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Inspiration, Offenbarung, Ereignis. Eine philosophische Reflexion über künstlerische und theologische Kreativität

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Säkularismus, Postsäkularismus und die Zukunft der Religionen
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Zusammenfassung

Ideen werden nicht gemacht, sie kommen einem/r. Nicht ich denke, sondern es denkt, wie vor Nietzsche schon Lichtenberg gegen Descartes geltend gemacht hat, und das heißt weiter: Sie kommen nicht, sie sind schon gekommen, und es gilt nun, an ihnen zu arbeiten: Kreativ sein heißt, an Ideen arbeiten; mit anderen Worten: Ideen haben allein ist nicht genug. Ideen hat jede/r. In diesem Sinn gibt es auch keine künstlerische Kreativität, die von einer anderen, einer theologischen etwa, zu unterscheiden wäre. Es gibt – Kreativität. Unterschiede bestehen in der Art und Weise, wie man an den Ideen, die einem/r gekommen sind, arbeitet. Das scheint selbstverständlich und ist in unserem Zusammenhang weniger interessant als die Frage, wie einem/r denn Ideen kommen – woher die Kreativität also ihr Material bezieht. Auf dieser Ebene, der Frage nach dem Ursprung oder der Herkunft der Ideen, sind daher auch die für meinen Beitrag titelgebenden Begriffe angesiedelt: Inspiration, Offenbarung, Ereignis sind drei unterschiedliche Antworten auf die Frage: Woher stammen unsere Ideen? Genauer, vielleicht noch: Woher glauben wir jeweils, dass unsere Ideen kommen? Die Unterschiedlichkeit der Antworten bemisst sich nicht zuletzt an ihrer jeweiligen Nähe zum Register des theologischen Diskurses: Keine enträt dieser Nähe zur Gänze – die Rede von der Inspiration kann sie nicht vermeiden, die Rede von der Offenbarung sucht sie nachgerade, die Rede vom Ereignis flieht sie einigermaßen erfolgreich.

Aber wann, in welchem aller Leben,

sind wir endlich offen und Empfänger?

(Rilke 1996, 259, Zweiter Teil, V)

Die folgenden Ausführungen beruhen auf einem Vortrag, der im Rahmen des vom damaligen Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie an der Katholisch(-Theologisch)en Privatuniversität Linz am 28. und 29. November 2013 veranstalteten Symposiums Kunst_Wissenschaft_Theologie nicht gehalten, sondern wegen ‚Auftrittsverbots‘ daselbst vom aus dem Senegal gebürtigen Künstler und Kunstwissenschaftler Mara Niang in Anwesenheit des Autors verlesen wurde. Für die vorliegende Festschrift wurde der Vortragstext erheblich überarbeitet und erweitert. Zum Hintergrund des Verbots vgl. http://www.martinballuch.com/tag/artur-boelderl/ (26.03.2019).

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  • 12 April 2023

    Die Originalversion des Buchs wurde revidiert. Die Zusammenfassungen in Kapitel 1 und 2 wurden auf SpringerLink korrigiert.

Notes

  1. 1.

    Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zuviel, so bald man es durch Ich denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis.“ (Lichtenberg 1971, 412).

  2. 2.

    Vgl. dazu Henry 2002, 41, wo die Ur-Offenbarung des absoluten Lebens bzw. dessen Manifestation dezidiert nicht im „Welterscheinen“, sondern im Fleisch (chair) verortet wird.

  3. 3.

    Vgl. dazu u. a. Boelderl 2015.

  4. 4.

    Vgl. dazu Blanchot 2012, bes. Kap. IV.III („Rilke und die Anforderung des Todes“), 121–164; sowie Kap. V („Die Inspiration“), 165–193.

  5. 5.

    Zum theologischen Zusammenhang von Offenbarung und Ereignis mit Bezugnahme auf Badiou vgl. den instruktiven Aufsatz von Zeillinger 2017.

  6. 6.

    Auf den gerade in dieser Hinsicht aufschlussreichen Rückblick Derridas auf seine kontinuierliche, aber von vielerlei Unterbrechungen und Brüchen markierte Auseinandersetzung mit Ricœur sei an dieser Stelle immerhin verwiesen; vgl. Derrida 2004.

  7. 7.

    Ricœur zitiert Bachelard 1975, 17.

  8. 8.

    Vgl. dazu Negel 2015, bes. 220–241 („Offenbarung als Inspiration“), in weiten Teilen ein Referat von Salmann 1992.

  9. 9.

    In der Verbindung von geben und fordern, die in unserem Kontext derjenigen von Offenbarung und Inspiration entspricht, erblickt Derrida im Übrigen, was er „die Signatur, die idiomatische Denkbewegung Paul Ricœurs“ nennt (Derrida 2004, 25, Anm. 2 [dt. 99]).

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Boelderl, A.R. (2022). Inspiration, Offenbarung, Ereignis. Eine philosophische Reflexion über künstlerische und theologische Kreativität. In: Ruckenbauer, HW., Moser, S. (eds) Säkularismus, Postsäkularismus und die Zukunft der Religionen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04955-1_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04955-1_7

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-04954-4

  • Online ISBN: 978-3-476-04955-1

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