Narzissmus zu teilen.Footnote 5

Einer der Gründe jedoch, warum es einen geteilten Lustgewinn verschafft, der Sprache selbst die „Lenkung des Gesprächs“ zu überlassen, hat weniger mit einem Gefühl narzisstischer Selbstbestätigung zu tun, das von der Integration in die symbolische Ordnung herrühren würde, als mit dem Gefühl der Offenheit, der Potenzialität, das ein solcher halb-willentlicher Diskurs hervorbringt. Indem er sich rhetorisch gehen lässt, macht Trump den Sinnen eine Erfahrung der Offenheit und Kontingenz nicht bloß der Zukunft, sondern der Gegenwart zugänglich.

Dieses Moment lässt sich theoretisch erfassen mit einer veränderten Version dessen, was der Philosoph Martin Seel die „Ästhetik des Erscheinens“ nennt. Bei seiner Diskussion von Sportveranstaltungen – die gewisse Züge mit einer Trump-Rally teilen – beschreibt Seel die Ästhetik des Erscheinens als zu einer lustvollen Erfahrung der Unbestimmtheit der Gegenwart führend. Unter den Begriff Erscheinung fällt für Seel die Gesamtheit der phänomenalen Eigenschaften, die einem Objekt zugeschrieben werden, wohingegen Erscheinen die selektive, subjektive Wahrnehmung dieser Eigenschaften oder, wie er es formuliert, die „Fülle seiner sinnlich wahrnehmbaren Aspekte, […] ihr momentanes und simultanes Gegebensein“ (Seel 2000: 53 f.) bezeichnet. Nach Seel schaffen wir, wenn wir einem Gegenstand gegenüber eine ästhetische Einstellung einnehmen, die Möglichkeit, das Erscheinen der Erscheinungen in den Vordergrund des Bewusstseins zu rücken. Das Ergebnis hat, wie Seel behauptet, das Vermögen, sich als befreiend zu erweisen:

„Sosehr das Bewußtsein des Faktums einer weitreichenden kognitiven und praktischen Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit der Welt in vielen Kontexten lähmend sein kann – ebensosehr kann es befreiend sein. Befreiend wirkt es, wenn es sich als Bewußtsein unausgeloteter, nicht festgelegter, offenstehender, gleichwohl hier und jetzt bestehender Möglichkeiten ereignet. Dieses Bewußtsein entsteht, wenn etwas in seiner sinnlichen Besonderheit um dieser Besonderheit willen wahrgenommen wird. Ihm wird gewahr, daß nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart das radikal Unbestimmbare ist. Natürlich ist die Zukunft in einem bestimmten Sinn weit weniger bestimmbar als alles, was in der Gegenwart geschieht und in der Vergangenheit geschehen ist. Aber die Zukunft ist zu unbestimmt, um in der Fülle ihrer Unbestimmbarkeit erfahren werden zu können, wie es das Privileg der vergänglichen Gegenwart ist“ (ebd.: 220 f.; Hervorhebungen im Orig.).

Darin, dass er die Ästhetik des Erscheinens als abhängig begreift von der Wahrnehmung der sinnlichen Besonderheit eines Objekts um ihrer selbst willen, offenbart Seel seine normative Orientierung an der Kunst als dem eigentlichen Ort der Ästhetik. Er gibt zu verstehen, dass es eine bewusste Anstrengung bedeutet, gleich ob man sich in einer Sportarena oder einem Museum befindet, die ästhetische Einstellung einzunehmen und jede Beachtung der pragmatischen Aspekte des fraglichen Gegenstands hintanzustellen. In einer Sportarena würde dies bedeuten, dass man nicht länger darüber nachdenkt, wer gewinnt. Nur wenn man sich, wenn auch nur für eine Sekunde, ganz auf die Bewegungen des Sportlers konzentriert, kann man die Gegenwart „in der Fülle ihrer Unbestimmtheit“ erfahren. Unter dieser Voraussetzung müsste der Besucher einer politischen Rally imstande sein, aus dem aufgeladenen sozialen Kontext herauszutreten und sich in eine Art desinteressierte Lust hinein zu versetzen – eine hochgradig unwahrscheinliche Situation, die uns, selbst wenn sie gelänge, wenig darüber verraten würde, wie eine Rally funktioniert.

Obwohl Anhänger*innen der Kantischen Ästhetik vehement widersprechen würden, gibt es letztlich wenige Gründe, warum man von einer wahrhaft ästhetischen Einstellung nur sprechen sollte, wenn sie von jeder pragmatischen Beimischung gereinigt ist. Um die Offenheit der Gegenwart zu spüren, müssen Besucher einer Trump-Rally ihre Einstellung nicht dermaßen verändern, dass sie Trump lauschen als wäre er ein language poet. Sie dürfen es nicht einmal. Der aus seiner Performance zu gewinnende ästhetische Genuss hängt ganz wesentlich mit seinem Stil zusammen, aber Stil ist wirksam nur als eine besondere Weise, auf die etwas getan wird. Würde Trumps Rede als bloßes Gerede wahrgenommen – als Klang, frei von ideologischer Bedeutung und unabhängig von der pragmatischen Redesituation –, so wäre er unfähig, ein starkes Gefühl der verstreichenden Gegenwart wachzurufen. Nur weil er sein Publikum in dieser besonderen Rolle und in diesem besonderen Stil anspricht – mit einem Sprachgebrauch, der von den Regeln politischer Rede abweicht, ohne dass er darum aufhören würde, genau dies zu sein – kann die Kontingenz des gegenwärtigen Moments zur Erscheinung gelangen.Footnote 6

Der Kern dieser Ästhetik des Erscheinens ist nicht die Fülle eines Objekts, das nur in kontemplativer Haltung wahrgenommen werden kann und das die Einklammerung aller pragmatischen Überlegungen erfordert. Anders ausgedrückt, das Gefühl der Befreiung rührt nicht von der Tatsache her, dass wir einsehen, dass unser Bezugsgegenstand unbegrenzt viele Aspekte aufweist, wenn wir uns ihm mit den Sinnen, außerhalb der Einschränkungen der Begriffe, zuwenden. Es rührt vielmehr von der Tatsache her, dass, wenn einmal die Sprache selbst die „Lenkung des Gesprächs“ bei der politischen Rally übernimmt, jeder Augenblick, jedes Wort, jeder Klang eine Überraschung darstellt, d. h. eine Abweichung vom Erwarteten. Es handelt sich um eine nicht primär zukunftsgerichtete Überraschung – wir erwarten das nächste Wort nicht mit vorauseilender Spannung –, sondern um eine, die den gegenwärtigen Moment affiziert und ihn mit einem Gefühl der Gegenwärtigkeit auflädt. Durch die Abweichung vom Erwarteten stellt der gegenwärtige Moment seine Kontingenz aus und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf seine schiere Jetztheit.

Zu sagen, dass die Sprache selbst die Lenkung des Gesprächs übernimmt, ist zweifellos übertrieben und geht in gewissem Sinne am Kern der Sache vorbei. Streng genommen stimmt es nicht, dass Trump alle Kontrolle aufgegeben hat. Worauf es ankommt, ist, dass er ein Improvisationskünstler ist, dass Worte und Gesten auf der Stelle bestimmt werden (ob von ihm oder von einem System der Sprache ist letztlich unerheblich). Für die Mitglieder des Publikums erzeugt dies den Eindruck, dass sie alle gleichermaßen teilhaben am Prozess der sich entfaltenden Gegenwart. Das hilft dabei, genauer zu bestimmen, auf welche Weise die Erfahrung seiner Performance ‚befreiend‘ genannt werden kann: Wenn nicht einmal Trump voraussagen kann, wie sich die Dinge entwickeln, dann erhält das geteilte Sein in der unbestimmten Gegenwart eine gleichmachende Wirkung. In diesem Sinne macht eine nicht-geskriptete, improvisatorische Performance eine Erfahrung zugänglich, die treffend als demokratisierend beschrieben werden kann. Noch wichtiger aber ist, dass es sich um eine Erfahrung handelt, die ein Gefühl von Einheit erzeugt: Jeder Anwesende ist Teil derselben, sich entfaltenden Gegenwart. Das ist immer der Fall, wenn Menschen den gleichen Raum bewohnen, aber nur durch ästhetische Strategien – in diesem Fall durch Trumps improvisatorischen Stil – kann man von dieser geteilten, sich entfaltenden Gegenwart sagen, dass sie als erscheinende spürbar wird.

Improvisatorische Interaktion

Doch der Kommunions-Effekt einer Trump-Rally ergibt sich nicht bloß aus der Zurschaustellung des ungeskripteten, prozessualen Charakters von Trumps Diskurs. Wie in jeder improvisationsbasierten Kunstform ist die improvisatorische politische Performance besonders geeignet für Interaktion. Man kann sagen, dass Trumps Stil für die Interaktion mit den Teilnehmern seiner Rallies gemacht ist (vgl. auch Moffitt 2016). Indem er die Möglichkeiten ungeskripteter (was nicht heißt: nicht einstudierter) verbaler und physischer Gesten ausschöpft, schafft er Anlässe für Beiträge aus dem Publikum und kann außerdem spontan auf diese Beiträge reagieren.

Bevor wir uns bestimmte Beispiele anschauen um zu sehen, wie dieser Prozess funktioniert, sollte zur Kenntnis genommen werden, dass sogar der medien-visuelle und architektonische Aufbau seiner Rallies dafür geschaffen ist, die Aufmerksamkeit auf diese Dynamik des Hin-und-Her zu lenken. Während einige republikanische Präsidentschaftsanwärter wie Ted Cruz bei den Primaries von 2016 noch (zumindest gelegentlich) den traditionellen Bühnenaufbau nutzten, bei dem der Politiker oben auf einem Podium dem Publikum gegenübersteht, erzeugen die Trump-Rallies hinsichtlich ihrer Architektur den Eindruck, als befände er sich inmitten seiner Anhänger*innen. Zu diesem Zweck werden sog. VIP-Plätze, die vom Niveau der Bühne aus steil ansteigen, hinter dem Podium angebracht. Die Zahl dieser VIP-Plätze ist begrenzt, aber auf den Bildaufnahmen der Kameras, die im hinteren Teil positioniert sind, erwecken sie den Eindruck einer endlosen Menge von Anhänger*innen. Sie reichen, wenn auch nicht viel, über den Rahmen des Kamerabildes hinaus.

Wie die New York Times berichtet, sind die Besucher, die in diesem Bereich zu sehen sind, häufig „Superfans“, die Trump von Rally zu Rally folgen. Alternativ werden sie von lokalen Organisatoren ausgesucht, erhalten Zutritt, weil sie früh eingetroffen sind, oder werden in manchen Fällen per Zufallsentscheid ausgewählt (Mervosh 2018). Doch wie Jennifer Cunningham von SKDKnickerbocker, einer Politik-Beratungs-Agentur, die für Präsidentschaftskampagnen gearbeitet hat, erklärt: „The rule is that you vet everything and everyone so there are no surprises“ (ebd.). Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass das VIP-Publikum dazu tendiert, von Rally zu Rally aus ähnlichen Untergruppen zusammengesetzt zu sein. In den Midterm-Rallies von 2018 waren darunter Familien mit jungen Kindern, Gruppen von Frauen in pinken Shirts mit Plakaten, auf denen „Women for Trump“ zu lesen war, und ein paar wenige „people of color“. Ein solches Spektrum heiterer Gesichter zu zeigen, soll wahrscheinlich den Eindruck bekämpfen, dass Trump eine Fangemeinde anzieht, die feindselig und verbittert ist, die statt nach vorn zu blicken dem an der Vergangenheit nagenden Ressentiment verfallen ist. Doch wenn Fragen der Identität in die Zusammensetzung der VIP-Gruppe hineinspielen, so verweist dies auf einen Existenzbereich, den der Ausdruck ‚VIP‘ selbst – in der resignifizierten Bedeutung des Rally-Kontexts – eher in den Hintergrund rücken soll. Die Verwendung des Ausdrucks durch die Organisatoren von Rallies deutet darauf hin, wie zwei gesellschaftliche Realitäten – die des Alltagslebens und die der Rally – miteinander vertauscht werden. Denn was diese Leute als „very important“ kennzeichnet, hat nichts mit ihrem sozialen Status zu tun (hier unterscheidet sich die Rally von den VIP-Bühnen bei Sportereignissen), aber alles mit ihrer Funktion im Rahmen der Rally selbst.

Rally-Teilnehmer mit der Kamera einzufangen ist eine Technik, die nicht von der Trump-Kampagne erfunden worden ist, als visuelle Konvention aber für seine Performances eine erhöhte Relevanz erhält. Sie erlaubt Fernseh- und Internet-Zuschauern, beide Teilgruppen des Interaktionsgeschehens auf einmal zu sehen. Tatsächlich wird die Interaktion selbst zu einem entscheidenden Bestandteil der Inhalte der Übertragung von der Rally. Die Auswirkungen dieser Inszenierung reichen sogar noch weiter: VIP-Besucher interagieren sowohl mit Trump als auch mit den anderen Publikumsmitgliedern, und sie tun dies in dem Bewusstsein, gefilmt zu werden und somit vor der Kamera aufzutreten. Dieses Bewusstsein wird gesteigert durch Trumps häufige Kommentare darüber, wie die Fernsehteams über das Publikum berichten – oder, wie er meint, nicht angemessen berichten – werden. Trumps Besessenheit von der Größe seines Publikums während der Inauguration erhält in diesem Licht neue Bedeutung: Die Berichterstattung über sein Publikum zum Gegenstand öffentlicher Debatten zu machen, steht in Übereinstimmung mit der interaktiven Ästhetik, bei der das Publikum selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Da die individuellen Zuschauermengen Trumps aufgefordert sind, sich als einer größeren ‚Bewegung‘ zugehörig zu verstehen, lässt sich das Publikum bei der Inauguration als Gesprächsthema mit dem Sprechen über das bei einer bestimmten Rally anwesende Publikum verbinden.

Die Aufmerksamkeit, die sowohl Trump als auch seine Anhänger*innen insgesamt der Berichterstattung über sich selbst schenken, verkompliziert den Charakter der Rally als solcher. Auf einer Ebene erlangen Rallies ihren Charakter als performative Ereignisse durch die Versammlung physikalischer Körper im physikalischen Raum. „[D]ie leibliche Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern [ist] die Bedingung der Möglichkeit für die Entstehung einer Gemeinschaft aus beiden Gruppen“, argumentiert die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte (Fischer-Lichte 2004: 101). Nur die Interaktion von „embodied minds“ – d. h. von Wesen, die über ein Bewusstsein von sich selbst als körperlichen Wesen verfügen – erlaubt einer Performance, etwas hervorzubringen, das von den Teilnehmern als „eine soziale Wirklichkeit […], die […] nur für kurze Zeit Existenz“ hat (ebd.: 90), wahrgenommen wird.

Auf einer anderen Ebene aber sind die Rallies Medienereignisse, und ihre Existenz als vermittelte Realität ist der Hervorbringung der kurzlebigen Gemeinschaft der verkörperten Performance eingeschrieben: Alle Teilnehmer der Rally wirken bewusst an einer Medienproduktion mit. Mehr noch, man darf annehmen, dass die Erscheinung des Ereignisses in den Medien nicht bloß während der Veranstaltung selbst verhandelt, sondern auch von den an der Hervorbringung der vorübergehenden Gemeinschaft physikalischer Körper Beteiligten visuell vorgestellt wird. So ist das Verhalten bei der Rally – auch wenn es interaktiv und spontan sein mag – von dem Modell der Trump-Rally geprägt, wie es aus dem Fernsehen und dem Internet bekannt ist. Kurz, bei der Rally sind Medialität und Körperlichkeit ineinander verschachtelt.

Der analytische Beobachter, der auf Übertragungen von Trump-Rallies angewiesen ist, muss daher berücksichtigen, dass das Zusammenspiel von leiblicher Verkörperung und Medialität aus dem medialen Material rekonstruiert werden muss. Ungeachtet dieser methodischen Herausforderung vermittelt das verfügbare Bildmaterial ein Gespür von dem Rhythmus, mit dem sich die interaktive Dynamik der Performance vollzieht. Die Interaktion ist geprägt von der schwankenden Intensität affektiver Beteiligung, die mit größter Deutlichkeit auf den Gesichtern der Besucher auf den VIP-Tribünen zu sehen ist (auch wenn diese Gesichtsausdrücke nicht immer vollkommen den Jubel- und Buh-Rufen entsprechen, die aus dem außerhalb des Kamerabereichs liegenden Teil des Veranstaltungssaals zu hören sind).

Trumps Reden erregen nicht durchgängig den gleichen Grad an Publikumsbeteiligung, obwohl beinahe jede von Trumps Äußerungen mit ihren zahlreichen Wiederholungen kurzer Sätze und unterschiedlichen Diskursmarkern das Publikum zu einer Reaktion herausfordert. In der Regel lässt die Energie immer dann nach, wenn Trump etwas ausführlicher politische Maßnahmen erläutert oder wenn er eine längere Geschichte über sich selbst erzählt, ohne das Publikum rhetorisch mit einzubeziehen. Über längere Zeiträume fängt die Kamera dann VIP-Mitglieder ein, die unsicher scheinen, wie sie sich verhalten sollen, die ein geringes Maß an Aufmerksamkeit zeigen oder die einfach gähnen. Trump überwindet diese energiearmen Passagen, indem er plötzlich das Gespräch auf eines von seinen (vom Publikum geteilten) Schreckgespenstern lenkt. In diesen Situationen gibt er häufig das Stichwort für einen seiner bekannten dreisilbigen Sprechchöre – „Lock her up!“, „Drain the Swamp“, „Build the Wall“, „U-S-A“, usw. – oder er macht eine Pause und lässt das Publikum selbst entscheiden, welchen Sprechchor es anstimmt (was manchmal zu gleichzeitigen, miteinander konkurrierenden Chören führt).

Um ein paradigmatisches Beispiel zu geben, werde ich ein paar Augenblicke einer Rally analysieren, die in Charlotte, North Carolina, am 26. Oktober 2018 stattfand, dem Tag, an dem Cesar Sayoc, der Verdächtige hinter den Briefbomben, die an mehrere prominente Kritiker Trumps verschickt wurden, festgenommen wurde (Trump 2018). Ungefähr nach den ersten sechs Minuten der Rally kommt Trump auf die Briefbomben zu sprechen und ist schnell dabei, den Medien die Schuld in die Schuhe zu schieben. Daraufhin spricht er über seine ungerechte Behandlung durch Journalisten, seinen Erfolg bei der Abwendung eines Weltkriegs mit Nordkorea, sein stolzes Bekenntnis als Nationalist, sein Vorhaben einer Steuersenkung für die Mittelklasse und über das Verhängnis, das Amerika droht, sollte Nancy Pelosi Sprecherin des Repräsentantenhauses werden. Von hier geht er über zu seiner Initiative, die die Senkung der Kosten verschreibungspflichtiger Arzneimittel erzwingen soll. Was jetzt kommt, ist mein Versuch einer Transkription der darauffolgenden zwei Minuten und zehn Sekunden (von Minute 17:50 bis 20:00), die seine Worte, manche seiner Gesten sowie die Reaktion des VIP-Publikums einfangen soll. Im Anschluss an die Transkription füge ich eine Auswahl von screen shots bei, die den unterschiedlichen Grad von Publikumsbeteiligung während des gesamten Ausschnitts einfangen sollen:

„And yesterday, which got very, very little print—very little ink by these [er zeigt mit dem Finger in den Hintergrund] great gentleman, and ladies [er macht eine Pause, einzelne Lacher und Buhrufe aus dem Publikum], by the [weitere Pause] fake news [Buhrufe und erregte Schreie zugleich]—yesterday, yesterday—[ er macht eine Pause, um den Einschub eines Satzes zu markieren, den er dann unterbricht]—it really did, it’s a very imp…— we signed a bill: Prescription drug prices are going to come tumbling down [er unterstreicht diesen letzten Satz mit einer abwärts gerichteten Geste seines rechten Arms und senkt die Tonlage seiner Stimme, um die Preisbewegung nachzuahmen; das Publikum jubelt begeistert, ein paar einzelne VIPs halten ihre Plakate hoch]! You know we have other countries [er legt eine Pause ein, um den Applaus vom vorhergehenden Satz verebben zu lassen], we have other countries that, for the same pill, from the same company, made in the saaaame plant [Pause]—wherever the hell it’s made [einige Publikumsmitglieder brechen in Lachen aus]—you go and you see that saaaame pill, same box, same everything, selling for ten percent, twenty percent, thirty percent of what Americans are forced to pay. That’s all ending, folks, that’s all ending, ok?

[schwacher Jubel]. Hopefully you don’t need prescription drugs, but if you do, you’re gonna get them a hell of a lot cheaper, because it’s going this way [zeigt abwärts mit seiner rechten Hand; der Jubel ist merklich leiser als bei der vorhergehenden Wiederholung dieses Punkts]. But the middlemen—and the drug companies— but the middle men are not thrilled with me right now. [schwacher Jubel] They’re not thrilled with me. These are very rich people, they are not thrilled! They are not thrilled with Donald Trump right now. [er legt seinen Kopf schief, als rufe er das Publikum zu einer Reaktion auf; der Jubel bleibt schwach]. And the Democrats [macht eine Pause] want to invite [weitere Pause] caravan after caravan of illegal aliens [laute Buhrufe] into our country [die Buhrufe werden lauter] and they wanna sign them up for free healthcare, free welfare, free education, for the right to vote, they want to sign them, for the right to vote [die Buhrufe erreichen ihren Höhepunkt], what’s that all about [er blickt missbilligend um sich. Dann entfernt er sich vom Mikrophon und blickt die VIPs an. Einige schreien ‚Donald Trump!‘, manche schreien ‚Build that Wall!‘ Im Laufe des Sprechchorgesangs hellen sich ihre Gesichter auf. Er hebt die Hand und wendet sich zurück zum Mikrophon]! The right to vote—you ever hear that one!“

Dieser Ausschnitt zeigt, dass die vorübergehende Gemeinschaft, die aus dem Hin und Her zwischen Trump und dem Publikum hervorgeht, keineswegs eine stabile Größe ist (vgl. Abb. 1 und 2). Mit jedem Satz riskiert Trump einen Bruch mit dem, was Fischer-Lichte als „die autopoietische feedback-Schleife [bezeichnet, die] nicht nur durch beobachtbare, d. h. sicht- und hörbare Handlungen und Verhaltensweisen von Akteuren und Zuschauern in Gang gesetzt und gehalten wird, sondern auch von der Energie, die zwischen ihnen zirkuliert“ (Fischer-Lichte 2004: 99). Inhaltlich ist dies einer der anspruchsvolleren Abschnitte der Rally für Trump, da er versucht, seine Strategie in Bezug auf Medikamentenpreise zu thematisieren, oder vielmehr zu zelebrieren. Obwohl die Senkung der Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel großes populistisches Potenzial birgt, da sie unter ökonomischem Gesichtspunkt die Probleme des kleinen Mannes anspricht, macht der relativ hohe Abstraktionsgrad das Thema zu einer Herausforderung emotionaler Mobilisierung. Es gibt eine längere Flaute in diesem Abschnitt, die beginnt, wenn Trump seine – zunächst erfolgreiches – Formulierung über die sinkenden Preise wiederholt. Während er in der ersten Runde den Punkt mit großer Wirkung vorbereitet (Abb. 3 und 4), reagiert das Publikum bei der zweiten Wiederholung kaum noch (Abb. 5). Trump versucht, das Publikum mit einem anderen typisch populistischen Manöver zurückzugewinnen: Er positioniert sich selbst aufseiten der Opposition gegen die Vorstände von Pharmakonzernen und Lobbyisten, die hier die Eliten verkörpern. Aber obwohl er alle performativen Tricks aus seinem Repertoire ausspielt – er wiederholt seine Pointe drei Mal – kehrt kein Leben zurück in das Publikum (Abb. 6 und 7).

Abb. 1
figure 1

„Und gestern…“ – Schwankende Aufmerksamkeit im Publikum

Abb. 2
figure 2

„[…] von den fake news […].“ – Buhrufe verwandeln sich in begeisterten Jubel, als Trump von seiner charakteristischen Wendung Gebrauch macht

Abb. 3
figure 3

„[…] in den Keller gehen!“ – Die nächste Ebene der Begeisterung wird durch Beifall und das Hochhalten von Plakaten angezeigt

Abb. 4
figure 4

„[…] in der gleichen Fabrik hergestellt.“ – Manche Mitglieder des Publikums schweigen, andere scheinen das nächste Stichwort zu erwarten, das im nächsten Satz folgt: „wo zur Hölle sie auch immer hergestellt ist.“ Es ist einer der komischen Höhepunkte des Ausschnitts

Abb. 5
figure 5

„Sie gehen runter.“ – Die Wiederholung von „in den Keller gehen“ löst kaum eine Reaktion aus

Abb. 6
figure 6

„Sie sind gerade alles andere als begeistert [von Donald Trump]!“ – Die dritte Wiederholung des Satzes, doch das Publikum ist auch nicht gerade begeistert

Abb. 7
figure 7

„Eine Karawane nach der anderen.“ – Das Publikum ist wieder bei Trump und buht frenetisch

Seine Lösung besteht darin, sich plötzlich einem anderen Schreckgespenst zuzuwenden: den Demokraten, die mit illegalen Einwanderern – „einer Karawane nach der anderen“ – unter einer Decke stecken. Erst als Trump seinen ursprünglichen bösen Buben – die Manager-Elite der Pharma-Industrie – durch einen neuen Schurken ersetzt, der aus einer Mischung von politischen Gegnern und als fremdrassig markierten illegalen Einwanderern besteht, gelingt es ihm, eine starke Reaktion auszulösen. Und tatsächlich handelt es sich um eine starke Reaktion: Nachdem er sie in Rage gebracht hat, überlässt er die Bühne seinen Anhänger*innen (Abb. 8 und 9).

Abb. 8
figure 8

Trump tritt zur Seite und lässt das Publikum übernehmen. Manche buhen weiter, andere rufen „Build that Wall!“ Entsprechend gibt es gleichzeitig Daumen, die nach oben, und Daumen, die nach unten zeigen

Abb. 9
figure 9

Das Publikum ist in vollem Schwang und intoniert im Gleichklang „Build that Wall!“ Die Gesichtsausdrücke grenzen an Verzückung

Vereint in ihrer Ablehnung des zweifachen Gegners (was mit Judis‘ Begriff von „triadischem Populismus“ übereinstimmt), löst Trump aus, was Fischer-Lichte als „Rollenwechsel“ beschreibt:

„Der Rollenwechsel läßt sich […] als ein Prozeß von Ent- und Ermächtigung verstehen, der sowohl die Theaterkünstler als auch die Zuschauer betrifft. Die Künstler entmächtigen sich in ihm selbst als alleinige Schöpfer der Aufführung; sie erklären sich bereit, Autorschaft und Definitionsmacht – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – mit den Zuschauern zu teilen“ (ebd.: 80).

Bemerkenswerterweise hat die Ermächtigung des Publikums einen Wandel der Gefühle zur Folge, der sich mehr und mehr von der Anfangsemotion ablöst. Während Abb. 8 eine Überschneidung von Freude und Wut zeigt, hat das Publikum wenige Augenblicke später, völlig dem rhythmischen Sprechgesang hingegeben, so etwas wie einen Rauschzustand erreicht (Abb. 9). Es ist die Position der „Autorschaft und Definitionsmacht“, welche die anfänglich negativen Gefühle in Begeisterung verwandelt.

Die Urteilsgemeinschaft und der populistische Erscheinungsraum

Trump-Rallies bringen fortlaufend Anlässe zum Urteil hervor, die sich im Medium der Reaktionsbereitschaft des Publikums abspielen: das Urteil findet Ausdruck nicht durch die Alternativen des Jubelns oder Ausbuhens, sondern durch die schiere Intensität der Reaktion. In diesem Sinne sind Buhen und Jubeln austauschbare Formen der Reaktionsbereitschaft, die in Kontrast zum Schweigen, zur Langeweile und zum Gähnen betrachtet werden müssen. Zu Beginn dieses Essays habe ich Michael Sawards Begriff des „Repräsentationsanspruchs“ gebraucht. In diesem Zusammenhang nimmt das Urteil die Form der „Zustimmung“ an. In Sawards Theorie bezieht sich die Zustimmung nicht auf ein politisches Vorhaben des Repräsentanten oder auf das Werben eines angehenden Repräsentanten um die Wählerstimmen. Zustimmung bezieht sich vielmehr auf die „political reality“ (Ankersmit 1996: 47), die durch den Akt der politischen Repräsentation, d. h. durch die Rahmung und Formierung von Repräsentanten, Repräsentierten und der von ihnen geteilten Welt hervorgebracht wird. Obwohl Saward den Ausdruck nicht gebraucht, hat die Zustimmung zur politischen Realität zumindest teilweise die Form eines ästhetischen Urteils. Die Frage, die dadurch aufgeworfen wird – und der ich mich in diesem letzten Abschnitt widmen werde –, lautet, wie das Verhältnis von ästhetischem Urteil und Zustimmung (oder Affirmation) begrifflich zu fassen ist.

In der Interaktion mit den Besucher*innen seiner Rallies ist Trump selbst erstaunlich offen in Bezug auf den ästhetischen Charakter ihres Urteils (auch wenn er die Sache nicht auf diese Weise formulieren würde). Man betrachte den folgenden Ausschnitt aus einer Rally in Golden, Colorado, die kurz vor der Präsidentschaftswahl am 29. Oktober 2016 stattfand (Trump 2016). Die Passage beginnt nach 43 min und 32 s der Aufnahme:

„I want the entire corrupt Washington establishment to hear and hear, and I mean big-league hear [Pause und Jubel] the words of us—not me, it’s ussss—when we win on November 8th [Pause und Jubel] we are going [verleiht seiner Stimme einen knurrenden Ton] to Washington, D.C. [Pause, Jubel und weiterhin andauernde, knurrende Stimme] WE WILL [lange Pause, in der er seine Hand erhebt, um das Publikum zu dirigieren, das das Stichwort annimmt und gemeinsam intoniert:] DRAIN—THE— SWAMP [Jubel]! I tell people I hated that expression. Started a week ago. I didn’t like it. I said, Ugh, that’s corny [er breitet die Arme aus, macht eine Pause, das Publikum lacht]. I said. And then I went, I said it, half-heartedly said it, the place went crazy [Jubel]. You know, Frank Sinatra didn’t love “My Way.” And then he sang it, and he saw what was happening. And then it became the biggest [sic], and he ended up loving it like crazy, but: That was a very interesting thing—Drain the swamp [Jubel]—very accurate.“

Nehmen wir Trump hier beim Wort. Anfangs lehnt er einen seiner charakteristischen Slogans aus ästhetischen Gründen ab – er ist ‚abgedroschen‘ –, und dann vergleicht er seine Lage als politischer Kandidat mit der eines populären Musikers. Zur Debatte steht das ästhetische Urteil des Darstellers im Vergleich zu demjenigen seines Publikums. Wenn die Fans in ihrem Urteil übereinkommen, dann muss der Darsteller eindeutig feststellen, dass er falsch gelegen hat. Ohne Zweifel lässt sich nach Trumps Logik – ja, genau wie nach derjenigen Kants und Arendts – über ästhetische Urteile streiten. Wie Trump seinem Publikum klar macht, ist das Urteil eines jeden Einzelnen fehlbar, was auch bedeutet, dass es nicht rein subjektiv ist. Trump ist natürlich kein wahrer Kantianer, sondern ein Ästhetiker, der von der Kulturindustrie hervorgebracht worden ist: Für ihn beruht die Autorität auf dem Kriterium der Quantität. Die Menge muss es am besten wissen, denn sie ist die Mehrheit. Sie kann nicht kollektiv falsch urteilen.

Was soll man von dieser bewussten Ästhetisierung der Politik durch einen Rechtspopulisten halten? Die Ästhetik des Erscheinens vermischt, wie ich weiter oben behauptet habe, Ästhetik und Sozialität. Jetzt kann man erkennen, dass diese Vermischung eine doppelte Referenz für die Urteile des Publikums schafft. Erstens beurteilen Rally-Teilnehmer*innen, die an der improvisierten Interaktion teilnehmen, Trumps Beiträge mit Blick auf die gesellschaftliche und politische Welt. Sie entscheiden, ob sie mit seinen Aussagen einverstanden sind, aber wichtiger noch ist, dass sie entscheiden, in welchem Maße seine Aussagen (mit denen ein grundsätzliches Einverständnis als selbstverständlich vorausgesetzt wird) affektiv mit der Welt in Einklang stehen, die sie gemeinsam mit ihm und den anderen Besuchern durch die Performance zu erschaffen beabsichtigen. Zweitens beurteilen sie auch die ästhetischen Qualitäten seiner – und ihrer eigenen – performativen Aussagen in und durch sich selbst. Kollektive Gesänge finden nicht länger allein oder auch nur vorrangig wegen ihres Inhalts, sondern wegen ihrer wiedererkennbaren Macht als Gesänge Gefallen. Gesänge werden zu Mit-Gesängen und sie werden in selbstreflexiver Weise als solche aufgenommen. In Trumps Welt birgt der Vergleich von „Drain the Swamp“ mit „My Way“ nicht die geringste Gefahr einer plötzlichen Wiedererkennung aufgrund der Reduzierung von Politik auf Ästhetik. Das Gefühlsurteil des Jubelns betrifft die ästhetische Qualität des Jubels selbst, und zwar bewusst und ausdrücklich.

Man muss darum die absonderliche Frage stellen, ob eine Trump-Rally nicht die Einlösung von Hannah Arendts hochgradig idealistischem Begriff des „Erscheinungsraums“ sein könnte. Meine Antwort wird dies verneinen, aber die Tatsache, dass diese Frage sich zumindest mit einem gewissen Maß an Plausibilität stellen lässt, leistet bereits viel für die Problematisierung der Vorstellung, dass die populistische Rally angemessen als die Akklamation eines gegebenen Volkswillens zu charakterisieren wäre, dass sie der erfolgreiche (wenn auch bedauernswerterweise totalitaristische) Ausdruck und die Verwirklichung von Einheit wäre.

Arendt hat die Vorstellung des Erscheinungsraums am weitesten in ihren Essays der späten fünfziger Jahre wie „What is Freedom?“ und „The Crisis in Culture“ (Ahrendt 1968a und 1968b) und in Vita activa oder Vom tätigen Leben (2002) ausgearbeitet. Der Begriff des Erscheinungsraums kann als Arendts Verständnis von der idealen demokratischen Öffentlichkeit gelten, gebildet nach dem Modell der griechischen Polis. Der Erscheinungsraum existiert nicht automatisch aufgrund der Ko-Präsenz menschlicher Wesen am gleichen Ort. Damit der Erscheinungsraum zur Existenz gelangt, müssen Personen, die von der Sorge um die materielle Reproduktion ihres Lebens befreit sind (weil sie diese Aufgabe an Sklaven, die Ehefrau oder andere Angehörige delegiert haben) zusammenkommen, um ihre Freiheit im Sprechen und Handeln zu verwirklichen. Für Arendt bezeichnet die Freiheit des Sprechens und Handelns nicht das Erreichen bestimmter praktischer Ziele, sondern eher eine intersubjektive Konstellation von gegenseitiger sinnlicher Wahrnehmung (und schließlich Anerkennung). Wenn freie Menschen die Erscheinung anderer freier Menschen wahrnehmen und wenn sie wechselseitig voreinander erscheinen, dann bringen sie die Erscheinung einer geteilten Welt hervor, auf die sie sich dann als einen Gegenstand ihres gemeinsamen Interesses beziehen können.

Wenn die Wahrnehmung der Erscheinung Anderer und das durch Andere in derselben Weise Wahrgenommen-werden eine besondere Form von Interaktion sind, die eine geteilte, gemeinsame Welt hervorbringt, dann beinhaltet diese Welt eine eingebaute Vielzahl von Perspektiven: Jeder blickt aus einer etwas anderen Perspektive auf die Welt. Im Ergebnis kommt es keineswegs zu einer Form von bloßem Subjektivismus oder Solipsismus. Es entsteht vielmehr erst eine Vielzahl der Perspektiven, die die Erschaffung einer geteilten Welt ermöglicht. Eine geteilte Welt ist eine Welt, die jedem ihrer Mitglieder als Erscheinung zugänglich ist und die jedem Mitglied aus einer anderen Perspektive erscheint.

Doch wenn die Wahrnehmung von Erscheinungen eine geteilte Welt erschaffen soll, dann genügt es nicht, auf der rein rezeptiven Ebene des Wahrnehmens von Erscheinungen zu verbleiben, da bloße Wahrnehmung nicht mitteilbar ist. Deshalb beginnt Arendt in „The Crisis of Culture“ die Relevanz des Urteilens – genauer gesagt, des vorbegrifflichen, ästhetischen Urteilens, das für die Verarbeitung sinnlicher Erscheinungen erforderlich ist – als Kernaktivität bei der Erschaffung einer geteilten, öffentlichen Welt in Betracht zu ziehen:

„That the capacity to judge is a specifically political ability in exactly the sense denoted by Kant, namely, the ability to see things not only from one’s own point of view but in the perspective of all those who happen to be present; even that judgment may be one of the fundamental abilities of man as a political being insofar as it enables him to orient himself in the public realm, in the common world these are insights that are virtually as old as articulated political experience“ (Arendt 1968a: 221).

Damit eine geteilte Welt als eine plurale Welt existiert, genügt es nicht, dass jeder Teilnehmer sich der eigenen Perspektive als einer partikularen bewusst ist. Diese partikularen Perspektiven müssen als verallgemeinerbar angesehen werden – d. h. sie müssen als im Grunde von jedem anderen Mitglied geteilt vorausgesetzt werden – und zugleich als fehlbar (ansonsten würden andere Perspektiven ausgeschlossen). Sie müssen der Position entsprechen, die Kant im Paragraph 40 seiner Kritik der Urteilskraft als „erweiterte Denkungsart“ bezeichnet und die erreicht wird, wenn, ganz ähnlich wie Arendt es in der oben zitierten Stelle paraphrasiert,

„er [der Einzelne; J.V.] sich über die subjektiven Privatbedingungen des Urteils, wozwischen so viele andere wie eingeklammert sind, wegsetzen kann und aus einem allgemeinen Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen kann, daß er sich in den Standpunkt anderer versetzt) über sein eigenes Urteil reflektiert“ (Kant 1990: 146).

Gerade weil das ästhetische Urteil nicht-begrifflich ist, muss es – soll es nicht in Solipsismus münden – mit Blick auf die Weise, in der anzunehmen ist, dass andere ihr Urteil fällen mögen, gebildet werden. Um mitteilbar zu sein, erfordert das nicht-begriffliche ästhetische Urteil einen inneren Entscheidungsprozess, der die Position anderer antizipiert, und genau wegen dieses Erfordernisses ist das ästhetische Urteil entscheidend, um eine geteilte Welt aus der Wahrnehmung von Erscheinungen hervorzubringen. Dies ist, kurz gesagt, der Grund, weshalb Arendt Kants dritte Kritik als seine politische Philosophie bezeichnet.

Arendt war eine ausdrückliche Pessimistin bezüglich der Frage, ob sich diese ideale Öffentlichkeit in der Moderne verwirklichen lasse. In „The Crisis in Culture“ gab sie der Konsummentalität der Massengesellschaft die Schuld für die Unmöglichkeit, einen politischen Raum der Freiheit zu schaffen, in dem die Menschen die öffentliche Welt als eine Angelegenheit von Erscheinungen behandeln können, die mit erweiterter Denkungsart zu beurteilen sind. Und im Einklang mit diesem Pessimismus bleibt eine Trump-Rally ganz offensichtlich hinter Arendts hohen Anforderungen zurück. Sie könnte in der Tat als Inbegriff ihrer schlimmsten Befürchtungen dienen. Besucher einer Trump-Rally werden Elemente der erscheinenden Öffentlichkeit kaum auf Grundlage der Frage beurteilen, wie andere Besucher sie beurteilen mögen. Ohnehin betrifft ein solches Urteil nicht die Frage der Zustimmung – diese wird vorausgesetzt –, sondern lediglich die Intensität der Zustimmung. Und diese Intensität der Reaktion wird kaum durch das antizipierte Urteil anderer bestimmt sein. Zwar konstituiert die Rally eine Art Erscheinungsraum. Bei diesem scheint aber die Pluralität der Perspektiven kaum eine Rolle zu spielen, gerade wenn die Voraussetzung gilt, dass jedermann in den Chor einmütig miteinstimmen wird.

Ich glaube, dass diese beiden Aussagen in gewissem Maße zutreffend sind, doch eigenartigerweise bleibt es möglich, die Rally auf eine Weise zu interpretieren, die – entgegen ihren Absichten – manche der anspruchsvolleren, formalen Kriterien von Arendt erfüllt (wenn man über ihre pauschale historische These hinwegsieht, nach der die Gesellschaft die Politik in einer Weise unterwandert habe, dass politische Freiheit grundsätzlich nicht mehr erreichbar sei). Man nehme die zwei Punkte, die ich eben genannt habe: Ist nicht die Tatsache, dass ästhetische Urteile bei einer Trump-Rally affektive Intensitäten betreffen (eher als ein Urteil über eine ästhetische Kategorie wie Schönheit), ein Anzeichen dafür, dass die erweiterte Denkungsart, bei der die Urteile Anderer antizipiert werden, eine besonders wichtige Rolle spielt? Denn ist nicht der Jubel einer singenden Menge die Freisetzung der freudigen Vorahnung, dass ein Hit wie „Drain the Swamp“ mit völliger Überzeugung von (fast) allen Anwesenden angestimmt werden wird?

Und ist die Rally nicht ebenso in Wirklichkeit ein Raum der Pluralität, ganz einfach, weil die improvisierte Interaktion auf dem Risiko des Scheiterns beruht? Ist nicht das Scheitern vonseiten Trumps beim Versuch, die gewünschte Reaktion hervorzurufen, bereits eine Erfahrung von Pluralität? Ist es nicht in der Tat plausibel zu behaupten, dass die Trump-Rally Momente der Einheit erschafft vor dem Hintergrund der Unwahrscheinlichkeit des Zusammenkommens der Menge in einer synchronen Erfahrung des Erscheinens? Mit anderen Worten, ist die zeitlich und räumlich begrenzte Performance der Einigung, Zustimmung oder Affirmation nicht angetrieben von der überwältigenden Wahrscheinlichkeit der Uneinigkeit?

Ich komme mit diesen Fragen zum Schluss, nicht weil ich behaupten möchte, dass die populistische Rally dem Arendtschen Erscheinungsraum entspricht, sondern weil Arendts Theorie – wesentlich dank ihres idealistischen Charakters – Aspekte der Rally zum Vorschein bringt, die von den gewöhnlichen Einordnungen der rechtspopulistischen Rally als anti-demokratisch, auf Einheit drängend (und daher potenziell totalitaristisch) und akklamationsbasiert eher verborgen werden. Trump-Rallies realisieren einen Stresstest für die demokratische Öffentlichkeit. Sie tun dies, weil sie ans Licht bringen, mit welcher Ambiguität die Rally zwischen demokratischen und anti-demokratischen Tendenzen schwankt. Es ist dies die Ambiguität der Ästhetisierung von Politik. In ihr liegt ein entscheidendes Merkmal des zeitgenössischen Populismus.